FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: V = Inhaltsverzeichnis]

[Seite der Druckausgabe: 1]


Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Das Bedürfnisfeld Bauen und Wohnen ist in hohem Maße umwelt-, abfall-, ressourcen- und gesundheitsrelevant. Bauabfälle (Erdaushub, Bauschutt, Straßenaufbruch, Baustellenabfälle) sind der größte Stoffstrom. Viele moderne Baustoffe sind nicht recycelbar und müssen als Sondermüll entsorgt werden. Der Einsatz von gesundheitsbedenklichen Bauchemikalien ist erheblich und steigt weiter. Der Flächenbedarf durch Bauen und Wohnen wächst ungebremst. Mit der Flächenversiegelung erhöht sich zugleich das umweltbelastende Verkehrsaufkommen. Von großer Bedeutung ist Bauen und Wohnen für der Klimaschutz. Auf diesen Sektor entfällt etwa ein Drittel des Energieverbrauchs, wobei große Einsparpotentiale (über 70%) bisher ungenutzt sind. Diese und weitere Umweltwirkungen verdeutlichen, daß ökologisches Bauen und Wohnen einen wesentlichen Beitrag zur Verringerung der tiefgreifenden Schädigungen leisten kann, die die Ökosysteme in den letzten Jahrzehnten hinnehmen mußten.

Von zentraler Bedeutung für die Wohnqualität und für die Umweltverträglichkeit des Bauen und Wohnens ist die Auswahl der Baustoffe. Deren Umwelteffekte und ihre Gesundheitsverträglichkeit sind während des gesamten Lebens von Baustoffen und Bauteilen zu berücksichtigen. Dabei können während der verschiedenen Lebensphasen durchaus unterschiedliche Umweltqualitäten bestehen.

Neben der Baustoffherstellern bemüht sich auch die Bau- und Bauverfahrenstechnik um umweltverträgliche Lösungen. Beispiele hierfür sind der verstärkte Einsatz von vorgefertigten Teilen und kreislaufwirtschaftliche Ansätze wie die Verwendung von Bauschutt und Straßenaufbruch. Ob ökologisch orientierte Bauprozesse ablaufen, hängt vom Bauherrn ab. Dieser muß entsprechende Aktivitäten in Auftrag geben. Aufgabe der Bauunternehmen ist dann die ordnungsgemäße Umsetzung. Dagegen kann die Bauwirtschaft beim schlüsselfertigen Bauen und bei der Projektentwicklung Aspekte des kostengünstigen und umweltverträglichen Bauens aktiv aufgreifen.

Wichtig für die Ökobilanz des Bauens und Wohnens ist insbesondere der Energiebereich. Dabei ist zwischen Energiebedarf bei der Herstellung von Baustoffen und Bauwerken einerseits und während der Nutzung eines Gebäudes andererseits zu unterscheiden. Wesentlich höhere Einsparpotentiale bestehen während der Nutzungsphase. Diese müssen nicht nur im Neubau, sondern vor allem in den Wohnungsbeständen ausgeschöpft werden.

Die Umsetzung ökologischer Anforderungen im Wohnungsbau kann mit Hilfe vielfältiger Regulierungen und „weicher" Instrumente gesteuert werden:

  • Hierzu zählen insbesondere die Instrumente der Raumplanung (Bebauungsplan, Flächennutzungsplan), mit denen aber möglichst wenig in die Bautätigkeit eingegriffen werden sollte. Ökologische Rahmenbedingungen sind nicht zu eng zu formulieren und auszulegen.

[Seite der Druckausgabe: 2]

  • Wichtig sind weiter Verordnungen. Hiermit konnte in den letzten Jahren z.B. die Energieeffizienz im Neubaubereich maßgeblich verbessert werden. Für Altbauten erscheint dagegen eine Novellierung der Wärmeschutzverordnung unter Verschärfung einschlägiger Neubauregelungen erforderlich.

  • Ein anderer Aktionsparameter sind die Sonderförderprogramme, die Rahmenbedingungen für umweltgerechtes Bauen und Wohnen setzen. Die große Vielzahl und Vielfalt dieser Programme läßt Verbesserungen der Transparenz und Effizienz notwendig erscheinen.

  • Auch das Bauvertragsrecht bindet Bauherren und Bauunternehmen in ökologische Verantwortlichkeiten ein. Es enthält u.a. Bestimmungen, die zu einem kontrollierten Vermeiden bzw. zu einer weitgehenden Wiederverwertung von Bauabfällen führen sollen.

