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[Seite der Druckausgabe: 48 / Fortsetzung]

8. Der Finanzmarkt Deutschland

Der Finanzmarkt Deutschland ist in keinem guten Zustand. Die deutsche Börse spielt international nur eine untergeordnete Rolle; zu wenig für eine der führenden Volkswirtschaften der Welt. Die Diskrepanz zwischen der wirtschaftlichen Bedeutung Deutschlands und seiner internationalen Position als Finanzplatz wird deutlich, wenn man diese mit der Bedeutung beispielsweise der britischen Volkswirtschaft und des Finanzplatzes London vergleicht. In Deutschland gibt es gerade

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mal rund 500 börsennotierte Unternehmen, während in Großbritannien die Aktien von 5.000 Gesellschaften an der Börse gehandelt werden. Dieses Defizit des deutschen Aktienmarktes wird noch deutlicher, wenn man den Grad des an der Börse gehandelten Kapitals ins Verhältnis zum Bruttosozialprodukt setzt. Dann ergibt sich für Deutschland per ultimo 1993 eine Kennzahl von 0,24; d.h. die Börsenkapitalisierung beträgt 24 Prozent des Bruttosozialproduktes. Mit dieser Kennzahl liegt Deutschland nach Einschätzung eines Wissenschaftlers und Aktionärsvertreters außerhalb des Bereichs, in dem sich die Länder des "zivilisierten Teils der Welt" bewegen. Denn für Großbritannien, die Schweiz, die USA oder Japan ergeben sich Werte, die mindestens dreimal, teilweise fast fünfmal so hoch sind. In diesem Zustand ist der deutsche Kapitalmarkt ungeeignet, um Risikokapital für die deutsche Wirtschaft zu mobilisieren.

So eindeutig diese Analyse ist, so unklar ist, welche Maßnahmen geeignet sind, um den Zustand des Finanzmarktes Deutschland zu verbessern. Ein Vertreter eines Bankenverbandes warnt davor, unreflektiert angelsächsische Modelle und Vorstellungen auf den deutschen Aktienmarkt zu übertragen. Schließlich müsse man die unterschiedlichen historischen Bedingungen berücksichtigen, die die Entwicklung der Aktienmärkte maßgeblich beeinflußt haben. So sei der Prozeß der Industrialisierung in Deutschland grundlegend anders abgelaufen als beispielsweise in England. Und in Deutschland habe es seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts die umfangreiche "Bismarcksche Sozialversicherung" gegeben. Dadurch wurde das Entstehen großer Pensionsfonds verhindert, die dagegen in den angelsächsischen Ländern die Entwicklung der Aktienmärkte ganz entscheidend mitgeprägt haben. Neben solchen historischen Determinanten müsse aber auch die unterschiedliche Mentalität der Anleger berücksichtigt werden. So habe der deutsche Anleger eben eine grundlegend andere Einstellung zur Aktie als der britische oder der US-amerikanische Anleger. In Deutschland sei das Sicherheitsbedürfnis wesentlich ausgeprägter; die Funktion des Risikopapiers Aktie werde oftmals nicht angemessen eingeschätzt. Und wie schwer es sei, in Deutschland ein neues Denken anzustoßen, habe gerade die heftige öffentliche Reaktion auf die jüngsten Äußerungen der Bundesbank zu den Problemen der sozialen Alterssicherung gezeigt. Schon die Aussage der Bundesbank, daß der Staat diese Alterssicherung alleine nicht mehr zu schultern vermag, und daß deshalb verstärkt auf die private Vorsorge gesetzt werden müsse, habe eine regelrechte öffentliche Entrüstung nach sich gezogen. Dabei hätte die Intensivierung der privaten Kapitalbildung und die Schaffung pensionskassenähnlicher Einrichtungen eine wichtige Bedeutung für die Stärkung des deutschen Aktienmarktes.

