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[Seite der Druckausgabe: 37]


IV. Politische Probleme und Steuerungsmöglichkeiten

Um im Bereich des nachhaltigen Bauens und Wohnens durch politische Steuerung und Rahmenbedingungen für eine ökologische Bau(markt)wirtschaft zu angemessenen Lösungen zu kommen, ist zunächst zu klären, in wie weit sich die bisherigen Förder- und Regulierungsstrukturen als problematisch bzw. hinderlich für eine Umorientierung in Richtung einer zukunftsverträglichen Bau- und Wohnungswirtschaft erwiesen haben. Dabei ist besonders die den Neubau begünstigende Struktur der Wohnungsbauförderung zu beachten.

1. Problematik und Struktur der Wohnungsbauförderung

An den Wohnungsneubau knüpfen sich hohe Erwartungen und ein Bündel unterschiedlicher Politikziele, die sich kaum alle gleichzeitig verwirklichen lassen: Der Wohnungsneubau soll Bauarbeiter beschäftigen und Familien mit Einkommen versorgen. Er soll zur Bildung von Immobilienvermögen beitragen und die Konjunktur beleben. Er soll raumordnerische Ziele verwirklichen helfen. Unmittelbares Ziel ist natürlich die Schaffung von Wohnflächen. Wachsender Wohlstand bei vielen Bürgern, immer mehr immer kleinere Haushalte, Einwanderung und Bevölkerungszuwachs steigern den Wunsch nach bzw. den Bedarf an zusätzlicher Wohnfläche. Schließlich führt auch die zunehmende Verlagerung von Arbeit in die Wohnungen zu einem erhöhten Flächenbedarf. Wenn künftig etwa 3,5 Millionen Teleheimarbeiter pro häusliches Arbeitszimmer acht zusätzliche Quadratmeter brauchen, entspricht allein dies fast der dreifachen Wohnfläche der Stadt Bonn.

Umweltschutzaspekte stehen bei der derzeitigen Förderung nicht im Vordergrund. Zunächst gibt es für den Bauherrn die direkte Eigenheimförderung und zwar unabhängig davon, ob er sein Eigenheim nach ökologischen Kriterien baut, d.h. ihm steht auch dann die Förderung zu, wenn aus dem Hausbau zusätzliche Umweltbelastungen resultieren, deren Beseitigung dann Aufgabe der Allgemeinheit ist. Ob nachhaltig gebaut wird oder nicht, bleibt also dem einzelnen Bauherrn überlassen. Wenn er durch besonders gute Wärmedämmung und Energieeinsparung umweltschonend vorgeht, erhält er noch eine Öko-Prämie dazu. Sinnvoll wäre es, wenn bereits die Grundförderung an die Erfüllung ökologischer Auflagen gekoppelt wäre. Hierdurch könnten Widerprüche zwischen verschiedenen Wohnungsbauzielen von vorne herein verhindert werden. Aus ökologischen Gründen ist ein Wohnflächenzuwachs generell unerwünscht, gleichgültig durch welche der oben genannten Ursachen er zustandekommt. Es ist ökologisch (und auch ökonomisch) nicht länger hinnehmbar, neue räumliche Probleme stets mit neuen Räumen zu lösen. Wenn Flächen gebraucht werden, dann bedeutet das nicht zwangsläufig Neubau. Zunächst sollte vielmehr immer geprüft werden, ob Flächen im Bestand gewonnen und gesparten werden können. Es muß gelingen, den Flächenverbrauch - wie den Energieverbrauch - von der Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung abzukoppeln. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Umsteuerung weg

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von der Neubauförderung angezeigt und zwar insbesondere, wenn es um nicht verdichteten Neubau geht.

Andererseits sollte auch die soziale Gerechtigkeit eine Leitlinie des wohnungspolitischen Handelns sein, d.h. die angemessene Wohnungsversorgung aller Haushalte. Die Situation hat sich zwar in Deutschland in den letzten Jahren im Durchschnitt stark verbessert und erreicht auch im internationalen Vergleich einen Spitzenwert. Nach wie vor gibt es aber erhebliche Versorgungsunterschiede zwischen verschiedenen Haushaltsgruppen. Ein Haushalt ist heute zumeist um so besser versorgt, je kleiner er ist. Statistischen Erhebungen zufolge beträgt der mittlere pro-Kopf-Wohnflächenverbrauch bei Haushalten mit einer Person gut 53 qm, bei Haushalten mit zwei Personen knapp 36 qm und bei Haushalten mit vier Personen rd. 23 qm. Da insbesondere für junge Familien oft ausreichender Wohnraum fehlt, wurde hier die Bildung von Eigentum in Form von Neubau gezielt gefördert.

Zugleich erfordert die angespannte Finanzlage bei Bund, Ländern und Kommunen ein Umdenken bei der Lösung von Wohnungsversorgungsproblemen. Der Wohnungsneubau bleibt sicher auch weiterhin wichtig. Bei eingeschränkten Haushaltsmitteln wird sich eine ungebremste Fortführung der bisherigen Subventionierung von Neubautätigkeit auf Dauer wohl kaum durchhalten lassen. Derzeit addieren sich die in Form von Steuerausfällen, direkter Wohnungsbauförderung, Abschreibungsvergünstigungen, Sozialbauförderung usw. anfallenden Kosten des Staates pro Jahr und Bürger auf rund 1.000 DM. Auch aus dieser Perspektive erscheint bei den Problemen der Wohnungsversorgung ein stärkeres Umschwenken auf Lösungen im Wohnungsbestand sinnvoll und notwendig. Dabei sprechen unter anderem auch arbeitsmarkt-, einkommens-, sozial- und finanzpolitische Gründe für eine Substitution von Sozialleistungen (für Arbeitslosigkeit) durch Bausubventionen.

Fest steht, daß das Ziel der Wohnflächenförderung sowohl mit ökologischen Zielen als auch mit den Sparerfordernissen kollidiert. Eine aus ökologischer, sozialer und ökonomischer Sicht zu fordernde Umsteuerung der Förderung in Richtung auf eine effizientere Bestandsnutzung ist bisher allerdings noch nicht hinreichend gelungen. Dies belegt ein kurzer Überblick über die heutigen Förderungsstrukturen.

Selbstnutzer bekommen seit Anfang 1996 (innerhalb gewisser Einkommensgrenzen) beim Erwerb einer Bestandswohnung über acht Jahre 20.000 DM Direktförderung und können vor Einzug bis zu 22.500 DM von der Steuer absetzen. Dies könnte Bürger mit dem Wunsch nach Eigentumsbildung für Objekte im Bestand interessieren - wäre nicht die Direktförderung für den Neubau doppelt so hoch. Durch die gegenwärtige Förderpolitik wird der Neubau im Vergleich zum Umbau preiswert. Dies ist wohnungswirtschaftlich auch sinnvoll, wenn das politische Ziel in der Schaffung von Wohnfläche gesehen wird; aus diesem Blickwinkel sollte die Bestandsförderung sogar ganz eingestellt werden. Diese Förderstruktur begünstigt

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aber die aus ökologischen Gründen unerwünschte Zersiedlung - durch Ankurbelung der Neubautätigkeit, aber auch dadurch, daß sie das Bauen auf billigen Grundstücken relativ stärker belohnt. Dies wiederum ermuntert zur Flucht aus den Ballungszentren mit entsprechenden Folgen für Bodenverbrauch, Erschließungsprojekte und Verkehrswachstum. Unter Umweltaspekten sollte deshalb nur der Erwerb im Bestand und nicht mehr der Neubau gefördert werden.

Da aber letztendlich jede Förderung - ob Neubau oder Bestand - die Nachfrage nach Wohnfläche steigert, wäre aus ökologischer Sicht auch zu prüfen, ob im Bereich der Selbstnutzung auf eine Subventionierung nicht völlig verzichtet werden kann. Wenn staatliche Förderung nicht manipulierend eingreift, ist ein Erhaltungsinvestor im Vergleich zum Bauherrn eines Neubaus fast in jedem Fall finanziell geringer belastet, denn Investitionen zur Erhaltung einer älteren Wohnung sind meist wesentlich geringer als die für einen qualitativ vergleichbaren Neubau. Daher würde ein Wegfall der Förderung wohl kaum zur Gefährdung bzw. zum Verfall des Bestands an Eigenheimen und Eigentumswohnungen führen.

Vermieter können Instandhaltungsausgaben in normalem Umfang im gleichen Jahr voll von der Steuer absetzen. Modernisierungen können über einen längeren Zeitraum abgeschrieben werden, und die Kosten hierfür sind mit 11% p.a. auf die Mieter abwälzbar; damit lohnt sich jeder zur Modernisierung aufgenommene Kredit - sofern die Mieter zahlen. Hier besteht die staatliche Unterstützung also auch in einer Ausnahme von den sonst gegebenen mietrechtlichen Restriktionen. Staatliche Unterstützungen beeinflussen auch bei vermieteten Wohnungen deren Lebensdauer meist nur unwesentlich. Hier genügen oft kleine Investitionen zum Erhalt großer Wohnungswerte. Der ökonomische Anreiz ist meist groß genug, um den Bau aus eigenen Mitteln, also auch ohne Förderung zu erhalten.

