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[Seite der Druckausgabe: 52 / Fortsetzung]


8. Weitere Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion

8.1 Kapitalanlagegesellschaften

Investmentfonds erleben in Deutschland seit Jahren einen ausgesprochenen Boom. 1995 vertrauten deutsche Sparer den offenen Investmentfonds deutscher Kapitalanlagegesellschaften einen Betrag von fast 17 Milliarden DM an; das verwaltete Fondsvermögen stieg damit auf insgesamt rund 250 Mrd. DM. Die Fonds werden von speziellen Kapitalanlagegesellschaften verwaltet, ein eigenes Gesetz, das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG), bildet den Rahmen für Organisation und Anlagemöglichkeiten der Kapitalanlagegesellschaften. Das bei den Kapitalanlagegesellschaften von Kunden eingezahlte Kapital legen die Gesellschaften in ver-

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schiedenen Fonds im eigenen Namen für gemeinschaftliche Rechnung der Einleger nach dem Grundsatz der Risikomischung gesondert vom eigenen Vermögen der Gesellschaft an. Dadurch ist die jederzeitige Rückzahlbarkeit der eingezahlten Gelder gewährleistet. Die Palette der angebotenen Fonds reicht von Aktien- und Rentenfonds bis zu Geldmarktfonds oder offenen Immobilienfonds.

Nach deutschem Recht können Banken und Versicherungen Anteile an Kapitalanlagegesellschaften in beliebiger Höhe halten. Dies führt dazu, daß der in Deutschland boomende Markt für Investmentfonds hauptsächlich von den bank- oder versicherungseigenen Gesellschaften dominiert wird. Marktführer unter den deutschen Investmentgesellschaften ist die Deutsche Gesellschaft für Wertpapiersparen (DWS), eine hundertprozentige Tochter der Deutschen Bank.

Kritiker sehen bei Kapitalanlagegesellschaften, die Tochterunternehmen von Banken sind, erhebliche Interessenkonflikte zwischen den Interessen der Mutterbank und denen der Anleger. Empirische Untersuchungen haben aus Sicht eines Wissenschaftlers überzeugend nachgewiesen, daß die Anlageentscheidungen der bankeigenen Fondsgesellschaften entscheidend von den Interessen der Mutterbank abhängen. So habe eine Studie der Universität Osnabrück bestätigt, daß sich bankeigene Fondsgesellschaften in überproportionalem Umfang an Emissionen ihrer Mutterbank beteiligen. Solche Anlagepolitik könne entweder auf Insiderwissen beruhen oder auf der Tendenz zur Emissionsmüllentsorgung. Beide Möglichkeiten seien höchst problematisch und schadeten dem Ansehen deutscher Kapitalanlagegesellschaften und damit dem des deutschen Kapitalmarktstandortes.

Ein weiteres Problem sieht ein Wissenschaftler darin, daß die Mutterbank zugleich auch Depotbank der Kapitalanlagegesellschaft sein darf. So bestehe der Anreiz, durch eine große Zahl von Wertpapierkäufen und -verkaufen auf Kosten der Fondskunden möglichst hohe Einnahmen bei der Mutterbank zu generieren. Und schließlich stellten die Fondsvermögen insbesondere vor Hauptversammlungen bestimmter Aktiengesellschaften eine interessante Gestaltungsreserve dar. Empirische Untersuchungen haben nachgewiesen, daß bank-

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eigene Fondsgesellschaften dazu genutzt würden, um gemeinsam mit dem Anteilsbesitz der Mutterbank gewisse Anteilsschwellen diskret zu übersteigen. Dabei würden die Fondsgesellschaften zur Umgehung der Fusionskontrolle mißbraucht. Bereits 1992 betrugen die Stimmrechtsanteile der bankeigenen Kapitalanlagegesellschaften in den Hauptversammlungen der 24 größten deutschen Aktiengesellschaften in Streubesitz durchschnittlich 10,1 Prozent. Das seitdem zu beobachtende Wachstum der Branche dürfte diesen Anteil noch weiter erhöht haben.

