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Zusammenfassung

Die Untersuchungen des StadtBüro Hunger bestätigen eindeutig die eingangs erwähnten Vermutungen von Segregationsprozessen und einem erhöhten Umzugsverhalten in Plattenbaugebieten. Das bedeutet aber nicht, daß die Gebiete auf dem Weg sind soziale Brennpunkte zu werden.

Diese Entwicklung ist bisher nicht als unnormal oder sozial gefährlich anzusehen. Zum einen handelt es sich dabei um eine Reaktion auf das veränderte Wohnungsangebot seit der Wende im Jahr 1989. Zum anderen ist es eine Anpassung der Wohnungssituation der Bewohner an ihre finanziellen Verhältnisse. Große Gefahren sind aber für die Zukunft zu sehen, insbesondere dann, wenn die hohe Arbeitslosigkeit trotz Wirtschaftswachstum und Einkommensverbesserungen bestehen bleibt.

Die in diesem Zusammenhang häufig geführte Abrißdiskussion wurde im Rahmen der Konferenz nur am Rand angesprochen. Es kam zur Erwähnung der Pestel-Studie, die einen Abriß eines Drittels der 2,3 Millionen Plattenbauwohnungen im Osten Deutschlands vorhersagt. Die flächendeckende Wohnungszählung 1995 hat ergeben, daß in den neuen Ländern 6,6 Prozent der Wohnungen leer stehen. In den alten Ländern liegt der Leerstand bei 2,9 Prozent. (BMBau 1997) Dieser doch deutliche Unterschied liegt jedoch vor allem an Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten, die in einem Drittel der Wohnungen, insbesondere im Altbaubestand, in den neuen Ländern durchgeführt werden. Weitere 20 Prozent Wohnungen stehen aufgrund von Unbewohnbarkeit leer. Das betrifft vor allem Altbauwohnungen. (BMBau 26.6.97)

Die Konferenzbeteiligten waren sich darüber einig, daß es ohne die DDR-Plattenbauwohnungen nicht zu einer Entspannung des Wohnungsmarktes gekommen wäre. Sicherlich wird in einigen Städten, wie z.B. in Stendal, wo über 20 Prozent der Plattenbauwohnungen leer stehen an einen teilweisen Abriß gedacht. Im sächsischen Hoyerswerda kam es bereits zum Rückbau von Plattenbauten. (Stuttgarter Zeitung 2.8.97) Jedoch handelt es sich dabei um eine besondere lokale Problemlage, die nicht auf andere Plattenbausiedlungen übertragbar ist.

Auf der Konferenz wurde deutlich, daß die Großwohnsiedlungen noch weit davon entfernt sind, eigenständige Stadtteile zu werden. Bis jetzt konzentrierten sich die Maßnahmen in den Plattenbausiedlungen aus den 70er und 80er Jahren vor allem auf Wohnumfeldverbesserungsmaßnahmen. Die älteren Platten-

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bauten sind inzwischen zu einem Großteil instandgesetzt und modernisiert worden. Bei den jüngeren "Platten" wird gerade mit der Sanierung begonnen.

Der städtebauliche Rahmenplan für Magdeburg Neu Olvenstedt macht deutlich, daß es sinnvoll ist, die Wohnumfeldmaßnahmen auf die stattfindenden Veränderungen der Bewohnerstruktur auszurichten.

Zu Berücksichtigen ist zum Beispiel die Tatsache, daß besonders junge Familien mit einem oder zwei Kindern, junge Einpersonenhaushalte und Haushaltsgründer aus der Stadt Magdeburg in die Großwohnsiedlung Neu Olvenstedt ziehen. Hier kann bei der Wohnumfeldverbesserung mit entsprechenden Maßnahmen den Bedürfnissen dieser Bevölkerungsgruppen entsprochen werden. Dadurch wird gesichert, daß nicht an den Bedürfnissen der Bewohner "vorbei" geplant wird. Es hat sich gezeigt, daß bei diesen Maßnahmen, die Beachtung des jeweiligen Lebenszyklus entscheidend ist für ihre Akzeptanz durch die Bewohner.

Die Verbesserung der Wohnumwelt in den Großsiedlungen ist besonders vor dem Hintergrund der Tatsache notwendig, daß eine soziale Ausdifferenzierung in den Siedlungen stattgefunden hat. Die ursprüngliche Planung für die Großwohnsiedlungen in der ehemaligen DDR ging von der Vollbeschäftigung ihrer Bewohner aus, die eine umfassende Kinderbetreuung und Grundversorgung notwendig machte. Inzwischen haben viele Bewohner der Siedlungen ihre Arbeitsplätze verloren und die Aufenthaltsqualität der Wohngebiete hat somit einen hohen Stellenwert eingenommen. (StadtBüro Hunger 1997)

Ob die Wohnumfeldmaßnahmen und Konzepte, wie die städtebauliche Rahmenplanung für Neu Olvenstedt, erfolgreich bei der Stabilisierung der Großwohnsiedlungen sind und sie in Richtung Eigenständigkeit entwickeln können, wird sich erst in der Zukunft herausstellen.

