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II. Vom Neubau zur stärkeren Bestandsnutzung

[Seite der Druckausgabe: 7 / Fortsetzung]

Das nachhaltige Bauen und Wohnen muß zwar letztlich am einzelnen Gebäude bzw. an der einzelnen Wohnung ansetzen. Entscheidend hierfür ist aber die generelle Ausrichtung der Bau- und Wohnungswirtschaft. Plakativ geht es darum, inwieweit das "Häuschen im Grünen" oder aber "verdichtete Strukturen in einer Stadt der kurzen Wege" als Zielvorstellung eher mit einer zukunftsverträglichen Entwicklung vereinbar sind. Zu hinterfragen ist, ob Zukunftsfähigkeit unter Beibehaltung des bisherigen Niveaus der Neubautätigkeit erreicht werden kann oder

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vorrangig ein Leitbild der "Sanierung und flexiblen Nutzung des Bestandes" anzustreben ist. Die Fortsetzung einer "forcierten" Neubaupolitik ist dabei aus ökologischer, sozialer und ökonomischer Sicht mit einer Strategie der verstärkten (Um)nutzung des Bestandes zu vergleichen. Vom Ergebnis dieser Gegenüberstellung hängt es ab, ob der Neubau von 500.000 Wohnungen pro Jahr als zukunftsfähig angesehen werden kann.

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1. Die ökologische Dimension

Bauen ist immer umweltbelastend. Die Herstellung und der Transport der Baumaterialien, der Bauvorgang selbst und die anschließende Nutzung verursachen Rohstoff- und Energieverbrauch, Luft- und Wasserverschmutzung, Lärm und Müll, ferner mikroklimatische und landschaftliche Veränderungen, Bodenversiegelung und Flächeninanspruchnahme. Ökologisch orientiertes Bauen will soweit wie möglich verhindern, daß solche Beeinträchtigungen von Mensch und Umwelt auftreten. Dabei sollen folgende Handlungsgrundsätze umgesetzt werden: [Fn. 3: Umweltbundesamt (Hrsg.): Leitfaden zum ökologisch orientierten Bauen, 3. Auflage, Heidelberg 1997,S. 11]

  • sparsam und schonend mit Grund und Boden umgehen,

  • den Ressourcenverbrauch bei Erstellung, Nutzung und Beseitigung eines Gebäudes minimieren,

  • Verunreinigungen von Luft, Boden und Wasser sowie Abwärme, Abfälle und Lärmentwicklung vermeiden oder gering halten,

  • möglichst regenerative und emissionsarme Energieträger verwenden,

  • sparsam und rationell mit Energie und Wasser umgehen,

  • umweltfreundliche, gesundheitlich unbedenkliche Baustoffe einsetzen,

  • die Tier- und Pflanzenwelt erhalten,

  • das Landschafts- und Stadtbild nicht beeinträchtigen.

Diesen Grundsätzen entsprechend sollte Erneuerungsmaßnahmen im Gebäudebestand der Vorrang vor der Ausweisung neuer Baugebiete eingeräumt werden, weil Neubau im Vergleich zu einer intensiveren Bestandsnutzung zu zusätzlicher Landschaftszersiedlung und Flächenversiegelung sowie zu weiterem Verbrauch an Grund- und Ausbaustoffen führt. Gleichzeitig dürfte bei Neubauten insbesondere von Eigenheimen die Wohnfläche pro Person und damit auch der Energieverbrauch für Heizzwecke tendenziell stärker steigen als bei Baumaßnahmen im Bestand. Intensive Neubauaktivitäten stehen damit - selbst bei Realisierung erheblicher Energieeinsparungen (z.B. durch Wärmedämmung) - im Widerspruch zum Ziel der C02-Verringerung im Bereich Wohnen.

Die Überbetonung des Neubaus und vor allem das aktuelle Leitbild des Baus von Einfamilienhäusern als genereller Lösungsweg hat aus bauökologischer Sicht Be-

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einträchtigungen der Umwelt während aller "Lebens-Phasen" einer Wohnung bzw. eines Hauses zur Konsequenz, die bei 1 bis 2 % Neubau pro Jahr allerdings nicht kurzfristig beseitigt werden können:

  • Beim Bau von Wohnungen werden große Mengen an Rohstoffen benötigt (ca. 2,5 t Baumaterialien/qm Wohnfläche). Rund die Hälfte des der Landschaft jährlich entnommenen Baustoffvolumens ist dem Wohnungsbau zuzurechnen. Die Stoffe werden zumeist mit dem Lkw transportiert. Aus den Rohrstoffen werden dann unter z.T. hohem Energieeinsatz Baustoffe - wie Ziegel und Zement - hergestellt.