Besonders problematisch sei zudem, daß nach geltendem Recht Kapitalanlagegesellschaften, die hundertprozentige Tochtergesellschaften einer Banken sind, in den Hauptversammlungen ihrer Muttergesellschaft an der Abstimmung teilnehmen dürfen. Es müsse davon ausgegangen werden, daß sich das Management einer bankeigenen Kapitalanlagegesellschaft dabei primär an den Interessen der Mutterbank orientieren werde. Diese Funktion der bankeigenen Kapitalanlagegesellschaften komplettiere den Kreislauf der Macht der Unternehmensverwaltungen.

In den USA dagegen ist es den Geschäftsbanken untersagt, sich an Kapitalanlagegesellschaften zu beteiligen. Die dortigen Erfahrungen belegen, daß unabhängige Kapitalanlagegesellschaften keinerlei Wettbewerbsnachteile gegenüber bankeigenen Kapitalanlagegesellschaften realisieren müssen. Im Gegenteil: Internationalen Performance-Vergleichen zufolge wirtschaften die amerikanischen Fonds mit dem Geld ihrer Anleger in der Regel erfolgreicher als ihre deutsche Konkurrenz.

Die SPD-Bundestagsfraktion schlägt in ihrem Entwurf eines Transparenz- und Wettbewerbsgesetzes vor, daß sich Banken und Versicherungen von ihren Kapitalanlagegesellschaften trennen müssen. Wegen der erheblichen Interessenkonflikte sei es ordnungspolitisch nicht hinnehmbar, daß Banken und Versicherungen Eigentümer von Kapitalanlagegesellschaften sind.

Ein FDP-Politiker bezeichnet diesen Vorschlag als sehr problematisch. Wenn man ein Verbot der Beteiligung von Banken an Kapitalanlagegesellschaften einführen wolle, dann müsse man konsequen-

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terweise in Deutschland gleich ein Trennbankensystem angelsächsischer Prägung einführen. Dies lehne er jedoch ab. Es sei falsch, den Banken in den Bereichen Verbote aufzuladen, die ihre Finanzgeschäfte betreffen. Es sei jedoch sinnvoll, daß über die Stimmrechtsausübung der Kapitalanlagegesellschaft in den Hauptversammlungen der Mutterbank in einer anderen Form gewacht werde, als dies bislang der Fall sei. Außerdem sollten die Dispositionen der Fondsmanager transparenter gemacht werden - dazu gehört, daß die von den Fonds gehaltenen Finanzanlagen nicht nur bei bestimmten Stichtagen offengelegt werden müssen - und zweitens die Stimmrechtsausübung der Kapitalanlagegesellschaften beispielsweise durch Stimmrechtsbeiräte vom Management der Kapitalanlagegesellschaft getrennt werden.

Ein Vertreter des Bundesverbandes deutscher Investmentgesellschaften bezeichnet den Vorschlag, den Banken den Besitz von Kapitalanlagegesellschaften zu untersagen, für realitätsfremd. Ein solcher Vorschlag könne das angestrebte Ziel gar nicht erreichen, da auch in einem Trennbankensystem Interessenkonflikte bestehen, wie Beispiele aus den USA eindeutig belegten. Der bestehende Rechtsrahmen für deutsche Kapitalanlagegesellschaften sei vollkommen ausreichend. Das Gesetz schreibe unmißverständlich vor, daß Kapitalanlagegesellschaften im ausschließlichen Interesse ihrer Anteilsinhaber zu handeln haben. Die Trennung der Kapitalanlagegesellschaft von den Banken würde zudem zu einer Benachteiligung der Anleger führen. Denn die Folge wären steigende Vertriebs- und Verwaltungskosten. Vergleiche mit angelsächsischen Kapitalanlagegesellschaften zeigten, daß dort die durchschnittlichen Vertriebskosten höher sind als in Deutschland. Die Verwaltungskosten würden zunehmen, da die Kapitalanlagegesellschaften heute teilweise auf das Research ihrer Muttergesellschaften zurückgreifen können. Zudem entständen für die deutschen Kapitalanlagegesellschaften Wettbewerbsnachteile, denn in einem einheitlichen europäischen Investmentmarkt müßten sie konkurrieren mit Kapitalanlagegesellschaften, die weiterhin die Vorteile einer Zusammenarbeit mit ihrer Mutterbank genießen würden.

