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[Seite der Druckausgabe: 32 / Fortsetzung]


6. Das Depotstimmrecht der Banken

6.1 Bewertung des Depotstimmrechts

Das sogenannte Depotstimmrecht steht seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der Diskussion um die Macht der Banken. Beim Depotstimmrecht handelt es sich um das Recht der Kreditinstitute, das Stimmrecht in der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft für ihre Depotkunden auszuüben. Voraussetzung hierfür ist, daß die Aktionäre ihre Aktien in einem Depot des Kreditinstituts verwahren und sie das Kreditinstitut durch eine schriftliche Vollmacht zur Ausübung des Stimmrechts ermächtigt haben. Diese Vollmacht ist längstens für 15 Monate gültig. Vor der Hauptversammlung muß die Bank ihrem Depotkunden eigene Vorschläge für die Ausübung des Stimmrechts zu den einzelnen Gegenständen der Tagesordnung mitteilen, bei

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denen sie sich, so der Gesetzgeber, vom "Interesse des Aktionärs" leiten zu lassen hat. Erhält die Bank keine gesonderten Weisungen des Aktionärs für ein bestimmtes Abstimmungsverhalten, darf die Bank in der Hauptversammlung gemäß den dem Aktionär unterbreiteten eigenen Vorschlägen abstimmen. Sie darf jedoch von diesen Vorschlägen abweichen, wenn sie davon ausgehen kann, daß der Aktionär bei Kenntnis der Sachlage die abweichende Ausübung des Stimmrechts billigen würde. Eine Ausnahme von dieser Stimmrechtsregelung sieht das Aktiengesetz lediglich für die eigenen Hauptversammlungen der Banken vor. Dort darf die jeweilige Bank für ihre Depotkunden nur auf der Basis ausdrücklicher Weisungen zu den einzelnen Gegenständen der Tagesordnung abstimmen, pauschale Vollmachten dürfen nicht verwendet werden.

Nach Einschätzung von Kritikern ist das Depotstimmrecht der zentrale Hebel für die Machtposition der Banken in deutschen Aktiengesellschaften. Denn in den Hauptversammlungen der großen Publikumsgesellschaften vertreten die Banken in der Regel mittels der von ihren Depotkunden erhaltenen Stimmrechtsvollmachten die Mehrheit der Stimmen. Das Aktienrecht schreibt der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft eine zentrale Bedeutung zu. Zu den wichtigsten Aufgaben der Hauptversammlung gehören die Bestellung des Aufsichtsrats, die Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinns, die Entlastung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat, die Entscheidung über Satzungsänderungen, Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und -herabsetzung, die Bestellung von Prüfern und die Auflösung der Gesellschaft.

Einer empirischen Untersuchung der Universität Osnabrück zufolge vertreten die Banken in den Hauptversammlungen der 24 größten deutschen Aktiengesellschaften in Streubesitz - dabei handelt es sich um Unternehmen ohne einen oder mehrere Großaktionäre - insgesamt durchschnittlich 84,09 Prozent der Stimmrechte. Über 60 Prozent der Stimmrechte vertraten die Banken dabei auf Basis des Depotstimmrechts, gut 13 Prozent aufgrund ihres eigenen Anteilsbesitzes und etwas mehr als 10 Prozent durch im Besitz der Banken befindliche Kapitalanlagegesellschaften.

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Abbildung 3: Stimmrechtsanteile der Banken in den Hauptversammlungen der 24 größten Unternehmen in mehrheitlichem Streubesitz im Jahre 1992