In Ostdeutschland ist die Wohnungsbauförderung generell höher als in Westdeutschland. Ab 1997 wurde allerdings die 50%-Sonderabschreibung für Neubauten auf 25% halbiert, für Sanierungen dagegen nur auf 40% gesenkt. Diese (massive) staatliche Umsteuerung dürfte einen Großteil der Abschreiberinvestitionen auf den Bestand umlenken. Dieses Umsteuern ist ökologisch positiv zu sehen. Es bedeutet allerdings auch einen erheblichen Verzicht auf Steuereinnahmen, der in ganz Deutschland und auf Dauer wohl kaum zu leisten wäre.

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2. Mögliche Umgestaltung der finanziellen Anreize und Sanktionen

Da sich Bestandserhaltungsmaßnahmen i.d.R. meist auch ohne staatliche Förderung lohnen, läßt sich mit direkter Förderung in Richtung auf die gewünschte bessere Bestandsnutzung nicht viel Zusätzliches erreichen. Eine stärkere Wirkung versprechen demgegenüber Instrumente zur Förderung eines intelligenteren Bestandsmanagements.

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Die Wohnungsbau(förder)politik kann dabei von der Energiepolitik lernen: In der ersten Ölkrise entdeckten Energieplaner, daß zum effizienten Heizen von Räumen, zum Betreiben von Maschinen oder für Licht nicht unbedingt neue Kraftwerke erforderlich sind. Vielmehr ist es oft billiger, Häuser zu isolieren, Motoren sparsamer zu machen bzw. Energiesparlampen zu verwenden. Einsparen statt ausweiten wurde propagiert. Hieraus hat der Amerikaner Amory Lovins unter dem Stichwort "Megawatt" eine erfolgreiche energiepolitische Strategie gemacht. In Deutschland geht die insbesondere von Ernst Ulrich von Weizsäcker propagierte "Effizienzrevolution" in eine ähnliche Richtung. Eine solche Strategie ist auch für den Wohnungsmarkt erforderlich. Diesem (auch in der Enquetekommission diskutierten) Ansatz zufolge ist bei Wohnflächenbedarf nicht nur an Neubau zu denken. Vielmehr ist zuerst festzustellen, ob die benötigten Flächen im Bestand (d.h. unter den 35 Millionen Wohnungen bzw. bei den 2,8 Mrd. qm Wohnfläche) aktiviert werden können.

"Schlummernde" Bestandsreserven lassen sich z.B. durch ein gezieltes Umzugsmanagement bzw. durch die Förderung von Wohnungstauschaktionen erschließen. Ältere Bürger wünschen sich häufig kleinere Wohnungen. Der Umzug scheitert hier aber oft an mangelnder Unterstützung. [Fn. 6: Einzelheiten eines entprechenden Umzugsmanagemets enthält Abschnitt 3 dieses Kapitels.] Eine andere Zielgruppe für eine preiswerte Bestandsaktivierung sind Bürger, die sich mit Wohnsituationen zufrieden geben, die herkömmlichen Standards nicht genügen, aber andere Formen von Lebensqualität ermöglichen (z.B. in umgebauten Fabriketagen). Je weniger Geld die öffentlichen Hände zur Verfügung haben, desto stärker müßten solche Projekte unterstützt werden.

Ein anderer Weg besteht in einer Lockerung des Mietrechtes, das derzeit oft flexible Umnutzungen von Wohnungen im Bestand verhindert. Regelungsbedarf besteht z.B. bei der Mietermodernisierung und beim Problem der flächenbezogenen Fehlbelegungen im sozialen Wohnungsbau. Und eine Liberalisierung der Mieten würde zwar Preiserhöhungen im Bestand auslösen. Sie würde aber auch dazu führen, daß sich die Preise von neu vermieteten und von bereits längere Zeit vermieteten Wohnungen einander annähern - und zwar aus beiden Richtungen. Damit wäre ein wesentliches Mobilitätshemmnis auf dem Wohnungsmarkt beseitigt. In Ostdeutschland ist bei vielen städtischen Gesellschaften die Wartezeit auf eine Wohnung von fünf Jahren zu DDR-Zeiten auf fünf Monate heute geschrumpft, teils auch schon auf Null. Das liegt zum Teil an den Wanderungsverlusten und am regen Neubau, aber auch an der starken Zunahme der Bestandsmieten, die in großem Umfang "quadratmeterschaffend" gewirkt hat. Das Sonderwohngeld Ost stellte sicher, daß diese Entwicklung auch sozial gut kompensiert werden konnte. Eine solche Kompensation ist wichtig, damit Bezieher niedriger Einkommen nicht - wie schon einmal im 19. Jahrhundert (Stichwort: Wohnküche für die Arbeiterfamilie) - in zu enge Wohnungen gedrängt werden.

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Eine weitere Möglichkeit zur Aktivierung von Wohnraumreserven wäre eine stärkere Besteuerung des Flächenverbrauchs. Hierfür könnte z.B. die Grundsteuer so umgebaut werden, daß sie eine größere Lenkungswirkung entfaltet.

Mieterhöhungen und Grundsteuererhöhung streben eine Mobilisierung bzw. Aktivierung von Beständen über negative Anreize an. Als positives Instrument ließen sich demgegenüber staatliche Prämien für Wohnungswechsler denken, deren Höhe von der Anzahl der Quadratmeter abhängt, auf die beim Wechsel verzichtet wird. Eine Prämie von beispielsweise 400 DM pro "abgegebenem" Quadratmeter wäre für die öffentliche Hand billiger als die Subvention der neuen Eigenheimförderung von durchschnittlich etwa 550 DM/qm in acht Jahren. Sie wäre für den Staat auch deutlich günstiger als der Steuerausfall für den Bau einer neuen Mietwohnung, der nach Senkung der Abschreibungssätze immer noch bei rund 750 DM/qm liegt. Und sie wäre schließlich bei weitem vorteilhafter als die Förderung für eine Sozialwohnung, die im ersten Förderweg oft 2.000 DM/qm in zehn Jahren erreicht.

Derartige Prämien für Flächengewinne im Wohnungsbestand könnten effizient und unbürokratisch gehandhabt werden. Mit ihrer Hilfe ließen sich gerade größere Wohnungen freimachen, die relativ flexibel zu nutzen sind. Das Instrument ist freilich durch Änderungen im Mietrecht, im Belegungsrecht und bei den Nutzungsvorschriften zu flankieren. Zu untersuchen wäre natürlich auch, inwieweit solche Umzüge heute schon stattfinden und inwieweit mit einer solchen Prämie künftig Mitnahmeeffekte finanziert würden. Die auf diese Weise erreichbare Aktivierung von Beständen kann aber zweifellos Beiträge zu einer nachhaltigen Bau- und Wohnungswirtschaft leisten und ist deshalb der ungebremsten Zersiedelung von Stadträndern und Dörfern in jedem Fall vorzuziehen.

Prämien könnten auch für die Teilung von Wohnungen gezahlt werden ("Umbau-Prämie"). Damit wird zwar kein Quadratmeter gewonnen, aber der Entwicklung zu immer kleineren Haushaltsgrößen Rechnung getragen. Eine Prämie von z.B. 1.000 DM für jede durch Teilung neu geschaffene Wohnung erscheint praktikabel und finanzierbar - jedenfalls wenn man entsprechend die Neubausubventionen kürzt, die direkt negative ökologische Effekte auslösen können und indirekt zum Verschleiß von Wohnungsbeständen beitragen.

Schließlich wäre auch die Verstärkung der Programme zur Förderung des Dachgeschoßausbaus sinnvoll. Hierdurch kommt es zu einer Entkopplung zwischen der Entwicklung von Wohnfläche und Grundfläche.

Der wichtigste Grundsatz für die Umsteuerung fordert, daß die Subventionsinstrumente nicht den Verbrauch an Wohnfläche, sondern die Effizienz ihrer Nutzung steigern sollten. Daneben können preispolitische Instrumente eingesetzt

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werden, die den Flächenverbrauch verteuern und insbesondere den ökologisch bedenklichen Einfamilienhausneubau abbremsen. Beide Effekte zusammen können sich auf dem Markt so kompensieren, daß die pro Haushalt anfallenden Kosten für das Wohnen im Bestand gleich groß oder sogar geringer sind wie für das Wohnen im Neubau. Diese Zusammenhänge vermag erneut eine Analogie zur Energiepolitik zu verdeutlichen: Eine Energieverteuerung führt dann nicht zwangsläufig zu höheren Kosten für Heizen und Licht oder zu Einbußen beim Konsum, wenn gleichzeitig der spezifische Energieverbrauch für Heizung und Beleuchtung hinreichend gesenkt wird.