Um die Rahmenbedingungen für die private Kapitalbildung zu verbessern und somit die Nachfrage nach Aktien zu steigern, müßten nach Einschätzung eines Wissenschaftlers zunächst die steuerlichen Rahmenbedingungen grundlegend modifiziert werden. In Deutschland sind Zinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen einkommenssteuerpflichtig. Ausgenommen sind davon jedoch Zinsen aus Kapitallebensversicherungen gegen laufende Beitragsleistung mit Sparanteil, wenn der

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Vertrag für die Dauer von mindestens zwölf Jahren abgeschlossen worden ist. Von dieser steuerlichen Privilegierung von Kapitallebensversicherungen gehe zwar der volkswirtschaftlich erwünschte Anreiz zum Sparen aus, der jedoch einseitig zu einer Privilegierung der Versicherungskonzerne führe. Dies sei um so problematischer, als Untersuchungen bestätigt haben, daß die Versicherungskonzerne das Geld ihrer Kunden vergleichsweise schlecht verwalten. Es sei daher vernünftig, die steuerliche Begünstigung auch auf andere Sparformen auszudehnen. So könnte beispielsweise unter Beibehaltung der zwölfjährigen Bindungsfrist jedem Sparer die Möglichkeit zur Führung eines persönlichen "qualifizierten Kontos" eingeräumt werden, auf dem der Sparer unter den bisher nur für Kapitallebensversicherungen geltenden Pflichten und Vorteilen frei über die von ihm präferierte Anlageform entscheiden kann. Ein Wechsel zwischen der Anlageform von Festgeldern auf Aktien oder Schuldverschreibungen solle dabei jederzeit möglich sein. Nur die Entnahme von eingezahlten Beträgen sei im Rahmen der für die steuerliche Begünstigung einzuhaltenden Zwölf-Jahres-Frist ausgeschlossen. Von der Einrührung eines solchen "qualifizierten Kontos" könne mittelfristig eine Neuorientierung des Anlageverhaltens der Sparer ausgehen, weg von der nur mäßig lukrativen Kapitallebensversicherung hin zu attraktiveren Anlageformen wie etwa Aktien. Zudem würde eine solche qualitative Verbesserung der Möglichkeiten für einen privaten Vermögensaufbau den Anreiz verringern, sein Kapital unter Umgehung der deutschen Steuer ertragreich im Ausland anzulegen. Eine solche Gesetzesänderung hätte zugleich einen wichtigen Effekt für die Konzentrationsprozesse in der deutschen Wirtschaft. Denn schließlich hat der durch die steuerliche Privilegierung der Kapitallebensversicherung erzeugte Kapitalzufluß die Versicherungskonzerne zu dem gigantischen Wachstum geführt, das sie zu den finanzstärksten Gesellschaften in Deutschland werden ließ.

Veränderungen im Steuerrecht alleine können nach Einschätzung eines SPD-Politikers nicht ausreichen, um die Schwäche des deutschen Finanzmarktes zu beheben. Denn dieser leide unter strukturellen, ordnungspolitischen Defiziten, die deutsche Anleger ebenso wie kapitalstarke Investoren aus dem Ausland davor abschrecke, in den deutschen Kapitalmarkt zu investieren. Im Augenblick entspräche der deutsche Finanzmarkt in zentralen Bereichen wie Transparenz und Anle gerschutz nicht dem Standard, der in anderen Ländern üblich ist. Ein Vertreter einer Auslandsbank bestätigt diese Einschätzung. Ein bemerkenswertes Beispiel für die in Deutschland unterentwickelte Börsenordnung sei die Tatsache, daß es in Deutschland keine verbindliche Regelung für die Entschädigung von Minderheitsaktionären bei Unternehmensübernahmen gibt, während derartige rechtlich verbindliche Regelungen in nahezu allen anderen Finanzmärkten zum Standard gehören. Und dies, obwohl es auch in Deutschland immer wieder Fälle gibt, in denen Minderheitsaktionäre bei der Übernahme der kontrollierenden Mehrheit der Stimmrechte einer Aktiengesellschaft mit teilweise erheblichen finanziellen Einbußen konfrontiert werden. In jeder angelsächsischen Börse, aber auch in Frankreich und vielen anderen Finanzmärkten, sei es dagegen eine völlige Selbstverständlichkeit, daß Minderheitsaktionäre in dem Moment, wenn ein

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Mehrheitsaktionär durch Ankauf ein Aktienpaket von mindestens 30 Prozent zusammengetragen hat, von diesem ein Angebot für ihre Aktien erhalten, das nicht schlechter ist, als der höchste Preis, der bei dem Zusammenkauf dieses Paketes gegolten hat. Die Sicherstellung einer fairen Gleichbehandlung aller Aktionäre sei ein wichtiger Beitrag, um die deutschen Börsen gerade auch für mittelständische Unternehmen zugänglicher zu machen und sie zu einer effektiven Kapitalsammelstelle werden zu lassen.

