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[Seite der Druckausgabe: 61 / Fortsetzung]


9. Weitere Vorschläge der Koalitionsarbeitsgruppe

Ein FDP-Politiker erläutert, daß die Koalitionsarbeitgruppe Höchst- und Mehrfachstimmrechte abschaffen will. Bei Gesellschaften mit Höchststimmrechten ist die Ausübung der Stimmrechte auf eine bestimmte Höchstgrenze pro Aktionär beschränkt, unabhängig vom tatsächlich vorhandenen Aktienbestand des Aktionärs. Solche Höchststimmrechte gibt es beispielsweise bei der Volkswagen AG. Im VW-Gesetz und der Satzung der Gesellschaft ist festgeschrieben, daß kein Aktionär über mehr als zwanzig Prozent der Stimmrechte verfügen darf, egal welchen faktischen Aktienanteil er besitzt. Mehrstimmrechtsaktien sind dagegen Aktien, die dem Inhaber ein mehrfaches Stimmrecht einräumen. So gibt es beispielsweise bei der Siemens AG Mehrstimmrechtsaktien, deren Stimmrecht sich bei "unternehmensstrategisch entscheidenden Fragen" versechsfacht. Diese Aktien befinden sich ausnahmslos in der Hand der Familie Siemens. Mehrstimmrechtsaktien gibt es zudem bei einigen Unter-

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nehmen insbesondere aus dem Versorgungsbereich. Bei der RWE AG beispielsweise verfügen diese Aktien über ein zwanzigfaches Stimmrecht. Sie befinden sich in der Hand von Gemeinden, Städten und Kreisen, die so über eine dauerhafte Mehrheit in der RWE-Hauptversammlung verfügen.

Sowohl Höchst- als auch Mehrfachstimmrechte sind seit Jahren heftig umstritten. Aus Sicht eines Wissenschaftlers stellen Höchststimmrechte in Verbindung mit dem Depotstimmrecht einen verbreiteten Mißstand im deutschen System der Unternehmenskontrolle dar. Die bei vielen Gesellschaften mit Hilfe des Depotstimmrechts der Banken eingeführten Höchststimmrechte untergraben die Eigentümerrechte der Aktionäre. Höchststimmrechte ermöglichen den Banken in Verbindungen mit dem Depotstimmrecht die vollständige und unumkehrbare Beherrschung der betroffenen Unternehmen. Während Höchststimmrechte für die Einzelaktionäre bindend sind, gelten sie nicht für die Depotbanken, die die Stimmen ihrer Depotkunden in der Regel in unbegrenztem Umfang ausüben können.

Eine Ausnahme von dieser Regel ist lediglich die Volkswagen AG, in deren Hauptversammlung das Depotstimmrecht der Banken bislang ausgeschlossen ist. Höchststimmrechte ohne eine gleichzeitige Beschränkung des Depotstimmrechts bedeuten jedoch de facto die allumfassende und unbegrenzte Beseitigung von Oppositionsmöglichkeiten gegen die Herrschaft der Depotbanken. Besonders auffallend sei, daß Höchststimmrechte praktisch nur bei den Aktiengesellschaften eingeführt worden sind, die sich im Streubesitz befanden - kein Aktionär besaß mehr als 25 Prozent - und die durch die Kombination von Höchststimmrechten und Depotstimmrecht damit durch die Banken beherrscht wurden. Die Beschlüsse zur Einführung der Höchststimmrechte dienten somit nach Einschätzung eines Wissenschaftlers der endgültigen Machtübernahme durch die Banken.

Vordergründig sollten Höchststimmrechte insbesondere der Abwehr von "feindlichen" Übernahmen dienen. Als besonders typisches Beispiel hierfür gilt der gescheiterte Versuch der Flick Brüder, die Feldmühle Nobel AG zu übernehmen. Bei Feldmühle Nobel hatten die Flick Brüder einen Anteil von 38,5 Prozent mit der ausdrücklichen Absicht erworben, die amtierende Unternehmensverwaltung auszu-

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tauschen. Daraufhin wurde mit Hilfe der Deutschen Bank, die zwar lediglich über einen Eigenbesitz von 8 Prozent verfügte, jedoch 47 Prozent der Depotstimmen vertrat, eine Stimmrechtsbeschränkung auf 5 Prozent eingeführt. Damit war der Übernahmeversuch der Flick Brüder gescheitert. Als später das Energieversorgungsunternehmen VEBA eine Mehrheit an Feldmühle Nobel erwarb, war auch die VEBA nicht in der Lage, einen beherrschenden Einfluß auf das Unternehmen auszuüben. Eine von den Flick Brüdern angeführte Investorengruppe besaß mehrere Aktienpakete mit insgesamt 15 Prozent der Anteile und ebenfalls 15 Prozent der Stimmrechte, während die VEBA aufgrund der Höchststimmrechte aus ihrem Aktienpaket lediglich 5 Prozent der Stimmrechte vertreten konnte.

