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[Seite der Druck-Ausgabe: S. 3]

1. Politische Rahmenbedingungen für Konversionsprozesse in Deutschland

Deutschland war im Kalten Krieg der Blöcke das am höchsten gerüstete Land in Europa. Damals war die Hoffnung, über die Entspannungspolitik das Wettrüsten eines Tages zu beenden, gemeinsam abzurüsten und "Schwerter zu Pflugscharen" (Rüstungskonversion) umzuwandeln. Eingebunden in die Blockkonfrontation blieb Rüstungskonversion jedoch ein bloßer Wunschtraum. Das plötzliche Ende des Ost-Westkonflikts ermöglichte zwar ungewöhnliche Abrüstungsprozesse, dennoch erleben wir auch eine Renaissance von Bürgerkriegen, die fast vollständig an die Stelle der klassischen zwischenstaatlichen Kriege getreten sind. So wäre es euphemistisch, davon zu sprechen, daß in der Welt nun endlich das Zeitalter des Friedens angebrochen ist. Dennoch gibt es keinen Zweifel darüber, daß weltweit der Trend zur Entmilitarisierung ganzer Volkswirtschaften und militärischer Infrastrukturen voll im Gange ist. Die Militärhaushalte werden seit den späten 80er Jahren gekürzt, und auch die Rüstungsexporte gingen seit 1990 weltweit um rund 30% zurück.

Besorgt macht jedoch, daß Deutschland seit dem Ende des Ost-Westkonflikts auf Platz 2 der weltweiten Rüstungsexporteure aufgestiegen ist - 1994 lag der Wert der deutschen Rüstungsexporte nach einer Berechnung des Stockholmer Instituts für Friedensforschung (SIPRI), die sich auf konventionelle Großwaffensysteme bezieht, sogar fast doppelt so hoch wie im Jahr davor. [ Fn 1 "Nur USA verkaufen mehr Waffen als Deutschland", Frankfurter Rundschau vom 16. 6. 1995] Aus dieser Statistik ist zwar keine massive Verkaufsoffensive der wehrtechnischen Industrie Deutschlands abzulesen, weil sich dieser Anstieg deutschen Rüstungsexports größtenteils aus der Vermarktung von Beständen des Waffenarsenals der ehemaligen NVA erklärt. Aus der Abrüstungs- und Konversionsperspektive ist dieser Umgang mit ausgemusterten Waffen und militärischem Gerät aber kontraproduktiv. In einigen Fällen muß dieses Rüstungsmaterial von deutschen Firmen erst noch auf den technischen Stand des Empfängerlandes gebracht werden; dies dürfte die Ansätze der betrieblichen Rüstungskonversion eher behindern. [ Fn 2 Vgl. die Fallstudie zum Export aus NVA-Beständen von Ortfried Nassauer: "An Army Surplus - The NVAs Heritage", in: "report 1 - Coping with Surplus Weapons: A Priority for Conversion Research and Policy", Internationales Konversionszentrum Bonn, Juni 1995, S. 37 - 67]

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 4]

Dennoch beginnt der Friede zwischen den Kontrahenten des Kalten Krieges zweifelsohne Geld abzuwerfen ("Friedensdividende"). Das anhaltende Wachstum der Militärhaushalte ist vorbei. Der Wandel der sicherheitspolitischen Verhältnisse - vor allem in Europa - hat diese Entwicklung zwar ermöglicht, beschleunigt wurde sie jedoch vor allem durch die Finanznot der öffentlichen Haushalte. Die weltweiten Militärausgaben fielen von nahezu einer Billion (1.000 Mrd.) Dollar im Jahre 1987 jährlich schätzungsweise knapp 4 % auf etwa 815 Mrd. Dollar im Jahre 1992. [ Fn 3 Edward J. Laurance/Herbert Wulf: "report 1 - Conversion an the Integation of Economic and Security Dimensions", Internationales Konversionszentrum Bonn,Januar 1995, S.8]
Daran knüpfte sich die Hoffnung, die freiwerdenden Ressourcen für sinnvollere Zwecke verwenden zu können - für soziale Wohlfahrt, für die Bekämpfung von Umweltgefahren und Hunger in der Welt. Der größte Teil dieser "Friedensdividende" wurde in Deutschland bisher aber durch Stopfen von Budgetlöchern absorbiert.

