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[Seite der Druckausgabe: 26 / Fortsetzung]


5. Ringverflechtungen und wechselseitige Beteiligungen

5.1 Bewertung der Ringverflechtungen

Die intensiven Verflechtungen deutscher Großunternehmen werden zunehmend als ordnungspolitisches Problem erster Ordnung bewertet. Auch der Deutsche Juristentag mahnte gesetzgeberische Maßnahmen zur Reduktion der Ringverflechtungen an. Das Zentrum dieses Netzes wechselseitiger Verflechtungen, von ausländischen Kritikern "Deutschland AG" getauft, bildet der Anteilsbesitz der Banken und Versicherungen. Ein Wissenschaftler betont, daß die wechselseitigen Ring- und Überkreuzverflechtungen der wichtigsten deutschen Finanz- und Industrieunternehmen zentrale Bedeutung für die Beschränkungen des Wettbewerbs auf dem Markt für Unterneh-

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menskontrolle und die Machtfülle der Banken und Versicherungen haben. Die Praxis wechselseitiger Beteiligungen oder Überkreuzverflechtungen sehe so aus, daß z.B. die Allianz AG an der Münchener Rückversicherung AG mit 25 Prozent beteiligt und umgekehrt die Münchener Rückversicherung AG an der Allianz Anteile mit 26 Prozent beteiligt ist.

Der Sinn dieser wechselseitigen Verflechtung in Höhe von mindestens 25 Prozent liegt darin, daß jedes Unternehmen in der Hauptversammlung des anderen Unternehmens mindestens über die zur Verhinderung wichtiger Entscheidungen notwendige Sperrminorität verfügt. Die faktische Bedeutung ist jedoch angesichts der heutzutage üblichen Hauptversammlungspräsenzen von rund 50 Prozent wesentlich höher. Hinsichtlich einer Kontrolle gehören die beiden Unternehmen damit faktisch ihren Managern. Ein FDP-Politiker hält die Verflechtung zwischen Allianz und Münchener Rück für kein geeignetes Beispiel für diese These. Das System der gegenseitigen Beteiligungen zwischen Allianz und Münchener Rück hätte bestimmte historische Grundlagen. So habe es einen Freundschaftsvertrag gegeben, der 50 Jahre Bestand hatte und dann geplatzt sei. Von ewiger Freundschaft könne da keine Rede sein. Stattdessen habe es große Meinungsverschiedenheiten gegeben, die jedoch inzwischen beigelegt seien. Ein Wissenschaftler hält diese Argumentation für abwegig. Allianz und Münchener Rück hätten in den letzten Jahren in beispielloser Weise kooperiert. Immer dann, wenn die Allianz Probleme mit dem Kartellamt habe und Beteiligungen abbauen müsse, springe die Münchener Rück ein und übernehme die abzubauenden Anteile. Zudem stellten die Banken in beiden Gesellschaften die Hauptversammlungsmehrheit.

Um diese wechselseitige Verflechtung herum haben die beiden Versicherungskonzerne unter Einbindung der führenden deutschen Banken ein System von Ringverflechtungen aufgebaut. Mit Ausnahme der Commerzbank, bei der bislang lediglich eine kleinere direkte Beteiligung der Münchener Rück bekannt geworden ist, sind die führenden deutschen Finanzdienstleistungsunternehmen fest in dieses Netz integriert.

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Die kapitalmäßigen Verflechtungen zwischen den sieben führenden deutschen Finanzinstituten

Die Funktion der Einbindung einer größeren Zahl von Unternehmen in eine Ringverflechtung liege darin, daß es hierdurch den beteiligten Unternehmensverwaltungen gelänge, ihre Verflechtungen unter den gesetzlichen Kriterien der Offenlegungspflichten, der Konzernregelungen und der Fusionsaufgreifkriterien zu halten, gleichzeitig aber die gewünschten Wettbewerbsbeschränkungen zu erzielen. Eine tatsächliche Unternehmenskontrolle sei dadurch in Deutschland im Bereich der Finanz- und Industrieunternehmen funktionsunfähig gemacht worden. Bei den bisher bekannten Ringverflechtungen werden deshalb üblicherweise Beteiligungsprozentsätze vermieden, die nach geltendem Recht zu kartellrechtlichem Eingreifen oder zu aktien- und kartellrechtlichen Meldepflichten führen müßten.

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Deshalb sind an derartigen Ringverflechtungen viele der wichtigsten deutschen Unternehmen beteiligt, wobei an den beteiligten Unternehmen gegenseitig kleine Schachteln gebildet werden.

Die Verflechtungen innerhalb der führenden deutschen Banken und Versicherungen bilden dabei nur das Zentrum eines umfassenden Netzes wechselseitiger Verflechtungen, in das nahezu alle führenden deutschen Industrie- und Handelsunternehmen eingebunden sind. Kritiker insbesondere aus dem Ausland haben dieses Netzwerk mit dem Terminus "Deutschland AG" belegt. Die wechselseitigen Verflechtungen führen nach Einschätzung eines Wissenschaftlers dazu, daß sich die Unternehmensverwaltungen der eingebundenen Unternehmen wirkungsvoll von den Kontrollinstrumenten des Kapitalmarktes abgeschottet haben. Die privaten Unternehmenseigentümer, die Aktionäre, seien dadurch nicht mehr in der Lage, die von den Marktkräften abgeschirmten Unternehmensverwaltungen ihrer Unternehmen angemessen zu kontrollieren und zu einer Änderung ihrer auch für die Arbeitnehmer schädlichen Verhaltensweisen zu bewegen. Hierdurch würden der Kapitalmarktstandort Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährdet.

