FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: V]


Zusammenfassung

Die Diskussion um städtebauliche Leitbilder hat in der jüngeren Vergangenheit eine Renaissance erfahren. Die Gründe hierfür finden sich in den veränderten Rahmenbedingungen städtischer Entwicklung. In einer Zeit globalisierter Wirtschaftsprozesse mit den entsprechenden Rückwirkungen auf die kommunale Ebene, veränderter Raum-Zeit Strukturen, sozialer, kultureller und politischer Veränderungsprozesse, gestiegener Anforderungen an eine umweltgerechte Stadtplanung sowie weitreichend eingeschränkter Kommunalfinanzen wird die Suche nach Orientierungshilfen für stadtplanerische Aufgaben wesentlich.

Die Auswirkungen der genannten Faktoren auf die städtische Entwicklung und auf die Erfordernisse seitens der Stadtplanung sind vielfältig, lassen sich mit dem Begriff der Suburbanisierung jedoch im Kern umschreiben. Die anhaltende siedlungsstrukturelle Veränderung kann auf zwei auslösende Bestandteile zurückgeführt werden; zum einen ist dies die kosteninduzierte Wanderung von Bevölkerung und Arbeitsplätzen in das Umland der Städte, zum zweiten die Folgewanderung zentraler städtischer Funktionen, wie Dienstleistungs- und Handelseinrichtungen. Durch den dispersen Verlauf dieser Entwicklung findet keine Fortsetzung städtischer Zentrenkonzepte im suburbanen Raum statt, was als strukturell nachteilig eingestuft wird. Der Prozeß der Suburbanisierung verläuft in den alten und in den neuen Bundesländern ähnlich, wenngleich die Ursachen unterschiedlich sind. Im Westen ist der Prozeß durch den Bau von Eigenheimen im unmittelbaren Umland der Städte eingeleitet worden, da hier Flächen zur Verfügung standen und die Grunderwerbskosten vertretbar waren. Im Osten hingegen lagen die Ursachen zum einen in den innerstädtischen Grundstücksengpässen durch ungeklärte Eigentumsverhältnisse, zum anderen in nicht oder nicht so schnell nutzbaren innerstädtischen Baulücken und Brachflächen (Altlastenproblematik, Abwicklung durch Treuhandanstalt). Die Problematik nicht integrierter Einzelhandelsstandorte als weiterer Motor der Suburbanisierung besteht in beiden Teilen Deutschlands. Zur Gewährleistung nachhaltiger Stadtentwicklung sind stadtplanerische Strategien angezeigt, die dieser Entwicklung entgegenwirken. Hierzu zählt u.a. die informelle Kooperation von Kommunen zur Koordinierung überörtlicher Planungen.

Nicht nur interkommunal, sondern auch intrakommunal führt die anhaltende Suburbanisierung zu neuen Problemen und Aufgabenbereichen. Die Randwanderung des Einzelhandels als wesentliches Beispiel in diesem Zusammenhang bedeutet für das bestehende Zentrensystem der Städte eine Gefährdung, da zentrale, citybildende Funktionen ins Umland abwandern. Ursache dieser Randwanderung ist u. a. ein Maßstabssprung der Betriebsgrößen. Die mit solchen nicht integrierten Standorten verbundenen Probleme sind vielfältig; sie reichen von der hierdurch induzierten Verkehrsproblematik

[Seite der Druckausgabe: VI]

bis zur Ausgrenzung immobiler Bevölkerungsgruppen und fordern Lösungsansätze. Das Land Nordrhein-Westfalen hat mit der Formulierung eines Einzelhandelserlasses reagiert, mit dem die Kommunen angehalten werden, großflächige Einzelhandelsstandorte an nicht integrierten Lagen zu vermeiden. Die Stadt Köln hat diesbezüglich ein Fachmarktzentrenkonzept aufgestellt, das die Randwanderung des Einzelhandels unterbinden, die gewachsenen Stadtteilzentren in ihrer Funktion stärken und somit den geschilderten Suburbanisierungstendenzen entgegenwirken soll.