Ein anderes erhebliches Defizit des deutschen Finanzmarktes wurde nach Einschätzung eines Vertreters der Verbandes der Auslandsbanken durch die Verabschiedung des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes im Jahre 1994 beseitigt. Im Gegensatz zu anderen Ländern gab es Deutschland bis dahin keine verbindliche Insiderregelung. Banken haben aufgrund ihrer vielfältigen Geschäftsbeziehungen automatisch Zugang zu vertraulichen Informationen der Kunden, was die Gefahr birgt, daß diese Informationen von der Bank oder von deren Angestellten für Eigen- oder Fremdgeschäfte mißbraucht werden. Diese Gefahr der mißbräuchlichen Nutzung von Insiderwissen wurde in Deutschland im vergangenen Jahr durch die im Rahmen des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes enthaltenen Insiderregeln eingedämmt. Eine neu geschaffene Wertpapieraufsichtsbehörde hat nun die Aufgabe, Insidergeschäfte zu verfolgen. Damit holte die Bundesregierung nach, was in angelsächsischen Ländern seit vielen Jahren üblich ist. Dort gibt es seit langem gesetzliche Insiderregelungen mit klaren Vorgaben für die Be handlung vertraulicher Informationen und potentieller Insiderinformationen innerhalb der Banken, deren Einhaltung kontinuierlich überprüft wird. Aus Sicht eines Vertreters des Verbandes der Auslandsbanken ist es sehr erstaunlich, daß das Bewußtsein für diese Problematik in Deutschland lange Zeit unterentwickelt war; schließlich habe es auch in Deutschland spektakuläre Fälle von Insiderhandel gegeben. In ausländischen Banken darf üblicherweise kein Mitarbeiter ein Aktiengeschäft für sich abschließen, ohne daß diese Transaktion zuvor von einer internen Kontrollinstanz ausdrücklich genehmigt wurde. Die geplante Transaktion wird dabei gegen interne Listen abgeglichen, in denen alle vertrauliche Informationen vermerkt sind, die der Bank im Rahmen ihrer Kundenbeziehungen zugegangen sind. Auf diese Weise entsteht eine effiziente Kontrolle gegen den Mißbrauch Insiderwissens durch Bankmitarbeiter. Derartige Strukturen seien für Deutschlands Universalbanken noch ungewohnt; in der Folge der neuen gesetzlichen Vorgaben werden sie sich aber auch in Deutschland etablieren und damit die Gefahr von Insiderhandel reduzieren.

Auch im Bereich der in Deutschland zulässigen Finanzprodukte war der Finanzmarkt Deutschland bis vor wenigen Jahren deutlich hinter internationalem Standard zurückgeblieben. Moderne Finanzprodukte wie Geldmarktfonds, die verbriefte, kurzfristige Finanzierung durch commercial papers, aber auch der komplette derivative Bereich wurden in Deutschland bis vor kurzem nicht gehandelt, obwohl sie in anderen Finanzmärkten wie den USA, Großbritannien oder Frankreich längst etabliert waren. Hierfür waren aus Sicht eines Vertreters des Verban-