  • Die von Wohnungen in Anspruch genommene Fläche wächst nach Angaben der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR) jährlich um rund 185 km2, also etwa um die Fläche der Stadt Nürnberg oder des Stadtkreises Rostock. Von ökologischer Bedeutung ist dabei nicht allein die direkte Bodenversiegelung. Eine Reihenhaussiedlung kann eine größere Artenvielfalt aufweisen als ein mit hohem Pestizid- und Düngereintrag intensiv bewirtschafteter Acker. Problematisch ist vielmehr vor allem die Teilung von Naturräumen und die Inanspruchnahme ökologisch sensibler Gebiete (z.B. Flußauen).

  • Aus ökologischer Sicht bedenklich ist nicht zuletzt die Erzeugung von zusätzlichem Autoverkehr. Berufsbedingtes Pendeln über 20 km und mehr pro Tag hebt bereits den Einspareffekt eines Niedrigenergiehauses gegenüber dem durchschnittlichen Verbrauch auf. Dieser Verkehr ist zudem oft "ineffizient". Erhebungen zufolge ist die Zahl der pro Bundesbürger und Tag im Durchschnitt zurückgelegten Kilometer seit 1972 von 11 auf 19 gestiegen, die Zahl der erreichten Ziele ist dagegen fast konstant geblieben (Zunahme von 2,9 auf 3,0). Dieses Resultat ist im wesentlichen Folge der stattfindenden Zersiedelung; andere Faktoren wie die Konzentration von Einkaufs- und Freizeitstätten und eine politisch erwünschte höhere Arbeitsplatzmobilität wirken verstärkend.

  • Beim Wohnen selbst ist vor allem das Heizen umweltbelastend. Rund 30 bis 40% der C02-Emissionen sind auf das Heizen von Wohnräumen zurückzuführen. Dabei spielt - wie erwähnt - der wachsende Flächenverbrauch pro Bürger eine große Rolle. Ferner ergeben sich Umweltbeeinträchtigungen durch den Verbrauch von Wasser sowie von Bau- und Instandsetzungsmaterialien.

  • Der Wohnungsabriß verursacht schließlich große Teile des Bauschutts. Alle Baurestmassen machen etwa 50% des gesamten Abfallaufkommens in Deutschland aus.

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Neubauaktivitäten sind aus den genannten Gründen nicht nur direkt ökologisch bedenklich. Sie schaden auch indirekt, weil eine Forcierung des Neubaus u.a. durch staatliche Förderung auch den Bestand beeinflußt. Konzentrieren sich Investitionskapital und staatliche Mittel auf den Neubau, dann verlagern sich die Siedlungsschwerpunkte und innerstädtisches Wohnen wird mangels Bestandspflege und wegen der Verkehrsbelastung unattraktiver. Es bildet sich ein Instandsetzungsstau bei Altbauwohnungen, dessen Beseitigung - auch für die Umwelt -aufwendige Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen erfordert. Auch aus ökologischen Gründen ist deshalb die bislang vernachlässigte öffentliche Bestandsförderung zu verbessern, also eine ausgewogenere Förderung von Neu- und Altbau zu fordern.

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2. Die baufachliche Dimension

Der Bereich Bauen und Wohnen ist heute - wie erwähnt - direkt und indirekt für einen großen Teil des mineralischen Stoffstroms und des Abfallaufkommens verantwortlich. Der durch Baumaßnahmen verursachte Materialinput in Gebäude und Infrastruktur übersteigt dabei deutlich den Materialoutput. Deshalb kann nach Auffassung eines Experten für Bauökologie der Gebäudebestand als "Zwischenlager" für Ressourcen betrachtet werden, das ständig anwächst. Zwar gilt es vorrangig, die vorhandene Architektur und Denkmale zu erhalten. Werden aber Modernisierungs- oder Umbaumaßnahmen im Bestand notwendig, dann ist auch zu beachten, daß Gebäude eine Art Ressource darstellen, mit der verantwortungsbewußt umgegangen werden sollte.

