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[Seite der Druckausgabe: 17 / Fortsetzung]


5. Ein Modell zur ökologischen Steuerreform - Das Gutachten des DIW

Im Auftrag der Umweltorganisation GREENPEACE hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die wirtschaftlichen Auswirkungen einer ökologischen Steuerreform am Beispiel einer Energiesteuer untersucht, deren Aufkommen an die Unternehmen in Form einer Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und an die Haushalte in Form eines Öko-Bonus zurückerstattet wird. [Fn. 2: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (l 994): Öko-Steuer - Sackgasse oder Königsweg? Ein Gutachten im Auftrag von Greenpeace e.V., Berlin.] Die Studie hat im Gegensatz zu der langen Reihe frü-

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herer Untersuchungen (Vgl. Abb. 1) in den letzten Monaten erhebliches Aufsehen erregt und die Diskussion neu belebt. In ihrer Untersuchung kommen die Berliner Wirtschaftswissenschaftler zu dem Ergebnis, daß eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit durch eine ökologische Steuerreform nicht zu befürchten ist. Statt dessen wird dem Konzept bescheinigt, daß es ökonomisch sinnvoll und zugleich sozialverträglich sei.

Grundidee dieses Modells einer ökologischen Steuerreform ist es, die Energiekosten zu erhöhen und Arbeitskosten zu senken; dazu ist eine stetige. vorhersehbare, schrittweise Erhöhung der Energiepreise über 10 bis 15 Jahre um 7% pro Jahr vorgesehen. Der bestehende Kapitalstock der Unternehmen wird durch diese "kleinen Schritte" nicht - wie bei den beiden Ölkrisen - kurzfristig entwertet; die Unternehmen können sich durch gezielte zukünftige Investitionen langsam an die veränderten Kostenrelationen anpassen.

Die vorgeschlagene Energiesteuer wird als Mengensteuer konzipiert, d.h. die steuerpflichtigen Energieträger werden einem einheitlichen Steuersatz von 9 DM je Gigajoule unterworfen, der jährlich um real 7% angehoben wird. Aufgrund von verschiedenen Preisen je Energieeinheit durch unterschiedliche Kosten für Umwandlung, Verteilung u.a. fallen die Preissteigerungen der einzelnen Energieträger unterschiedlich aus. Strom für Haushalte beispielsweise verteuert sich innerhalb von 10 Jahren um 46% gegenüber dem Referenzszenario (in Preisen von 1990), während sich der Preis für Strom für die Industrie um 96% und für leichtes Heizöl um 73% erhöht. Benzin, das schon heute durch einen hohen Steuersatz belastet ist, wäre nach zehn Jahren nur etwa um 20 Pfennig teurer.

Das Aufkommen der Energiesteuer kann mittels des Energieverbrauchs berechnet werden; es beträgt im ersten Jahr der Steuererhebung (1995) knapp 9 Mrd. DM und steigt auf 121 Mrd. DM im Jahr 2005 und rund 205 Mrd. DM im Jahr 2010 (in Preisen von 1990). Dabei wurde ein Rückgang des gesamten Energieverbrauchs aufgrund der Energiesteuer um 14% bis zum Jahr 2010 zugrunde gelegt. Die Unternehmen tragen insgesamt 71%, die Privathaushalte 29% der Steuerlast, die entsprechend anteilig zurückerstattet wird. Für die Unternehmer werden die Beiträge zur Rentenversicherung gesenkt (bis 2005 um 77%) und die Verbraucher erhalten einen Öko-Bonus. Dieser steigt von 30 DM 1995 auf 400 DM im Jahr 2005.

Zur Ermittlung der volkswirtschaftlichen Effekte der ökologischen Steuerreform wurde ein aggregiertes ökonometrisches Konjunkturmodell für Westdeutschland verwendet, welches die wahrscheinlichen Reaktionen der Volkswirtschaft

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auf Veränderungen der äußeren Rahmenbedingungen oder der Wirtschaftspolitik aus den Betrachtungen der Vergangenheit ableitet. Das Modell der ökologischen Steuerreform wird der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ohne Steuerreform gegenübergestellt (Referenzmodell).

