DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

DEKORATION DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DEKORATION


TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausgabe: 44 / Fortsetzung]

7. Wechselseitige Verflechtungen

Das gesamte ordnungspolitische Ausmaß des Komplexes "Macht der Banken" zeigt sich nach Einschätzung von Wissenschaftlern erst, wenn man sich das Netz von wechselseitigem Anteilsbesitz, direkten und indirekten Verflechtungen und persönlichen Verbindungen vor Augen führt, das derzeit die gesamte deutsche Wirtschaft durchzieht. Ausländische Kommentatoren hätten für dieses Konstrukt auch schon einen treffenden Namen gefunden: "Deutschland AG".

Auf der Basis des umfangreichen Anteilsbesitzes der Banken hat sich innerhalb der deutschen Wirtschaft ein umfangreiches Netzwerk von wechselseitigen Verflechtungen entwickelt. Im Zentrum dieses Netzwerkes befinden sich neben den großen deutschen Privatbanken zwei Versicherungsgiganten, die Allianz Holding AG, Deutschlands größter Versicherungskonzern, und die eng mit ihr verbundene Münchener Rückversicherungs AG. Beide Versicherungsgesellschaften sind zu jeweils rund 25 Prozent aneinander beteiligt. In dieses gegenseitige Einflußgeflecht wird nun beispielsweise Deutschlands zweitgrößte Bank, die Dresdner Bank, derart eingewoben, daß die Dresdner Bank jeweils 10 Prozent an der Allianz und der Münchener Rückversicherung besitzt, während die beiden Versicherungskonzerne direkt und indirekt etwa 40 Prozent der Anteile an der Dresdner Bank kontrollieren. Daneben ist die Allianz direkt mit gut 6 Prozent an der Deutschen Bank beteiligt, während die Deutsche Bank ihrerseits 10 Prozent an der Allianz und 10 Prozent an der Münchener Rückversicherung besitzt. Darüber hinaus besitzt die Allianz 22,6 Prozent an der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, die ihrerseits mit 5 Prozent an der Allianz und mit 4 Prozent an der Münchener Rückversicherung beteiligt ist.

Abbildung 4 illustriert den derzeit bekannten Stand der Ringverflechtungen im Kernbereich der deutschen Wirtschaft, wobei die darin angerührten Daten keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben können. Schließlich sind viele der inzwischen

[Seite der Druckausgabe: 45]

bekanntgewordenen Beteiligungen erst nach erfolgreichen Prozessen von Aktionären gegen die Verwaltungen der Gesellschaften preisgegeben worden. Und es ist nicht auszuschließen, daß sich hinter diesen bekannten Verflechtungen noch weitere verbergen.

Nach Einschätzung eines Wissenschaftlers haben sich mittels dieses Netzwerks von gegenseitigen Beteiligungen die sieben Kerngesellschaften des deutschen privaten Finanzsektors, die fünf führenden privaten Banken Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank, Bayerische Hypotheken- und Wechselbank, Bayerische Vereinsbank sowie die beiden führenden Versicherungskonzerne Allianz und Münchener Rückversicherung vollkommen von den Kontrollmechanismen des Kapitalmarktes abgeschirmt. Derartige Ringbeteiligungen innerhalb der "Prestigegruppe" deutscher Unternehmen seien ähnlich dem japanischen "Keiretsu-System" dazu geeignet, sogenannte "feindliche Übernahmen" oder einen Zutritt außenstehender, beispielsweise ausländischer Kapitalanleger abzuwehren. Damit werde jedoch der Markt für Unternehmenskontrolle außer Kraft gesetzt. Die Wirksamkeit dieser Abschottung wird bereits bei der gegenseitigen Verflechtung von Allianz und Münchner Rückversicherung deutlich. Bei den üblichen Hauptversammlungspräsenzen von rund 50 Prozent haben die Unternehmensverwaltungen in den Hauptversammlungen der jeweils anderen Gesellschaft mit ihrem Anteilsbesitz von 25 Prozent stets die kontrollierende Mehrheit. Nimmt man die Stimmrechte der in das Beziehungsnetz eingewobenen Banken und die von ihnen ausgeübten Depotstimmen hinzu, dann zeigt sich, daß die Unternehmensverwaltungen dieser sieben Gesellschaften die jeweiligen Hauptversammlungen dominieren. Entscheidungen gegen diese Unternehmensverwaltungen sind demnach ausgeschlossen. Ebenso ausgeschlossen sind damit aber auch jeglicher Wettbewerb untereinander, Kontrolle und Haftung für Fehlleistungen.