Viele der vorliegenden Studien zur Stoffstromanalyse im Bereich Bauen und Wohnen sind linear strukturiert, d.h. nach dem Schema "Baustoffherstellung, Gebäudeerrichtung, Nutzung, Instandhaltung, Abriß, Entsorgung" aufgebaut. Künftig sollen demgegenüber verstärkt kreislaufgerechte Nutzungszyklen zur Reduktion der Stoffentnahme und -ablagerung praktiziert werden. Hierzu gehört z.B. das Bauschuttrecycling, das von der Bauwirtschaft bereits vor der Kreislaufwirtschaft entwickelt und angeboten wurde. Wichtig ist dabei, daß das Recycling auf möglichst gleichem Niveau (d.h. Wiederverwenden und Weiterverwenden) erfolgt, weil diese Vorgehensweise gegenüber dem mit energetischen und materiellen Verlusten behafteten Downcycling überlegen und deshalb anzustreben ist. Übertragen auf den Gebäudebestand bedeutet dieses Prinzip, daß Wohnungen und erhaltenswerte Bauwerksteile weitergenutzt werden sollten. Durch Instandsetzung, Modernisierung und Umbau können Wohnungsreserven erschlossen werden, die einerseits den teilweise noch bestehenden Wohnraummangel schneller beheben und andererseits einen material-, energie- und flächenintensiven Zubau reduzieren bzw. vermeiden können. Gleichzeitig ist die Bauwerkerhaltung eine Möglichkeit zur Verlangsamung von Stoffkreisläufen und zur Sicherung der Langlebigkeit der Bauinvestitionen.

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Vor dem Hintergrund vieler bereits realisierter Projekte zu Umbau und Modernisierung lassen sich aus der Sicht eines Bauökologen zugunsten der Erschließung von Wohnungsreserven durch intensivere Bewirtschaftung des Gebäudebestandes im einzelnen folgende Argumente anführen:

  • Große Teile der Bauwerke sind erhaltenswert: Verschiedenen Studien zufolge entfallen bei bestehenden Gebäuden ca. 70 bis 80% der im Bauwerk in Form von Materialien vergegenständlichten Energie und ca. 80% der Baustoffmassen auf die zumeist auch bei größeren Umbaumaßnahmen erhaltbare Tragkonstruktion, d.h. auf Wände, Decken und Dächer. Nur 20 bis 30% der in Baustoffen gebundenen Energie bzw. 20% der Baustoffmassen sind dagegen dem Innenausbau zuzurechnen, der oft nicht erhalten werden kann bzw. in den - z.B. im Sanitärbereich - stark eingegriffen wird. Umbau und Modernisierung bestehender Gebäude sowie die Reaktivierung leerstehender Bauwerke führen daher zur Vermeidung von Baurestmassen ("Bauschutt") und Deponievolumen; gleichzeitig werden stoffliche und energetische Ressourcen geschont.

  • Umbau und Modernisierung schaffen Arbeitsplätze: Rund 3/4 des Arbeitsvolumens am Bau entfallen auf Innenausbau und haustechnische Installationen. Dementsprechend liegt der Lohnkostenanteil bei Altbausanierung, Umbau- und Erneuerungsarbeiten mit ca. 70% deutlich höher als bei Neubauten mit ca. 50%. Dabei ist letztlich der - besonders in den neuen Bundesländern oft schlechte - bauliche Zustand der Bauwerke von entscheidender Bedeutung für den erforderlichen Arbeitsaufwand. Die Schwerpunktverlagerung von Neubau zu Altbau führt also nicht zum Rückgang an Beschäftigung im Baugewerbe, sondern zu einer Erhöhung der Nachfrage nach Arbeitskräften. Vor diesem Hintergrund ist die bisher oft nachteilig bewertete hohe Arbeitsintensität der Erhaltung und Erneuerung von Gebäuden nicht nur wegen der Schonung der natürlichen Ressourcen, sondern gleichermaßen auch angesichts der gegenwärtigen Beschäftigungslage neu zu interpretieren. Das Prinzip ist schon lange bekannt: Umbaumaßnahmen im Gebäudebestand ersetzen quasi Umweltbelastung durch (qualifizierte) Arbeit und tragen zugleich zu einer besseren Nutzung der in den Gebäuden gebundenen Energie bei. Hierdurch wird auch nicht die soziale Komponente für Wohnungserwerb beeinträchtigt. Zwar ist die Baubestandssanierung im Innenbereich teurer als Neubau. Sie wird i.d.R. aber nur dann durchgeführt, "wenn es sich rechnet", d.h. wenn der Umbau und die Modernisierung eines alten Gebäudes beim Kostenvergleich mit einem Neubau günstiger abschneidet.

  • Die vorhandene (Alt)Bausubstanz kann in vielen Bereichen auf einen attraktiven Qualitätsstandard gebracht werden. Ein wichtiger Aspekt ist dabei z.B.