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des der Auslandsbanken sowohl bestehende Gesetze, als auch der massive Widerstand der Bundesbank und der deutschen Banken verantwortlich. Der Hintergrund für diese ablehnende Haltung lag darin, daß Deutschlands Banken im Hinblick auf Finanzinnovationen in einem weitgehend abgeschirmten Raum wirtschafteten. Diese Abschirmung war natürlich im Sinne der deutschen Banken, die mit ihren traditionellen Produkten, dem berühmt-berüchtigten Sparbuch oder den Guthaben auf laufenden Konten, sehr gut verdienen konnten. Dieses Festhalten an besonders lukrativen Produkten sei natürlich für die Banken, die zuallererst Wirtschaftsunternehmen sind, denen es um gute Gewinne gehen muß, eine legitime Einstellung gewesen, die jedoch für den deutschen Markt als Ganzes eher nachteilig war. So wurde beispielsweise die Einführung von Geldmarktfonds von den deutschen Banken bis zuletzt mit dem Argument der Bundesbank blockiert, daß die Geldmengenkontrolle durch die Einführung von Geldmarktfonds einge schränkt würde. Interessanter Beleg für die Flexibilität und Leistungsfähigkeit der deutschen Banken sei jedoch, daß sich die Commerzbank dann nach Einführung der Geldmarktfonds in kürzester Zeit durch aggressive Werbung eine dominierende Stellung in diesem neuen Marktsegment erarbeitet habe, obwohl in den Monaten zuvor der Verband der Auslandsbanken der einzige Bankenverband in Deutschland gewesen war, der sich für die Einführung von Geldmarktfonds eingesetzt hatte.

Die Abschottung des deutschen Marktes vor Produktinnovationen und die darauf beruhende Vorzugsposition deutscher Banken gegenüber ihren Kunden und ausländischen Wettbewerbern sei mit den Gesetzesänderungen der letzten Jahre weitgehend aufgehoben worden. Dies könne man besonders an der Etablierung der neuen Finanzprodukte in Deutschland ablesen. Commercial papers, Geldmarktfonds und andere Finanzinnovationen sind nun auch in Deutschland etabliert. Diese Entwicklung dokumentiere, welch positiven Folgen die Liberalisierung von Märkten haben kann. Deutschlands Banken, zunächst Gegner der neuen Produkte, nutzen diese heute sehr erfolgreich. So wurde die Deutsche Bank im letzten Jahr zur commercial paper-Bank des Jahres. Die Öffnung des deutschen Marktes und die Angleichung der Finanzprodukte an internationalen Standard ist aus Sicht eines Vertreters des Verbandes der Auslandsbanken ein guter Trend für den Finanzmarkt, der im Ausland ausgesprochen positiv aufgenommen werde.

Nach Einschätzung eines Wissenschaftlers und Aktionärsvertreters liegt das zentrale Defizit der deutschen Börse nicht nur in konkreten gesetzlichen Defiziten, sondern vielmehr darin, daß die politisch und ökonomisch Verantwortlichen der Börse in Deutschland lediglich eine untergeordnete Rolle zusprechen. So habe die Bundesministerin für Justiz zwar kürzlich in einer Rede ausgeführt, daß sich die deutsche Aktiengesellschaft in einem Wettbewerb um die effektivsten Organi sationssysteme bewährt habe. Nur leider decke sich diese Aussage nicht mit der Realität in Deutschland, in der die Aktiengesellschaft lediglich eine untergeordnete Relevanz erlangt hat. Ein hoher Beamter des Bundesministeriums für Justiz habe dies vor kurzem in einem Zeitungsartikel bestätigt, in dem er ausführte, daß man

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den Kapitalmarkt in Deutschland lediglich als Ergänzung brauchte, da hierzulande, im Gegensatz zu den anlegerorientierten Traditionen in den USA, die Bankenfinanzierung im Vordergrund stehe. Angesichts derartiger Ausführungen sei es wenig verwunderlich, daß der Kapitalmarkt in Deutschland zur Nebensache verkommen sei. In Zahlen ausgedrückt bedeute dies, daß das Defizit der deutschen Börsenkapitalisierung im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern ungefähr 50 - 80 Prozent beträgt, was gemessen am Bruttosozialprodukt einem Betrag von 1,5 - 2,5 Billionen DM entspräche. Wenn man dieses Krisenvolumen mit den Verlusten von ausländischen Bankenkrisen vergleiche, die von den Anhängern des deutschen Finanzsystems stets als Beleg für die Überlegenheit des deutschen Systems gegenüber den angeblich krisenanfälligeren angelsächsischen Systemen herangezogen würden, dann zeige sich, daß die buchmäßigen Verluste der amerikanischen Bankenkrise gerade mal einen Betrag ausmachten, der gemessen am Bruttosozialprodukt zwischen 4 und 7 Prozent des hierzulande zu diagnostizierenden Defizits der Finanzierungskraft des Aktienmarkts liege.

