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[Seite der Druckausgabe: 39 / Fortsetzung]

4. Reformmodelle für die Kommunalverwaltung

4.1 Neue Managementmethoden

4. 1. 1 Ursachen für Umstrukturierungen in der öffentlichen Verwaltung

Bürger, Wirtschaft und Gesellschaft erwarten effektive öffentliche Dienstleistungen und effizientes Verwaltungshandeln. Diese Erwartungen werden durch eine Reihe von Problemfeldern zunehmend in Frage gestellt. Nach den Ergebnissen einer Umfrage, die das Beratungsunternehmen Diebold Deutschland im Frühjahr 1994 bei Führungskräften der Bundes-, Landes- und Kommunalebene sowie aus Anstalten des öffentlichen Rechts durchgeführt hat, stellt das mit Abstand bedeutsamste Problem des öffentlichen Sektors das steigende Aufgabenvolumen bei wachsenden finanziellen und personellen Engpässen dar. Daneben spielen die Vorgaben der Politik in Form gesetzlicher und normativer Regelungen sowohl in quantitativer Hinsicht als auch aufgrund ihrer häufigen Änderungen eine zunehmende Rolle. Insbesondere resultieren nach Einschätzung der Kommunen wichtige Beeinträchtigungen aus der starken Reglementierung des Verwaltungshandelns; dieses Ergebnis weist darauf hin, daß die zahlreichen in den letzten Jahren durchgeführten Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung offensichtlich noch nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben.

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Insgesamt zeigt sich, daß den Verwaltungen in ihrer derzeitigen Organisationsform das Wachstum und der Wandel der Aufgaben zunehmend Probleme bereiten. Gleichzeitig wächst der Erwartungsdruck aus Politik und Öffentlichkeit. In diesem Spannungsfeld zeichnet sich immer deutlicher ab, daß die quantitativen und qualitativen Anforderungen an die öffentliche Verwaltung mit den bestehenden Ressourcen kaum bewältigt werden können. Neuorganisationen und Umstrukturierungen erscheinen unverzichtbar.

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4.1.2 Hauptanliegen von Restrukturierungsmaßnahmen

Die Ermittlungen von Diebold machen deutlich, daß nach Einschätzung der Führungskräfte aus der öffentlichen Verwaltung Reformmaßnahmen vor allem auf die Sicherstellung einer hohen Qualität der Verwaltungsleistungen und auf Verbesserungen der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter abzielen sollten. Damit wird einmal deutlich, daß in der Verwaltung ein starker Leistungswille und die Bereitschaft zur Erhöhung von . Effizienz und Effektivität bestehen. Zum anderen wird aber auch klar erkannt, daß hierfür bei den Mitarbeitern ein organisatorisches Umfeld geschaffen werden muß, das sie motiviert und zufriedenstellt.

Wichtige Impulse sollen weiter von der gezielten Ausrichtung des Verwaltungshandelns auf Leistungen für die Gesellschaft, für die Bürger und für die Wirtschaft ausgehen. Von entsprechenden Umstrukturierungen und Erneuerungen der öffentlichen Verwaltung werden vor allem Fortschritte in Bezug auf das Kunden- und Kostenbewußtsein erwartet. Insbesondere die Kommunen versprechen sich von den Reformmaßnahmen eine höhere Kostentransparenz, eine größere Bürger- bzw. Kundennähe und eine Verbesserung der verwaltungsinternen Zusammenarbeit. Wichtig ist für die Städte und Gemeinden auch der Aspekt der Kosteneinsparung; dabei geht es der kommunalen Ebene primär um eine Verringerung der Personalkosten. Wesentlich geringere Bedeutung wird der Kostenreduzierung bei Bund und Ländern beige

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messen. Dies läßt nach Einschätzung von Diebold vermuten, daß hier die Finanznot noch nicht durchgeschlagen ist und es dementsprechend bisher noch an Kostenbewußtsein mangelt.

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4.1.3 Notwendigkeit eines integrativen Reformansatzes

Die Befragungen der Diebold Unternehmensberatung machen deutlich, daß es kein Patentrezept zur Lösung der Probleme in der öffentlichen Verwaltung gibt. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Erfahrungen, die die Beratungsgesellschaft sowohl mit Projekten zur Geschäftsprozeßoptimierung in der Privatwirtschaft als auch mit aufgabenkritischen Organisationsanalysen im öffentlichen Sektor gemacht hat. Dies bedeutet, daß auch in Städten und Gemeinden eine Verbesserung von Effektivität und Effizienz der Verwaltungsprozesse unter gleichzeitiger Intensivierung der Nähe zum Bürger als Empfänger der öffentlichen Dienstleistungen nur über einen integrativen Ansatz erreicht werden kann.

Zu dem komplexen Maßnahmenbündel gehören dabei aus der Sicht der Kommunen insbesondere folgende, in der Reihenfolge ihrer Bewertungsintensität genannte Aspekte:

  • Verbesserung der Planungs- und Steuerungsinstrumente
  • Dezentralisierung der Verantwortung
  • Verbesserung von Informationsfluß, Infonnationsmanagement und Informationstechnik
  • Verbesserung der Ablauforganisation
  • Optimierung der Aufbauorganisation durch Förderung der internen Zusammenarbeit und Neugestaltung der Aufgabenverteilung
  • Entwicklung eines zukunftweisenden Leitbildes
  • aufgabenbezogene Verbesserung der Mitarbeiterqualifikation sowie

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  • Reduzierung des bisherigen Aufgabenspektrums durch Konzentration auf Kernaufgaben

Wichtig ist in den Städten und Gemeinden also vor allem die Weiterentwicklung des Planungs- und Steuerungsinstrumentariums und dessen Einsatz in der Verwaltungspraxis. Dabei ist nicht allein der Kostenaspekt zu berücksichtigen; vielmehr sollen auch Leistungen und Ressourcen in die Überlegungen und Aktivitäten einbezogen werden.