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    der Energieverbrauch. Ein wesentlicher Teil des Gesamtenergieverbrauchs eines Gebäudes während seiner Lebensdauer entfällt auf das Heizen. Die energetische Qualität bestehender Gebäude kann mit bekannten technischen Mitteln erheblich verbessert werden. Durch Maßnahmen der nachträglichen Wärmedämmung kann z.B. der jährliche Heizenergieverbrauch von durchschnittlich 180kWh/qm und Jahr auf das Niveau heutiger Neubauten bzw. im günstigsten Fall auf das angestrebte Niedrigenergieniveau (70 bis 100 kWh/qm und Jahr) gesenkt werden. Dabei amortisiert sich der für die Herstellung entsprechender Bauprodukte notwendige Energiebedarf relativ rasch über Einsparungen an Heizenergie. Gut sanierte Mehrfamilienhäuser liegen im Heizenergieverbrauch sogar unter den Durchschnittswerten heutiger Neubauten.

  • Viele Altbauwohnungen haben eine hohe Flexibilität hinsichtlich der Raumaufteilung und Nutzbarkeit. In den letzten Jahren wurde dagegen weitgehend ein Spezialitätenangebot gebaut, das relativ schlecht umzunutzen bzw. auf sich ergebende demographische Änderungen umstellbar ist.

Nach Auffassung des Experten für ressourcenschonendes Bauen ist es notwendig, daß auch der Umbau und die Modernisierung bestehender Gebäude möglichst umweltfreundlich, gesundheitsgerecht und unter Beachtung der Prinzipien einer Instandhaltungs- und Recyclingfreundlichkeit geplant und realisiert werden. Im Sinne einer kreislaufgerechten Bewirtschaftung des Gebäudebestandes gibt es immer noch einen Umbau nach dem Umbau. Auch wenn sich dabei die Hauptbaumassen der Tragkonstruktionen als erhaltenswert erweisen, müssen die Maßnahmen zur Verbesserung des Innenausbaus schonend erfolgen. Angesichts der Langlebigkeit vieler Bauteile und Konstruktionen sollte die ökologische Qualität und "Sortenreinheit" älterer Gebäude bei Modernisierungsmaßnahmen nicht durch das Einbringen kurzlebiger bzw. umweltgefährdender Produkte und Stoffe gefährdet werden.

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3. Die räumliche und soziale Dimension

Neubautätigkeit extensiviert in der Regel die Siedlungsstrukturen und führt dabei zu zusätzlichem Bedarf an Infrastruktur (Verkehrswege, Ver- und Entsorgung etc.). Neubau als Zubau trägt somit doppelt zur weiteren Versiegelung bei: er verursacht nicht nur direkt, sondern auch indirekt (für Infrastrukturbauten) große Energie- und Stoffströme. Gleichzeitig entsteht zusätzlicher Individualverkehr, der kontraproduktiv zu einer nachhaltigen Wohnungswirtschaft wirkt, indem er die Energieeinspareffekte beim Hausbau häufig durch Kraftstoffverbrauch für zusätzlichen Berufs-, Einkaufs- und Ausbildungsverkehr mehr als aufzehrt.

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Eine Strategie der verbesserten Bestandsnutzung, d.h. bei Instandsetzung und Umbau bestehender Gebäude, kann dagegen weitgehend auf vorhandene technische, soziale und kulturelle Infrastruktur zurückgreifen, die in Neubaugebieten erst bereitgestellt werden muß. Insbesondere die Reaktivierung leerstehender oder fremdgenutzter Wohnungen auf bereits versiegelten Flächen in der Stadt trägt nicht nur zur Vermeidung von direktem und indirektem Flächenverbrauch, sondern auch zur Verkehrsvermeidung bei.

Dieser räumliche Aspekt hat zugleich auch eine soziale Dimension. Zum einen kommen Verbesserungen im Bestand dem Wunsch besonders von älteren Menschen entgegen, möglichst lange in der vertrauten Wohnumgebung zu bleiben. Zum anderen wird bei verstärkter Nutzung des Bestands eine Entmischung des Wohnens vermieden, die bei intensivem Eigenheimbau oft auftritt. Soziale Differenzen gibt es auch zwischen Eigentum und Miete. Eigentümer bewohnen - jedenfalls in Deutschland - deutlich mehr Quadratmeter als Mieter. Eine Studie der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung BfLR zur Entwicklung der Wohnflächennachfrage nach Haushaltsgrößen und Eigentumsformen zeigt dies deutlich. Bei Einpersonenhaushalten hatten im Jahr 1990 Eigentümer eine Wohnfläche von rd. 90 qm, Mieter dagegen knapp 60 qm; für Zweipersonenhaushalte lag die personenbezogene Wohnfläche bei den Eigentümern bei rd. 55 qm und bei den Mietern bei knapp 40 qm. Die Analyse geht davon aus, daß sich die Werte bis zum Jahr 2000 bei den Mieterhaushalten kaum verändern, bei den Eigentümerhaushalten aber weiter deutlich zunehmen werden. Eine verstärkte Bestandsnutzung würde eher als eine forcierte Neubautätigkeit dämpfend auf diese Entwicklung wirken.