Nach DIW-Berechnungen bewirkt eine so ausgestaltete ökologische Steuerreform, daß

  • die C02-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 21% sinken,

  • das Preisniveau gegenüber dem Referenz-Szenario (ohne Öko-Steuerreform) bis zum Jahr 2005 nur um 1,5% höher liegt,

  • die Zahl der Arbeitsplätze bis 2005 um 610.000 ansteigt,

  • alle Haushalte mit einem Netto-Einkommen bis 4000,- DM monatlich per Saldo entlastet werden.

Verschiedene Modellrechnungen für gesamtwirtschaftliche Effekte ergeben, daß keine oder keine gravierenden Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum zu erwarten sind. Im Hinblick auf die Beschäftigungsentwicklungen wird ein kleiner aber wichtiger Beitrag geleistet.

Durch die Kompensationszahlungen und die damit verbundenen Senkungen der Lohnstückkosten können betriebliche Kosten in dem Maße gesenkt werden, wie die Nutzung von steuerpflichtigen Energieträgern und energieintensiven Produkten durch umweltfreundliche und energiesparende Maßnahmen substituiert wird. Insbesondere exportintensive Investitionsgüterindustrien sowie Bau- und Dienstleistungen können davon profitieren. Zu den am meisten von Kostensteigerungen durch die progressive Wirkung der Energiesteuer betroffenen Bereiche gehören die eisenschaffende und chemische Industrie, da die Einsparpotentiale im Energieverbrauch die Kostensteigerungen vermutlich nicht ausgleichen können (vgl. Abbildung 2). Nach zehn Jahren etwa beträgt der Netto-Preiseffekt in der Eisen- und Stahlindustrie +19,2% und in der Chemieindustrie durchschnittlich +6,9%, während beispielsweise Postdienstleistungen um 3,1% und Dienstleistungen von Bund, Ländern und Gemeinden um 3,2% billiger werden.

Eine Beeinträchtigung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit wird nach diesen Berechnungen nicht erwartet, da die zusätzlichen Umweltabgaben vollständig durch eine Verringerung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung kompensiert werden. Die ökologische Steuerreform verursacht dennoch zu-

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sätzliche Kosten für den Unternehmenssektor, die in Form von Vermeidungskosten anfallen. Dies sind Investitionskosten und laufende Kosten für Umweltschutzmaßnahmen. Dem stehen Kosteneinsparungen durch verringerten Ressourceneinsatz, niedrigeren Entsorgungsaufwand sowie geringere Umweltschäden gegenüber. Eine Kostensteigerung kann daher kein grundsätzliches Argument gegen eine ökologische Steuerreform sein, da die Erreichung ökologischer Ziele unabhängig vom Instrumenteneinsatz gesamtwirtschaftlich fast immer mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Zudem ermöglicht der durch die Steuerreform angestoßene Strukturwandel unternehmerischen Spielraum zur Erreichung der vorgegebenen Ziele. Die in der Basisvariante des Modells zugrundegelegten Entlastungen der öffentlichen Haushalte können für flankierende Maßnahmen verwendet werden, um Anpassungsschwierigkeiten einzelner Unternehmen und Wirtschaftszweige regionalpolitisch abzufedern; dabei ist jedoch zu beachten, daß ein solcher Ausgleich einzelwirtschaftlicher Wettbewerbsnachteile die Lenkungswirkung einer Öko-Steuer ihrerseits abschwächt, und daher ist auch bei regionalpolitischen Maßnahmen zu berücksichtigen, daß der Strukturwandel längerfristig dadurch nicht unterbunden wird. Die Hauptfrage hierbei ist also, in welchem Zeitraum die strukturellen Anpassungen erfolgen können. Dabei ist abzuwägen zwischen der regionalpolitisch begründbaren Kostenentlastung beim Strukturwandel und der damit bedingten Verzögerung bei der Reduktion der Umweltbelastung.