Neben der Abschottung dieser Verwaltungen wird der große Einfluß dieser Unternehmensverwaltungen auf nahezu alle führenden Wirtschaftsunternehmen Deutschlands als ordnungspolitisches Problem bezeichnet. So sind viele führende deutsche Unternehmen durch die Kombination von direktem und indirektem Anteilsbesitz in das Beziehungsgeflecht eingewoben. Das Beispiel der Frankfurter Metallgesellschaft (MG) illustriert diese Praxis. So besitzt die Dresdner Bank direkt 12,6 Prozent der Metallgesellschaft, während die Allianz direkt 5 Prozent der Anteile der MG und über die gemeinschaftliche mit der Deutschen Bank gehaltene Vorschaltgesellschaft "Allgemeine Verwaltungsgesellschaft für Industriebeteiligungen (die zu 44,65 Prozent der Allianz und zu 55,35 Prozent der Deutschen Bank gehört) noch einmal einen Anteil von rund 8,5 Prozent. Über dieselbe Vorschaltgesellschaft besitzt die Deutsche Bank ihrerseits gut 10,5 Prozent an der MG. Hinzu kommt ein MG-Anteil von 10 Prozent, der der Daimler-Benz AG gehört, die sich wiederum zu knapp 25 Prozent im Besitz der Deutschen Bank und zu gut 12 Prozent im Besitz einer Vorschaltgesellschaft mit dem schönen Namen "Stella" befindet, die gemeinschaftlich der Dresdner Bank, der Commerzbank, der Allianz und der Robert Bosch GmbH gehört.

[Seite der Druckausgabe: 46]

Abbildung 4: Das Netz der Beteiligungen von Banken und Versicherungen

Quelle: Ekkehard Wenger 1994

[Seite der Druckausgabe: 47]

Die Folge dieser Struktur ist nach Einschätzung von Wissenschaftlern die wirksame Abschottung der zentralen deutschen Finanz-, Industrie- und Dienstleistungsunternehmen vor jeglicher externen Kontrolle. Die Verwaltungen dieser Unternehmen kontrollieren sich gegenseitig, oder sie tun es eben nicht. Diese Abschottung diene daher in der Praxis dem Ziel eines wirksamen Managerschutzes in Deutschland. Dagegen sieht ein Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums den strategischen Zweck der wechselseitigen oder Ringbeteiligungen weniger in der Abschottung der eingebundenen Unternehmen vor Kontrolle, sondern in der Festigung einer aus betriebswirtschaftlichen Gründen angestrebten dauerhaften Zusammenarbeit.

Beide Interpretationen sind nach Einschätzung eines Wissenschaftlers und Aktionärsvertreters bedenklich. Denn die Unternehmensverwaltungen mißbrauchten dabei das Kapital der Aktionäre, um Beteiligungen an anderen Konzernen aufzukaufen. Die privaten Geldanleger hätten damit nichts mehr zu sagen, weil ein System von Überkreuzverflechtungen den Funktionären der Großkonzerne überall die Verfügungsgewalt über die Mehrheit der Stimmrechte verschaffe. Damit würden die Grundstrukturen eines marktwirtschaftlichen Systems außer Kraft gesetzt. Denn an die Stelle der Marktwirtschaft sei das Prinzip der "Sowjetisierung" getreten, weil das Wirtschaftsleben nicht mehr vom Privateigentum, sondern von einem "Rätesystem nicht absetzbarer Konzernfunktionäre" dominiert werde. Da damit im Zentrum der deutschen Wirtschaft eine Gruppe von Personen niemandem, auch nicht den Eigentümern der Gesellschaften, mehr Rechenschaft für ihr Handeln abzulegen hat, obwohl sie über wesentliche Prozentsätze des Bruttosozialproduktes verfügt, liegt hier nach Einschätzung eines Wissenschaftlers sogar ein staatspolitisches Problem vor.