Aber erst allmählich wird realisiert, daß gewaltige Folgekosten und Folgeprobleme der Aufrüstung in Zeiten der Abrüstung entstehen. In den USA soll die Sanierung allein der US-amerikanischen Atom-Altlasten aus dem Kalten Krieg laut Schätzung des Department of Energy mindestens 200 Mrd. Dollar kosten. [ Fn 4 "Die Zeche für den Kalten Krieg", taz vom 5.4.1995]
Solche Bewältigungsstrategien für die Folgeprobleme von Abrüstungsprozessen sind jahrelang ignoriert oder als akademische Trockenübungen eingestuft worden. Das Thema wurde eher abstrakt und theoretisch behandelt. Dabei blieben die Auseinandersetzungen auf politischer Ebene plakativ ("Schwerter zu Pflugscharen"). Sowohl die Friedensbewegung als auch die waffenproduzierende Industrie und das Militär sahen die möglichen Folgen von Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen allenfalls in der fernen Zukunft auf sich zukommen. In Deutschland fehlen - anders als in den USA, in der ehemaligen Sowjetunion und in Frankreich - Erfahrungen mit Rüstungskonversion vor dem Hintergrund einer funktionierenden Wirtschaft völlig. In den sechziger und siebziger Jahren gab es zwar Impulse für Rüstungskonversion im Kontext der entwicklungspolitisch motivierten UN-Diskussion über Abrüstung, die jedoch folgenlos blieben. In den frühen achtziger Jahren sind in mehreren Rüstungsbetrieben aus dem Umfeld von Betriebsräten spezielle Arbeitskreise entstanden, in denen über alternative Produkte nachgedacht wurde. Solche Initiativen blieben aber peripher und ohne betrieblichen Einfluß.

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 5]

Eigentlich dürfte man erwarten, daß in Deutschland die Bundesregierung die Umstellungsprozesse militärisch bedingter Produktion, Beschäftigung, Forschung sowie militärischer Anlagen auf zivile Verwendungsmöglichkeiten durch ein Konversionsprogramm unterstützt. Denn um politische Rückschläge, soziale Instabilität und negative Auswirkungen auf die Wirtschaft zu vermeiden, ist ein gezieltes und geplantes Vorgehen erforderlich. Anders als die USA, wo der Staat Konversionsprogramme sowohl im eigenen Land als auch in Rußland finanziert, wurden solche Erwartungen bei uns bisher aber nicht erfüllt, obwohl der frühere Außenminister Genscher 1990 die Errichtung eines Forschungsinstituts für Rüstungskonversion verlangt hatte. Hinzu kommt, daß Konversionsbemühungen durch nicht klar berechenbare politische Rahmenbedingungen erschwert werden. Dies zeigen die Diskussion über neue Aufgaben der Bundeswehr in out-of-area-Einsätzen, aber auch die offenbar noch nicht abgeschlossene Planung über die Verkleinerung der Bundeswehr.

Das akademische Interesse an der Konversionsthematik hat zugenommen. In der Innenpolitik bleibt Konversion jedoch umstritten. Die Bundesregierung vertritt die Meinung, daß in einem marktwirtschaftlichen System die notwendigen Umstrukturierungen Aufgabe der betroffenen Unternehmen sind. Es wird unterstellt, daß Beschäftigte, die infolge größerer Abrüstungsschritte ihren Arbeitsplatz verlieren, wegen ihrer durchweg hohen Qualifikation in anderen Bereichen der Wirtschaft wieder einen Arbeitsplatz finden. Auch die Debatte über den besonderen Beitrag der wehrtechnischen Industrie zur Steigerung des allgemeinen technologischen Niveaus der Volkswirtschaft ("spin-off"-Effekte) hat bestätigt, daß die Rüstung nicht beanspruchen kann, volkswirtschaftlich einen strategischen Leitsektor zu bilden. [ Fn 5 Ulrich Albrecht: Praktische und wirtschaftliche Probleme der Konversion nach dem Ende des Kalten Krieges, in: BWI - Wirtschaftsdienst Brandenburg, Heft 21 , März 1995, S. 10]
Die Probleme, die mit intelligenten staatlichen Strategien der Rüstungskonversion zu lösen sind, bleiben aber auch dann noch exorbitant, wenn man erwartet, daß sie Dimensionen erreichen, die in den alten Industrieländern aus dem Abstieg von Branchen wie dem Bergbau, dem Schiffbau oder auch der Textilindustrie bekannt sind. [ Fn 6: ebenda ] Eine Besonderheit dieser Strukturkrise, die sie von anderen Branchenkrisen unterscheidet, liegt insbesondere darin, daß sie als "Folgeproblem" des Ost-Westkonflikts nicht antizipiert worden ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000

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