Weiter ist auf eine klare Abgrenzung von Aufgaben und Verantwortung zwischen Politik und ausführender Verwaltung zu achten. Die Politik muß die strategischen Ziele vorgeben, woraus dann in der Verwaltung Aufgaben abgeleitet werden, die wiederum Leistungsfelder ergeben. Mit der Definition der Leistungsfelder, denen die Funktion eines Maßstabes sowohl für das Tagesgeschäft als auch für die notwendigen Reformmaßnahmen zukommt, ist ein wichtiger Schritt in Richtung Output-Orientierung getan, die z.B. auch von der KGST gefordert wird. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Meßbarkeit der Verwaltungsergebnisse. Vielfach wird behauptet, in Kommunalverwaltungen müsse Controlling an der Unmöglichkeit der Leistungsmessung scheitern. Dies ist nicht richtig; die Lösung dieses Problems ist zwar nicht einfach, aber es ist zu bewältigen.

Unverzichtbar für den Erfolg einer Reform ist außerdem ein Umdenken der am Leistungserstellungsprozeß Beteiligten, und zwar sowohl auf der Führungsebene als auch bei den Mitarbeitern. Nur bei Partizipation und Eigenverantwortung kann das in den Verwaltungen vorhandene Potential an Humankapital für die Umstrukturierungen mobilisiert werden. Wichtig ist also, daß die Mitarbeiter an dem Prozeß aktiv beteiligt werden, und daß sie im Rahmen ihrer Aufgaben auch Verantwortung übernehmen und über die entsprechenden Kompetenzen verfügen. Diese Beteiligung wird zwar durch das bestehende Dienstrecht oft eingeschränkt, sie sollte aber so weit als möglich realisiert werden.

Die Umsetzung dieser und weiterer oben genannter Maßnahmen zur Verbesserung der Verwaltungsprozesse darf aber nicht unabhängig voneinander erfolgen. Eine entscheidende Voraussetzung für das Gelingen der Reform ist vielmehr in einer konsequenten

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und abgestimmten Vorgehensweise zu sehen, wodurch zusätzlich Synergieeffekte genutzt werden. Nur eine solche Strategie gewährleistet, daß die Aufgaben sachgerecht und bürgerfreundlich erfüllt werden. Sie trägt darüber hinaus dazu bei, daß die Effektivität und die Effizienz des Verwaltungshandelns deutlich verbessert werden.

Die Erkenntnis, daß nur ein ganzheitlicher Ansatz auf Dauer eine Lösung dieser Probleme ermöglicht, relativiert zugleich den Stellenwert von isolierten, auf einzelne Bereiche konzentrierten Strategien. Insbesondere reicht es nicht aus. Rationalisierungspotentiale auszuloten und auszuschöpfen. Ebenso führt die Erschließung interner Leistungsreserven, die sich nur auf funktionale Teilaspekte der Verwaltungsprozesse beziehen, lediglich zu begrenzten Erfolgen.

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4. 1 .4 Die Verwaltungsprozeßoptimierung

Die historisch gewachsene Organisationsstruktur der öffentlichen Verwaltung ist durch die funktionale Arbeitsteilung gekennzeichnet. Das Verbesserungspotential dieses Organisationskonzeptes ist inzwischen weitgehend ausgeschöpft. Folglich können die Leistungen, die Bürger und Unternehmen von Städten und Gemeinden fordern, nicht durch eine Optimierung der traditionellen Verwaltungsfunktionen erreicht werden. Deshalb ist der Übergang auf ein neues Organisationskonzept erforderlich, bei dem an die Stelle der Verrichtung von Funktionen das Management von Verwaltungsprozessen tritt. Hierfür hat Diebold die Methode der Verwaltungsprozeßoptimierung entwickelt, bei der die funktionsübergreifende Zusammenarbeit von Organisarionseinheiten - wie beteiligte Referate oder Ämter - im Mittelpunkt steht.

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Das Modell orientiert sich an folgenden Grundsätzen für ein gutes Verwaltungsmanagement:



Wichtig ist die Erkenntnis, daß nur eine komplexe, an Aufgabenfeldern orientierte Betrachtung Verbesserungen der Verwaltungsstruktur in Bezug auf die Kriterien Qualität, Zeit und Kosten bzw. Preis in Aussicht stellt. In die Analyse wird deshalb der gesamte Verwaltungsprozeß einbezogen. Dieser Prozeß erstreckt sich von seinem Anstoß, der über politische Vorgaben - festgelegt in Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, Satzungen u. ä. - erfolgt, bis hin zu seinem Ergebnis, das in der (Dienst-) Leistung besteht, die der Kunde (Bürger, Unternehmen) erhält. Der Gesamtprozeß kann in eine Reihe von Teilprozessen untergliedert werden, die Teilaufgaben erledigen und Teilergebnisse liefern. Auf diese Weise erhält man eine output-, also leistungsorientierte Organisationsstruktur, in die alle Einflußgrößen einbezogen sind, und in der eine simultane Optimierung erfolgt.

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Übereilte Leistungskürzungen nach dem „Rasenmäherprinzip", die durch finanzielle Engpässe der Kommunen ausgelöst werden, erscheinen bei dieser Betrachtungsweise der Verwaltungsprozesse bedenklich. Sie führen lediglich zu einer Einschränkung des Leistungsangebotes ohne zu bedenken, ob dieses Vorgehen die Zielerreichung gefährdet. Zielorientiertes Denken heißt im Gegensatz dazu, weiterhin die Ziele zu verfolgen und dabei aber zu versuchen, den Ressourceneinsatz bei der Leistungserstellung zu minimieren. Gelingt dies, dann sind vorher Mittel falsch eingesetzt worden. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, daß im allgemeinen mit 20% des Geamtaufwandes 80% eines Zieles erreicht werden können. Diese 80/20-Regel macht deutlich, daß für eine 100%ige Zielrealisation der fünffache Aufwand notwendig ist. Deshalb ist gerade in Zeiten der Finanzknappheit eine vollkommene Aufgabenerfüllung eher als ineffizient einzustufen.