Weiterhin kommt es zukünftig darauf an, den Veränderungsprozessen durch eine adäquate Inwertsetzung vorhandener Standortpotentiale entgegenzuwirken. Die Stadt Leipzig als ostdeutsches Beispiel einer Kommune mit Problemen im Bereich der Gewerbesuburbanisierung einerseits (Stichwort: Saalepark) sowie vielfältigen Standortpotentialen andererseits begegnet dieser Aufgabe durch die Formulierung stadtspezifischer, lokaler Leitbilder. Hierzu zählen sowohl die Sicherung und der Ausbau wohnortnaher Versorgungsinfrastrukturen, die Attraktivierung als Wohnstandort, der Sicherung und Weiterentwicklung städtischer Grünflächen sowie die Erschließung innerstädtischer Areale, die aufgrund von Substanz- oder Funktionsmängeln gegenwärtig noch keine tragfähige Nutzung aufweisen.

Die Revitalisierung von Immobilien und Flächen, die ehemals durch große und monostrukturierte Nutzungen belegt waren und gegenwärtig lediglich als Brachflächen im städtischen Gefüge existieren, stellt in diesem Zusammenhang eine schwierige, wenngleich nicht unlösbare Aufgabe dar. Wesentlich bei der Neubeplanung solcher Areale ist die Orientierung an gemischtgenutzten Strukturen, da Flächen und Immobilien dieser Größenordnung für einzelne Nutzer gegenwärtig keinen Absatzmarkt besitzen. Bei den Planungsprozessen kommt es darauf an, daß Investoren und Kommunen eng und kooperativ zusammenarbeiten, damit Projekte solcher Größenordnungen zu städtebaulich und wirtschaftlich tragfähigen Ergebnissen führen.

Die Planung und der Bau kultureller Einrichtungen und Freizeitanlagen, so beispielsweise Theater, Musicalhallen und Multiplexkinos, stellt einen Bereich städtebaulicher Entwicklung dar, dem in der jüngeren Vergangenheit in Form kooperativer Joint-Ventures zwischen öffentlicher Hand und privatwirtschaftlichen Akteuren verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

Andere Beispiele finden sich in der gewerblichen Neunutzung ehemaliger Industrieflächen. Am Beispiel eines Areals im Berliner Stadtbezirk Tegel wurde aufgezeigt, wie trotz einschlägiger administrativer Barrieren eine Umnutzung und tragfähige Inwert-Setzung einer innerstädtischen Industriebrache erreicht werden kann.

Ein weiteres Aufgabenfeld, daß sich vor dem Hintergrund der Suburbanisierung insbesondere in den neuen Bundesländern ergibt, ist der drohende Image- und Qualitätsverlust von Großwohnsiedlungen. Die staatliche Wohnungsbaupolitik und Wohnungs-

[Seite der Druckausgabe: VII]

bewirtschaftung der ehemaligen DDR hat im Bereich der Wohnstandorte zu industriell gefertigten und monotonen Baukörperformationen mit wenig strukturierten Freiräumen sowie in Folge zu anonymen Nachbarschatten geführt. Hier besteht ein erhöhter Bedarf unterschiedlichster Maßnahmen, um diese baulich-technisch oftmals intakten Siedlungen zu attraktiven Stadtteilen mit zeitgemäßem Wohnwert zu entwickeln.

Bei Betrachtung aller genannten Aspekte erschließt sich ein planerisches Aufgabenspektrum, daß sich durch Komplexität und mitunter auch durch scheinbar nicht lösbare Zielkonflikte auszeichnet. Die Formulierung konkreter Leitbilder oder Leitvorstellungen bietet sich hier als Orientierungshilfe an. Das gegenwärtig diskutierte Modell der europäischen, kompakten Stadt stellt hier einen Ansatzpunkt dar. Jedoch muß der Begriff des Leitbilds näher betrachtet werden, da er vielfältige Inhalte aufweisen und Vorstellungen wecken kann. Der abschließende Beitrag der vorliegenden Broschüre widmet sich dieser Thematik im besonderen und erläutert sowohl die verschiedenen inhaltlichen Ebenen von Leitbildern als auch die Möglichkeit, Leitbilder als Verfahrens- und Moderationskonzept von Stadtentwicklung zu betrachten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

Previous Page TOC Next Page