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[Seite der Druck-Ausgabe: S. 6]

2. Spektrum der zu lösenden Konversionsaufgaben

Gestützt auf die negativen Erfahrungen mit der Umstellung der Rüstungsproduktion auf zivile Güter z.B. in Rußland, wo man Raketen- in Kinderwagenfabriken umzuwandeln suchte, bezweifeln eher defätistische Meinungen grundsätzlich, ob Konversion überhaupt gelingen kann. Solche Auffassungen verdeutlichen, daß noch häufig ein verengter Konversionsbegriff kursiert, in dem nur der Produktionsbereich berücksichtigt wird. Ausgeblendet bleibt dabei nicht nur der Komplex Soldaten und Zivilbeschäftigte, sondern auch der von Truppenstandorten abhängige Einzelhandels- und Dienstleistungsbereich.

Eine allgemein gültige Definition des Begriffs Konversion gibt es nicht - er hat viele Facetten. Je nachdem, welche Ebene des Umwandlungsprozesses fokussiert wird, kann die Rede sein von: Produktkonversion (Umnutzung militärischer Güter), industrieller Konversion (betriebsbezogene Sicht), sektoraler Konversion (Industriezweige), Forschungskonversion, Personal- und Streitkräftekonversion, Standortkonversion (Nutzung von vormals militärisch verwendeten Liegenschaften für zivile Zwecke) sowie von regional- und kommunalbezogener Konversion.

Der Konversionsbegriff ist also schillernd und ebenso komplex. Versteht man Rüstungskonversion als eine die Abrüstungsprozesse abrundende Politik der Friedenssicherung, dann wird sie nicht auf Teilbereiche und einzelne Segmente der Volkswirtschaft beschränkt bleiben können. Konversionsprozesse bleiben andernfalls in der Gefahr, lediglich die Rolle eines kurzfristigen Lückenbüßers zu übernehmen. Deshalb ist eine umfassende Restrukturierung des gesellschaftlichen Systems notwendig, und dies macht alle Konversionsforderungen und -überlegungen so schwierig, aber auch so spannend. Ein integraler Konversionsbegriff verbindet unterschiedliche Ansätze der Beschäftigungs-, Friedens-, Umwelt- und Entwicklungspolitik miteinander. Rüstungskonversion muß damit mehr sein als die zur Vermeidung von Massenentlassungen nötige Seite der Abrüstung. Die Diskussionen über die infolge der Abrüstung auf uns zukommenden Anforderungen sollten auch als Chance genutzt werden, stärker auf die soziale Nützlichkeit, die ökologische Verträglichkeit und die demokratische Partizipation (Mitbestimmung) abzustellen.

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 7]

Die gegenwärtige Situation weist eine ganze Reihe von Widersprüchen und Ungereimtheiten auf. Einmal ist ein historisch exorbitanter Entmilitarisierungsprozeß zu registrieren. Die Streitkräfte der ehemaligen Sowjetunion haben die neuen Bundesländer verlassen, und auch die NATO-Verbündeten ziehen insgesamt über 100.000 Soldaten ab. Bundeswehr und Volksarmee sollten zunächst bis Anfang 1995 von über 600.000 auf 370.000 Soldaten verringert werden. Nach den Plänen des Bundesministers für Verteidigung vom Frühjahr 1995 geht man auf eine Mannschaftsstärke von 330.000 zurück. Etwa 9.200 Quadratkilometer - eine Fläche halb so groß wie Sachsen - wurden auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in beiden Teilen Deutschlands militärisch genutzt; allein im Land Brandenburg entfielen 8% der Fläche auf Militärstandorte. Tausende von Einrichtungen militärischer Infrastruktur - wie Kasernen, Flug- und Übungsplätze, Lager und Depots, Verwaltungsgebäude, Schulen, Kinos und Krankenhäuser - werden frei.