Die Folgen dieses Versagens des Kapitalmarktes lassen sich exemplarisch an der Situation in den neuen Bundesländern aufzeigen. Während sich in den osteuropäischen Ländern die Aktienbörsen unter heftigen Schwankungen nach oben entwickeln, gibt es in den neuen Bundesländern bislang nicht einen einzigen Fall, in dem der Gang eines Unternehmens an die Aktienbörse geglückt wäre. Der mißglückte Versuch der Sachsenmilch AG ist dafür ein trauriges, aber signifikantes Beispiel. Und da es keinen funktionierenden Markt für Risikokapital gibt, ist es nach Einschätzung eines Wissenschaftlers und Aktionärsvertreters absolut folgerichtig, daß Politiker aller Parteien angesichts dieses selbstverschuldeten Versagens des Kapitalmarktes unablässig darüber lamentieren, daß die Banken ausreichend Risikokapital für die neuen Bundesländer bereit stellen müßten. Reformen in einzelnen Bereichen könnten zwar sinnvoll sein, das zentrale Problem des deutschen Finanzmarktes ließe sich aber nur durch eine grundlegende Umorien tierung der Finanzmarktpolitik lösen. Denn natürlich sei die Schwäche des deutschen Kapitalmarktes nicht zufällig entstanden, sondern konsequentes Resultat einer Entwicklung, in der die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes bewußt der Priorität des Managerschutzes geopfert wurde. Die konkreten "Sabotagemaßnahmen" am Kapitalmarkt beruhten auf einem mit "erstaunlichem Nachdruck" vorangetriebenen Bestreben, das Gesellschaftsrecht und insbesonders das Aktienrecht so zu gestalten, daß sich angestellte Vermögensverwalter um die Interessen privater Kapitalgeber möglichst wenig zu kümmern brauchen. Der kürzlich verstorbene Ökonom Wolfram Engels habe dies treffend beschrieben:

"Der Aktienmarkt steht statt unter dem Prinzip des Anlegerschutzes unter dem Prinzip des Managerschutzes. In Deutschland wird dem Eigentümer die Verfügungsmacht über sein Vermögen weitgehend entzogen. Ein Vorstand ist sein Gehalt dann wert, wenn das Vermögen, das er schafft, größer ist, als das Vermögen, das ihm Eigner zur Verfügung stellen - also dann, wenn die Börsenkapitalisierung über dem zu Marktwerten bewerteten Substanzwert liegt. Könnte man nun diesen Test bei dem im deutschen Aktienindex enthaltenen Aktien machen, so

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stieße man vermutlich auf eine Vermögensvernichtung, die etwa der des Krieges in Kroatien entspricht".

Diese falsche Prioritätensetzung findet sich nach Einschätzung eines Wissenschaftlers und Aktionärsvertreters in allen Bereichen des Aktienrechts und habe seine Wurzeln bereits in den 30er Jahren. Das Aktienrecht von 1937 war in wesentlichen Aspekten ein typisches Kind seiner Zeit gewesen; einer Zeit, in der in Deutschland die Nationalsozialisten die Leitlinien gesellschaftspolitischen Denkens definierten. Davon habe sich das Aktienrecht jedoch bislang nicht zu emanzipieren vermocht, so daß auch heute noch zentrale Bereiche des Aktienrechts "primitivem Faschismus" entsprächen. Zentraler Wesenszug des Aktienrechts von 1937 sei die berüchtigte Gemeinwohlklausel gewesen. Demnach hatte der Vorstand einer Aktiengesellschaft die Geschäfte so zu führen, wie es das Wohl des Betriebs und der gemeine Nutzen von Volk und Reich erforderten. Jeder Vorstand war demnach ein "kleiner Führer", der von den Interessen der Kapitalanleger tunlichst abgeschirmt sein sollte. Die einschlägigen Kampfparolen in den betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern liefen damals darauf hinaus, "daß der Standpunkt der Unternehmung mit finsterer Entschlossenheit gegen den Dividendenhunger von Entnahmehyänen verteidigt werden" mußte.