Zahl

Unternehmen

Eigenbesitz der Banken

Stimmen von im Besitz der Bank stehenden Kapitalanlage-gesellschaften

Depot-stimmen

Gesamt

1

Siemens


9,87

85,61

95,48

2

Volkswagen


8,89

35,16

44,05

3

Hoechst


10,74

87,72

98,46

4

BASF

0,09

13,61

81,01

94,71

5

Bayer


11,23

80,09

91,32

6

Thyssen

6,77b

3,62

34,98

45,37

7

VEBA


12,62

78,23

90,85

8

Mannesmann


7,76

90,35

98,11

9

Deutsche Bank


12,41

82,32

94,73

10

MAN

8,67b

12,69

26,84

48,20

11

Dresdner Bank


7,72

83,54

91,26

12

Preussag

40,65

4,51

54,30

99,46

13

Commerzbank


15,84

81,71

97,55

14

VIAG

10,92

7,43

30,75

49,10

15

Bayr. Vereinsbank


11,54

73,15

84,69

16

Degussa

13,65b

8,65

38,35

60,65

17

AGIV

61,19

15,80

22,10

99,09

18

Bayr. Hypo

0,05

10,69

81,38

92,12

19

Linde

33,29

14,68

51,10

99,07

20

Deutsche Babcock

3,22

11,27

76,09

90,58

21

Schering


19,71

74,79

94,50

22

KHD

59,56b

3,37

35,03

97,96

23

Bremer Vulkan


4,43

57,10

61,53

24

Strabag

74,45

3,62

21,21

99,28

Durchschnitt

13,02

10,11

60,95

84,09

a hierbei sind eingeschlossen die Stimmen aus Eigenbesitz, die Stimmen aufgrund des Depotstimmrechts sowie Stimmen von im Eigenbesitz der jeweiligen Bank stehenden Kapitalanlagegesellschaften; jeweils in Prozent aller auf der Hauptversammlung vertretenen Stimmrechte.

b Stimmen wurden indirekt ausgeübt

Quelle: Baums, Fraune, Institutionelle Anleger und Publikumsgesellschaft,
Die Aktiengesellschaft 3/1995

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Ein Vertreter eines Bankenverbandes betont, daß sich das Depotstimmrecht der Banken als effizientes und kostengünstiges Instrument zur Vertretung von Aktionären in den Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften bewährt habe. Seit 1969 hätten die Banken und ihre Repräsentanten wiederholt erklärt, daß sie nicht am Depotstimmrecht "klebten". Es fehle jedoch bis heute an einer überzeugenden Alternative dazu. Alle Alternativvorschläge müßten sich daran messen lassen, ob sie ebensogut den Aktionärswillen wiederspiegeln und angemessene Präsenzen in den Hauptversammlungen sicherstellen können wie die jetzige Regelung.

Ausländische Systeme, in denen ein entsprechendes Instrument fehle, bestätigten mit ihren ausgesprochen niedrigen Hauptversammlungspräsenzen die Gefahr der Verödung der Hauptversammlungen ausdrücklich. In Deutschland werde dies auch durch das Beispiel der Volkswagen AG bestätigt, bei der das VW-Gesetz die Stimmrechtsvertretung der Banken auf Basis der pauschalen Vollmacht nicht zuläßt, sondern die Banken für ihre Depotkunden nur aufgrund ausdrücklicher schriftlicher Weisungen zu den einzelnen Gegenständen der Tagesordnung abstimmen dürfen. Auch bei Volkswagen seien ausgesprochen niedrige Hauptversammlungspräsenzen die Regel. Solch niedrige Präsenzen führten jedoch dazu, daß Aktionärsminderheiten in die Lage versetzt würden, die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen, obwohl sie lediglich über einen Bruchteil des Aktienbesitzes verfügten. Damit seien Tür und Tor für Minderheitsentscheidungen geöffnet, die erhebliche negative Folgewirkungen für die betreffenden Unternehmen und ihre Aktionäre haben könnten.

Zudem müsse darauf hingewiesen werden, daß die Banken bei ihrem Angebot einer kostenlosen Stimmrechtsvertretung für ihre Depotkunden keine Eigeninteressen hätten. Vielmehr leisteten sie einen freiwilligen Beitrag, um die Verödung der Hauptversammlungen in Deutschland zu verhindern. Dies geschehe vor dem Hintergrund, daß es für Kleinaktionäre, die ihre Aktien primär als Kapitalanlage betrachten, keine rationale Alternative sei, persönlich zu der Hauptversammlung ihrer Gesellschaft zu reisen. Angesichts der Kosten und Mühen, die ein Aktionär hierfür auf sich nehmen müßte, werde die Möglichkeit, die Depotbank mit der Vertretung des

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Stimmrechts zu beauftragen, von den Kunden ganz bewußt genutzt. Die große Zahl von Aufträgen zur Stimmrechtsvertretung sei Ausdruck des Vertrauens, daß die Bankkunden ihren Depotbanken entgegenbringen. Denn schon heute stehe es jedem Aktionär nach geltendem Recht frei, statt seiner Bank eine Aktionärsvereinigung oder eine andere Person seines Vertrauens mit der Vertretung seiner Interessen in den Hauptversammlungen zu beauftragen.