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3. Beispiel Umzugsmanagement

Die im Bestand "schlummernden" Wohnungsreserven sind - wie erwähnt - beachtlich. Hochrechnungen zufolge gibt es in Deutschland z.B. rund 2,7 Millionen Ein- und Zweipersonenhaushalte von Bürgern im Alter von über 55 Jahren, welche ihre Wohnung als zu groß empfinden. Entgegen der landläufigen Meinung sind ältere Mitbürger zudem überraschend mobil. Schon heute ziehen die Mitglieder jedes zweiten Haushalts zwischen dem 55. und 75. Lebensjahr noch einmal um - den Weg in Alten- und Pflegeheime nicht mitgerechnet. Solche Umzüge entlasten den Wohnungsmarkt ohne jegliche staatliche Unterstützung. Bei jedem solchen Umzug werden im Schnitt netto rund 25 qm Wohnfläche frei. Zögen beispielsweise alle 2,7 Millionen älteren Haushalte, die ihre Wohnung selbst zu groß finden, um und würde sich dabei jeder Haushalt im Mittel um 25 qm verkleinern, dann wäre etwa die zweifache Wohnfläche der Stadt Köln gewonnen - ohne einen einzigen Quadratmeter Neubau.

Auf dem Wohnungsmarkt von heute werden derartige Projekte allerdings behindert. Die größten Chancen bieten sich noch auf dem Eigentumsmarkt, wo sich beim Umzug in eine kleinere Wohnung ähnlicher Qualität Gewinne in fünfstelliger Höhe realisieren lassen. Dem stehen allerdings beachtliche Transaktionskosten entgegen - Kosten für die Ablösung und Neuaufnahme von Bankkrediten, für Makler, Grunderwerbssteuern, Notare und Grundbuchänderungen. Bei den Sozialwohnungen funktionieren Umzüge schlechter. Ein Haushalt mit z.B. zwei mittleren Renten darf zwar weiter in der angestammten Vierzimmerwohnung bleiben, aber in der Regel nicht in die vielleicht gewünschte Zweizimmerwohnung wechseln. Auf dem freifinanzierten Wohnungsmarkt besteht das Problem, daß eine Wohnung relativ um so billiger ist, je länger der Mieter schon darin lebt. Dies liegt daran, daß Hauseigentümer bei langjährigen Mietern die Miete oft weit weniger erhöhen als bei einem Mieterwechsel - zum Teil aus Trägheit, zum Teil aber auch aufgrund bestehender Mietgesetze, die eher ein altes Mietverhältnis schützen als ein neues ermöglichen. Das macht eine freiwerdende Zweizimmerwohnung oft teurer als die bisher bewohnte Vierzimmerwohnung. Der Verkleinerungswunsch wird somit oft deshalb nicht realisiert, weil der Wechsel nicht bezahlbar ist.

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Hier setzt nun das aktive, bewußt steuernde Umzugsmanagement an, bei dem Umzüge mit wohnungswirtschaftlicher und/oder städtischer Unterstützung realisiert werden. Umzüge bzw. Wohnungstauschvorgänge erfolgen dabei sozialverträglich und freiwillig. Faszinierend bei einem solchen Umzugsmanagement sind die geringen Kosten. Bezieht man die anfallenden Umzugs- und Renovierungskosten auf die durch den Umzug netto freigewordenen ("gewonnenen") Quadratmeter, erhält man die Kosten der Gewinnung von Wohnfläche durch Umzugsmanagement. Diese Kosten liegen einer Auswertung mehrerer Modellprojekte zufolge zwischen 100 und 250 DM/qm. Damit wird der Ziel- und Richtwert von 2.000 DM/qm, der für viele Modellvorhaben des kostensparenden Bauens sind (z.B. Swatch-Haus) gilt, erheblich unterschritten. Es gibt bereits Wohnungsunternehmen, die die angesprochene Gewinnung von Wohnflächen durch verkleinernde Umzüge (zumeist älterer Leute) unterstützen. Die Ergebnisse einzelner Modellprojekte lassen sich natürlich nicht landesweit und für jeden Wohnungstyp direkt übertragen.

Vor allem in den Kommunen werden solche Maßnahmen zur besseren Nutzung des Wohnungsbestandes und zum Abbau von Wohnungsdefiziten zunehmend diskutiert und realisiert. Entsprechende Programme laufen zwar schon seit Ende der siebziger Jahre unter der Bezeichnung "Umzugsprämien" oder "Wohnungstauschprogramme". Die Erfolge waren bisher allerdings durchaus gemischt. Vergleichenden Studien zufolge wurden Erfolge bei derartigen Programmen besonders dann erzielt, wenn die Wohnungsmarktlage angespannt war. Weiter belegen die Beispiele, daß spürbare Effekte erst dann zu erreichen sind, wenn eine kontinuierliche Durchführung des Programms, eine publizistisch wirksame Information der Zielgruppen und der Öffentlichkeit sowie eine flexible Handhabung durch Anpassungen der Richtlinien an veränderte Bedingungen gewährleistet sind. Die praktischen Probleme, ein funktionierendes kommunales Umzugsmanagement einzurichten, seien nun am Beispiel des Modellprojekts aus Dortmund näher dargestellt.

In Dortmund gab es in der Vergangenheit Prämien für die Aufgabe einer öffentlich geförderten Wohnung. Die Höhe der Prämie richtete sich in der Regel nach der Differenz der Wohnflächen der alten und der neuen Wohnung. Dieses System hat sich nicht bewährt. Die meisten Bürger wußten nichts davon. Die Prämie war sehr gering und nur einem kleinen Personenkreis zugängig. Die Wohnmobilität ist außerdem nicht allein von der Finanzierung der Umzugskosten abhängig. Entscheidend ist vielmehr, daß bzw. in welcher Form organisatorische und praktische Hilfen angeboten werden.

Die Stadt Dortmund hat vor kurzem einen neuen Anlauf in Sachen Umzugsmanagement unternommen und eine Wohnungstauschberatungsstelle eröffnet. Dahinter standen folgende Überlegungen und Fakten:

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  1. Der Gebäude- und Wohnungszählung zufolge haben ca. 30% aller 291.000 Dortmunder Wohnungen [Fn. 7: Davon entfallen 65.000 Wohnungen auf den sozialen Wohnungsbau. In den nächsten Jahren werden aufgrund vorzeitiger Rückzahlung der öffentlichen Mittel bzw. planmäßiger Tilgung rund die Hälfte dieser Wohnungen aus der Bindung fallen.] eine Wohnfläche von über 80 qm. Von diesen Wohnungen wird fast die Hälfte von Ein- und Zweipersonenhaushalten genutzt [ Fn. 8: Derzeit ist in Dortmund eine Wohnung im Mittel mit 2,06 Personen belegt. 1987 lag diese Zahl noch bei 2,14. Diese scheinbar geringen Unterschiede sind gravierend. Ein Rückgang der Zahl um 0,1 löst in Dortmund rechnerisch einen Neubaubedarf von 14.000 Wohnungen aus; derzeit werden in Dortmund im Schnitt aber nur 2.000 bis 2.500 Wohnungen pro Jahr gebaut. Der Wohnflächenverbrauch pro Kopf liegt in Dortmund im übrigen bei 33,5 qm - die Vergleichswerte für NRW bzw. für die alten Bundesländer betragen 35,6 bzw. 38,2 qm.]

  2. Beim Amt für Wohnungswesen sind zur Zeit knapp 6.000 Wohnungssuchende Haushalte registriert, davon sind ca. 1.300 akut wohnungslos. Einer Studie der Ruhruniversität in Bochum zufolge gab es in Dortmund 1995 insgesamt aber rund 25.000 Wohnungssuchende Haushalte. Besonders Familien mit zwei und mehr Kindern haben große Mühe, sich mit angemessenem Wohnraum zu versorgen.

  3. Die meisten älteren Menschen wollen möglichst lange ihre Selbständigkeit erhalten und nicht in einem Heim leben.

  4. Die Mobilisierung von Flächenreserven im Wohnungsbestand wird angesichts knapper Mittel für die Neubauförderung und angesichts knapper Flächenreserven immer wichtiger.

Ziel war und ist es vor diesem Hintergrund, sowohl altengerechtes Wohnen zu ermöglichen als auch möglichst vielen jungen Familien zu angemessenem Wohnraum zu verhelfen.

Der Erfolg solcher Maßnahmen ist nicht zuletzt von der Öffentlichkeitsarbeit abhängig. Es muß regelmäßig in den Medien über das Projekt des Wohnungstausches berichtet werden (z.B. durch Interviews, Pressemitteilungen und Vorträge). Ein erfolgreich abgeschlossener Wohnungstausch - in Form von Interviews und Fotos in den Tageszeitungen bekanntgemacht - motiviert andere Bürger, sich ebenfalls bei der Beratungsstelle zu melden und die angebotenen organisatorischen oder finanziellen Hilfen in Anspruch zu nehmen.

In Anlehnung an die Organisation einer bereits in Hagen existierenden Beratungsstelle wurden für die Dortmunder Beratungsstelle zunächst zwei Sozialarbeiterinnen eingestellt, deren Aufgabengebiet z.B. Vorträge in Senioreneinrichtungen, Beratung von Senioren, Verhandlungen mit den Vermietern, Vermittlung von

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und Kontakt zu sozialen und karitativen Diensten sowie die Förderung der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen umfaßt. Ferner ist eine Verwaltungskraft für die Entwicklung von Förderrichtlinien, die Beschaffung von Ersatzwohnraum, die Erledigung der mit dem Umzug verbundenen Behördengänge und die Bewilligung von Zuschüssen für den Umzug zuständig. Ein Architekt bzw. Techniker übernimmt schließlich die Beratung bei der Ausführung von alten- und behinertengerechten Umbaumaßnahmen, die Prüfung von Förderanträgen aus technischer Sicht (z.B. Prüfung von Kostenvoranschlägen), die Vermittlung von Handwerkern und Umzugsunternehmen sowie die Bewilligung von Zuschüssen für den Umzug.