Die Neuorganisation der Verwaltungsabläufe setzt voraus, daß die Verantwortung für die Leistungsziele, für die Verwaltungsprozesse und für die notwendigen Ressourcen eindeutig geregelt wird. Dabei sind zunächst die Aufgaben der Politiker festzulegen, zu denen vor allem die Erstellung von Leitbildern und die Vorgabe strategischer Ziele gehören. Wichtig ist aber auch, daß die Politiker der Verwaltung mehr Verantwortung und Kompetenz überlassen. Im Gegenzug bekommen sie mit dem Instrumentarium des

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Controlling eine Möglichkeit an die Hand, das Handeln der Verwaltung zu steuern. Mit diesem Instrument kann die Erreichung der Ziele jederzeit nachgeprüft werden. Bei Abweichungen erlaubt dann das Controlling ein rechtzeitiges Gegensteuern.

Ein weiterer unverzichtbarer Aspekt der Verwaltungsprozeßoptimierung ist der Einbezug der Mitarbeiter in die Umstrukturierung. Hierdurch soll sichergestellt werden, daß der Prozeß von allen Beteiligten getragen wird und viele Hindernisse und Mißverständnisse ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang erscheinen Maßnahmen der Qualifizierung des Personals notwendig. Hier haben die Kommunen noch einigen Nachholbedarf gegenüber der Privatwirtschaft, wie die Diebold-Umfrage zeigt: Während Städte und Gemeinden im Durchschnitt 0,5% ihrer Personalausgaben für Fortbildung aufwenden, liegt dieser Anteil in privaten Unternehmen bei 3%.

Auch Änderungen des Führungsstils erscheinen im Zuge der Verwaltungsprozeßoptimierung sinnvoll. Gefordert wird Coaching statt der traditionellen Kontrolle der Mitarbeiter. Dabei werden dem einzelnen Beschäftigten einer Kommune einerseits Schwachstellen und Ansätze zur Verbesserung seiner Arbeit aufgezeigt. Andererseits bemühen sich die Politiker und Führungskräfte aber auch darum, den Mitarbeitern die Ziele der Verwaltungsprozesse deutlicher und einsichtiger zu machen. Gleichzeitig erhält der Einzelne größere Handlungsspielräume. Sein Beitrag zur Verwaltungsleistung wird transparenter gemacht. Team- und Gruppenarbeit werden intensiviert Darüber hinaus wird jeder Mitarbeiter stärker in die Durchführung von Analysen und in die Entwicklung von Konzepten einbezogen. Solche Änderungen des Führungsstils zeigen zum Teil überraschende Ergebnisse, die das Vertrauen in die Mitarbeiter rechtfertigen. Die Bereitschaft, zur Optimierung der Leistungserstellung beizutragen, wächst. Widerstände aus Motiven der Machterhaltung werden so ausgeschlossen. Die individuellen Ziele entsprechen den Organisationszielen und be- bzw. verhindern nicht weiter deren Erreichung.

In engem Zusammenhang hierzu steht die Einführung moderner Ansätze des Personalmanagements, die für den öffentlichen Sektor nach den Befragungsergebnissen von Diebold eine bemerkenswert hohe Bedeutung hat. Hierzu sind z.B.

  • eine strategisch orientierte Personalplanung und -beschaffung

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  • die Einführung einer systematischen Personalentwicklung
  • das Führen durch Vereinbarung von Leistungszielen sowie
  • die Flexibilisierung der Vergütung

zu rechnen. Diese hohe Bewertung erscheint auf den ersten Blick überraschend. Sie ist aber allgemein charakteristisch für Dienstleistungsfunktionen, die in ihrer Qualität und Effizienz immer vom Engagement und der Qualifikation der Mitarbeiter abhängen.

Bemerkenswert ist weiter, daß die Forderung nach mehr Flexibilität des Vergütungssystems vor allem in Städten und Gemeinden erhoben wird. Dies erklärt sich u.a. daraus, daß hier der Wettbewerb um Personal mit der freien Wirtschaft am größten ist. Außerdem zeigt sich in den Kommunen der Dienstleistungscharakter mit seinem breiten und tiefen Spektrum an Anforderungen und Funktionen besonders deutlich. Den Unterschieden in Verantwortung, Aufgabe und Leistung muß aber auch mit flexiblen Vergütungen Rechnung getragen werden können. Auch in den Verwaltungen ist der Grundsatz „Leistung muß sich wieder lohnen" im Interesse von Effektivität, Effizienz und Bürgernähe umzusetzen.

Im Rahmen der Verwaltungsprozeßoptimierung treten zwei Haupthindernisse auf, die implizit schon erwähnt worden sind. Das ist zum einen das Verhalten der Politiker, denen es schwer fällt, sich von Detailentscheidungen zu lösen und das Subsidiaritätsprinzip auch in der eigenen Verwaltung zuzulassen. Die Dezentralisierung von Verantwortung und Entscheidung ist jedoch ein unverzichtbarer Bestandteil des hier betrachteten Prozesses. Die Kommunalpolitiker müssen sich auf die Festlegung der strategischen Ziele beschränken, die die Verwaltung dann umzusetzen hat. Zum anderen ist die Starrheit des öffentlichen Dienstrechtes zu nennen. Ohne dessen Flexibilisierung wird eine Umstrukturierung im Sinne der Verwaltungsprozeßoptimierung sehr erschwert, weil die traditionellen Organisationen sich nicht an Ergebnissen bzw. Teilprozessen orientieren. Auf diese Weise werden Verbesserungen der Verwaltungsaktivitäten blockiert, die darauf abzielen, Ressourcen aufgabengerecht einzusetzen und die Verwaltungsleistungen zum gewünschten Zeitpunkt zu erbringen.

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4.1.5 Privatisierung in umstrukturierten Verwaltungen

Ist die Verwaltungsprozeßoptimierung abgeschlossen, kann darüber entschieden werden, welche Leistungen künftig privatwirtschaftlich erstellt werden sollen. Und zwar bewußt erst jetzt, da nun alle Möglichkeiten der Effizienzsteigerung der Verwaltung ausgenutzt sein sollten und zudem das Controlling einen sinnvollen Vergleich der Leistungen von öffentlicher Verwaltung und privaten Anbietern ermöglicht. Dabei sollte ein Rückzug aus den Leistungen erfolgen, die der Markt effizienter erbringen kann. Diese Entscheidung darf jedoch nicht pauschalisiert werden; vielmehr ist sie individuell für jede einzelne Leistung zu treffen.