Ein Wissenschaftler äußert seine Skepsis über die vermeintlich altruistische Haltung der Banken bei der Serviceleistung Depotstimmrecht. Gerade wenn das Depotstimmrecht für die Banken mit so hohem Aufwand und Kosten verbunden sei, stelle sich bei profitorientierten Unternehmen, wie es Banken seien, die Frage nach den kostenkompensierenden Faktoren. Diese lägen wahrscheinlich in der sich aus dem Depotstimmrecht ergebenden Machtstellung, aus der sich für die jeweilige Bank etwa im Emissionsgeschäft wichtige und teilweise zum Ausschluß von Wettbewerbern führenden Geschäftsvorteile ergeben.

Die Frage nach der Legitimation des Depotstimmrechts der Banken war in den vergangenen Jahren vielfach Gegenstand wissenschaftlicher Studien. Befürworter des Depotstimmrechts verweisen auf die "rationale Apathie" der Aktionäre. Demnach sei es für Kleinaktionäre nach Abwägung der Vor- und Nachteile einer persönlichen Teilnahme an der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft eine vernünftige Entscheidung, ihr Stimmrecht professionellen Stimmrechtsvertretern zu übertragen. Ein Wissenschaftler verweist darauf, daß diese verbreitete Einschätzung als Begründung einer professionellen Stimmrechtsvertretung ausreichend sein mag, es bestehe jedoch keine Notwendigkeit, hieraus a priori eine Sonderstellung der Banken beim Wettbewerb um Stimmrechtsvollmachten abzuleiten. So sei davon auszugehen, daß sich ein mit den wirtschaftlichen Grundsätzen von Kapitalmärkten vertrauter Anleger von seiner Unternehmensverwaltung und damit auch von den als Kontrolleure der Unternehmensverwaltungen fungierenden Banken eine Maximierung des Unternehmenswerts und damit des Werts seiner Aktie ("Shareholder value") erwarte.

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Schließlich sei die Aktie ein Risikopapier, das gegenüber anderen, risikoärmeren Anlageformen wie Schatzbriefen oder dem Sparbuch nur dann bestehen könne, wenn der Anleger sein erhöhtes Risiko mit einer Risikoprämie versüßt bekomme. Entsprechend habe der Anleger kein Interesse an einem den Unternehmenswert mindernden Verhalten des Unternehmensmanagements oder einer Diversifikationspolitik des Unternehmens, da der Anleger die erzielte Streuung seines Kapitals ohne Schwierigkeiten durch den Kauf verschiedener Aktien selbst herstellen könne.

Beispiele für solche, den Unternehmenswert mindernde Unternehmenspolitik seien die Daimler-Benz-AG oder die Deutsche Bank AG. In der Ära des Daimler-Chefs Edzard Reuter (1987 - 1995) habe der Konzern einen zweistelligen Milliardenbetrag in die gigantische Diversifikationspolitik des Konzerns investiert. Seine Vision eines "integrierten Technologiekonzern" versuchte Reuter durch den Kauf diverser Unternehmen - AEG, Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) oder den holländischen Flugzeugbauer Fokker - umzusetzen. Die anvisierten Ziele wurden jedoch nicht erreicht, stattdessen sank der Börsenwert der Daimler-Benz AG in der Ära Reuter kontinuierlich ab.

Bei der Deutschen Bank liegt heute der Wert der von der Bank in ihrem Geschäftsbericht 1995 ausgewiesenen wesentlichen Beteiligungen an börsennotierten Gesellschaften über dem Börsenwert des Unternehmens. Statt das Geld der Aktionäre zu einer möglichst großen Steigerung des Unternehmenswertes zu nutzen, habe sich das Deutsche-Bank-Management ein stattliches Industrie- und Handelsimperium zusammengekauft. Als Folge dieser aktionärsfeindlichen Politik sei auch der Kurs der Deutsche-Bank-Aktie in den letzten Jahren stagnierend. Der Vorstandssprechers der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, habe offen eingeräumt, daß der Wert der Bankgeschäfte, der Beteiligungen und des Grundvermögens jeweils einzeln bewertet höher sei als der Börsenwert der gesamten Deutschen Bank. Ein Wissenschaftler verweist darauf, daß diese Situation nach der ökonomischen Theorie in einem funktionsfähigen Markt für Unternehmenskontrolle eine "feindliche" Übernahme zur Folge hätte, die eine Trennung von Bank und Beteiligungen und damit die Beseitigung dieser Diskrepanz zwischen möglichem und tatsächlichem Wert nach sich zöge. Die Deutsche Bank müsse daher