Das Team begann seine Tätigkeit Mitte November 1995. In den ersten drei Monaten wurde zunächst ein Konzept für die Arbeit der Beratungsstelle erstellt. Festgelegte Leitziele sind die bessere Ausnutzung des Wohnungsbestandes durch Beratung, finanzielle und organisatorische Hilfen, die Verbesserung der Wohnsituation von Senioren durch Wohnraumanpassung, die Verhinderung von Heimaufenthalt durch Wohnungstausch und die Vermittlung von Hilfsdiensten sowie Wohnraumbeschaffung für Familien. Ferner wurden Gespräche mit wichtigen Einrichtungen geführt - unter anderem mit der "Nachbareinrichtung" in Hagen, mit Wohlfahrts- und Kirchenverbänden, aber auch mit dem Dortmunder Kreuzviertelverein, der sich um die Wohnraumanpassung für Senioren kümmert. Wichtig war auch eine Einführung des Teams in das Mietrecht (z.B. Fragen des Kündigungsschutzes bzw. von Schönheitsreparaturen) und in die Verwaltungsstrukturen des Amtes für Wohnungswesen der Stadt Dortmund. Schließlich wurden die Förderrichtlinien und die Antrags- und Bearbeitungsformulare erstellt.

Die entsprechend den Leitzielen entwickelten Richtlinien für die finanziellen und organisatorischen Hilfen betreffen unter anderem die Anspruchsberechtigung, die Art der finanziellen Förderung sowie die erforderlichen Voraussetzungen für finanzielle Hilfen durch die Beratungsstelle. Nach diesen Voraussetzungen soll:

  • die bisherige Wohnung mindestens drei Zimmer, mindestens 70 qm sowie Heizung und Bad nach aktuellem Standard umfassen,

  • die angestrebte neue Wohnung mindestens ein Zimmer und 10 qm kleiner sein,

  • ein neuer Mietvertrag noch nicht abgeschlossen sein und

  • kein Eigentum bezogen werden.

Die finanzielle Förderung kann in Form von Umzugshilfe gewährt werden - z.B. durch Übernahme von Renovierungsarbeiten und von Mieten, wenn Kündigungsfristen noch nicht abgelaufen sind. Für Mieter öffentlich geförderter Wohnungen (über 58 Jahre) sind bis 5.000 DM und für Mieter freifinanzierter Wohnungen (über 58 Jahre) bis 3.000 DM vorgesehen. Ferner kann eine Umzugsprämie gewährt werden (ohne Altersbegrenzung). Mieter öffentlich geförderter Wohnungen

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können bis zu 3.000 DM und Vermieter freifinanzierter Wohnungen bei sozial angemessener Neubelegung bis zu 2.000 DM beantragen. Auf diese finanziellen Hilfen besteht allerdings kein Rechtsanspruch.

Im Jahr 1996 wurden Finanzmittel zur Förderung von Umzügen in Höhe von 250.000 DM bereitgestellt werden. Hinzu kamen Sachkosten von 29.000 DM und Personalkosten von 285.000 DM (davon trug das Arbeitsamt 214.000 DM). Die Gesamtkosten der Beratungsstelle addierten sich 1996 somit auf 564.000 DM, wovon auf die Stadt Dortmund 350.000 entfielen.

Den Personalkosten entspricht eine hoher Arbeitsaufwand für das Umzugsmanagement, insbesondere für die angesprochenen organisatorischen Hilfen. Jedes "Wohnungstauschprojekt" beinhaltet zunächst Beratungsgespräche in Bezug auf den Wohnungswunsch, die Prüfung der Antragsberechtigung und Hilfestellung beim Ausfüllen des Wohnungssuchantrags. Danach ist das Wohnungsangebot zu sichten. Dazu muß Kontakt mit Wohnungsgesellschaften bzw. mit privaten Vermietern aufgenommen werden. Ferner sind die Anspruchsvoraussetzungen nach den Förderrichtlinien zu prüfen. Die Umzugshilfe selbst umfaßt als "Servicepaket"

  • Entscheidungshilfen für umzugswillige (ältere) Bürger,

  • die Prüfung bestehender mietvertraglicher Vereinbarungen,

  • Wohnungsbesichtigung(en), Wohnungsübergabe und Verhandlungen mit dem Vermieter,

  • die Ermittlung der Renovierungsarbeiten,

  • Beratungen hinsichtlich der Einrichtungsgegenstände,

  • Anforderung und Prüfung von Kostenvoranschlägen,

  • Beauftragung von Firmen im Namen des Antragstellers,

  • Hilfestellung beim Ausfüllen der notwendigen Umzugsformulare (Post, Bank, Telefon, Rentenanstalt, Einwohnermeldeamt u.a.).

Die Nachbetreuung umfaßt schließlich Hausbesuche und Reflexion über das Serviceangebot. Die beschriebenen organisatorischen Hilfen sind wichtig. Die größte Hemmschwelle für Senioren sind nämlich diffuse Bedenken, mit den organisatorischen Belastungen eines Umzugs nicht fertig zu werden.

Die Arbeit der Wohnungstauschberatungsstelle verzeichnet erste Erfolge. Mittlerweile hat die Beratungsstelle vor allem durch den "Bürgerbrief", der an alle Haushalte verteilt wird, viel Zulauf. Inzwischen wurden fast 300 Anträge auf Wohnungstausch gestellt; bis Dezember 1996 sind 45 Umzüge erfolgt, ca. 30 weitere Umzüge stehen kurz bevor. Die 45 frei gewordenen Wohnungen wurden überwiegend an Familien vergeben. Im einzelnen gingen sechs Wohnungen an Ehepaare, zwei Wohnungen an Vater bzw. Mutter mit einem Kind, eine Wohnung an einen Vater mit zwei Kindern, zwölf Wohnungen an Familien mit einem Kind, 13 Wohnungen an Familien mit zwei Kindern, fünf Wohnungen an Familien mit drei und mehr Kindern. Sechs Wohnungen konnten bisher noch nicht vermittelt wer

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den, da sie noch renoviert werden müssen. Bei den 45 frei gewordenen Wohnungen handelte es sich um 32 Dreieinhalb- und 13 Viereinhalbraumwohnungen. 13 Wohnungen kamen aus dem freifinanzierten Wohnungsbau und 32 aus dem öffentlich geförderten Wohnungsbau.

Der Wohnflächengewinn und die Einsparungen bei den Fördermitteln sind erheblich. Im einzelnen führten die 45 Umzüge zu 55 "freigezogenen" Räumen und einer gewonnenen Wohnfläche von 1.136 qm. Insgesamt (d.h. nicht nur kommunal) konnten Finanzmittel für die Neubauförderung in Höhe von rd. 2 Mio. DM eingespart werden. Ferner dürfte bereits der Nutzen durch die Neubelegung der Sozialwohnungen mit größeren Haushalten die im Schnitt gezahlten Umzugsprämien von 2.000 bis 2.500 DM deutlich übersteigen. Diese Ergebnisse deuten an, daß durch ein gezieltes Umzugsmanagement in großen Städten spürbare Erfolge zu erzielen sind.

Es gibt allerdings auch noch Probleme. Das Umzugsmanagement wäre noch wesentlich erfolgreicher, wenn qualifizierte Wohnungsangebote in größerer Menge zur Verfügung stünden. Das der Beratungsstelle von privaten Vermietern, Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften unterbreitete Angebot an kleinen Wohnungen ist noch zu gering. Andererseits werden (auch von Wohnungsgesellschaften) oft Wohnungen angeboten, die aufgrund der Lage bzw. der Miethöhe nur schwer zu vermitteln sind. Eine weitere Schwachstelle besteht darin, daß sich das Umzugsmanagement in Dortmund bislang auf das Segment der Mieterhaushalte konzentriert. Das angesprochene Gefälle zwischen Eigentümer- und Mieterhaushalten (und die damit zusammenhängende "Überstiegsproblematik") wurde bislang nicht gemildert. Schließlich werden bei der Gewährung von Umzugsprämien natürlich auch Mitnahmeeffekte wirksam, zumal die Auszahlung der Prämien unabhängig vom Einkommen erfolgt. Auf eine einkommensabhängige Auszahlung wurde in Dortmund aber verzichtet, um den Verwaltungsaufwand nicht noch größer zu gestalten. Insgesamt dürften jedoch die Erfolge der Wohnungstauschberatungsstelle im Vergleich zu den auftretenden Nachteilen deutlich überwiegen.