Aus Sicht von Banken- und Industrieverbänden wird die Problematik damit in eine Sphäre gehievt, in der eine sachlich Diskussion nicht mehr möglich ist. Schließlich müsse bei der Betrachtung der genannten Zahlen berücksichtigt werden, daß 90 Prozent dieser Unternehmensbeteiligungen unter einem Prozentsatz liegen, der nach dem Aktienrecht überhaupt erst die Möglichkeit schafft, Einfluß auf diese Unternehmen auszuüben. Und selbst in den Fällen, in denen verschiedene Banken gemeinsam die Kontrollmehrheit erreichen, bedeute dies keineswegs automatisch, daß damit ein gemeinschaftliches Vorgehen der Banken unterstellt werden könne. Jede Bank hätte ihre eigenen Konzepte für ihre Geschäftspolitik und den Umgang mit ihrem Anteilsbesitz. Es sei ein Fehler, die Banken stets als monolithischen Block einzustufen. Außerdem seien viele dieser Strukturen historisch gewachsen und hätten sich in der überwiegenden Mehrheit auch bewährt. Die "Zerschlagung" solch etablierter Strukturen würde zwangsläufig unabsehbare Folgen für die gesamte deutsche Wirtschaft nach sich ziehen.

Nach Einschätzung eines SPD-Politikers sind diese Strukturen vollkommen verkrustet. In einem derartigen System wechselseitiger Verflechtungen werde Wett-

[Seite der Druckausgabe: 48]

bewerb systematisch ausgeschlossen. Es sei bezeichnend, daß die sonst so wettbewerbsorientierten Repräsentanten von Großindustrie und Großbanken diese Strukturen mit ihren systematischen Wettbewerbsbeschränkungen so unkritisch sehen und beibehalten wollen. Die Erklärung für diese auffallende Interessenidentität liege eben in dem hohen Grad der Verflechtung zwischen Deutschlands führenden Industrie- und Dienstleistungsunternehmen und denen des Finanzsek tors. Dabei bestehe hier im Gegensatz zu manch populärer Unternehmerkritik an angeblichen Standortdefiziten ein echter Wettbewerbsnachteil für den deutschen Finanz- und Wirtschaftsstandort. Denn in Deutschland mangele es in zentralen Bereichen der Wirtschaft an Wettbewerb um Führungspositionen ebenso wie an dem um Produktinnovationen. Und diese Defizite haben eine entscheidende Be deutung für die fehlende Dynamik nicht nur des deutschen Finanzplatzes sondern auch des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Der von der SPD vorgelegte Gesetzentwurf sieht deshalb vor, daß das Stimmrecht aus wechselseitigen oder Ringverflechtungen ab einer Grenze von 3 Prozent der Stimmrechte ausgesetzt wird. Damit entfalle die derzeit mögliche Abschottung vor externer Kontrolle und den Risiken eines echten Wettbewerbs.

Wie eng die Verflechtung zwischen Banken und bestimmten Wirtschaftsunternehmen ist, wird nach Einschätzung eines Vertreters der Monopolkommission auch daran deutlich, daß von bestimmten Unternehmen teilweise unter Zuhilfenahme der Banken eine regelrechte Umgehung der Fusionskontrolle praktiziert wird. So habe es in der Vergangenheit Fälle gegeben, in denen das Kartellamt Bedenken gegen den von einem Unternehmen geplanten Erwerb einer Beteiligung von 51 Prozent an einem anderen Unternehmen geäußert habe. Bei vielen dieser untersagten Übernahmen habe sich kurz darauf herausgestellt, daß das an der Übernahme interessierte Unternehmen nun statt der angestrebten Beteiligung von 51 Prozent lediglich eine Beteiligung von beispielsweise 24 Prozent innehatte, während eine Bank gleichzeitig eine Beteiligung von 27 Prozent eingegangen war. Und zufälligerweise stand dann die betroffene Bank stets in einer engen Geschäftsverbindung zu dem an der Übernahme interessierten Unternehmen. Derartige, nach aktueller Gesetzeslage legale Praktiken führen zum Unterlaufen der Fusionskontrolle. Auch hier sei der Gesetzgeber gefordert, um die Aushebelung der Funktionskontrolle zu unterbinden.


©Friedrich Ebert Stiftung| Webmaster | technical support | net edition fes-library | Dezember 1999

Previous Page TOC Next Page