  • Sehr wirksam sind die sog. „weichen" Instrumente. Durch Öffentlichkeitsarbeit, Vorbilder und Wettbewerbe kann oft viel mehr bewegt werden als durch dirigistische Vorgaben. So kann z.B. ein umweltorientiertes Marketing die Aufgeschlossenheit und Sensibilität gegenüber Umweltfragen erhöhen. Zugleich wird zur rascheren und breiteren Diffusion von Aspekten des ökologischen Bauens und Wohnens beigetragen.

Im Sektor Bauen und Wohnen ist ein mehrdimensionaler Ansatz zu verfolgen. Dementsprechend sollte verantwortliche Architektur funktionelle und baukünstlerische, technische und baubiologische, ökonomische, ökologische und soziale Belange gleichwertig betrachten und anwenden. Das Europahaus und die Regenbogensiedlung sind Beispiele für die erfolgreiche Realisierung eines derartigen Ansatzes. Hier wurden frühzeitig ökologische Aspekte in die Planungen einbezogen. Solche umweltgerechten Einzelprojekte sind mit einer Strategie der nachhaltig ökologischen Stadt- und Siedlungsentwicklung zu verknüpfen. Dabei geht es auch um die Erhaltung kultureller Werte (Architekturerbe).

An Stelle von linear strukturierten Konzepten sind künftig verstärkt kreislaufgerechte Nutzungszyklen zu praktizieren. Ziele sind hierbei u.a. die Verringerung der Stoffentnahmen und -ablagerungen. Anzustreben ist z.B. ein Recycling auf hohem Niveau, wobei auch ein Downcycling von Baustoffen und Bauteilen einer Entsorgung durch Ablagerung vorzuziehen ist. Derartige Abläufe sieht auch das seit Herbst 1996 geltende Kreislaufwirtschaftsgesetz KrWG vor. Mit der Grundstruktur dieses Gesetzes hat die Bauindustrie allerdings Probleme, u.a. weil nicht zwischen Abfallbesitzern und Abfallerzeugern differenziert wird. Offene Fragen betreffen auch die Zusammensetzung der „Baureststoffe", die ganz überwiegend keine stofflichen Problemfälle darstellen. Abgelehnt werden Ergänzungen des KrWG durch Selbstverpflichtungen, beispielsweise weil unsicher ist, ob die vorgeschlagene pauschale Quote für Hochbauschutt künftig sichergestellt werden kann.

[Seite der Druckausgabe: 3]

Kreislaufwirtschaft bedeutet auch Erschließung von Wohnungsreserven im Bestand. Dies trägt zur notwendigen Entkoppelung des Wohnflächenverbrauchs vom Bevölkerungs- und Wohlstandswachstum bei und macht deutlich, daß höherer Flächenverbrauch nicht zwangsläufig Neubau bedeuten muß. Stärker zu nutzen sind z.B. die Entwicklungspotentiale durch Dachausbau. Außerdem gilt es, Lösungen für die Leerstands- und Zweckentfremdungsproblematik von Wohnungen zu finden. Durch gezieltes Umzugsmanagement und die Förderung von Wohnungstauschaktionen sind erhebliche Bestandsreserven mobilisierbar. Prämien für Wohnungswechsler und für die Teilung von Wohnungen können so gestaltet werden, daß die finanziellen Belastungen der öffentlichen Hand wesentlich geringer ausfallen als bei der derzeitigen Eigenheimförderung, Mietwohnungsförderung und beim sozialen Wohnungsbau. Solche Instrumente wären durch Änderungen im Mietrecht, im Belegungsrecht und bei den Nutzungsvorschriften zu flankieren. Erforderlich ist ein umfangreiches Servicepaket, das u.a. Beratungsleistungen, organisatorische und finanzielle Hilfen sowie die Vergabe von Aufträgen (Umzug, Renovierungsarbeiten usw.) umfaßt.

Entscheidend für die Nachhaltigkeit des Bauens und Wohnens ist seine generelle Ausrichtung. Zu klären ist, ob der Weg zu einer zukunftsfähigen Lösung in der Beibehaltung des bisherigen Niveaus der Neubautätigkeit oder vorrangig in einer Strategie der Sanierung und flexiblen Nutzung des Bestandes bestehen soll. Dabei sprechen Umweltgründe für einen Vorrang der Bestandsentwicklung vor der Ausweisung neuer Baugebiete und gegen forcierte Neubauaktivitäten. Natürlich dürfen auch bei Maßnahmen zur Verbesserung der Bestandsnutzung die Kriterien der Ökologie, der Gesundheitsrelevanz und der Recyclingfreundlichkeit nicht vernachlässigt werden.