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4. Die ökonomische Dimension

Die Diskussion um Neubau oder Bestandsnutzung wird zunehmend auch aus ökonomischer Sicht geführt. Dabei geht es zum einen um die besonders bei Neubau entstehenden Kosten für die Bereitstellung zusätzlicher Infrastrukturen. Zu deren Finanzierung sehen sich viele Städte heute nicht mehr in der Lage. Es kommt zur Übertragung von Erschließungsmaßnahmen auf Dritte. Hierdurch werden die Kommunen entlastet, und im allgemeinen ergeben sich auch keine Baukostenerhöhungen für die Bauträger bzw. für den Investor.

Ökonomische Kriterien betreffen zum anderen vor allem auch die Gebäude selbst. Oft wird bezweifelt, daß die vorhandene Altbausubstanz kostengünstig auf den Qualitätsstandard von Neubauten gebracht werden kann, oder daß Mietwohnungsbestände rentabel modernisiert werden können. So wird z.B. darauf hingewiesen, daß in den neuen Bundesländern Sanierungen oft sehr teuer sind, teurer als ein Neubau. Behauptet wird, daß mit gleichen Kosten bei vorhandenen Wohnungen nicht die gleiche Qualität erreichbar sei wie bei neuen Wohnungen, die

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preiswertes und zugleich qualitatives Bauen vereinen (wie das in Kapitel V skizzierte Swatch-Haus).

Diese Argumentation ist allerdings in mehrfacher Hinsicht zu differenzieren. So hängen die Kosten natürlich sehr stark vom baulichen Zustand bzw. vom - besonders in Ostdeutschland hohen - Schädigungsgrad der Substanz ab. Bei normalem Verschleiß muß im Mittel rd. 500 DM/qm investiert werden, nur bei schwerer Schädigung (z.B. durch Schwamm bzw. im Deckenbereich) muß mit Sanierungskosten von 2.000 bis 2.500 DM/qm gerechnet werden. Selbst wenn für ein schwerstgeschädigtes Haus in der Innenstadt Gesamtkosten von etwa 3.000 DM/qm aufzuwenden sind, ist zu bedenken, daß bei vergleichbaren Eigentumswohnungen zwar günstigere Neubaupreise angestrebt werden, zum Teil werden hier aber auch bis 4.500 DM/qm verlangt. Bei einem Kostenvergleich zwischen dem Umbau in der Innenstadt und einem Neubau auf der grünen Wiese sind aus Sicht des Nutzers zudem die (oft unberücksichtigten) Kosten des zweiten Autos bzw. des erhöhten Transportaufwands mit einzukalkulieren - besonders bei Familien. Zunehmende Zahlen von "Heimkehrern" aus dem Umland in ostdeutsche Innenstädte belegen, daß ein umfassender Kostenvergleich offenbar nicht immer zum Nachteil des Altbaus ausfallen muß.

Das Umweltbundesamt stellt fest, [Fn. 4: Vgl. Umweltbundesamt (Hrsg.): Leitfaden zum ökologisch orientierten Bauen, a.a.O. S. 88] daß nach ökologischen Kriterien konzipierte Gebäude nicht zwingend teurer sein müssen als konventionell erstellte Häuser. Bei vielen Aspekten - wie Grundstück, Erschließung, Baunebenkosten - gibt es keine Kostendifferenzen zwischen konventionellen und ökologischen Bauten. Erheblich unterscheiden können sich jedoch die "reinen Baukosten" für Materialien und Arbeitsaufwand. So kann die Verwendung alternativer Baustoffe zur Zeit noch zu höheren Kosten führen. Ursache hierfür ist, daß die Baustoffindustrie in den letzten Jahrzehnten die herkömmlichen Materialien hinsichtlich Funktionalität, rationeller Produktion und rationellem Einsatz ständig verbessert hat (z.B. Fertigteile, schnelle Verarbeitbarkeit). Allerdings sind aufgrund des gestiegenen Umweltbewußseins Nachfrageveränderungen zu registrieren. Daher ist bei den umweltfreundlichen Materialien mit Vergrößerung der Produktpalette und mit Kostensenkungen zu rechnen.