In der bisherigen Diskussion über eine ökologische Steuerreform wurden verschiedene ordnungsrechtliche Bedenken geäußert, die von der DIW-Studie entkräftet werden. Dem Argument der Preisverzerrung durch eine Öko-Steuer wird entgegengehalten, daß Preise in einer Marktwirtschaft alle gesamtwirtschaftlichen Kosten, also auch die externen Kosten, widerspiegeln müssen. Eine Öko-Steuer ist daher eine notwendige Korrektur des Preismechanismus. Auch werden die Markteingriffe des umweltpolitischen Instruments Öko-Steuern als weniger interventionistisch angesehen als das Ordnungsrecht; sie verdeutlichen vielmehr die Fragwürdigkeit des unkorrigierten Marktergebnisses.

Die vorgeschlagene Reform kann auch im "nationalen Alleingang" durchgeführt werden. Denn am Anfang sind die Belastungen für die Unternehmen und Verbraucher eher gering: so bleibt genügend Zeit, um zumindest im Rahmen der Europäischen Union auf ähnliche Reformen hinzuwirken, was aufgrund des eigenen Vorbildes glaubhaft vertreten werden kann.

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Im Rahmen der Tagung wurde aber auch vielfach auf das generelle Problem der "Grauen Energie" hingewiesen, d.h. auf mögliche Importe von energie- und umweltintensiven Produkten aus Drittländern mit niedrigeren ökologischen Standards und entsprechenden Kostenvorteilen. Hier greifen sicher nur internationale Konventionen, die nur langfristig durchgesetzt werden können. Aber auch dies könnte schneller gelingen, wenn entsprechende Regelungen in Deutschland und Europa bereits beispielhaft praktiziert würden.

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Abbildung 2: Sektorale Preiseffekte einer ökologischen Steuerreform für die größten Produktionssektoren (Quelle: DIW-Studie; Ausschnitt; Angaben in Prozent)


Energie-Steuer

Kompensation

Ncttoctfcktc

Produktionssektoren

5Jahr/10.Jahr

5Jahr/10.Jahr

5.Jahr/10.Jahr

Eisen und Stahl

+9.3 +22.3

-1,3 -3,1

+8,0 +19.2

Chemische Erzeugnisse, Spall- und Bmtstoffe

+3.8 +9.1

-0,9 -2.2

+2,7 +6.9

NE-Metalle, NE-Melallhalbzeug

+3.1 +7,5

-0,9 -2,1

+2,2 +5.4

Steine und Erden. Baustoffe usw.

+3.4 +8.3

-1,2 -2.9

+2,2+5,4

Produkte der Landwirtschaft

+2,5 +6.0

-1,3 -3.2

1,2 +2,8

Erzeugnisse der Ziehereien, Kaltwalzwerke usw.

+2,6 +6,3

-1,4 -3.5

+1,2 +2.8

Nahrungsmittel (ohne Getränke)

+1,8 +4,4

-1,0 -2.4

+0,8 +2,1

Textilien

+1.8 +4,2

-1,1 -2,5

+0.7 +1,7

Dienstleistungen des sonstigen Verkehrs

+1.7 +4,2

-1,1 -2,6

+0,6 +1,6

Kunststofferzeugnisse

+1.7 +4.0

-1,0 -2.6

+0,7 +1,4





Marktbest. Dienstl. d. Gesundh.- und Vet. Wesens

+0.5 +1.1

-0,7 -1,6

-0,2 -0,5

Ausbauleistungen

+0,9 +2,1

-1,1 -2,7

-0,2 -0,6

Elektrotechnische Erzeugnisse

+0.9 +2,1

-1,2 -2,9

-0.3 -0,8

Maschinenbauerzeugnisse

+1.0 +2.5

-1,4 -3,3

-0,4 -0,8

Dienstleist. d, Großhandels u.a., Rückgew.

+0,7 +1,7

-1,2 -2,8

-0,5 -1,1

Dienstleistungen der Versicherungen

+0.5 +1,2

-1,1 -2,5

-0,6 -1,3

Dienstleistungen der Sozialversicherung

+0,9 +2,0

-1,4 -3.4

-0,5 -1,4

Dienstl. priv. Org. ohne Erwerbs., häusl. Dienste

+0,7 +1,7

-1,9 -4.6

-1,2 -2,9

Dienstl. des Postdienstes u. Fernmeldewesens

+0,4 +1,0

-1,7 -4.1

-1,3 -3,1

Dienstleistungen der Gebietskörperschaften

+0,9 +2.2

-2,3 -5.4

-1,4 -3,2


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000

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