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wegen ihres völlig unterentwickelten Börsenwertes als potentieller Übernahmekandidat angesehen werden. Auf dem internationalen Kapitalmarkt seien die hierfür notwendigen Finanzmittel durchaus vorhanden; schließlich mache das für eine Übernahme der Deutschen Bank notwendige Kapital lediglich einstellige Prozentsätze der in den großen Pensionsfonds verfügbaren Finanzmittel aus. Sollte ein solcher Versuch erfolgen und erfolgreich sein, fiele mit der Bank auch die oberste Kontrolle über wichtige Teile der deutschen Wirtschaft in die Hand fremder Übernehmer.

Die Praxis der Ausübung des Depotstimmrechts durch die Banken habe zudem ausdrücklich in der Vergangenheit für viele Aktionäre erhebliche Nachteile zur Folge gehabt. Dies gelte beispielsweise für die Aktionäre der Daimler-Benz AG, die bei der von den Banken mittels ihres Depotstimmrechts im Dezember 1993 erwirkten Entscheidung gegen die Ausschüttung der EK-56-Rücklagen einen Gesamtschaden von 5 bis 7 Milliarden DM - rund 340 DM pro Aktie - erlitten haben. Die Hauptversammlung der Daimler-Benz AG mußte damals auf Antrag eines Kleinaktionärs darüber entscheiden, ob die sogenannten EK-56-Rücklagen des Konzerns in Höhe von rund 11,8 Milliarden DM an die Aktionäre ausgeschüttet werden sollten. Bei diesem EK-56-Kapital handelte es sich um Gewinnrücklagen, die zwischen 1977 und 1989 angefallen waren und mit dem damaligen Körperschaftssteuersatz von 56 Prozent belastet wurden. Im Falle einer Ausschüttung im Jahre 1993 hätten die Aktionäre die Differenz zwischen dem damaligen Steuersatz und dem 1993 gültigen Satz für ausgeschüttete Gewinne von lediglich 36 Prozent vom Finanzamt erstattet bekommen. Für die Daimler-Benz-Aktionäre hätte die Anschüttung im Schnitt eine "Superdividende" von 340 DM pro Aktie bedeutet. Damit die gigantische Ausschüttung die Daimler-Benz AG finanziell nicht zu sehr belasten würde, hatten Aktionärsvertreter im Rahmen eines "Schütt-aus-hol-zurück-Verfahrens" die gleichzeitige Erhöhung des Daimler-Benz-Grundkapitals um dieselbe Summe vorgeschlagen. Mit derartigen Verfahren hatten schon verschiedenen Gesellschaften in vergleichbaren Fällen erfolgreich operiert. Gleichwohl hatte sich die Unternehmensverwaltung von Daimler-Benz wegen des aus ihrer Sicht nicht garantierten Kapitalrückflusses gegen ein solches Verfahren ausgesprochen. Für die Depotbanken galt es nun, sich bei der Entschei-

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dung über die Ausschüttung der EK-56-Rücklagen zwischen den Interessen der Aktionäre und denen des Managements von Daimler-Benz zu entscheiden. Die Entscheidung der Depotbanken war eindeutig. Der Antrag zur Ausschüttung der Rücklagen wurde mit mehr als 99,7 Prozent der Stimmen abgelehnt.