Im heute gültigen Aktiengesetz von 1965 ist diese Verpflichtung des Vorstands auf den Gemeinnutzen von Volk und Reich nicht mehr enthalten. Dies beruht nach Einschätzung eines bekannten Aktienrechtskommentators darauf, daß sich die Verpflichtung des Vorstands auf den Gemeinnutzen von Volk und Reich im neuen Aktienrecht "von selbst versteht". Ein Bruch mit dem faschistischen Erbe sei demnach mit der Aktienrechtsnovelle von 1965 keineswegs erfolgt. Folgerichtig sehe der Gesetzgeber auch im aktuellen Aktienrecht das Ideal des Kapitalanlegers in einer Figur, die vor allem einflußlos sein soll. Gesucht werde offenbar der staatstreue Kleinsparer, der dem Vorstand sein Geld gibt, und dann zusieht, wie dieser das Gemeinwohl verfolgt. Die Sicherung der Unabhängigkeit der Unternehmen vor den "dividendenhungrigen Entnahmehyänen" sei immer noch der zentrale Aspekt der Aktienrechts, der sich wie ein roter Faden durch alle wichtigen Paragraphen ziehe. Die Folge dieser Konstruktion liege auf der Hand und sei in der deutschen Realität tagtäglich zu bestaunen: Die führenden Personen deutscher Unternehmensverwaltungen haben sich von dem "gemeinen Volk" abgeschottet, und sagen den Aktionären, wo es langgeht. Und das Aktienrecht böte das passende Instrumentarium, um sie vor "unbotmäßigen" Kontrollaktivitäten "irrtumsanfälliger" Privatanleger zu schützen. Zum Problem werde jedoch zunehmend, daß derartige Geldgeber rar sind. Weder die deutschen Privatanleger, noch die ausländischen institutionellen Anleger seien dauerhaft bereit, die "Entartungen" des deutschen Aktienmarktes hinzunehmen.

Diese "Entartungen" sind aus Sicht des Wissenschaftlers und Aktionärsvertreters das Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit einer "schlagkräftigen Truppe von Konzernherren", die es unter Aushöhlung des Privateigentums seit Jahrzehnten er-

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folgreich geschafft habe, die Kontrollmechanismen auszuschalten, auf die die Eigentümer nach Artikel 14 des Grundgesetzes eigentlich Anspruch hätten. Als Beispiel dafür gelten die Regelungen des § 131 Absatz 3 des Aktiengesetzes, die die stillen Reserven der Gesellschaften vor den Einblicken neugieriger Aktionäre schützen. Dies führe in der Praxis zu der bemerkenswerten Situation, daß in Deutschland dem Eigentümer einer Aktiengesellschaft verwehrt bleibt zu erfahren, wieviel das Vermögen wert ist, das seine Angestellten für ihn verwalten. Offenbar ziele diese Regelung darauf, den "irrtumsanfälligen" Privatanleger nicht zu verwirren. Deshalb dürfe die Rechnungslegung von Aktiengesellschaften keine Auskunft darüber geben, wie es um das Unternehmen wirklich steht. Das Bundesministerium der Justiz und der Deutsche Bundestag werden demnächst auf Anforderung des Bundesverfassungsgerichts aus heutiger Sicht Stellung zu dieser Regelung nehmen müssen, da das Bundesverfassungsgericht zur Zeit eine entsprechende Verfassungsbeschwerde prüft.