Da die Erschließung von Wohnungsreserven durch Umbau im Bestand und ein verbessertes Bestandsmanagement in den nächsten Jahren allein wohl nicht zur Befriedigung der Wohnungsnachfrage ausreichen wird, bleibt ein ergänzender bedarfsgerechter Neubau unverzichtbar. Dieser ist mit Hilfe politischer Steuerungsmaßnahmen und Rahmenbedingungen umweltverträglich zu gestalten. Insbesondere darf aus bauökologischer Sicht der Bau von Einfamilienhäusern nicht überbetont werden.

Ökologische Maßnahmen sind auch im Sektor Bauen und Wohnen kein Selbstzweck. Vielmehr macht eine ökologische Orientierung die Firmen der Bau- und Wohnungswirtschaft zukunftsfähig und trägt damit zugleich zur Sicherung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen bei. In vielen Teilbereichen wirkt ein ökologisches Vorgehen zugleich kostensenkend; zahlreiche andere Komponenten sind kostenneutral. Nach ökologischen Kriterien erstellte Häuser müssen nicht teuerer als konventionell gebaute Häuser sein. Wichtig ist, daß bei der ökonomischen Bewertung zwischen kostensparendem Bauen und kostensparendem Wohnen differenziert wird. Ähnliches gilt für die ökologische Bilanzierung.

[Seite der Druckausgabe: 4]

Erforderlich erscheint auch ein Richtungswechsel in der Wohnungsbauförderung. Diese ist zur Zeit noch stark auf den Neubau konzentriert. Sinnvoll wäre eine stärkere Beachtung der Wohnungsbestände, wie sie der Entwurf des neuen Wohnungsbaureformgesetzes vorsieht. Bereits die Grundförderung müßte an die Erfüllung ökologischer Anforderungen gekoppelt werden. Zur Diskussion gestellt wird eine spürbare Verringerung der Subventionierung des Neubaus aus ökologischen Gründen. Wenn die staatliche Förderung nicht mehr manipulierend eingreift, könnten sich preisgünstigere Erhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen besser gegenüber dem Neubau durchsetzen. Für Änderungen in der Förderkulisse sprechen auch finanzpolitische Gründe. Bei der angespannten Finanzlage von Bund, Ländern und Gemeinden läßt sich die ungebremste Fortführung des bisherigen Subventionierungssystems auf Dauer wohl kaum durchhalten. Erhebliche Kürzungen zeichnen sich ab, die die Bau- und Wohnungswirtschaft vor massive Probleme stellen werden. Für das Überleben benötigt die Baubranche deshalb ökonomische und ökologische Innovationen. Zu entwickeln sind z.B. Swatch-Häuser, die ähnliche Kriterien erfüllen wie das Swatch-Auto.

Weitere Verbesserungen in der Zusammenarbeit aller am Bauprozeß Beteiligten sind eine notwendige Voraussetzung für die Durchsetzung umweltorientierter Projekte. Daneben spielt der Abbau von Aufklärungs- und Informationsdefiziten bei Architekten und Fachingenieuren, bei Bauunternehmen und Handwerkern, bei Bauträgern und privaten Bauherren eine wichtige Rolle.

Unverzichtbar ist auch die Einbeziehung der Bewohner, denn es kommt nicht nur auf eine umweltoptimale Technik, sondern auch auf die richtige Nutzung an. Die gewünschten Effekte stellen sich nicht ein, wenn der Mensch zum „Störfaktor" wird, weil er durch die technischen Vorrichtungen überfordert wird. Hier spielen die Einfachheit der Bedienung und die Reparaturfreundlichkeit ebenso eine Rolle wie Fragen der Umweltinformation und des Lernens aus Erfahrungen im Umgang mit ökologischen Einrichtungen. Gelernt werden muß auch, daß umweltorientiertes Bauen kein asketisches Wohnen erfordert, sondern eher einen Zugewinn an Lebensqualität bringt.

Inzwischen führt ökologisches Bauen und Wohnen in Deutschland kein Nischendasein mehr. Über eine Vielzahl erfolgreicher Projekte werden umweltorientierte Handlungsgrundsätze mehr und mehr zu allgemeinen Standards des Bauens und Wohnens. Wichtig bleiben auch innovative Experimente mit Lehr- und Lerneigenschaften, die neue wirtschaftliche Chancen für die Bauunternehmen und ihre Beschäftigten eröffnen. Insgesamt tragen die ökologischen Konzepte in ihrer breiten Vielfalt dazu bei, daß sich in Deutschland eine nachhaltig zukunftsverträgliche Bau- und Wohnungswirtschaft etabliert.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

Previous Page TOC Next Page