Zum anderen befindet sich auch die Rüstungsindustrie gegenwärtig in einem tiefgreifenden Umbruchs- und Anpassungsprozeß, der durch Reprivatisierung, Zentralisierung der Produktion sowie des Kapitals, vertikale Konzentration und 'strategische Integration' im Rahmen einer Ausdifferenzierung von Unternehmensstrategien gekennzeichnet ist. Die Marktchancen und Zukunftsperspektiven der Rüstungskonzerne gestalten sich aufgrund des EU-Binnenmarktes keineswegs so düster wie zunächst angenommen. Unternehmensleitungen versuchen außerdem, das Umstellungsrisiko durch stärkere Exportanstrengungen im Rüstungsbereich zu verringern. Auch in Deutschland werden Rüstungsprojekte selten storniert, sondern vielmehr gestreckt und modifiziert, wie das Beispiel Jäger 90 bzw. "Eurofighter 2000" zeigt. Statt weitreichender Abrüstung wird Umrüstung betrieben und die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee für "out of area-Einsätze" ausgebaut. Bis zum Jahr 1998 soll der Anteil der Verteidigung am Gesamthaushalt des Bundes wieder von 21 auf 25 % anwachsen. [ Fn 7: "Folgen der 'Friedensdividende'", Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.5. 1995] .
"Die deutsche Rüstungsindustrie setzt derweil voll auf eine Umrüstung der Bundeswehr hin zu den geplanten 'mobilen Krisenreaktions-Kräften'. Allein für fliegendes Gerät locken Aufträge von über 55 Mrd. Mark", berichtet die Wirtschaftswoche im Sommer 1995. [ Fn 8: "Nächste Front", in: "Wirtschaftswoche" vom 3.8.1995, S.33]

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 8]

Die westdeutsche Rüstungsindustrie hat sich bisher flexibel den veränderten Rahmenbedingungen mit deutlich sinkendem Beschaffungsetat des Bundesministeriums für Verteidigung angepaßt. Neben dem Schrumpfen der Rüstungsmärkte ist in der zunehmenden Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Militärausgaben in den nächsten Jahren ein wesentliches Problem zu sehen. Es besteht die Gefahr, daß bei aller Rhetorik Konversion nur marginal stattfindet und die rüstungsindustrielle Basis mitsamt der Möglichkeit einer Re-Konversion erhalten bleibt.

Bekannt ist, daß Unternehmen auf drastisch schrumpfende wehrtechnische Märkte keineswegs automatisch mit Konversion reagieren - selbst dann nicht, wenn es zugleich wachsende zivile Märkte gibt, die erreichbar sind. Statt der vergleichsweise anspruchsvollen und aufwendigen Form des Wirtschaftsstrukturwandels in Form von Konversion, bei der es um die Aufrechterhaltung der bestehenden kapitalmäßigen, personalen und organisatorischen Zusammenhänge von Produktionsprozessen geht, sind betriebswirtschaftlich zunächst günstiger erscheinende Alternativen zu beobachten: Beharrungsstrategien in schrumpfenden Märkten, Ausweitung der Rüstungsexporte oder Stillegung bisheriger Produktionsanlagen bei Zukauf von neuen Produktionsstätten in anderen Regionen. Damit kann sogar korrespondieren, daß größere Rüstungsunternehmen regionale Konversionsprogramme für Mitnahmeeffekte nutzen. Dies wird auch dadurch begünstigt, daß auf der nationalen Ebene eine politische Planung für die wehrtechnischen Schrumpfungsprozesse und Konversionsförderung bisher fehlt. Deshalb bleibt der Erfolg von Konversionsprozessen zunächst noch weitgehend davon abhängig, welches politische Gewicht diesem Thema auf der politischen Agenda der besonders von Abrüstungsprozessen betroffenen Länder eingeräumt wird.

Die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Probleme infolge der Abrüstungsprozesse sind vor allem lokal zu spüren. Zwar kann man aus Erfahrungen in den USA lernen, daß Prognosen der Folgen von Schließungen militärischer Standorte oft zu pessimistisch sind, weil die kompensatorischen Beschäftigungsmöglichkeiten unterschätzt werden. Dennoch sind die Probleme in einigen Regionen gewaltig, zum einen, weil dort - wie in den neuen Bundesländern - ohnehin ein exorbitanter Strukturwandel zu bewältigen ist; zum ändern, weil in hohem Maße eine wirtschaftliche Abhängigkeit von Rüstungsproduktion und Militärstandorten besteht. Der Regionalansatz für Konversionsstrategien erhielt durch die Initiative von betroffenen Kommunen, Landespolitikern und Gewerkschaftsfunktionären eine Schlüsselfunktion für die Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Folgeprobleme von Abrüstungsprozessen.

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 9]

Eingeschränkt wurde der Handlungsspielraum von Kommunen und Ländern für Konversionsbemühungen durch das zeitliche Zusammentreffen einer schwierigen konjunkturellen Lage und erheblichen Umstrukturierungen des Wirtschaftsstandortes Deutschland mit einer tiefgreifenden kommunalen Finanzkrise. Allerdings vergrößerte sich der Handlungsspielraum für regionalpolitische Konversionsmaßnahmen durch die europäischen Programme zur Förderung der Rüstungs- und Standortkonversion (KONVER 1993 und KONVER 1994 bis 1997), auf die näher im Kapitel 5.2 eingegangen wird.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000

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