Aufgrund der bisherig positiven Gesamtbilanz wurde die der Beratungsstelle zugrundeliegende Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für ein weiteres Jahr verlängert. Mittelfristig wird angestrebt, die Wohnungstauschberatungsstelle als Dauereinrichtung zu installieren. Zur Verbesserung des Serviceangebots soll dabei auch die Kooperation mit dem erwähnten Kreuzviertelverein intensiviert werden.

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4. Regulatorisches Instrumentarium und "weiche" Instrumente

Die Möglichkeiten der öffentlichen Hand, die Umsetzung ökologisch orientierter Anforderungen an den Wohnungsbau durch Regulierungen und "weiche" Instrumente zu steuern, sind vielfältig. Sie werden aber oft unzureichend genutzt. Im folgenden werden einige dieser Steuerungsmöglichkeiten näher dargestellt bzw. kommentiert.

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An erster Stelle sind die Instrumente der Raumplanung zu nennen (d.h. Bebauungsplan, Flächennutzungsplan). Eine Umsteuerung der Förderung auf eine stärkere Bestandsnutzung sollte auf jeden Fall von einer entsprechenden Raumplanung flankiert werden, da sonst weiter an Stadt- und Dorfrändern (in ruhiger Lage, mit schöner Aussicht) - nur eben kostensparend dank Förderung - neu gebaut wird. Ist aber der Standort für eine Baumaßnahme falsch gewählt, dann werden die Vorteile des ökologischen Bauens neutralisiert, da z.B. ein höheres Verkehrsaufkommen notwendig wird. Rückblickend betrachtet hätten sich auch viele Nachteile bestehender Großwohnsiedlungen über sinnvollere Bebauungspläne vermeiden lassen. Bebauungspläne sollten einerseits so gestaltet sein, daß die Eingriffe durch die Bautätigkeit möglichst gering sind, und daß z.B. ein familienfreundliches Wohnumfeld im Altbestand entstehen kann. Ermutigende Beispiele belegen, daß das geht. Andererseits sollten die Bebauungspläne auch nicht zuviel vorgeben. Rigide Bebauungspläne, die z.B. den Standort einzelner Bäume mit Pflanzliste festlegen, können ökologisches Bauen sogar erschweren. Hier gilt es, Hemmnisse in den Bereichen Reglementierung und Bürokratie zu beseitigen bzw. sehr weitgehende Anforderungen (bis hin zur Beachtung von Einflugwinkeln schützenswerter Vögel) zu überdenken. Derartige Auflagen stoßen bei den Bauwilligen oft auf Unverständnis, und ihre Umsetzung bereitet in vielen Fällen erhebliche Schwierigkeiten. Das führt dazu, daß z.B. in NRW Bebauungspläne häufig letztlich nicht im Stadtplanungsamt, sondern vor Gericht entschieden werden. So scheitert dann mancher gutgemeinte, ökologisch orientierte Bebauungsplan. Es erscheint deshalb notwendig, die Bebauungspläne nach rechtsfesten Kriterien auch so zu gestalten, daß ökologisches Bauen tatsächlich realisiert werden kann. Dabei ist zugleich darauf zu achten, daß die ökologischen Rahmenbedingungen nicht zu eng formuliert und ausgelegt werden.

Steuerungsmöglichkeiten bieten vielfach auch die kommunalen Satzungen. Beispielsweise dienen städtische Baumschutzsatzungen der Erhaltung des Baumbestandes. Oft wird zugleich aber auch festgelegt, wie vorzugehen ist, wenn Bäume doch gefällt werden. Für das satzungswidrige Fällen von Bäumen werden zumeist Bußgelder erhoben. Die Gestaltung dieses preispolitischen Instruments kann dazu beitragen, daß die Zahl der bedenkenlosen Fällaktionen abnimmt. Ein weiteres Beispiel sind die Regelungen zur kommunalen Müllabfuhr. Hier könnten finanzielle Anreize zu einer Reduktion des Hausmülls führen. In einzelnen Städten wird bislang allerdings das Gegenteil praktiziert, indem die Bemühungen von Bürgern um eine geringere Müllerzeugung nicht honoriert werden. So richtet sich z.B. in Bonn die Größe der Mülltonne nach der statistisch ermittelten Müllmenge, die für einen Haushalt mit einer bestimmten Personenzahl im Durchschnitt gilt. Hier wird ökologisches Verhalten nicht mit einem kleineren Müllgefäß und entsprechend verringerten Gebühren belohnt.

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Besonders wichtig sind Verordnungen. So wurde die in den letzten 15 Jahren erzielte rasante Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden im Neubaubereich maßgeblich durch Verordnungen vorangetrieben. Zunächst lag der Verbrauch an Heizenergie ca. bei 200 kWh/qm und Jahr. Die an der schwedischen Baunorm von 1980 orientierte Wärmeschutzverordnung von 1984 führte schon zu einer deutlichen Absenkung des spezifischen Energieverbrauchs. Ein weiterer (in einigen Bundesländern auch geförderter) Schritt waren die Niedrigenergiehäuser. Inzwischen sind in Hessen die Standards so anspruchsvoll ausgelegt, daß 75 kWh/qm und Jahr im mehrgeschossigen Wohnungsbau nicht überschritten werden dürfen. Für den Nutzer laufen diese verordnungsgesteuerten Prozesse quasi automatisch. Da schon im voraus definiert wurde, daß weniger Energie zu verbrauchen ist, hat der Verbraucher zwar niedrige Heizkosten; er merkt hiervon aber nichts, da sich nichts ändert. Anders ist die Situation im Altbaubereich. Hier werden energieverbessernde Maßnahmen zumeist nicht aus eigenem Antrieb der Beteiligten vorgenommen, da die Anreize von Vermietern und Mietern in Bezug auf energiesparende Modernisierungsinvestitionen so ungünstig verteilt sind. Gerade deshalb erscheint eine Novellierung der Wärmeschutzverordnung für Altbauten erforderlich. Dabei geht es nicht darum, einschlägige Neubauregelungen als "Stand der Technik" auch auf Altbauten anzuwenden; diese Regelungen lassen sich nämlich aufgrund der andersartigen Struktur von Altbauten zumeist nicht unverändert übertragen. Hinzu kommt, daß die bestehende Verordnung für zu sanierende Gebäude zu schwach formuliert und damit für Altbauten wenig geeignet ist. Wird z.B. bei einem bestehenden Gebäude der Putz entfernt, dann gibt es zur Zeit keine Verpflichtung zur Wärmedämmung. Hier sollten deshalb strengere Maßstäbe eingeführt werden.

Sonderförderprogramme sind eine weitere Möglichkeit der "Detailsteuerung" im Baubereich, die von unterschiedlichen Institutionen genutzt wird. Viele Bundesländer haben über solche Programme Rahmenbedingungen für umweltverträgliches und sozialverantwortliches Bauen und Wohnen geschaffen. Gefördert werden vorrangig Bauvorhaben, die in ökologischer, sozialer und städtebaulicher Sicht vorbildlich für den sozialen Wohnungsbau sind, indem sie z.B. den Standard für Niedrigenergiehäuser erfüllen und ein gutes Innenklima aufweisen. Ferner gibt es Sondermittel für Denkmalpflege. Solche Modellprojekte haben einen Multiplikatoreffekt. Bauwirtschaft, Architekten und Fachingenieure können hier Erfahrungen sammeln und so ihre Kompetenz in Bezug auf ökologische Bauweisen vergrößern. Die BfLR beschäftigt sich ebenfalls mit Modellvorhaben und konkreten Projekten zum experimentellen Wohnen, zum Städtebau, zur Stadtökologie und zum umweltgerechten Bauen. [Fn. 9: Im Rahmen des BMBau-Forschungsprogramms "Experimenteller Wohnungs- und Städtebau" (ExWoSt) wurden bisher über 330 Modellvorhaben in 20 verschiedenen Forschungsfeldern durchgeführt. Ein wichtiger Bereich liegt im umweltschonenden Planen, Bauen und Wohnen.] Dabei sollen besonders die Bedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten berücksichtigt werden. Hierauf lassen sich die Erfahrungen, die Ökopioniere in weitgehend von selbst gesteuerten Einzelprojekten gemacht ha-

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ben, nur zum Teil übertragen. Ferner haben das Bundesforschungs- und das Bundesbauministerium in dem neuen Forschungsschwerpunkt "Bautechnik und Bauforschung" mit zwei Pilotprojekten die vorwettbewerbliche Forschung und projektbezogene Entwicklung zum umweltgerechten Bauen angeschoben. Themen sind unter anderem die stärkere Zunahme industrieller Produktion anstelle der bisherigen "Unikatfertigung", die Logistik, aber auch Innovationen bei Gruppen und Verbindungen von Baustoffen und Bauteilen. Inzwischen bilden diese Sonderförderprogramme allerdings schon einen "Dschungel". Bei vielen Programmen ist z.B. unklar, wo es Informationen über Fördergegenstand und Anspruchsberechtigung gibt.

Ein weiterer Ansatzpunkt für öffentliche Steuerung ist der Bereich Aus- und Weiterbildung. Durch entsprechende Anpassung von Lehrinhalten oder Förderung von Umschulungen kann die fachliche Kompetenz vergrößert werden, die für eine stärkere Berücksichtigung ökologischer Aspekte im Neubau und bei der Instandsetzung von Altbauten erforderlich ist. Darüber hinaus können Spezialkenntnisse vermittelt werden, die z.B. für Fachwerksanierungen gebraucht werden.