Ein weiteres, jüngeres Beispiel für die aktionärsfeindliche Praxis der Ausübung des Depotstimmrechts sei der in der Hauptversammlung der Deutschen Bank im Mai 1996 mittels der Depotstimmen getroffene Beschluß, den Führungskräften der Bank eine als Aktienoptionen getarnte saftige Gehaltserhöhung in der Größenordnung zwischen 200 und 500 Millionen DM zu gewähren. Bei dieser von Kritikern als "moderne Form des Bankraubs" bezeichneten Beschlußfassung handelte es sich sicherlich um keine Entscheidung, die im Interesse der Aktionäre der Deutschen Bank läge. Schließlich entspreche die im HV-Beschluß für die Geltendmachung der Optionen notwendige Steigerung des Aktienkurses gerade mal der durchschnittlichen Entwicklung von Bundesanleihen. Nach Einschätzung eines Wissenschaftlers sei bei beiden Entscheidungen den Aktionären der Gesellschaften geschadet worden. Dies habe die Depotbanken jedoch nicht daran gehindert, in beiden Fällen gegen die Interessen ihrer Depotkunden zu votieren.

Ein Wissenschaftler kritisiert, daß das Depotstimmrecht in der Praxis zur Abschottung der Unternehmensverwaltungen genutzt werde. Dies lasse sich an den Hauptversammlungen der fünf großen Aktienbanken, Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank, Bayerische Hypotheken- und Wechselbank und Bayerische Vereinsbank, exemplarisch festmachen.

Die folgende Tabelle zeigt, daß in den Hauptversammlungen dieser fünf Banken im Jahre 1992 die Unternehmensverwaltungen dieser Gesellschaften jeweils zwischen 54,82 Prozent und 64,15 Prozent der Stimmrechte vertreten haben. Diese Stimmrechtsverteilung führe dazu, daß die Kontrolle der angestellten Unternehmensverwaltungen de facto nicht mehr existiere. Die Manager kontrollierten sich damit faktisch selbst, der Kreislauf der Macht sei geschlossen.

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Abbildung 4: Stimmrechtsanteile der Banken in den Hauptversammlungen der fünf größten Aktienbanken im Jahre 1992

Bank

Deutsche Bank

Dresdner Bank

Commerz-bank

Bayr. Vereinsb.

Bayr. Hypo

alle zusam-men:

Deutsche Bank

32,07

14,14

3,03

2,75

2,83

54,82

Dresdner Bank

4,72

44,19

4,75

5,45

5,04

64,15

Commerzbank

13,43

16,35

18,49

3,78

3,65

55,70

Bayr. Vereinsb.

8,80

10,28

3,42

32,19

3,42

58,11

Bayr. Hypo.

5,90

10,19

5,72

10,74

23,87

56,42

a hierbei sind auch eingeschlossen die aufgrund des Depotstimmrechts abgegebenen Stimmen und die von im Eigenbesitz der jeweiligen Bank stehenden Tochterbanken und Kapitalanlagegesellschaften abgegeben Stimmen; jeweils in Prozent aller auf der Hauptversammlung vertretenen Stimmrechte.

Quelle: Baums, Fraune: Institutionelle Anleger und Publikumsgesellschaft, Die Aktiengesellschaft 3/1995

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6.2. Reformvorschläge

Bei der Einschätzung des Depotstimmrechts der Banken offenbaren sich erhebliche Unterschiede zwischen den Positionen der SPD-Bundestagsfraktion und den Regierungsfraktionen. Die SPD teilt die Kritik am Depotstimmrecht. In ihrem Entwurf eines Transparenz- und Wettbewerbsgesetzes schlägt die SPD daher eine radikale Abkehr von der bisherigen Praxis vor. Im Gegensatz zum Gesetzentwurf der letzten Legislaturperiode will die SPD das Depotstimmrecht jedoch nicht ersatzlos abschaffen. Stattdessen soll das jetzige Depotstimmrecht der Banken durch eine neue unabhängige Form der Stimmrechtsvertretung ersetzt werden. Zukünftig sollen sich unabhängige Aktionärsvertreter um die Vertretungsvollmachten bei den Aktionären bewerben, die dann frei darüber entscheiden können, wen sie mit der Vertretung ihrer Stimmrechte in der Hauptversammlung beauftragen wollen. Den Aktionärsvertretern können die Aktionäre wie bisher entweder eine längstens für 15 Monate gültige, pauschale Vollmacht erteilen, oder sie schreiben den Aktionärs-

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vertretern mittels konkreter Einzelweisungen ein bestimmtes Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung vor. Die Aktionärsvertreter vertreten in der Hauptversammlung diejenigen Aktionäre, die ihnen zuvor eine pauschale Vollmacht oder eine Einzelweisung erteilt haben. Als Aktionärsvertreter kommen nach Vorstellung der SPD Wirtschaftsprüfer und andere besonders qualifizierte Personen in Frage.