Grundsätzlich ist aber zu bemerken, daß die Diskussion über Reformen im öffentlichen Sektor nicht auf den Aspekt der Privatisierung verengt werden sollte. Das verdeutlicht die Befragung von Diebold, nach der Führungskräfte und Mitarbeiter die Privatisierungsansätze als ein Instrument einstufen, das in der öffentlichen Verwaltung nur in relativ geringem Ausmaß zu einem besseren Kundendienst und einer höheren Effizienz beizutragen vermag. Dies gilt vor allem für materielle Privatisierungen, aber auch für Teilprivatisierungen, bei denen die Leistungen nach wie vor öffentlich bereitgestellt werden, zu deren Produktion sich der öffentliche Sektor jedoch privater Dritter bedient. Als Privatisierungsmodell hat die Bildung von Eigenbetrieben zwar einen etwas höheren Stellenwert als die Problemlösung in Form von Regiebetrieben und Eigengesellschaften. Insgesamt haben nach den Ermittlungen von Diebold aber alle drei Konzepte für die Befragten eine vergleichsweise niedrige Priorität, wobei Städte und Gemeinden Eigenbetriebe und Teilprivatisierungen noch am ehesten als Reformalternativen in Erwägung ziehen.

Die reservierte Haltung gegenüber Privatisierungen erscheint aus Sicht der heutigen Verwaltungen verständlich, zumal sich viele hoheitliche Aufgaben nicht für eine Delegation eignen. Hinzu kommt, daß ein staatliches Monopol weniger bedenklich erscheint als ein privatwirtschaftliches. Deshalb sollte auch darauf geachtet werden, daß bei Privatisierung die betreffende Leistung auf jeden Fall in ein Wettbewerbsfeld überführt wird.

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4.2 Neugestaltung kommunaler Betriebe und Verwaltungen nach Effizienzkriterien

4.2.1 Privatisierung versus Verwaltungsmodernisierung

Bei den Überlegungen zu einer Strukturreform in den deutschen Kommunalverwaltungen und -betrieben steht der Gedanke der Optimierung des Ressourceneinsatzes im Vordergrund. Deshalb stellen die Kriterien der wirtschaftlichen Effizienz wichtige Orientierungsgrößen bei der Entscheidung über eine Neugestaltung kommunaler Verwaltungs- und Produktionsprozesse, aber auch bei der Ausgliederung von Aufgaben oder ganzer Betriebe aus dem Aktions- und Verantwortungsbereich von Städten und Gemeinden dar.

In Gemeindeordnungen und Gemeindehaushaltsverordnungen aller Bundesländer ist eine wirtschaftliche und sparsame Führung der Hauswirtschaft vorgeschrieben. Hieraus wird in der derzeitigen Situation, die durch einen enormen Finanzbedarf und eine gleichzeitig steigende Staatsverschuldung gekennzeichnet ist, oft die Forderung abgeleitet:

"Soviel Staat wie nötig - soviel Privat wie möglich"

Schon seit längerer Zeit ist die Frage einer privaten Finanzierung öffentlicher Infrastrukturmaßnahmen und der Übernahme öffentlicher Aufgaben durch private Anbieter vor allem Gegenstand akademischer Auseinandersetzungen. Durch die anhaltenden Finanzprobleme ist nun aber Bewegung in diese Diskussion gekommen, und es kann eine Annäherung der Standpunkte beobachtet werden. Dies drückt sich u.a. in der Position der Bundesregierung aus, die jede Bemühung der Kommunen, private Partner in die öffentliche Aufgabenerfüllung einzubeziehen, unterstützt. Aber auch in entsprechenden Regelungen der Gemeindeordnungen für die neuen Länder spiegelt sich eine neue Bewertung der Privatisierungs- und Modernisierungsspielräume.

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Private Kommunalberater sehen in dieser Tendenz keinen Widerspruch zur oben skizzierten Position des Deutschen Städtetages, der bei der Privatisierung sowohl Verbote als auch Gebote ablehnt und statt dessen jeweils Einzelfallentscheidungen fordert, bei denen alle Vor- und Nachteile berücksichtigt werden. Auch der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) stuft einzelne Projekte von Public Private Partnership als für alle Beteiligten positiv ein, plädiert jedoch für eine Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand.

Für die Kommunen ist die Diskussion über Privatisierungen eng mit dem Thema der Verwaltungsmodernisierung verknüpft, denn durch neue Steuerungsmodelle soll die Verwaltung von Städten und Gemeinden zu effektiverem Wirtschaften geführt werden, wodurch gleichzeitig manche geplante Privatisierung überflüssig wird. Das Einsparungspotential durch mehr Wirtschaftlichkeit in den Verwaltungen wird nach vorliegenden Berechnungen von R. Berger auf bis zu 60 Mrd. DM geschätzt.

Oftmals müssen kommunale Dienste aus Haushaltsmitteln subventioniert werden, da sie hoch defizitär arbeiten. Gewinnorientierte private Betreiber erzielen aufgrund ihrer höheren Effizienz in vielen Fällen günstigere Resultate. In den unterschiedlichsten Bereichen konnten sie Einsparungen zwischen 20 und 50% realisieren.

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Unterdeckung kommunaler Dienste

(in %)

Einsparpotential (in %)

Kostensenkung nach Privatisierung

Müllabfuhr

-7 .

Krankenhauswäscherei

bis zu 40

Abwasserbeseitigung

Schlachthöfe

-14

-29

Reinigung von Straßenschildern für Straßenbauämter

über 40

Krankenhäuser

-30



Friedhöfe

-39

Krankenhaus- und


Straßenreinigung

-45

Gebäudereinigung

bis zu 40

Musikschulen

-63

Schwimm- und Freizeitbad

bis zu 20

Volkshochschulen

-68

Kläranlage

ca. 20

Bäder

-78

Omnibusbetriebe

50

Kindergärten

-86

Bauhöfe

20

Theater

-88

Druckereien

30

Museen

-91

Kfz-Werkstätten

50

Büchereien

-97



Quelle: ASU 1991


Roland Berger & Partner


Nach Einschätzung eines Bankenvertreters dürften bis zu 80% der Dienste von Kommunen grundsätzlich privatisierbar sein. Der Spielraum solcher Leistungen reicht von der Abfallbeseitigung bis zu den Friedhöfen. Ebenfalls zur Disposition stehen die Energie- und Wasserversorgung, Krankenhäuser, Kindergärten, Märkte, Kantinen, Schlachthöfe, Messebetriebe, die Abwasserentsorgung, Grünanlagenunterhaltung, Tierparks, Schwimmbäder und Bauhöfe. Dabei entwickeln sich die fünf letztgenannten Bereiche in jüngster Zeit zunehmend zu Privatisierungsfavoriten.