Ein SPD-Politiker hält dieser Kritik entgegen, daß der Vorschlag, den Banken die Beteiligung an Kapitalanlagegesellschaften zu untersa-

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gen, zwar nicht der Realität entspricht, die derzeit in Deutschland herrsche, aber durchaus der Realität anderer Rechtssysteme. Auch nach Umsetzung der SPD-Forderungen könnte eine Bank unverändert die Produkte eines Kapitalanlagegesellschaft vertreiben. Der Unterschied zur bisherigen Praxis läge jedoch darin, daß der Berater zukünftig nicht nur die Produkte der hauseigenen Kapitalanlagegesellschaft vermittelt, sondern dann nach Möglichkeit das beste Produkt. Die Behauptung, daß sich für die Kapitalanlagegesellschaften Nachteile ergeben, wenn sich die Banken von ihnen trennen müßten, sei zudem wenig überzeugend. Wenn die Kapitalanlagegesellschaft ein leistungsfähiges Unternehmen wäre, dann würden sich auch Käufer dafür finden, beispielsweise nach einem Börsengang der Gesellschaft. Er verstehe jedoch, daß ein Repräsentant des Interessenverbandes der deutschen Investmentgesellschaften diese Position vertreten müsse. Schließlich seien in Deutschland alle Kapitalanlagegesellschaften im Besitz von Banken oder Versicherungen. Bei der Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages am 9. Dezember 1993 hatte sich der Bundesverband der deutschen Investmentgesellschaften bezeichnenderweise direkt vom Bundesverband deutscher Banken vertreten lassen, da die Interessen offensichtlich identisch sind.

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8.2 Versicherungsunternehmen

Der von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte Entwurf eines Transparenz- und Wettbewerbsgesetzes bezieht die Versicherungsunternehmen wegen ihrer engen Verflechtung mit den Großbanken in die Beschränkungen der Anlagemöglichkeiten ein. Versicherungen sollen sich demnach zukünftig nur noch bis zu einem Anteil von 5 Prozent an Unternehmen, die keine Versicherungen sind, beteiligen dürfen. Ausnahmen sollen davon nur für Beteiligungen an Wagnisfinanzierungsgesellschaften zulässig sein. Die Beteiligung an Kapitalanlagegesellschatten soll den Versicherungen generell untersagt werden. Als Begründung für diese Einschränkungen im Versicherungsaufsichtsgesetz nennt ein SPD-Politiker die engen Verflechtungen zwischen Banken und Versicherungen. So gehörten dem Münchener Versicherungsduo Allianz und Münchener Rück mit ihren großen Beteiligungen an der Dresdner Bank und der Bayeri-

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schen Hypotheken- und Wechselbank ein regelrechtes Bankenimperium. Hierdurch seien Interessenkonflikte zu Lasten von Versicherungskunden und der Aktionäre der eingebundenen Gesellschaften vorprogrammiert. Ein FDP-Politiker lehnt derartige Beschränkungen der Anlagemöglichkeiten der Versicherungen ab. Es sei nicht sachgerecht, Banken und Versicherungen gleichzusetzen, da Versicherungen im Gegensatz zu den Banken vom Gesetzgeber die Auflage erhalten hätten, das Geld ihrer Lebensversicherungskunden in sicheren Anlagen anzulegen. Dazu gehöre auch das Halten von Aktienpaketen. Gleichwohl seien die wechselseitigen Verflechtungen zwischen Banken und Versicherungen in der Tat problematisch.