Mit der Verlagerung der Stimmrechtsvertretung auf unabhängige Aktionärsvertreter will die SPD einen echten Wettbewerb um Stimmrechtsvollmachten initiieren, der der Qualität der Stimmrechtsvertretung und damit der Aktionärskultur zugute kommen soll. Angesichts der prinzipiellen Risiken eines organisierten Vertretungsmechanismus für passive Aktionäre böte die Verlagerung des Vertretungsrechts für Aktionäre auf unabhängige Aktionärsvertreter den entscheidenden Vorteil, daß sich die Aktionärsvertreter nicht vor der Unternehmensverwaltung oder einer Depotbank, sondern einzig vor den Aktionären beweisen müßten. Denn die Aktionärsvertreter würden von den Aktionären bestimmt, die dann jedes Jahr frei entscheiden könnten, wen sie mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragten. Erstmals käme es so zu einem echten Wettbewerb um Stimmrechtsvollmachten. Diese neue Regelung würde die bestehenden Interessenkonflikte beseitigen und sei nicht zu vergleichen mit der heutigen Situation, in der die Depotbank dem uniformierten Aktionär gegenüber faktisch ein Vertretungsmonopol habe. Und die Depotbank könne auch zukünftig mit eigenen Abstimmungsvorschlägen um Einzelweisungen werben. Dabei müßte sich jedoch die Qualität ihrer Vorschläge erstmals mit denen unabhängiger Aktionärsvertreter messen lassen. Außerdem würde deren Tätigkeit als Aktionärsvertreter zukünftig nicht nur vom Bundesaufsichtsamt, sondern auch durch den Wettbewerb zwischen einer Vielzahl potentieller Aktionärsvertreter kontrolliert.

Ein Wissenschaftler bezweifelt, daß die Einführung unabhängiger Aktionärsvertreter die strukturellen Probleme einer Vertretung von Aktionären durch Dritte beseitigen könne. Vielmehr sei zu befürchten, daß diese Aktionärsvertreter auf Dauer ihre Integrität nicht wahren könnten. Solange es verschwiegene Konten in der Schweiz und anderswo gebe, sei die Vorstellung einer dauerhaft korrupti-

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onsresistenten Stimmrechtsausübung durch Dritte illusorisch. Aus diesem Grunde plädiere er für die ersatzlose Streichung des Depotstimmrechts. Ein FDP-Politiker begründet seine Ablehnung des SPD-Vorschlags damit, daß das vorgeschlagene Verfahren der Stimmrechtsvertretung durch unabhängige Aktionärsvertreter seiner Auffassung nach viel zu bürokratisch und aufwendig sei. Seiner Auffassung nach müsse am derzeitige Depotstimmrecht der Banken festgehalten werden, da es ansehnliche Präsenzen in den Hauptversammlungen sicherstelle. Zwar sei die Art und Qualität der Abstimmungsergebnisse nicht immer befriedigend, aber Alternativvorschlägen wie der der SPD oder die Forderung nach einer generellen Abschaffung des Depotstimmrecht hätten ein weiteres Absinken der Hauptversammlungspräsenzen zur Folge.

Ein Wissenschaftler widerspricht dieser Einschätzung. Die Befürworter des Depotstimmrechts machten es sich zu einfach, wenn sie die unter den jetzigen Gegebenheiten rationale Apathie der Kleinaktionäre auf andere Rahmenbedingungen übertrage. Vielmehr sei zu erwarten, daß sich Aktionäre mit kleinerem Anteilbesitz oder Aktionärsgruppen nach einem Wegfall des Depotstimmrecht der Banken wesentlich aktiver an Hauptversammlungen beteiligten, als dies derzeit der Fall sei. Die von Apologeten des Depotstimmrechts gern beschworenen Schreckensszenarien von der „Verödung der Hauptversammlungen" und der Herrschaft von "Zufallsmehrheiten" oder "Weltverbesserern" seien ein konstruiertes und wenig überzeugendes Argument.