Sehr wirksam - aber oft unterschätzt - sind schließlich die sogenannten weichen Steuerungsinstrumente. Durch Öffentlichkeitsarbeit, Vorbilder und Wettbewerbe kann oft viel mehr bewegt werden als durch dirigistische bzw. technokratische Vorgaben. Beispielsweise gibt die LBS in ihrer Zeitschrift "Das Haus" für den Eigenheimbau regelmäßig ökologische Anregungen. Außerdem präsentierte die LBS auf der Essener DEUBAU ein Öko-Haus zum "Be-Greifen"; in dem zugehörigen Bauherren-Handbuch werden mit großer Praxisnähe und in kompakter Form das Niedrigenergiehaus-Konzept, moderner Holzbau, ausgereifte Öko-Technik, konkrete Grundrisse und Musterfinanzierungen vorgestellt. Ein saarländischer Wettbewerb bezieht sich auf das praktische Wohnverhalten. Die Preisträger erhalten ein grünes Hausschild, das signalisiert: hier wohnt eine ökologische vorbildliche Familie. Solche Wettbewerbe kalkulieren geschickt die menschliche Eitelkeit mit ein und regen die breitere Anwendung ökologischer Bau- und Wohnideen an. Wenn zudem immer wieder vorgeführt wird, wie normal viele Aspekte des ökologischen Bauens inzwischen schon sind, bewirkt dies mehr als von oben erlassene Regelungen, die nur schwer nachvollziehbar sind.

Weiche Instrumente können auch das Umsteuern von Neubau auf Umbau erleichtern. Neben der bereits dargestellten Umstellung staatlicher Fördermaßnahmen (z.B. im Wege einer tatsächlichen steuerlichen Gleichstellung von Neubau und Sanierung im Altbaubereich) und einem gezielteren Umzugsmanagement kann ein solcher Richtungswechsel auch durch Maßnahmen zur Steigerung der gesellschaftlichen Akzeptanz von "gebrauchten", bei Bedarf umgebauten Gebäuden und Wohnungen unterstützt werden. Ein Qualitätssicherungs- und -nachweissystem zur Altbausanierung könnte z.B. interessierten Investoren, Käufern bzw. Mietern entsprechende Signale geben.

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Erfahrungen aus Modellprojekten bestätigen die Bedeutung der angesprochenen weichen Steuerungsinstrumente. Durch massive PR-Arbeit mit Volkshochschulkursen und Bewohnerberatung läßt sich viel bewirken. Daneben bleiben in gewissem Umfang natürlich auch verbindliche Regelungen unerläßlich, wie z.B. der zur Einhaltung der Wärmeschutzverordnung vorgegebene "automatische" Einbau von Wärmespararmaturen. Auf übertriebene Regulierungen, die kaum nachvollziehbar sind oder an der Lebenswirklichkeit vorbeiführen, ist dagegen soweit wie möglich zu verzichten, weil sie eher ignoriert und umgangen als akzeptiert werden.

Übersicht 4: Steuerungsinstrumente der öffentlichen Hand

Steuerung durch Anreize ("Zuckerbrot"):

- finanzielle Zuschüsse (z.B. 1000-Dächer-Programm)

- Zinsverbilligung (z.B. beim C02-Minderungsprogramm)

- Steuererleichterung (z.B. Öko-Bonus bei Eigenheimförderung)

- Preisausschreiben (z.B. "die schönste Hofgestaltung")

- Ideelle Auszeichnung (z.B. "das grüne Hausschild", Saarland)

- Informationen (z.B. Ökofibel für Bauherren)

- Veranschaulichung (z.B. erlebbare Musterhäuser der LBS)

- Beratung (z.B. Wohnberatung)

Steuerung durch Sanktionen ("Peitsche"):

- Versagen von Genehmigungen (Genehmigungspraxis)

- Widerruf erteilter Bewilligungen (z.B. in Bezug auf Wohnbaufördermittel)

- Rückbau (z.B. Abriß von ökologische Auflagen nicht erfüllenden

Bauwerksteilen)

- Vertragsstrafen (z.B. Katalog von Vertragsstrafen der Investitionsbank Berlin)

- Geldbußen (z.B. Ordnungswidrigkeiten nach der Baumschutzsatzung Bonn)

Dementsprechend sind die Widerstände und Barrieren gegen die Steuerung umweltschonender Prozesse durch Regulierungen und durch "weiche" Instrumente im Blick zu behalten. Zwischen Umweltkenntnissen und der Bereitschaft zur Verhaltensänderung besteht nach wie vor vielfach eine große Kluft. Zwar ist der Stand des Wissens bei Fachleuten oft weit entwickelt. In der Praxis bzw. Umsetzung wirken sich althergebrachte Gewohnheiten und mangelhafte Transparenz des ökologischen Fortschritts bisher aber oft noch viel stärker aus. Häufig bilden z.B. die Regeln der Baukunst ein Bollwerk gegen Neuerungen. Ein Unternehmen, das 30 Jahre lang gut gearbeitet und verdient hat, kann nahezu "imprägniert" sein gegen Innovationen, die ja auch Risiken - und vielfach auch zusätzliche Kosten - beinhalten. Gerade die Kostenseite des nachhaltigen Bauen und Wohnens wird oft falsch eingeschätzt. Ökologisches Bauen muß nicht teurer sein. Bei mehr Sachkenntnis (z.B. über die Verfügbarkeit natürlicher Materialien) ließen sich manche Kosten

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vermeiden. Hinzu kommt, daß den höheren Bauinvestitionen die geringeren Folgekosten während der Nutzung gegenüberzustellen sind. Außerdem führen im Bereich Bauen und Wohnen auch fehlende oder unbekannte Standards zu suboptimalen Lösungen.

Beeinträchtigungen des ökologischen Bauens, die aus mangelhaften Kenntnissen resultieren, können mit Hilfe von Informationssystemen, wie sie das Europäische Zentrum Schoß Raesfeld und das Öko-Zentrum NRW anbieten, beseitigt werden. Das Info-Netzwerk "Öko-Transbau NRW" dient der Beratung von Klein- und Mittelbetrieben des Bau- und Ausbauhandwerks über Verarbeitungstechnologien und Materialanwendungen beim ökologischen Bauen und Modernisieren. Die Beratung betrifft u.a. die umweltgerechte Wohnumfeldgestaltung sowie Aspekte der Baustoffherstellung, -verwendung und -entsorgung. Den Bauunternehmen wird auch Gelegenheit zum Austausch von Informationen über ökologisches Bauen gegeben.

Wenn Bebauungspläne vor Gericht entschieden werden, sind für das ökologische Bauen oft auch die Rechtsgrundsätze der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit hinderlich. Den "Beweis", daß im Bebauungsplan eine ökologische Auflage erforderlich ist, daß sie geeignet ist, die Umwelt zu schützen, und daß sie schließlich verhältnismäßig ist, kann eine verklagte Kommune meist schwer führen. Hieran scheitern häufig gut gemeinte, ökologisch orientierte Bebauungspläne.

Schließlich können auch auf der Ebene der Nutzer subjektive Faktoren das ökologische Bauen und Wohnen beeinträchtigen. Differenzen zwischen Wissen und Handeln sind z.B. im Verhalten der Bewohner ökologisch gestalteter Wohnungen festzustellen (vgl. Kapitel 111.4). Erwünschte Effekte stellen sich nicht ein, wenn der Mensch zum Störfaktor wird, weil er technische Vorrichtungen nicht bedienen kann. High-Tech-Umweltschutz überfordert oft den Anwender. Vielfach stellen auch althergebrachte Wohnerfahrungen und traditionelle Vorstellungen zum Wohnkomfort ein Hemmnis für ökologisches Wohnen dar. Zwar kann eine zunehmende Bereitschaft zur Durchführung ökologischer Maßnahmen festgestellt werden. Doch wird den ökologischen Aspekten nach wie vor oft eine geringere Priorität als z.B. einer friesischen Eingangstür oder einem Erker zuerkannt, weil man mit derartigen Objekten Nachbarn und Gäste eher beeindrucken kann. Solche subjektiven Faktoren tragen dazu bei, daß es zur Zeit noch keine Massenbewegung des ökologischen Bauens und Wohnens gibt.

Vor diesem Hintergrund sind zur Umsetzung umweltschonender Anforderungen (weiterhin) umfassende Lernprozesse erforderlich, insbesondere im Mietwohnungsbau. Erkannt werden muß , daß es auf die ökologische Gesamtbilanz ankommt. So kann z.B. der ökologisch umstrittene bewohnte Wintergarten bzw. geschlossene Balkon akzeptabel sein, wenn in anderen Bereichen genügend "Öko-Punkte" gesammelt wurden. Weiter muß die Spannweite der sozialen Toleranzen

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(bzw. der Toleranz gegenüber abweichendem Bauverhalten) vergrößert werden. Das bedeutet, daß technokratische Vorgaben nicht zu hart wirken dürfen und Spielräume für individuelles (ökologisches) Verhalten erhalten bleiben müssen. Gelernt werden muß, daß ökologisches Bauen kein asketisches Wohnen erfordert; vielmehr sind hiermit eher Zugewinne an Lebensqualität verbunden. Wo ökologische Einrichtungen "verhaltenssensibel" sind, muß allerdings ein gemeinsamer Lernprozeß bei den Nutzern der Wohnprojekte, bei Investoren, Bauherren, Baufirmen, Ausbaugewerken und bei den kommunalen Einrichtungen stattfinden. Hierbei können Wohnberatungen unterstützend wirken.