Ein Wissenschaftler sieht bei den Versicherungskonzernen und den mit ihnen verbundenen Banken eine staatspolitisch nicht mehr hinnehmbare Machtkonzentration. Die Basis dieses Machtpotentials bilde der kontinuierliche Kapitalzufluß, der den Versicherungskonzernen aus den steuerprivilegierten Lebensversicherungen erwachse. Bekanntlich seien in Deutschland Zinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen generell einkommensteuerpflichtig. Ausgenommen davon seien jedoch Zinsen aus Kapitallebensversicherungen gegen laufende Beitragsleistung mit Sparanteil, wenn der Vertrag für die Dauer von mindestens zwölf Jahren abgeschlossen worden ist. Von dieser steuerlichen Privilegierung von Kapitallebensversicherungen gehe zwar der volkswirtschaftlich erwünschte Anreiz zum Sparen aus, der jedoch einseitig zu einer Privilegierung der Versicherungskonzerne führe. Dies sei umso problematischer, als Untersuchungen bestätigt haben, daß die Versicherungskonzerne das Geld ihrer Kunden vergleichsweise schlecht verwalten. Während die Anlagen der Versicherungswirtschaft nach Schätzungen rund 7,5 Prozent Rendite erwirtschaftet haben, wurden den Kunden im Durchschnitt weniger als 5,5 Prozent Rendite ausgezahlt. Untersuchungen haben ergeben, daß die Versicherungsunternehmen ihren Kunden in den letzten 35 Jahren im Durchschnitt 25 bis 30 Prozent der erwirtschafteten Rendite für die Kosten der Vermögensanlage und deren Verwaltung sowie den Vertrieb in Rechnung stellten. Vergleicht man die an die Versicherungsnehmer ausgezahlten Erträge mit denen anderer Anlageformen, so ergibt sich, daß bei einem vergleichbaren Steuersatz ein Sparbuch in den Jahren zwischen 1954 und 1993 3,6 Prozent Rendite pro Jahr erbracht hätte, Monatsgeld 5,3 Prozent,

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langfristige Wertpapiere 7,5 Prozent und die Anlage in Aktien sogar 12,1 Prozent pro Jahr.

Aus Sicht eines Wissenschaftlers hat sich die mit geschätzten rund 15 Milliarden Steuermindereinnahmen erfolgte Privilegierung der Kapitallebensversicherung im Durchschnitt als interessante Verschwendung von Steuermitteln erwiesen. Zudem seien Anlagen in andere Anlageformen wie das Aktiensparen durch die steuerliche Schlechterstellung in Deutschland systematisch behindert worden. Die geringe Zahl an Aktionären und der dramatische Mangel an Risikokapital seien unmittelbare Folge dieser Fehllenkung.

Um die Rahmenbedingungen für die private Kapitalbildung zu verbessern und somit die Nachfrage nach Aktien zu steigern, müßten nach Einschätzung eines Wissenschaftlers zunächst die steuerlichen Rahmenbedingungen grundlegend modifiziert werden. Hierzu sollte die bislang nur für die Kapitallebensversicherung geltende steuerliche Begünstigung auch auf andere Sparformen ausgedehnt werden. Denn eine den Grundsätzen der Marktwirtschaft genügende privilegienfreie steuerliche Förderung des Sparens müsse zu einem steuerlich unverzerrten Wettbewerb der Anlageformen führen. Bei der Kapitallebensversicherung stehe derzeit besonders wohlhabenden Personen die Erzielung steuerfreier Kapitaleinkünfte in unbegrenzter Höhe offen. In einer sozialen Marktwirtschaft könne es jedoch keine beitragsmäßig unbegrenzte Steuerfreiheit für langfristig angelegte Kapitalerträge geben. Die auch verfassungsrechtlich bedenklichen Steuerprivilegien der Versicherungswirtschaft sollten deshalb aufgehoben werden. An deren Stelle sollte eine die Anlageerträge der Bürger steuerlich gleich behandelnde Regelung treten, die die volkswirtschaftlich erwünschten Anreize zur Ersparnis beibehält, jedoch die bisherige Verschwendung von Anlagegeldern und Steuermitteln beseitigt und keine Anreize zur Machtkonzentration in Allfinanzkonzernen enthält.