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4.2.2 Elemente einer Neuordnung der öffentlichen Verwaltung

Bei der Suche nach Lösungsansätzen für die Finanzprobleme der Städte und Gemeinden kommt neben der Ausschöpfung von Privatisierungspotentialen insbesondere der Modernisierung der kommunalen Verwaltungen und Betriebe eine wichtige Bedeutung zu. Bereits im Haushaltsgrundsätzegesetz ist mit der Forderung nach einer wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung (HGrG §6, Abschn. l) der Grundstein für derartige Reformbestrebungen gelegt. Hieraus läßt sich unmittelbar der Anspruch einer effizienteren öffentlichen Leistungserstellung ableiten. Dessen Umsetzung erfordert zunächst eine verursachungsgerechte Bestimmung der Kosten sowie die Motivation der Mitarbeiter zu kostenorientiertem Handeln. Die Verantwortung für Ressourcenverbrauch und Leistungserstellung müssen zusammengelegt werden. Weiter sind dem einzelnen Mitarbeiter mehr Entscheidungsbefugnisse einzuräumen. Dies hat schnellere Entscheidungen und eine Abflachung der Hierarchien zur Konsequenz. Die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für eine leistungsgerechte Entlohnung würde zu einer höheren Motivation der Mitarbeiter beitragen.

Bei den nicht zu privatisierenden Leistungen gibt es in der Regel keinen direkten Wettbewerb. In diesen Bereichen müssen Betriebsvergleiche zeigen, wo zu kostenintensiv produziert wird. Zusätzlich zur Minimierung der Kosten und der Beschleunigung von Prozessen ist auf ein wirksames Qualitätsmanagement zu achten, das gewährleistet, daß die kommunalen Leistungen auch entsprechend den Präferenzen der Bürger bereitgestellt werden.

Viele deutsche Gemeinden haben bereits begonnen, ihre Strukturen effizienter zu gestalten. Oftmals diente dabei das Konzept der modernen niederländischen Industriestadt Tilburg (Größe: rund 160.000 Einwohner) als Referenz. Das Tilburger Modell orientiert sein Steuerungssystem für Kommunalverwaltungen an Grundsätzen der Unternehmensführung aus der Wirtschaft. Dabei liegen die Lenkungsfunktionen wie bei industriellen Großbetrieben bei der Konzernspitze. Gleichzeitig werden den einzelnen Bereichen der ausführenden Verwaltung aber weitreichende eigene

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Kompetenzen eingeräumt. Hierzu gehört insbesondere die Übertragung von Verantwortung für Ressourcen wie Personal, Sachmittel und Finanzen. Die „Konzernspitze" gibt den einzelnen Abteilungen ihre Ziele vor, die diese dann in dezentraler Verantwortung zu realisieren haben. Wichtige Grundsteine für ein Funktionieren dieses Systems sind Kostenbewußtsein und betriebswirtschaftliche Kenntnisse sowie ein angepaßtes Controlling und Berichtswesen. Durch die weitgehende Konzentration der politischen Führung auf strategische Entscheidungen wird eine klare Aufgabentrennung zwischen Politik und Verwaltung gewährleistet.

Unverzichtbare Grundlage für die Lösung der großen Probleme, denen die Kommunen sich derzeit gegenübersehen, sind systematische und langfristige Planungskonzepte, die auf die Umsetzung neuer Denkansätze abzielen. Zentral müssen einheitliche kommunale Entwicklungslinien aufgestellt werden, auf die dann eine Vielzahl von anstehenden Investitionserfordernissen abzustimmen ist. Schon bei der Strategieentwicklung können interne Finanzierungspotentiale aufgedeckt werden, die dann bei der Strategieumsetzung zu realisieren sind. Zusätzlich kann bereits im Planungsstadium der sich ergebende externe Finanzierungsbedarf festgestellt werden.

Bevor jedoch strategische Ziele festgelegt werden können, muß eine gründliche Analyse der Situation der einzelnen Gemeinde erfolgen. Im Anschluß daran können unter Berücksichtigung der Standortbedingungen und vorhandener Standortpotentiale Ziele und Leitbilder entwickelt werden. Hierbei ist auch über den Katalog der Produkte und Dienstleistungen im Angebot der Kommune zu entscheiden. Nach der Festlegung der Strategie müssen adäquate Organisations- und Controllinginstrumente entwickelt werden. Notwendig sind auch Schulungsmaßnahmen, die darauf abzielen, die Einstellung und Verhaltensweise von Führungskräften und Mitarbeitern auf die Neuorganisation der öffentlichen Verwaltung abzustimmen. Dabei müssen sieh die Akteure ihrer Doppelfunktion als Anbieter öffentlicher Leistungen und als Steuerzahler bewußt werden.

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Die Umgestaltung der kommunalen Planungs-, Entscheidungs- und Strukturierungs-prozesse läuft auf drei interdependenten Ebenen ab:

  • auf der politischen Ebene
  • auf der Management-Ebene und
  • auf der Ebene der Leistungserstellung

Auf jeder dieser Ebenen ist bei der Zielfindung, bei der Strategiebildung und bei der Organisationsentwicklung eine Reihe von externen und internen Rahmenbedingungen zu beachten. Auf der politischen Ebene sind dabei u.a. folgende Fragen zu beantworten:


Ziele:

Welche (freiwilligen) Aufgaben will die


Kommune in welchem Umfang wahr-


nehmen?



Strategie:

Mit welchen Institutionen sollten diese


Ziele erreicht werden? (Klärung von


Rechtsform, Beteiligungen, Privatisierun-


gen)



Organisation:

Wie soll gesteuert werden? (z.B.: Ist eine


Stadtwerke-Holding sinnvoll? Wie muß sie


strukturiert werden? Welche Controlling-


instrumente sind notwendig?)