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5. Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen

5.1 Bauvertragsrecht

Umweltverträgliche Bau- und Bauverfahrenstechnik muß - wie erwähnt - beauftragt werden. In Deutschland ist im Bereich des Bauvertragsrechts die Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) ein Leitbild. Die VOB ist gemäß Haushaltsgrundsätzegesetz und Vergabeverordnung für öffentliche Auftraggeber bindend. Innerhalb der VOB von besonderer Bedeutung - auch mit Blick auf umweltrelevante Regelungen - ist die Allgemeine Technische Vertragsbedingung ATV DIN 18299, die gewerkeunabhängig Bauarbeiten jeder Art regelt. Die ATV enthält einmal "Angaben zur Baustelle" mit umfangreichen Regelungen z.B. zu Bodenverhältnissen, zu Schadstoffbelastungen und zu Rahmenbedingungen für das Bauen (wie Schutzgebiete). Zum anderen umfaßt die ATV "Angaben zur Ausführung" mit Regelungen zur Stoffkreislaufführung, im einzelnen etwa zur Verwendung von wiederaufbereiteten Recyclingstoffen und zu Anforderungen an Art und Umweltverträglichkeit der Stoffe. Dieser Teil ist insofern bereits für die Bestimmungen des neuen Kreislaufwirtschaftsgesetzes geöffnet. Dabei wurde die frühere, häufig kritisierte Formulierung, daß Stoffe, die in das Bauwerk eingehen, ungebraucht sein sollen, inzwischen ergänzt um den Zusatz: "Recyclingbaustoffe gelten in diesem Sinne als ungebraucht". Die VOB umfaßt damit auch Recyclingbaustoffe. Die ATV 18299 enthält mithin für den Planer ein umfangreiches Pflichtenheft bzw. eine Checkliste für Umweltaspekte, die dann im Bauvertrag fixiert werden können. Die Beachtung dieser Hinweise ist Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Leistungsbeschreibung gemäß VOB A § 9. Ausschreibungen auf der Basis der VOB unter Nutzung dieser vorgenannten Aspekte sind eine bindende Vertragsgrundlage für das umweltorientierte Verhalten des Auftragnehmers, z.B. des Bauunternehmens. Das Bauvertragsrecht bindet damit Auftraggeber und Auftragnehmer in ökologische Verantwortlichkeiten ein.

Für die Kreislaufwirtschaft sind insbesondere die Bestimmungen zur Abfallentsorgung von Bedeutung. Die VOB enthält Regelungen zur Entsorgung von Abfällen aus den Bereichen von Auftraggeber und Auftragnehmer. Weiter gibt es eine Bagatellklausel, derzufolge Bauschutt unter einem Kubikmeter, sofern er nicht schad

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stoffbelastet (und damit in der Entsorgung teuer) ist, vom Auftragnehmer als Nebenleistung, d.h. im Rahmen der allgemeinen Bauleistung entsorgt wird. Bis vor zwei Jahren gingen - vielen Verträgen gemäß VOB zufolge - die Bauabfälle regelmäßig in das Eigentum des Auftragnehmers über. Das war für den Bauherrn angenehm. Eine gemeinsam im Verdingungsausschuß durchgesetzte Änderung sieht nun vor, daß diese Stoffe im Regelfall im Eigentum des Auftraggebers verbleiben. Dieser ist nun im Rechtssinne gezwungen, über solche Stoffe selber nachzudenken und zu entscheiden. Hierdurch soll ein kontrolliertes Vermeiden bzw. weitgehendes Weiterverwenden ermöglicht werden. Bezogen auf öffentliche Baumaßnahmen bedeutet dies, daß die öffentlichen Auftraggeber für entsprechende Stoffe verantwortlich sind und diese planerisch erfassen müssen. Hiermit wurde ein Qualitätssprung im Bereich der Abfallentsorgung eingeleitet.

5.2 Baurecht, Bauproduktenrecht

Der Baubereich ist überdies nicht allein von nationalen Vorgaben abhängig. Er ist in starkem Maße auch der europäischen Bauharmonisierung unterworfen. Zu den Rahmenbedingungen für umweltverträgliche Bau- und Bauverfahrenstechnik gehört insbesondere die EU-Bauproduktenrichtlinie, die den europäischen Wettbewerb im Bereich der Produkte und Bauleistungen bzw. ihre nationale Umsetzung durch das Bauproduktengesetz (für das Inverkehrbringen der Produkte) und die Landesbauordnungen (für die Verwendbarkeit der Produkte) regelt. Im Rahmen der EU-Richtlinie wurde ein eigenständiges Grundlagendokument "Gesundheit, Hygiene, Umweltschutz" erstellt. Bei der Umsetzung spielen ferner die europäisch harmonisierten Normen und europäischen technischen Zulassungen eine Rolle. Für diese werden Mandate erteilt. Bei den DIN-, EN- und ISO-Normen unterscheidet man Produkt-, Prüf-, Bemessungs- und Ausführungsnormen; letztere sehen allerdings keine europäischen Mandatierungen vor, sind also national stärker gestaltbar. Von deutscher Seite sind folgende Gremien an der Umsetzung der EU-Regeln beteiligt:

  • Normenausschuß Bauwesen, z.T. auch weitere Normenausschüsse,

  • Koordinierungsausschuß "Gesundheit, Hygiene und Umweltschutz" im Normenausschuß Bauwesen, der das genannte EU-Dokument "Gesundheit, Hygiene, Umweltschutz" national "spiegelt".

Baustoffe wurden bisher über Normen oder über Zulassungen (bauaufsichtliche Einführung) geregelt, d.h. unter Mitwirkung des Deutschen Instituts für Bautechnik. Vor zwei Jahren hat sich hier - in logischer Fortführung der EU-Bauprodukten-Richtlinie - ein neuer Grundsatzausschuß gebildet, der Umwelteinflüsse von nicht genormten, d.h. der Zulassung unterliegenden Baustoffen und Bauweisen untersucht und dabei erstmalig die verschiedenen Rechtsbereiche (z.B. Emissionen, Boden, Wasser, Luft und Arbeitsschutz) zusammenführt. Die Vorarbeiten hierzu werden in einer Projektgruppe "Boden- und Grundwassergefährdung durch Baustof

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fe" im Deutschen Institut für Bautechnik geleistet. Künftig wird vor der Zulassung auch der Umweltverträglichkeitsnachweis für bestimmte Baustoffe zu führen sein. Dies ist ein neues Instrument mit eigener Rechtsqualität.

5.3 Managementsysteme

Angesichts der komplizierten Rechtslage und mit Blick auf die zunehmenden Kundenanforderungen nutzen Bauunternehmen vielfach ein Umweltmanagement bzw. ein betriebliches Umweltmanagementsystem. Die EU-Öko-Audit-Verordnung ist gemäß Geltungsbereich und wegen Standortbezug für Baubetriebe nicht anwendbar (damit wird nur der Betriebsstandort, nicht aber die Baustelle einbezogen). Anwendbar ist jedoch ISO 14.000 ff. Es gibt auch schon erarbeitete und praktizierte Konzepte für ein Qualitätsmanagement mit Integration eines Umwelt- und Arbeitssicherheitsmanagements. Zum Umweltmanagement wurde im Normenausschuß "Grundlagen des Umweltschutzes" die deutsche Normungsarbeit durchgeführt.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie versucht darüber hinaus, die angedeutete Komplexität des baubezogenen Umweltrechts für die Mitgliedsfirmen transparenter zu machen. Eine Broschüre, die aus dem gesamten Umweltrecht das baurelevante herauszieht, geht auf ca. 170 Regelungen ein. Ferner hat der Verband ein Weiterbildungskonzept "Umweltbeauftragter Bau" entwickelt. Hierbei handelt es sich um einen freiwillig zu bestellenden Beauftragten, da im Baubereich kein Pflichtbeauftragter für Umweltschutz vorgesehen ist. Weiterhin wurden Leitsätze zum baubezogenen Umweltmanagement vorgelegt.