Ein FDP-Politiker hält dem entgegen, daß die Abschaffung der Steuerbefreiung der Kapitallebensversicherung dazu führen würde, daß es keine Kapitallebensversicherung mehr geben wird. Wie die Menschen dann alleine für ihre Altersvorsorge sorgen sollen und insbesondere das Todesfallrisiko absichern sollen, sei höchst proble-

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matisch. Die private Altersvorsorge müsse gestärkt und nicht geschwächt werden. Ein SPD-Politiker unterstreicht die Forderung nach einer Verbesserung der Möglichkeiten für die private Altersvorsorge. Es sei jedoch entlarvend, daß selbst ausgewiesene Kenner der Kapitallebensversicherung die Erfolgschancen des Produktes einzig auf die steuerliche Subventionierung zurückführten. Das Steuerprivileg für die Kapitallebensversicherung sollte deshalb nicht ersatzlos gestrichen werden, sondern durch einen steuerlich unverzerrten Wettbewerb der Anlageformen ersetzt werden. Einen entsprechenden Vorschlag habe die SPD-Bundestagsfraktion im Antrag "Stärkung des Kapitalmarktes Deutschland, Förderung des Aktiensparens und Verbesserung der Risikokapitalversorgung" (Bundestags-Drucksache 13/3784) vorgelegt, der zur Zeit im Deutschen Bundestag beraten werde. Demnach soll jeder Sparer künftig im Rahmen eines steuerlich begünstigten Vorsorge-Sparens (VS) bei freier Wahl der Anlageform (Aktien, Anleihen, Investmentfonds etc.) seine private Altersvorsorge ansparen können. Die Erträge auf dem Vorsorge-Spar-Konto sind bei Einhaltung einer 12jährigen Mindestanlagedauer und laufender Beitragszahlung bis zu einem Höchstbetrag steuerfrei. Damit werde die bislang nur für Kapitallebensversicherungen geltende steuerliche Förderung auch auf andere Anlageformen ausgedehnt. Diese führe zu einem Wettbewerb der Anlageformen, der lukrativen Anlagen wie der Aktie zugute käme. Und das verstärkte Engagement privater Anleger für die Aktie wäre wichtig für die Zukunftsfähigkeit des Kapitalmarktes Deutschland.

Ein FDP-Politiker räumt ein, daß es beim Bereich Lebensversicherungen Reformpotential gibt. Dies dürfe jedoch seiner Auffassung nach nicht bei der Frage der Steuerbefreiung ansetzen, sondern bei der Befristungsfrage. Derzeit laufe die Befristung auf eine Mindestlaufzeit von zwölf Jahren, sonst gäbe es keine Steuerbefreiung. Es sei unter Umständen sinnvoll, diese Befristung auf eine längere Laufzeit, beispielsweise 15 oder 18 Jahre, hochzusetzen. Die Befristung alleine würde jedoch das aus der derzeitigen Regelung resultierende Problem nicht beseitigen. So könne derzeit eine Person, die z. B. mit 28 Jahren ein Erbschaft mache, das Geld mit einer Einmalzahlung in eine Lebensversicherung einzahlen, um dann mit 40 Jahren nach zwölf Jahren Laufzeit steuerfrei eine große Summe ausgezahlt zu bekommen. Dieses Problem ließe sich nur mit der Verbindung der

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steuerbefreiten Auszahlung an das Erreichen eines gewissen Alters lösen. Ein rückwirkender Eingriff in bestehende Lebensversicherungsverträge sei dabei nicht zu erwarten. Hier herrsche Vertrauensschutz.