Auf dieser Ebene sind auch Entscheidungen darüber zu fällen, wie eine effiziente und bürgernahe Verwaltung aussehen soll. Bei der Restrukturierung in diesem Bereich ist zu beachten, daß sich der spezifische Wertschöpfungsprozeß öffentlicher Organisationen nach anderen Kriterien als in der Privatwirtschaft vollzieht.

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Mit ähnlichen Problemstellungen ist das Management - z.B. einer Stadtwerke-Holding- konfrontiert:


Ziele:

Welche Ziele haben die Stadtwerke?


Welchen Stellenwert haben die


einzelnen Ziele?



Strategie:

Wie ist das Erreichen der Ziele zu ge-


währleisten? Wie ist der Geschäftsplan


zu gestalten?



Organisation:

Welches Controlling-Instrumentarium


wird benötigt? Welche Voraussetzungen


müssen z.B. im EDV-Bereich erfüllt


sein? Welche Anforderungen sollte das


Personal erfüllen?

Zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Verbesserung der Kunden- bzw. Bürgerorientierung sind auf der Ebene der Leistungserstellung beispielsweise spezielle, auf die Bedürfnisse der kommunalen Betriebe und Verwaltungen zugeschnittene Investitionsrechnungen erforderlich. So weisen Investitionen im Versorgungsbereich eine hohe Anlagenintensität auf mit der Konsequenz eines großen, nur schwer zu beeinflussenden Fixkostenblocks. Gleichzeitig ist vielerorts die Schmerzgrenze für die Belastung der Bürger mit Gebühren und Abgaben bereits erreicht. Da kommunale Versorgungsunternehmen jedoch zunehmend unter Wettbewerbsdruck von Pri-vatunternehmen geraten, müssen ihre betriebswirtschaftlichen Instrumente (wie die mittelfristige Unternehmensplanung und das Controlling-System) so modifiziert werden, daß sie ihre Leistungen - anders als kundenorientierte Unternehmen der Privatwirtschaft - als bürgerorientierte Dienstleistungsunternehmen erfüllen können.

Voraussetzung für systematische Effizienzsteigerungen in kommunalen Versorgungs- und Verkehrsbetrieben ist zunächst eine gründliche Unternehmensanalyse, auf deren Basis dann ein Unternehmenskonzept entwickelt werden kann. Dieses Konzept sollte Synergieeffekte im technischen Bereich und auch in der Verwaltung des Betriebes

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aufdecken und ausnutzen. Aus der Untersuchung der innerbetrieblichen Abläufe und Informationsflüsse können Handlungsempfehlungen und Maßnahmenpläne für effizientere Strukturen abgeleitet werden. Auf der Grundlage einer Analyse der Geschäftsentwicklung (Umsatz, Kosten, Ergebnis, Cash-flow) und der Marktbedingungen werden Wirtschaftlichkeitsberechnungen für zukünftige Investitionen sowie "make or buy"-Entscheidungen möglich. Unverzichtbar ist natürlich auch die konsequente Umsetzung der Konzepte. Nur dann kommt es zu einer Optimierung der Stadtwerke durch eine effiziente Steuerung der öffentlichen Versorgungs- und Verkehrsbetriebe, durch die zugleich die Finanzkraft der Kommune erheblich gestärkt werden kann.

Zusammenfassend stellt der Vertreter einer Großbank fest, daß - entsprechend dem Grundsatz einer wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung von Kommunen - über die Form der Organisation kommunaler Aufgaben primär nach Effizienzkriterien entschieden werden sollte. Ist eine Privatisierung ökonomischer als die kommunale Lösung, dann und nur dann ist sie zu realisieren. Darüber hinaus sind die Kommunalverwaltungen einschließlich der Eigenbetriebe effizienter zu gestalten. Hierbei sollten Grundsätze der Unternehmensführung von der Privatwirtschaft auf die öffentliche Wirtschaft übertragen werden. Vorgeschlagen wird die Nutzung von betriebswirtschaftlichen Steuerungsmodellen aus dem industriellen Bereich, bei denen Controlling-Konzepte eine wichtige Rolle spielen.

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4.3 Kommunale Ressorts als Profitcenter - Das Beispiel Passau

4.3.1 Leitbild für ein kommunales Dienstleistungsunternehmen

Im Jahr 1992 wurde in Passau mit der Ausarbeitung eines neuen Leitbildes für die Stadtentwicklung begonnen, das zugleich als Ausgangspunkt für positive Veränderungen in Politik und Verwaltung fungieren soll. Insbesondere zielt das Leitbild darauf ab,

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die Verwaltung zu einem bürgerorientierten Dienstleistungsunternehmen umzugestalten. Alle Aktivitäten der Stadt sollen auf die Bedürfnisse der Partner der Verwaltung, also der Bürger, der Wirtschaft, der Besucher und anderer Gruppen ausgerichtet werden. Dabei bestand die Bereitschaft, neue Wege einzuschlagen, um das Angebot attraktiver und benutzerfreundlicher zu gestalten, die Abläufe zu beschleunigen und die Leistungsfähigkeit zu verbessern.

Unter dem Motto „Passau - das sind wir alle" wurden die drei Partner des städtischen Lebens - Bürger, Stadtrat und Verwaltung - aufgerufen, miteinander Lösungskonzepte für das Unternehmen Stadt Passau zu erarbeiten. Es wurde eine Reihe von Workshops durchgeführt, an denen sich mehr als 300 Vertreter aus der Politik, aus Interessenverbänden und aus der Verwaltung beteiligten. Insgesamt konnten über 10.000 Einzelmeinungen, Ideen, Anregungen und Vorschläge zur Umgestaltung der kommunalen Verwaltungsprozesse gesammelt werden.