5.4 Kreislaufwirtschaftsgesetz

Ein für die Bauwirtschaft zentraler Bereich der gesetzlichen Rahmenbedingungen bezieht sich auf den Einstieg in die stoffbezogene Kreislaufwirtschaft. Seit Oktober 1996 gilt in Deutschland das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG). Die Bauindustrie hat zwei Jahre lang das Gesetzgebungsverfahren begleitet. Es bestehen jedoch Probleme mit der Grundstruktur dieses Gesetzes. Zum einen differenziert das Gesetz nicht zwischen Abfallerzeuger und Abfallbesitzer. Diese Schnittstelle ist dem Gesetzgeber möglicherweise unwichtig, nicht aber der Bauindustrie, da sie auf der bauausführenden Seite nur in einem Teilbereich tätig ist. Beim Neubau sind die Stoffströme bekannt, überwiegend beeinflußbar und damit unproblematisch. Stoffe aus dem Bereich des Bauherren - wie z.B. Bodenaushub - sind deutlich abzugrenzen. Bei Instandhaltung, Instandsetzung, Rückbau und Abriß haben dagegen die aus Sicht der Bauindustrie schwer kalkulierbaren Stoffe aus dem Bereich des Bauherren eine größere Bedeutung. Eine den Besonderheiten der Branche entsprechende Regelung hätte aus Sicht der Bauindustrie auf drei rechtlichen Ebenen verankert sein müssen:

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  1. für den Neubau: Umweltrecht (KrWG)

  2. für Eingriffe in die Bausubstanz: Baurecht

  3. Bauvertragsrecht (VOB)

Das zweite Problem der Bauindustrie bezieht sich auf die Zusammensetzung der "Baureststoffe". Der Bauschutt (gemäß Abfallstatistik 1993 ca. 143 Mio. Jahrestonnen) besteht zu 90 % aus Boden und mineralischen Stoffen. Nur 10 % betreffen Baustellenabfälle einschließlich Verpackungen. Beim Bodenaushub ist aus Sicht der Bauindustrie unklar, inwieweit überhaupt ein stoffliches Problem bzw. ein Abfall zur Verwertung vorliegt. Unbefriedigend erscheint auch, daß die für die Baubranche zentralen Stoffbereiche Ziegel und Beton zwischenzeitlich als überwachungsbedürftig zur Verwertung eingestuft wurden. Damit sind diese Stoffe nur noch mit Überwachung recycelbar.

Das Kreislaufwirtschaftsgesetz soll in vielen Bereichen, in denen (noch) keine Verordnung besteht, durch freiwillige Selbstverpflichtungen ergänzt werden. Auch im Baubereich gibt es eine solche freiwillige Selbstverpflichtung. Die Bauindustrie ist jedoch bislang nicht beigetreten und lehnt diese Selbstverpflichtung in der bestehenden Form ab. Der Ansatz, der sich hinter der Idee der Selbstverpflichtung verbirgt, wird akzeptiert. Eine Selbstverpflichtung auf dem Papier garantiert aus Sicht der Bauindustrie aber nicht, daß in eine vernünftige Stoffkreislaufwirtschaft eingestiegen wird. Der Verband sieht sich außerstande, mit einer Unterschrift für 80.000 Baubetriebe zu garantieren, daß in den nächsten Jahren eine Quote eingehalten wird, die Stoffströme betrifft, auf die der Bau nur zum Teil Zugriff hat. Unsicher ist, ob die vorgeschlagene pauschale Quote künftig, wenn z.B. weniger Straßen gebaut werden, für Hochbauschutt sichergestellt werden kann. Auch die Unterscheidung von Abfällen aus Neubau und Altbau wäre zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist ein Recycling auf hohem Niveau anzustreben. Aber auch ein Downcycling wäre der Entsorgung durch Ablagern vorzuziehen. Hierzu werden im Rahmen eines BMBF-Forschungsvorhabens weitere Grundlagen untersucht und zur baupraktischen Anwendung aufbereitet (Recycling von Beton).

Die Verwertung von Reststoffen aus anderen Industrien in der Bauwirtschaft führt zum Vorwurf, daß in den Produktionsstätten der Bauindustrie Sondermüll eingesetzt wird. Dieser Trend könnte durch das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz gefördert werden. Nach Angaben des Bauhauptgewerbes wird Sondermüll dort aber nicht verarbeitet. Ein solches "Einschleusen" von Sondermüll verstoße gegen die Bauordnung und andere Vorschriften (z.B. Wasserrecht und Bodenschutzvorschriften). Dies sei damit von der Genehmigungsseite nicht zulässig. Die eingebrachten Stoffe seien verträglich. In Bezug auf die zulässigen Beimengungen und Zuschlagsstoffe sei es im übrigen nicht fair, zunächst das Recycling bzw. die Kreislaufwirtschaft zu fordern und dann die Verwendung von "Sondermüll" zu beklagen. Die

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bauausführende Industrie bemüht sich daher durch Projektentwicklung und andere Aktivitäten um eine umfassende Einflußnahme auf die Stoffströme.

Entgegen anderslautenden Behauptungen, nach denen im Baustoffkreislauf Zement 1 Mio. t Abfälle versickern, wird nach Angaben des Verbandsvertreters in Deutschland keine einzige Tonne ungenehmigter Stoffe eingesetzt, weder für die 30 Mio. t Zement, noch für die 80 Mio. Kubikmeter Transportbeton, die daraus hergestellt werden. Alle Stoffe seien in ihrer Zusammensetzung bekannt, sie lassen sich zurückverfolgen bis zum Ursprung und dürfen nur nach bestimmten Regeln eingesetzt werden.

Generell sind im Bereich der Baustoffe die bislang vorliegenden ökobilanziellen Daten noch unzureichend. Die Kenntnisse über die Einbringung von Schadstoffen und kritischen Chemikalien in die Bauwirtschaft sind relativ gering. Für den Baustoff Zement werden folgende Aspekte diskutiert:

  • Chromat im Zement: Es gibt Vereinbarungen zwischen den Gesellschaften GISBAU, BauBG und SteinbruchBG und der Zementindustrie, daß bei Zementen, die händig verarbeitet werden, künftig der Chromgehalt gesenkt werden soll. Dieses Projekt wird auch von allen deutschen Zementunternehmen unterstützt; ausländische Zementhersteller sind allerdings nicht einbezogen. Derzeit werden fünf Pilotanlagen gebaut. Die drei genannten Gesellschaften sind an der Konzeption dieser Anlagen beteiligt.

  • Dioxinemissionen in der Zementindustrie: In Bezug auf Dioxine erreichen 50 der 90 Ofenanlagen in Deutschland Emissionswerte, die im Bereich der heute gültigen Nachweisgrenze und deutlich unter dem von der 17. BImSchV geforderten Niveau liegen. Nach Auffassung der Zementindustrie drängt sich der Verdacht auf, daß die derzeitige Diskussion über niedrigere Emissionsstandards für die Zementproduktion unsachgemäß von Interessenvertretern aus dem Bereich der teuren und zur Zeit mit Auslastungsproblemen konfrontierten Müllverbrennungsanlagen angestoßen wird.

  • Quecksilber und Chrom: Der Verbandsvertreter weist darauf hin, daß Mengenangaben und Schadstoffbelastungen, die relativ pauschal aus dem Ausland übernommen werden, für die in Deutschland hergestellten Zemente nachweisbar nicht richtig sind.

Im übrigen erstellen derzeit mehrere Forschungsinstitute zusammen mit der Zementindustrie Ökobilanzen, die - auch unter Berücksichtigung der Schadstoffaspekte - zeigen sollen, in welchem Ausmaß der Einsatz von Zement den Anforderungen eines nachhaltigen Wirtschaftens entspricht. Derartige Daten stehen inzwischen zur Verfügung. Auf dieser Basis wird eine Zertifizierung von Zementbaustoffen durch die Landesregierung NRW bzw. durch die Bundesregierung angestrebt.

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Ein weiteres Problem im Bereich der Kreislaufführung von Stoffen im Baubereich ist die Beauftragung von Subunternehmern. Gerade bei Bauschutt und Abrißmaterialien haben große Baufirmen vieles an Subunternehmer delegiert. Dabei gibt es allerdings stets einen Generalunternehmer, der solche Aufträge vergibt. Wenn dieser per Bauvertrag umweltrechtliche Auflagen zu beachten hat, dann müßte der Stoffverbleib im Prinzip eigentlich nachgehalten werden können. Es gibt inzwischen auch Güte- und Überwachungsgemeinschaften, die sich für eine Auftragsvergabe nach Qualitätskriterien einsetzen. Im Zusammenhang mit der Beauftragung von Subunternehmern wurde auch der Geltungsbereich der VOB diskutiert. Aus Sicht der Bauindustrie verdeutlicht die VOB nicht nur die Zuständigkeiten. Sie ist in vollem Umfang auch auf weitervergebene Aufträge anwendbar. Eine ordnungsgemäße Leistungsbeschreibung des Generalunternehmers muß deshalb auch die in Kapitel IV.5.1 genannten Regelungen der ATV DIN 18299 für ein umweltorientiertes Verhalten berücksichtigen. Für den Bauherrn wird hierbei eine geschlossene Umsetzung der vertraglichen Verpflichtung sichergestellt.

Insgesamt können die Probleme der Stoffkreislaufführung im Baubereich durch Zertifizierung bzw. durch bessere Kontrollen weiter entschärft werden. Zu diskutieren sind z.B. "Reinheitsgebote" für Beton oder für andere Baustoffe. Dies kann zur Verbesserung der Produktion, der Verwendung und der Verwertung von Stoffen im Baustoffkreislauf beitragen.


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