Die sieben Kerngesellschaften des privaten Finanzsektors hätten sich gegen die Kontrollmechanismen des Kapitalmarktes aufgrund von Beteiligungsverflechtungen und Depotstimmen vollständig abgeschirmt. Darüber hinaus kontrolliere diese Kerngruppe bei den meisten großen nicht unmittelbar konzernabhängigen Aktiengesellschaften entweder über Beteiligungen oder durch Depotstimmen die Mehrheit. So müsse davon ausgegangen werden, daß Vorstand und Aufsichtsrat der wichtigsten deutschen Publikumsgesellschaften von niemandem Außenstehenden mehr kontrolliert werden. Die mit dem Geld der Aktionäre der einzelnen Unternehmen gekauften Beteiligungen werden in enger Kooperation der Unternehmensverwaltungen untereinander bei Abstimmungen so eingesetzt, daß außenstehende Privataktionäre gegen die Stimmen der Unternehmensverwaltungen keinen wesentlichen Einfluß mehr geltend machen können. Die Unternehmensverwaltungen der miteinander verflochtenen großen deutschen Aktiengesellschaften scheinen sich daher ohne wesentlichen äußeren Einfluß durch Kooptation nach eigenen Regeln zu ergänzen.

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Abbildung 2: Das Netz der Beteiligung von Banken und VersicherungenBild vergrößern


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Besteht der Sinn von Überkreuz- und Ringverflechtungen nach Einschätzung eines Wissenschaftlers in der Beseitigung der Kontrollmöglichkeiten der außenstehenden Aktionäre über ihre Unternehmensverwaltungen, seien volkswirtschaftliche Vorteile aufgrund der Ringverflechtungen nicht zu erkennen. Vielmehr treten alle Nachteile von Wettbewerbsbeschränkungen auf der Ebene der Produktmärkte und der Märkte für Managementkontrolle auf. Die Abschottung der unternehmensleitenden Personen vom Wettbewerb um ihre Positionen bewirke, daß sich die Qualität der Unternehmensverwaltungen verschlechtert und damit eine Schädigung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen eintrete. Ein wirksamer Wettbewerb um Führungspositionen gegen die gegenwärtigen Amtsinhaber sei nicht mehr gegeben. Da die Unternehmensverwaltungen ein persönliches Interesse an der Stabilität der wechselseitigen Abhängigkeit hätten, werde auch ein diese Stabilität gefährdender Wettbewerb auf den Produktmärkten nicht auftreten. Die gegenseitige Anerkennung der Interessen eingebundener Unternehmensverwaltungen schließe allzu unabhängige Wettbewerbsvorstöße aus und erleichtere abgestimmtes Verhalten sowie die Bildung und Aufrechterhaltung von Kartellen.

Die zunehmende Zahl wechselseitiger Verflechtungen führe zu Defiziten bei der Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen. Schließlich sorge ein funktionierender Markt für Unternehmenskontrolle alleine durch die Drohung mit einer "feindlichen" Übernahme der Unternehmensleitung dafür, daß die Unternehmensverwaltungen die Mehrung ihres Unternehmenswertes bei ihrer Geschäftsführung im Auge behalten. Denn für den Fall. daß die Unternehmensverwaltungen die Förderung des Unternehmenswertes vernachlässigten, würden andere ökonomische Einheiten die Kontrolle über das Unternehmen übernehmen, um anschließend für sich Gewinne aus der besseren Unternehmensverwaltung zu ernten. Eine Beschränkung der Möglichkeit zu "feindlichen" Übernahmen führe daher zu Qualitätsverschlechterungen in der Unternehmensführung und zur Verminderung der Unternehmenswerte. Ein CDU-Politiker verweist darauf, daß "feindliche" Übernahmen natürlich auch negative Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen haben können. Beispiele aus den USA belegten, daß Übernahmen dort auch zum

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Zwecke der schnellen Profitmaximierung und der bewußten Zerschlagung von Konzernen genutzt würden.

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5.2 Reformvorschläge

Zur Reduzierung der wechselseitigen Verflechtungen sieht der von der SPD vorgelegte Gesetzentwurf vor, daß das Stimmrecht aus wechselseitigen oder Ringverflechtungen ab einer Grenze von 3 Prozent der Stimmrechte ausgesetzt wird. Damit entfalle die derzeit mögliche Abschottung vor externer Kontrolle und den Risiken eines echten Wettbewerbs.

Ein FDP-Politiker lehnt diesen Vorschlag ab. Die Untersagung der Stimmrechtsausübung ist seiner Auffassung nach ein klarer Eingriff in die Eigentumsrechte von Aktionären. Schließlich sei das Stimmrecht ein Teil des Eigentumsrechts des Aktionärs. Dieser Argumentation hält ein Wissenschaftler entgegen, daß die Rechte der Eigentümer in Aktiengesellschatten durch deren Unternehmensverwaltungen ausgeübt würden. Erst wenn die Gesellschaften wieder geöffnet werden, bekämen die Eigentümer überhaupt erst wieder die Gelegenheit, ihre Eigentümerrechte auszuüben.


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