Energetische Modernisierungen von Altbauten sind zumeist recht einfach und kostengünstig. So ist für die Wärmedämmung die Bilanz zwischen der zur Herstellung entsprechender Dämmstoffe aufzuwendenden Energie und der Einsparung von Heizenergie zumeist relativ kurzfristig ausgeglichen. Auch die wirtschaftliche Amortisation (Kosten versus Nutzen der Wärmedämmung) ist zumeist sehr schnell erreicht.

Ferner ist stärker zwischen kostensparendem Bauen und kostensparendem Wohnen zu differenzieren. Für den Mieter sind oft die Folgekosten (z.B. Heizkosten)

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entscheidend. Der für den Bauherrn bzw. Vermieter entscheidende Baupreis pro Quadratmeter sagt hierüber aber nichts aus. Ziel einer nachhaltigen und kostensparenden Bau- und Wohnungswirtschaft müßte es sein, frühzeitig schon stärker auf die Interdependenzen zwischen Erstellungskosten und Folgekosten hinzuweisen. Bisher wurde das Verursacherprinzip im Wohnungsbau weitgehend nicht durchgesetzt. Das Problem ist - besonders im Mietwohnungsbau - die Verrechnung. So wird z.B. der Nutzen von Energiesparinvestitionen oft nicht richtig zugerechnet. Und unbeachtet bleiben bei der Berechnung der Kosten von Neu- und Umbauten in der Regel die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Rohstoff- und Energieeinsparungen sowie von Verringerungen der Umweltbelastungen im Abfall-, Abgas- und Abwasserbereich.

Schließlich ist beim Umsteuern in Richtung einer intensiveren Nutzung des Bestands aus Sicht der Gebietskörperschaften bzw. aus volkswirtschaftlicher Sicht die vermutlich bessere Arbeitsmarktperspektive günstig zu bewerten - nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht. So würden z.B. die Aufwendungen für Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe positiv beeinflußt, wenn es in der Bauwirtschaft im Zuge von Bestandssanierungen und -modernisierungen zur Besetzung zusätzlicher Arbeitsplätze käme. Durch eine Verlagerung von Neubau auf Bestandsmaßnahmen können zusätzlich auch in erheblichem Umfang (Förder-)Mittel eingespart werden. Auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sprechen also ökonomische Gründe für eine intensivere Pflege der Altbaubestände.

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5. Mengenproblem oder Verteilungsproblem im Bereich der Wohnraumversorgung?

Ökonomische, soziale und ökologische Faktoren sprechen also für eine Umsteuerung in Richtung auf eine verbesserte Nutzung des Bestandes. Das bedeutet allerdings keine generelle Ablösung des Neubaus durch Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen. Soll ressourcenschonender gebaut werden, dann ist es aber nötig, daß Abriß und Neubau sowie bedarfsgerechter Zubau als Sonderfälle einer Gebäudebestandsbewirtschaftung aufgefaßt werden. Entscheidend ist aus bauökologischer Sicht, daß durch die intensivere Nutzung vorhandener (qualitativ verbesserter) Gebäude zusätzliche Stoff- und Energieströme für extensive Neubauten vermieden bzw. verringert werden können. Fraglich ist allerdings, wie groß die Reserven im Gebäudebestand wirklich sind, und vor allem: ob diese Reserven insgesamt groß genug sind, um eine Neubautätigkeit mittelfristig obsolet werden zu lassen. Hierzu gibt es unterschiedliche Auffassungen.

Eine These lautet, daß bei etwas anderer Verteilung mit dem derzeitigen Bestand eine ausreichende Versorgung aller Bürger mit Wohnraum sichergestellt werden kann. Es liege mithin mehr ein Problem der Struktur als der mengenmäßigen Versorgung vor.

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Für diese Annahme spricht zunächst, daß der Bestand den Neubau zahlenmäßig bei weitem übertrifft. Der Wohnungsbestand beläuft sich in Deutschland auf rund 35 Millionen Wohnungen mit etwa 2,8 Mrd. qm Wohnfläche, und jährlich entstehen in den alten wie auch in den neuen Bundesländern nur ca. 1% der Anzahl bereits vorhandener Wohnungen als Neubauten. Bei einer erfolgreichen Umstellung von Neubau auf Bestandsmanagement dürfte die Neubaurate mittelfristig sogar noch niedriger liegen. Wenn aber ca. 99% auf den Bestand und nur 1 % auf den Neubau entfallen, ist es illusorisch zu glauben, man könne die Probleme der Wohnraumversorgung vorrangig durch Neubau lösen.