Abbildung 5: Höchststimmrechte bei deutschen Aktiengesellschaften

Gesellschaft

Höchststimmrechte

Eingeführt in:

Anteilsbesitz

At Bauknecht

10%

1986

Flender AG 51%

ASKO

5%

1972

Streubesitz

AVA

10%

1975

Investorengruppe

BASF

nominal 80 Millionen

1975

Streubesitz

Bayer

5%

1975

Streubesitz

Continental

5%

1984

Streubesitz

Deut. Babcock

5%

1988

Streubesitz

Deutsche Bank

5%

1975

Streubesitz

Feldmühle Nobel

5%

1988

Streubesitz

Hoesch

15%

1977

Streubesitz

IWKA

10%

1984

Streubesitz

Leifheit

10%

1984

Streubesitz

Linde

10%

1973

Streubesitz

Mannesmann

5%

1975

Streubesitz

Phoenix

10%

1986

Streubesitz

Rosenthal

5%

1986

Streubesitz

Schering

nominal 12 Millionen

1987

Streubesitz

Veba

5%

1987

Streubesitz

Volkswagen

20%

1970

Streubesitz

Unter Streubesitz wird hier verstanden, daß kein Aktionär einen größeren Anteil als 25% besitzt.

Quelle: Michael Adams

Das Schaubild gibt einen Überblick über die bei deutschen Aktiengesellschaften zwischen 1970 und 1988 eingeführten Höchststimmrechte. Einige der Stimmrechtsbeschränkungen - beispielsweise Deutsche Bank und Continental - sind in den letzten Jahren wieder

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aufgehoben worden. Die Gründe hierfür liegen nach Einschätzung eines Wissenschaftlers primär darin, daß Aktiengesellschaften wie die Deutsche Bank auf Dauer anstrebten, an ausländischen Börsen Fuß zu fassen. An angelsächsischen Börsenmärkten seien jedoch derartige Praktiken wie Höchststimmrechte nicht erlaubt. Es sei jedoch davon auszugehen, daß sich die Deutsche Bank vor der Abschaffung der Höchststimmrechte den Schutz der Bank vor "feindlichen" Übernahmen durch wechselseitige Verflechtungen gesichert habe.

Ein FDP-Politiker betont, daß die Koalitionsarbeitsgruppe als Konsequenz aus der Entscheidung zur Abschaffung der Höchststimmrechte auch die Änderung des VW-Gesetzes vorsehe. So sollen sowohl die bestehenden Höchststimmrechte abgeschafft, als auch die Untersagung des Depotstimmrechts der Banken aufgehoben werden. Es sei nicht akzeptabel, daß die Aktionäre in der Hauptversammlung der Volkswagen AG ihr Stimmrecht lediglich persönlich oder auf Grund von Einzelweisungen ausüben können. Als Folge dieser Regelung lägen die Präsenzen in der VW-Hauptversammlung in der Regel zwischen 35 und 38 Prozent. Dadurch sei sichergestellt, daß das Land Niedersachsen mit seinem Anteil von 18 Prozent stets die Mehrheit in der VW-Hauptversammlung vertrete. Aufgrund einer Klage einer Aktionärsvereinigung werde demnächst gerichtlich geklärt, ob das Land Niedersachsen deshalb einen beherrschenden Einfluß ausübt und ob wegen dieser Mehrheitsverhältnisse ein Anhängigkeitsbericht erstellt werden müsse.

Ein SPD-Politiker verweist darauf, daß bei der Hauptversammlung der Volkswagen AG im Gegensatz zu fast allen anderen Aktiengesellschaften die Eigentümer der Gesellschaft das Sagen haben und nicht die Banken. Die Untersagung des Depotstimmrechts der Banken habe schließlich keinerlei einschränkende Auswirkungen auf die Möglichkeit der Aktionäre, ihre Eigentümerinteressen persönlich oder durch entsprechende Weisungen auszuüben. Die einzigen, die durch diese Regelung benachteiligt seien, sind die Banken, die auf ihr Machtinstrument Depotstimmrecht verzichten müßten. Es sei verständlich, daß die Banken und ihnen nahestehende Parteien aus diesen Gründen eine Änderung des VW-Gesetzes anstrebten. Diese Änderung sei jedoch keineswegs im Sinne der Aktionäre oder des

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Unternehmens VW. Es sei jedoch entlarvend für diese Regierungskoalition, die die Aktienrechtsreform ursprünglich einmal mit dem Ziel eingeleitet hatte, die Macht der Banken einzuschränken, daß nun der Einfluß der Banken bei VW gestärkt werden solle. Dies belege, daß die Bundesregierung ihren ursprünglichen Reformansatz inzwischen vollkommen auf den Kopf gestellt habe.


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