Ein CDU-Politiker erläutert, daß die Regierungskoalition auch beim sogenannten Depotstimmrecht der Banken keinen Paradigmenwechsel anstrebe. Die Koalition wolle am Depotstimmrecht festgehalten, da sie das Depotstimmrecht für das geeignete Instrument halte, um die Präsenzen in den Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften auf einem vertretbaren Niveau zu halten. Praktikable Alternativen zum Depotstimmrecht der Banken seien bislang nicht vorgelegt worden. Zudem hätten die Aktionäre schon heute alle Möglichkeiten, ihr Stimmrecht in den Hauptversammlungen der Aktiengesellschaften auch dann zur Geltung zu bringen, wenn sie nicht auf das Depotstimmrecht der Banken zurückgreifen wollten. Und schon jetzt sei die Bank verpflichtet, ihre Vorschläge für

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das Abstimmungsverhalten im Interesse des Aktionärs zu formulieren. Die Koalition strebe mit ihrem Gesetzentwurf eine Verbesserung und Stärkung des Depotstimmrechts an, mit dem Ziel, die anhaltende Kritik am Depotstimmrecht wirksam zu entkräften. Zukünftig soll deshalb ein Mitglied der Geschäftsleitung der Depotbank persönlich dafür verantwortlich sein, daß die Abstimmungsvorschläge der Bank an ihre Depotkunden tatsächlich dem Aktionärsinteresse, und nicht dem Eigeninteresse der Bank diene. Dabei müsse bedacht werden, daß das Aktionärsinteresse schwierig zu definieren sei. Zudem sollen die Banken ihre Depotkunden bei der Übersendung der Einladung zur Hauptversammlung zukünftig auch auf alternative Vertretungsmöglichkeiten hinweisen. Zur Verbesserung der Transparenz soll die Bank ihre Depotkunden außerdem auf einen etwaigen Beteiligungsbesitz der Bank oder eventuelle personelle Verflechtungen zu dem betreffenden Unternehmen hinweisen. Ein Wissenschaftler hält es für ausgesprochen zweifelhaft, ob die bloße Benennung eines ganz besonderen Bankangestellten, der qua definitionem in besonderem Maße für die gesetzeskonforme Ausübung des Depotstimmrechts zuständig sei, dafür geeignet sei, die bestehenden Interessenkonflikte zwischen der Depotbank und den von ihr zu vertretenden Aktionären aufzulösen.

Ein CDU-Politiker ergänzt, daß die Koalitionsarbeitsgruppe eine Einschränkung des Depotstimmrechts für die Fälle anstrebe, in denen die Bank zu mehr als 5 Prozent am Grundkapital des betreffenden Unternehmens beteiligt ist. Dann müsse sich die Bank nach Vorstellung der Regierungskoalition entscheiden, ob sie in der Hauptversammlung des Unternehmen ihren eigenen Aktienbestand oder die Stimmen ihrer Depotkunden vertreten will. Eine Vertretung von Aktionären durch ihre Depotbank auf Basis der pauschalen 15-Monats-Vollmacht sei dann nicht mehr möglich; die Bank dürfe ihre Depotkunden jedoch auf der Basis von Einzelvollmachten vertreten. Außerdem könne die Bank ihren Depotkunden eine andere Bank für die Stimmrechtsvertretung konkret benennen. Durch diese Stimmrechtseinschränkung wird nach Einschätzung eines CDU-Politikers die Gefahr, daß eine Bank ihre eigene Beteiligungsinteressen durch das Depotstimmrecht durchsetzen kann, unterbunden.

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Ein SPD-Politiker hält diesen Vorschlag für unzureichend. Wesentlich größere Interessenkonflikte zwischen den Interessen der Bank und denen ihrer Depotkunden ergäben sich beispielsweise in den Fällen, in denen die Bank Kreditgeber des betroffenen Unternehmens oder Anteilseigner eines konkurrierenden Unternehmens sei. Außerdem sei durch die explizite Möglichkeit zur "konkreten Benennung" eines anderen Kreditinstitutes für die Übertragung des Depotstimmrechts bereits die zu erwartende Umgehung vorgezeichnet. Ein FDP-Politiker lehnt den Vorschlag der Koalitionsarbeitgruppe ebenfalls ab. Eine derartige Regelung sei nicht geeignet, die praktischen Probleme mit dem Depotstimmrecht sachgerecht zu lösen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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