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4.3.2 Neues Steuerungsmodell für die Verwaltung

Für die Umsetzung des Leitbildes wurde ein neues Steuerungsmodell für die Kommunalverwaltung gesucht. Nach dem Vorbild des in Kapitel 4.2.2 skizzierten Tilburger Modells entschloß man sich, die Behördenstruktur in eine Dienstleistungsstruktur umzuwandeln. Hierzu wurden interhierarchisch und interdisziplinär besetzte Projektgruppen gebildet. Deren Aufgaben bestanden

  • in der Auswertung der Ergebnisse der Leitbilddiskussion,
  • in der Definition von Aktionsfeldern,
  • in der Festlegung von Prioritäten und
  • in der Bearbeitung und Lösung konkreter Problemfälle.

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Das Besondere am Passauer Modell ist in dem ganzheitlichen Ansatz für die Entwicklung und Umsetzung des Leitbildes für ein bürgerorientiertes kommunales Dienstleistungsunternehmen zu sehen. Dieser Ansatz war entscheidend für die hohe Akzeptanz des Modells innerhalb der Stadtverwaltung und die starke Motivation aller am Veränderungsprozeß beteiligten städtischen Mitarbeiter. Nach Angaben der Stadt waren finanzielle Aspekte zwar einerseits nicht das auslösende Moment für die kommunale Umstrukturierung, andererseits stellen die aus dem Modell resultierenden Einsparungen aber eine unverzichtbare Voraussetzung für die Neugestaltung der Verwaltungsorganisation und -abläufe dar.

Das neue Steuerungsmodell für die Verwaltung der Stadt Passau hat folgende fünf Schwerpunkte:

  • Dienststellen werden zu Unternehmen (ähnl. Profit-Center)
  • Übertragung der Verantwortung für den Einsatz von Personal, Sachmitteln und Finanzen auf die einzelnen Unternehmen (dezentrale Ressourcenverantwortung)
  • Aufbau eines betrieblichen Rechnungswesens und Einführung der kaufmännischen Buchführung
  • Steuerung durch Zielvereinbarung
  • Aufbau eines Controllingsystems mit Berichtswesen

Insbesondere werden die Unternehmen also für alle ihre Erlöse und Kosten selbst verantwortlich. Im kameralistischen Sprachgebrauch bedeutet dies: Die Unternehmen sind Anordnungsdienststelle für alle eigenen Ausgaben und Einnahmen. Alle Ausgabenansätze sind gegenseitig deckungsfähig und Mehreinnahmen können für Mehrausgaben verwendet werden.

Die Umsetzung dieses Steuerungsmodells wurde 1994 in Angriff genommen. In diesem Jahr begann man mit dem Aufbau einer Kosten- und Leistungsrechnung, des Controllingsystems und des Berichtswesens. Darüber hinaus wurde in ausgewählten Dienststellen die Umwandlung zu Unternehmen getestet. Hierbei handelte es sich um die Bereiche:

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• Brandschutz

100.000 DM

• Museum

130.000 DM

• Musikschule

60.000 DM

• Stadtbibliothek

55.000 DM

• Vermessung

22.000 DM

• Stadttheater

105.000 DM

• Sport und Freizeit

85.000 DM

• Stadtgärtnerei

100.000 DM

• Bauhof

375.000 DM

• Bestattungswesen

70.000 DM


1.102.000DM

Hiervon arbeiten die fünf erstgenannten Sektoren ab 1994 und der Rest ab 1995 mit kaufmännischer Buchführung. Und bei den genannten Beträgen handelt es sich um prognostizierte Reduzierungen des Verlustes bzw. Verbesserungen des Ergebnisses durch die Umstellung auf das neue Steuerungsmodell. Wichtig ist, daß die über die Finanzzielsetzung hinaus erwirtschafteten Beträge in den Unternehmen verbleiben. Sie werden auf das nächste Haushaltsjahr übertragen und können für attraktivitätssteigernde Maßnahmen verwendet werden.

Für 1995 ist eine Ausweitung des Modellversuchs auf 11 weitere Dienststellen/Abteilungen vorgesehen:


Archiv

Beschaffungswesen Druckerei

EDV-Anlagen

Hochbau

Rechtsamt

Liegenschaftsamt

Schulamt

Kulturamt

Umweltschutz Veranstaltungshalle

Darüber hinaus sind Umstrukturierungen der Stadtverwaltung geplant, bei denen die Stadt Passau nach innen und außen als Unternehmen aktiv wird (z.B. in den Bereichen Controlling und Öffentlichkeitsarbeit). Querschnittsämter werden zu Servicestellen umgewandelt. Im folgenden Jahr sollen dann die restlichen Dienststellen/Abteilungen

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in Unternehmen mit kaufmännischer Buchführung umstrukturiert werden. Und für 1997 sehen die Planungen die Optimierung von Verfahren (u.a. kaufmännische Buchführung) und die Zusammenführung aller Erfolgsrechnungen vor.

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4.3.3 Neue Aufgaben für Politik und Verwaltung

Aus der Umsetzung des Steuerungsmodells ergeben sich für den Stadtrat und die Verwaltung neue Aufgaben, die in der folgenden Übersicht zusammengestellt sind. Es kommt zu erheblichen Veränderungen in der Organisationsstruktur und auf nahezu allen Arbeitsplätzen, die bei den Akteuren Anpassungen im Denken und Handeln voraussetzen. Die Übertragung und Übernahme weitreichender Verantwortung wirkt sich günstig auf die Motivation der Mitarbeiter aus. Die Leitung der einzelnen umfunktionierten Dienststellen orientiert sich zunehmend an unternehmerischen Gesichtspunkten, wobei Kosten- und Leistungsaspekte verstärkt Beachtung finden; dabei erweist sich insbesondere die Einführung von Kostenrechnungen als unverzichtbar. Weitere Erfolge sollen aus der kritischen Auseinandersetzung der neuen Unternehmensbereiche mit den einzelnen Aufgaben resultieren.

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Neue Aufgaben für Stadtrat und Verwaltung








Verwaltung


Stadtrat



Leistungsbeschreibung


Unternehmensphilosophie



Leistungsberichte


Festlegung der Rahmenbedingungen



betriebswirtschaftliche Auswertungen


Festlegung von Zielen



Erfüllung der Leistungsaufträge


Erteilen von Leistungsaufträgen





Kontrolle und Anpassung der





Leistungsaufträge







Die Umsetzung des Leitbildes soll in Passau dazu führen, daß die Verwaltung und ihre vielfältigen Dienstleistungseinrichtungen wirtschaftlicher und effizienter arbeiten. Hierbei erfolgt eine Konzentration auf das Notwendige und Wesentliche, also auf Leistungen, die entweder nur die Stadt anbieten kann, oder die sie besser als private Unternehmen, Organisationen oder die Bürger erbringt.