Hinzu kommt, daß der Bestand nicht voll ausgeschöpft wird und erhebliche ungenutzte Entwicklungsreserven enthält. Allein das durch Dachausbau zu aktivierende Potential wird auf 270.000 Wohnungen geschätzt. Zugleich erreichen Zweckentfremdung und Leerstand von Wohnungen und Gebäuden beachtliche Größenordnungen. Zwar liegen hierzu bundesweite Angaben der amtlichen Statistik derzeit nicht vor. Die Enquetekommission hat aber Zahlen über erhebliche - regional unterschiedliche und mittlerweile nicht mehr nur auf Metropolen beschränkte - Leerstände, auch im Bürobereich. Besonders in Ostdeutschland gibt es - nicht zuletzt aufgrund einer überzogenen Förderpraxis des Neubaus - erhebliche Leerstände. Statistischen Angaben für Thüringen aus den Jahren 1994 und 1995 zeigen,

  • daß ca. 1% der Wohngebäude ausschließlich für Nichtwohnzwecke genutzt wurden (Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien versprechen zumeist deutlich höhere Mieteinnahmen) und

  • daß ca. 6% der Wohngebäude leerstanden (in Städten wie Erfurt, Gera und Suhl sogar über 7%).

Selbst wenn ein Teil des Leerstandes von Wohnungen in der fehlenden Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage an Einzelstandorten begründet ist, bleibt doch ein erheblicher Bestand an marktfähigen Wohnungsreserven. Zugleich gibt es Regionen mit Wohnungsdefiziten. Beispielsweise rechnet der Thüringer Mieterbund z.Zt. mit 70.000 gesuchten und ebenfalls mit 70.000 leerstehenden Wohnungen. Durch intensivere Nutzung leerstehender Wohnungen, durch Umbau, Sanierung und Modernisierung ist - Schätzungen zufolge - in Thüringen aber insgesamt ein Wohnungspotential erschließbar, das dem Neubau von mehreren Jahren entspricht und diesen auch ersetzen könnte.

Die Leerstandsproblematik gilt auch für den Bereich der Gewerbeflächen. Hier könnte Erkenntnissen der BfLR zufolge etwa 140% der derzeitigen Nachfrage in bestehenden "Brachen" untergebracht werden. In den ausgewiesenen Industrie- und Gewerbegebieten sind also mehr als genug ungenutzte Kapazitäten vorhanden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit derzeit Gewerbeflächen sinnvoll ausgewiesen werden, zumal Arbeitsplätze in Zukunft vermutlich im

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Durchschnitt weniger Fläche benötigen. Auch hier bietet mithin die phantasievollere Umnutzung des Bestands noch Möglichkeiten.

Die Gegenthese lautet, daß eine bessere Bestandsnutzung allein nicht ausreicht, die Wohnungsnachfrage der nächsten Jahre zu befriedigen. Dieser Argumentation zufolge besteht im Wohnungsbereich also nicht nur ein Verteilungsproblem, sondern auch ein Mengenproblem. Nach der für die BfLR erstellten Bevölkerungs- und Wohnungsprognose werden bis zum Jahr 2010 etwa 6 Mio. Menschen mehr in Deutschland leben. Dementsprechend ist mit etwa 3,5 Mio. zusätzlichen Haushalten zu rechnen. Der hieraus resultierende Wohnungsbedarf würde noch weiter vergrößert, wenn der Trend zu geringeren Haushaltsgrößen anhält. Zusätzlich ist das Bedürfnis nach weiter steigender Wohnfläche pro Kopf in Rechnung zu stellen. Dieser Zusatzbedarf ist ordnungspolitisch zu steuern und wohnungsbaupolitisch umzusetzen. Nach einer Studie des ifo-lnstituts wird unter derzeitigen baurechtlichen und umweltpolitischen Rahmenbedingungen der Baubedarf in Deutschland von 1991 bis 2005 auf rund 8,3 Mrd. DM geschätzt, darunter werden 3,8 Mrd. DM (= 46%) dem Wohnen zugerechnet.