In der Kölner Siedlung Chorweiler ist bereits eine umfassende Sanierung erfolgt, nachdem das Gebiet schon einen teilweisen sozialen Abstieg erlebt hatte. Aber auch in Chorweiler ist es noch zu früh, um zu beurteilen, ob die Strategie langfristig erfolgreich ist. Es sind Grundlagen geschaffen worden, die eine eigenständige Entwicklung in Gang bringen könnten, aber von einer Eigenständigkeit von Chorweiler kann auch hier nicht gesprochen werden. Die GfS weist explizit darauf hin, daß der Stadtteil auch in Zukunft öffentliche Gelder benötigt.

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Die Beibehaltung der öffentlichen Unterstützung für die Plattenbaugebiete war eine generelle Forderung der Konferenzbeteiligten. Die GfS und das StadtBüro Hunger sprechen sich dafür aus, daß die öffentliche Hand mehr Anreize für private wirtschaftliche Initiativen schafft. Die Beteiligung des Privatsektors ist weiterhin als unzureichend zu bezeichnen.

Besonders für die Erreichung einer Funktionsmischung in den Plattenbaugebieten ist die Beteiligung von privaten Akteuren notwendig.

Inwieweit das Bestreben, die Funktionen der "Platte" zu diversifizieren, realistisch ist, bleibt noch zu prüfen. Zum Beispiel für Neu Olvenstedt schätzt das StadtBüro Hunger ein, daß es vorwiegend ein Wohnstandort bleiben wird. Sicherlich ist es unbedingt notwendig, kleinräumige Strukturen zu schaffen, die sich auf mehr als nur die Funktion "Schlafen" beziehen. Eine vollständige oder weitgehende Funktionsmischung in Großwohnsiedlungen ist jedoch sicher nur unter besonderen Voraussetzungen erreichbar.

Projekte wie das Sterncenter und das Zentrum Hellersdorf sind Beispiele für den Versuch, die Großwohnsiedlungen durch neue Funktionen aufzuwerten. Eine Bewertung dieser Strategie kann momentan noch nicht abschließend vorgenommen werden. Es haben sich jedoch bereits erste negative Auswirkungen dieser Nebenzentren für die Innenstädte bemerkbar gemacht. Außerdem stellt sich die Frage, ob es möglich ist, durch Projekte wie das Sterncenter und das Zentrum Hellersdorf oder angrenzende Investitionen wie das Quartier Kirchsteigfeld urbane Strukturen zu schaffen. Äußerungen über das Kirchsteigfeld. "Die Anlage wirkt unbelebt, künstlich..." nähren Zweifel, ob man eine Stadt erbauen kann. Das Gleiche gilt für das Sterncenter, weil man den Eindruck nicht abwehren kann, daß "Urbanität unter einer Käseglocke" inszeniert wird (Oswald 1996). Muß sich eine Stadt nicht erst zu einer Stadt entwickeln? Das Kirchsteigfeld ist weitgehend „durchgeplant". Von den Bewohnern wird wenig verlangt, und es gibt nur bei eigener Initiative Möglichkeiten, außer einem Wettbewerb zur Balkonbegrünung, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. Die Bewohner werden anscheinend vor allem als Konsumenten gesehen. Wichtigste Priorität hat die Autounterbringung und so "verflüssigt sich die Stadtgemeinschaft zu Verkehrsströmen" (Hoffmann 1996).

Grundsätzlich ist es richtig und wichtig, Großsiedlungen mit Handel und Gewerbe, privaten und öffentlichen Dienstleistungen, Kinos und Bädern auszu-

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statten. An den einzelnen Orten ist zum Teil viel erreicht worden, zum Teil aber noch viel oder gar sehr viel zu tun. In Zukunft wird man genauer darüber nachdenken müssen, was die Errichtung von Nebenzentren in oder an den Rändern von Großwohnsiedlungen für den Rest der Stadt bedeutet. Die Entwicklung von Nebenzentren innerhalb einer Stadt sollte nicht dazu verleiten, die einzelnen Nebenzentren bzw. Stadtteile als unabhängig voneinander zu betrachten. Das würde auch die Fördergelder für die einzelnen Stadtgebiete "gegeneinander arbeiten" lassen. Es sind umfassende Konzepte notwendig, die die Schaffung von attraktiven kleinräumigen Strukturen beinhalten, ohne die Stadt als ein Ganzes dabei zu beeinträchtigen, den Aufbau an anderen Stellen zu stören oder gar wertvolle Strukturen und Substanzen zu zerstören.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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