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8.3 Schaffung einer gesetzlichen Übernahmeregelung

Ein insbesondere von ausländischen Kommentatoren wiederholt kritisiertes Defizit des deutschen Unternehmensrechts ist das Fehlen einer verbindlichen Übernahmeregelung. Im Gegensatz zu ausländischen Rechtsystemen genießen Minderheitsaktionäre in Deutschland bei der Übernahme der Gesellschaft durch einen neuen Mehrheitsaktionär keinerlei Schutz gegen eine Übervorteilung. So besteht die Gefahr, daß Minderheitsaktionäre in Deutschland mit weit unter dem Börsenkurs liegenden Angeboten abgespeist werden. Dieser Mißstand ist umso problematischer, als in deutschen Aktiengesellschaften in den letzten Jahren wiederholt Aktionäre bei Übernahmen erheblich geschädigt worden sind. Ein Wissenschaftler sieht im Fehlen einer solchen Schutzregelung für Kleinaktionäre einen der Hauptgründe, weshalb in- und ausländische Anleger dem deutschen Aktienmarkt gleichermaßen mißtrauen.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat deshalb in ihrem Gesetzentwurf die Einführung einer verbindlichen Übernahmeregelung vorgeschlagen. Demnach muß ein Bieter sowohl im Fall eines öffentlichen Übernahmeangebotes als auch im Fall des Erwerbs der kontrollierenden Mehrheit der Stimmrechte allen Aktionären der Gesellschaft innerhalb einer Frist von 10 Wochen ein Angebot zur Übernahme ihrer Aktien vorlegen. Als Schwelle für den Erwerb der Kontrollmehrheit gilt dabei die angesichts der heute bei deutschen Aktiengesellschaften üblichen Hauptversammlungspräsenzen von durchschnittlich 50 Prozent realistische Grenze von 25 Prozent der Stimmrechte.

Als Reaktion auf die zunehmende Kritik am Fehlen einer Übernahmeregelung hat die Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen, in der unter anderem auch Repräsentanten großer deutscher Aktiengesellschaften tätig sind, den sogenannten "Übernahmekodex" ins Leben gerufen. Dabei handelt es

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sich um eine freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen, bei öffentlichen Übernahmenangeboten oder dem Erwerb eines Anteils von 50 Prozent plus einer Aktie an einer Gesellschaft den Minderheitsaktionären binnen 21 Monaten ein Pflichtangebot zu unterbreiten. Kritiker monieren, daß der Übernahmekodex in jeder Hinsicht hinter dem in angelsächsischen Finanzmärkten üblichen Standard zurückbleibt. Neben der fehlenden Rechtswirksamkeit und dem Mangel an Sanktionen berge die Regelung eine Reihe von Schwächen. So seien sowohl die für die Verpflichtung zur Abgabe eines Übernahmeangebotes notwendige Grenze von 50 Prozent plus eine Aktie als auch die für die Abgabe des Angebots eingeräumte Frist von 21 Monaten viel zur großzügig bemessen. Umso bemerkenswerter ist es nach Meinung eines Wissenschaftlers, daß selbst diese harmlose Regelung den meisten deutschen Unternehmensverwaltungen zu weit gehe. Denn bislang hätten gerade mal 250 der 670 börsennotierten Gesellschaften den Kodex akzeptiert. Diese enttäuschend geringe Zahl habe inzwischen auch den Vorsitzenden der Börsensachverständigenkommission zu der Einschätzung veranlaßt, es könne doch nötig sein, in Deutschland eine gesetzliche Übernahmeregelung zu verabschieden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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