Spezielle Nachfrageaspekte kommen hinzu. Viele junge Familien wollen selbst dann am Stadtrand oder auf dem Land neu bauen, wenn Bestände in der Innenstadt verfügbar sind, da die Kinder nicht in verkehrsbelasteten Zonen aufwachsen sollen. Dabei überwiegt der empfundene Wohnwertgewinn subjektiv oft die finanziellen und zeitlichen Aufwendungen für zusätzlich erforderliche Transporte. Diese Zusammenhänge sind seit längerem politisch erkannt. Sofern das Verhalten junger Familien durch fehlende Infrastrukturen und Unfreundlichkeit der Innenstädte bedingt ist, bestehen Handlungsspielräume. Die großen Städte beginnen, bei der Wiederbelebung alter Industrieflächen Baugebiete auszuweisen, die familienfreundlich, verkehrsberuhigt und lärmgeschützt sind. Es gibt bereits zahlreiche Beispiele für gelungene Revitalisierungen alter Standorte, die trotz hoher Baudichte akzeptiert werden, weil nicht die Dichte, sondern die Art der Bebauung das entscheidende Kriterium ist (vgl. dazu auch Kapitel V). Allerdings ist bei der Nutzung von Industriebranchen für Wohnzwecke auch der Aspekt der meist fälligen Altlastensanierung zu berücksichtigen.

Die Frage "Mengen- oder Verteilungsproblem" ist insgesamt umstritten. Verschiedene Quellen liefern sehr unterschiedliche Zahlen. Zugleich ist das Urteil auch von der einzuschlagenden politischen Strategie abhängig. Dementsprechend ist aus Sicht der Enquetekommission auch die skizzierte Bevölkerungs- und Wohnungsprognose zu relativieren, weil sie im wesentlichen eine Trendfortschreibung darstellt, d.h. eine Extrapolation der Entwicklung, wenn politisch nichts geschieht. Notwendig erscheint es, die Prämissen der Berechnungen, die ermittelten Daten und Trends sowie die zugrundeliegenden Indikatoren einer solchen Trendfortschreibung kritisch zu hinterfragen. So kann z.B. beim Indikator "Wohlstand" nicht bedenkenlos von einer weiteren Zunahme ausgegangen werden, und bei der

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Beurteilung des Wohnungsbedarfs ist die Wirkung der politischen Steuerung zu berücksichtigen. Regelmäßig zu überprüfen sind auch die wohnungsbaupolitischen Rahmenbedingungen und Aktionsparameter. Das verdeutlichen z.B. die immer noch großen Unterschiede in Bezug auf die Versorgung mit Wohnraum. So führt die Förderung des Wohneigentums nicht nur zu einem steigenden pro-Kopf-Verbrauch an Quadratmetern, sondern vielfach auch zu einer Verschärfung der Differenzen im Versorgungsniveau. Nach wie vor sind Bevölkerungsgruppen trotz der enormen Fördermittel unterversorgt. Hier sind Anpassungen des Förderinstrumentariums, die verstärkt auch soziale Aspekte berücksichtigen, zu erwägen. Deshalb kann nach Auffassung der Enquetekommission der Wohnungsbedarf auch nicht allein auf Basis von Analysen prognostiziert werden, die primär vergangene Trends fortschreiben.

Vor diesem Hintergrund sollten die Thesen vom zu geringen Wohnungsbestand und die gegenteilige Aussage vom ausreichenden Bestand, aber mangelhaftem Bestandsmanagement zu einer Synthese zusammengeführt werden. Diese Synthese könnte darin bestehen, daß im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung im Bereich Bauen und Wohnen während der kommenden Jahre vorrangig Wohnungsreserven durch einen Umbau im Bestand bzw. durch eine intensivere Nutzung des Gebäudebestandes erschlossen werden, wobei bedarfsgerechter Neubau als notwendige Ergänzung der Gebäudebestandsbewirtschaftung hinzukommen muß. Die Wohnungswirtschaft sollte also in Zukunft verstärkt auf Umbaumaßnahmen im Bestand, aber auch auf Neubauaktivitäten setzen. Dabei darf aus bauökologischer Sicht der Neubau - insbesondere von Einfamilienhäusern - jedoch nicht überbetont werden.

Damit ist eine generelle Strategie umrissen. Hieran anschließend ist nun zu skizzieren, wie sich das ökologische Bauen und Wohnen aus der Sicht einzelner Akteure des Baugeschehens darstellt. Beschrieben wird im folgenden die Perspektive von Architekten, Baustoffherstellern, Bauindustrie und Bauwerksnutzern. Ergänzend wird in Kapitel V der Erfahrungsbericht eines engagierten Bau- und Wohnungsunternehmers zum zukunftsfähigen Bauen und Wohnen wiedergegeben.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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