Ein SPD-Politiker unterstreicht die Notwendigkeit, bestehende Schwachstellen und Wettbewerbsnachteile des deutschen Finanzmarktes zu beseitigen. Besonderen Nachholbedarf gäbe es dabei in den Bereichen Transparenz und Anlegerschutz. Die SPD habe im Rahmen ihres Transparenz- und Wettbewerbsgesetzes eine Fülle konkreter Vorschläge zur Beseitigung dieser Defizite und damit zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland vorgelegt. Dazu gehört neben den wesentlich erweiterten Offenlegungspflichten und der Einführung der längst überfälligen verbindlichen Übernahmeregelung zum Schutz von Minderheitsaktionären bei Unternehmensübernahmen beispielsweise auch eine Regelung zur Reduzierung der Gefahr eines Bezugsrechtsausschlusses der Aktionäre bei Kapitalerhöhungen. Das Bezugsrecht ist ein klassisches Aktionärsrecht; es räumt den Aktionären einer Aktiengesellschaft das Recht ein, bei einer Kapitalerhöhung entsprechend ihrem Anteil am bisherigen Grundkapital junge Aktien zu beziehen. Damit soll den Aktionären einer Gesellschaft die Möglichkeit eröffnet werden, ihren relativen Anteil am Grundkapital zu halten. Dieses Aktionärsrecht habe die Bundesregierung 1994 im Rahmen des "Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts" entscheidend verwässert. Denn nun könne die Verwaltung einer Gesellschaft das Recht der Aktionäre zum Bezug junger Aktien unter bestimmten Bedingungen ausschließen, wobei die genannten Einschränkungen ohne weiteres durch mehrere aufeinander folgende Kapitalerhöhungen umgangen werden können. Der Aktionärsschutz gebietet jedoch, Aushöhlungen und Verwässerungen des in Deutschland ohnehin unterentwickelten Aktionärsschutzes auszuschließen. Deshalb sieht der SPD-Gesetzentwurf eine weitgehende Revision der Möglichkeit zum Bezugsrechtsausschluß vor.

Der Kritik an dem Zustand des deutschen Finanzplatzes hält ein Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums entgegen, daß sich der Finanzplatz Deutschland in den letzten Jahren durchaus positiv entwickelt habe. Dies liege maßgeblich daran, daß die Bundesregierung in den vergangenen Jahren eine Reihe von Erfolgen und

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Verbesserungen für den deutschen Finanzplatz durchgesetzt habe. Diese positive Entwicklung dürfe nun nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Deshalb müsse auch beim Thema "Macht der Banken" verantwortungsvoll und sachlich über die Kritikpunkte diskutiert werden, die das Bundeswirtschaftsministerium durchaus sehe. Gewarnt werden müsse jedoch vor einer unsachlichen oder gar polemischen Auseinandersetzung, oder der unüberlegten Verwendung von Schlagworten wie beispielsweise des Begriffs "Deutschland AG". So etwas konnte leicht kontraproduktiv wirken, und den allgemeinen positiven Trend für den Finanzmarkt Deutschland wieder in Frage stellen. Ein Vertreter des Verbandes der Auslandsbanken unterstreicht diese Sorge und warnt vor einer zu starken Emotionalisierung der Diskussion um die "Macht der Banken". Diese Diskussion werde im Ausland sehr aufmerksam verfolgt, so daß sich eine negative Entwicklung der Debatte allen richtigen Ansätzen zum Trotz sehr nachteilig für den Finanzmarkt auswirken könnte.

Ein SPD-Politiker hält dem entgegen, daß angesichts der bestehenden Negativbilanz schwerlich davon gesprochen werden könne, daß die Diskussion über Reformmaßnahmen dem Finanzmarkt noch ernsthaft schaden könnte. Schließlich sei der deutsche Finanzmarkt derzeit in wesentlichen Bereichen in desolatem Zustand, und über die Gründe, warum dies so sei, müsse offen diskutiert werden. Deutschland habe derzeit nicht den ordnungspolitisch notwendigen Standard, um die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland entscheidend zu stärken. Diese ordnungspolitischen Defizite müßten schnellstmöglich beseitigt werden. Nach Vorstellung der SPD-Bundestagsfraktion sollen zukünftig auch Beteiligungen an nichtbörsennotierten Gesellschaften offengelegt werden, um der Praxis zu begegnen, daß Anteile in nichtbörsennotierten Vorschaltgesellschaften geparkt und so der Publizität entzogen werden. Außerdem sieht der SPD-Gesetzentwurf vor, daß die Monopolkommission endlich an die notwendigen Daten herankommt. Die Offenlegung aller relevanten Daten und die Schaffung der international üblichen Transparenz sei eine zentrale Voraussetzung zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzmarktes. Immer wieder begründeten ausländische Investoren ihre Zurückhaltung gegenüber dem deutschen Markt damit, nicht in einem Markt investieren zu wollen, in dem die Besitzverhältnisse und die Einflußpotentiale bestimmter Gruppen vollkommen intransparent sind. Es sei folgerichtig und keine unangemessene Polemik, daß ausländische Kommentatoren hier von der "Deutschland AG" sprechen.


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