Es ist weiter beabsichtigt, sich überall dem Wettbewerb zu stellen, wo dies möglich ist. Die einzelnen Unternehmen werden dann frei entscheiden können, ob sie z.B. die Leistungen des Bauhofes, des Hochbauamtes, des Rechtsamtes, der Druckerei oder der Stadtgärtnerei in Anspruch nehmen. Gibt es private Angebote mit besseren Bedingungen, dann sollen diese zum Zuge kommen. Diese Regelungen werden erst nach einer gewissen Schonfrist voll greifen, die als Übergangszeit und zur sozialverträglichen Abwicklung der personellen Konsequenzen benötigt wird. In diesem Zusammenhang erweist sich der Einstellungsstopp als hilfreich, der vor drei Jahren verfügt wurde. Ergänzend beschloß der Stadtrat einen Stellenabbauplan, und 1994 wurde eine Vorruhestandsregelung eingeführt.

[Seite der Druckausgabe: 62]

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4.3.4 Auswirkungen in Modellbereichen

Die Stadtverwaltung geht davon aus, daß sich ihre Unternehmen im wesentlichen im Wettbewerb behaupten können. Dies gilt z.B. für große Teilbereiche von Stadtgärtnerei und Bauhof. Allerdings hat die Gärtnerei ihr bisheriges Angebot „Blumenschmuck" bereits eingestellt, da sie hier nicht konkurrenzfähig mit Privatunternehmen war und deshalb von den neuen kommunalen Unternehmen nicht mehr in Anspruch genommen wurde. Beim Bauhof wird damit gerechnet, daß es für die Schreinerei und die Kfz-Werkstätte schwer wird, im Wettbewerb zu überleben.

Eine Sonderregelung wurde für das Hochbauamt getroffen. Bei Bauleistungen über 20.000 DM ist für die Unternehmen derzeit die Inanspruchnahme von Leistungen des Amtes obligatorisch. Im Jahr 1995 wird diese Grenze auf 50.000 DM und 1996 auf 300.000 DM angehoben. Unterhalb der jeweiligen Schwelle wird das Hochbauamt mit der Erbringung von Leistungen nur beauftragt, wenn es wettbewerbsfähig ist.

Auch in der Musikschule hat sich einiges verändert. Während deren künstlerischer Leiter bisher lediglich Mittel angefordert hat, konzentriert er jetzt sein Leistungsangebot. Er kalkuliert die Kosten je Unterrichtsstunde und ergreift selbst die Initiative zu Gebührenanhebungen. Er spart Raumkapazitäten, da sich hierdurch seine Mietkosten reduzieren. Außerdem wird jetzt aus Kostengründen nur noch eine halbe Reinigungskraft eingesetzt.

Die Dienststelle „Vermessung" erbringt ihre Leistungen jetzt nur noch gegen Rechnung mit der Konsequenz, daß die Menge der Lichtpausen von 6.000 qm auf 2.000 qm zurückgegangen ist. Zudem nimmt dieses Unternehmen über eine neu geschaffene Preisliste beachtliche Beträge ein, mit denen ein im Aufbau befindliches Informationssystem intern finanziert werden kann.

Auch in der Bibliothek und im Museum hat ein Wandel stattgefunden. Entgelte zu verlangen oder zu erhöhen, ist nicht mehr abwegig, und Sponsoren zu gewinnen interessant.

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Insgesamt zeigt sich, daß in den Mitarbeitern ein enormes unternehmerisches Potential steckt, das durch Schulungen in wirtschaftlicher Betriebsführung und Führungsverhalten aktiviert werden kann. Nach dem Wegfall der bislang üblichen Bevormundung - z.B. durch andere Ämter - konnte dieses Potential zum Zuge kommen. Die Erfolge der neuen Unternehmen sind unübersehbar. Die Finanzzielsetzungen haben sie nicht nur eingehalten, sondern deutlich übertroffen.

Die internen Erfolge des Unternehmens „Stadt Passau" sind angesichts der kommunalen Finanzkrise zwar erfreulich. Allein reichen sie aber nicht für eine günstige Bewertung des neuen Steuerungssystems aus. Da die Umstrukturierungen nicht zuletzt auf die Schaffung eines kundenorientierten Dienstleistungsunternehmens abzielen, müssen die kommunalen Angebote den quantitativen und qualitativen Anforderungen von Bürgern und Wirtschaft genügen. Um festzustellen, ob dies gewährleistet ist, werden regelmäßig Befragungen über die Zufriedenheit der Kunden mit den kommunalen Leistungen durchgeführt. Die Ergebnisse werden dann anschließend für Verbesserungen in der kommunalen Unternehmensstruktur genutzt.

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4.3.5 Geplante Modellergänzungen

Für die Bereiche, in denen kein Wettbewerb besteht, oder die keinem Wettbewerb ausgesetzt werden können - wie z.B. Einwohnermeldewesen, Kfz-Zulassung und Ausländerbehörde -, sollen Ansätze für eine effizientere Arbeitsweise über einen kommunalen Leistungsvergleich gewonnen werden. Hier bestehen bereits Kontakte zu anderen interessierten Städten gleicher Größenordnung.

Bisher reichten die neue Verantwortung, das neue Wir-Gefühl in den Unternehmen und die Zusage, erwirtschaftete Beträge in bestimmtem Grenzen für eigene Zwecke verwenden zu dürfen, in Passau aus, um Dienststellen und Mitarbeiter für die Umsetzung des Leitbildes und die Nutzung des neuen Steuerungsmodells zu gewinnen.

[Seite der Druckausgabe: 64]

Künftig sollen persönliche Anreize ergänzend hinzukommen. Dementsprechend ist geplant, in Zukunft die Mitarbeiter - wie z.B. in Kantonen der Schweiz - leistungsorientiert zu entlohnen. Hierfür wird zur Zeit ein Konzept erarbeitet.


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