FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: 59]


7. Podiumsdiskussion über die fünf Mobilitätskonzepte

Diskussionsleitung: Volker Hauff

Im derzeitigen Bundesverkehrswegeplan heißt es: „Die Engpaßfreiheit und das unterstellte Geschwindigkeitsniveau sind nicht mehr haltbar." Diese Erkenntnis verdeutlicht, daß sich die Verkehrspolitik in den letzten zehn Jahren spürbar gewandelt hat. Alle verantwortlichen Akteure sind sich einig, daß neue Konzepte und neue Systeme geschaffen werden müssen. Gebraucht wird ein konsistenter Ansatz. Die fünf zur Diskussion gestellten Modelle für eine zukunftsfähige Mobilität schlagen unterschiedliche Lösungen für die Verkehrsprobleme vor. Dabei gibt es auch eine Reihe von Kontroversen, über die wir jetzt im einzelnen diskutieren wollen.

Mit dem Schlanken Verkehr wurde ein sogenannter Königsweg vorgestellt. Dieser zeigt, wie beispielsweise mit Hilfe der Deckelung bzw. Limitierung des Verkehrs und mit administrativen Maßnahmen die derzeitige Situation verbessert werden kann. Ist dieser Vorschlag ein gangbarer Weg?

  • Holzapfel: Ich halte diesen Vorschlag kaum für durchsetzbar. Eine administrative Begrenzung ist ein schlechter Weg, denn die Zuteilung bzw. Verknappung eines „Gutes" läßt dieses „Gut" in den Augen der Bevölkerung als wertvoll erscheinen. Der Autoverkehr ist aber eher als Belastung anzusehen. Er sollte nicht durch Administration, sondern anders geregelt werden.

  • Törkel: Das vorgestellte Konzept des Schlanken Verkehrs paßt nicht in das Konzept der EU. Die EU-Politik bemüht sich darum, das marktwirtschaftliche Element im Verkehr zu stärken und mit Hilfe von Kostenwahrheit und anderer Elemente den Verkehr effizienter zu gestalten und Umweltbelange zu berücksichtigen.

[Seite der Druckausgabe: 60]

  • Marte: Verkehrsbegrenzungen sind notwendig und auch möglich. Dabei ist der Stau - im Gegensatz zu preispolitischen Maßnahmen - ein sozial gerechtes Korrektiv, weil er alle Autofahrer gleich trifft. Außerdem ist eine zeitliche Steuerung des Verkehrs - auch in Form der Hinnahme von Staus - leichter durchsetzbar als eine Kostensteuerung.

Haefner und Marte haben den Begriff des Mobilitätsüberschusses aufgebracht. Beschreibt dieser Begriff die derzeitige Situation korrekt?

  • Fischer: In allen Lebensbereichen - wie Wirtschaft, Freizeit oder Kultur - stellen wir eine Tendenz zu mehr Mobilität fest. Der Verkehr ist das Spiegelbild der Aktivitäten des Menschen. Wir haben also keinen Überschuß, sondern eher Mangel an Mobilität.

  • Friedrich: Mobilität bedeutet eine Ortsveränderung vorzunehmen - unabhängig vom Auto. Mobilität darf also nicht mit Automobilität verwechselt werden. Beschränkungen der Mobilität sind nicht gewünscht und auch nicht notwendig.

Vertreter der Automobilindustrie halten das Trip-Sharing für ein quantitativ interessantes Instrument zum Ausschöpfen von nicht genutzten Kapazitäten. Dieses deckt sich mit dem Vorschlag von Haefner und Marte, den Besetzungsgrad der Fahrzeuge durch Fahrgemeinschaften zu erhöhen. Gibt es wirklich Gemeinsamkeiten?

  • Fischer: Von der Sache her sehe ich durchaus Gemeinsamkeiten. Unser Anliegen muß eine effiziente und umweltverträgliche Abwicklung des Verkehrs sein. Dabei sollte die Freiheit des Einzelnen möglichst erhalten werden. Das Auto bietet die größte Flexibilität, wenn es um Mobilität geht, und das ist ja ein wichtiger Vorteil des Autos. Bei Restriktionen sollten aus meiner Sicht Maßnahmen zur Durchsetzung umweltgerechter Technik im Vor-

[Seite der Druckausgabe: 61]

    dergrund stehen. Die Mobilität selbst sollte - als wichtiges Gut für den Einzelnen - aber möglichst wenig eingeschränkt werden.

  • Haefner: Wichtig ist es zu überlegen, wie die Zukunft aussehen soll. Wir sind in Deutschland in der Situation, daß der Verkehr eine massive Last ist. Diese Last wird nach allen Prognosen noch zunehmen. Die anderen Referenten haben Maßnahmen vorgeschlagen, von denen wir wissen, daß sie unwirksam sind. Wir werden weiter auf die Zukunft vertröstet. Die Zulassungszahlen für Pkw werden auch in den nächsten Jahren drastisch steigen. Dem sehe ich mit Bangen entgegen - vor allem, weil dieser Zuwachs nicht nötig ist, wenn es darum geht, Mobilität im Sinne von Personenkilometern zu sichern. Wir brauchen nicht mehr Autos für unsere Mobilität. Wir können und sollten die vorhandenen Fahrzeugkapazitäten durch angemessene Organisation besser ausnutzen.

    Das Konzept des Schlanken Verkehrs ist ein in sich konsistenter Regelkreis. Der Bevölkerung muß klargemacht werden, wie wir mit der knappen Ressource Verkehrsinfrastruktur umgehen können und müssen, und welche Möglichkeit es gibt, die Mobilität effizienter zu organisieren. Mit Telematiksystemen können freie Transportmöglichkeiten festgestellt werden, die über Telefon oder Internet abrufbar sind. In den USA wurde gerade ein neues Programm gestartet (Transport Modelling Improvement Program, TMIP), in dem viele Aspekte des Schlanken Verkehrs enthalten sind. Dort lernen Verkehrsplaner in speziellen Kursen das neue, effizientere Denken. In Deutschland dominiert dagegen immer noch das alte Bild des Ausbaus der Infrastruktur. Egal was in der Planung „oben hinein gesteckt" wird, „unten" kommen immer neue Straßen, neue Tunnel etc. heraus.

[Seite der Druckausgabe: 62]

Teilen die Vertreter des Umweltbundesamtes und der Automobilindustrie diese Auffassung?

  • Friedrich: Diese Aussage ist aus unserer Sicht falsch. Das TMIP-Programm der USA ist ein Desaster. Es gibt keinerlei Akzeptanz von Seiten der Bevölkerung. Wenn Sie (Herr Haefner) die Hoffnung haben, daß Ihre oder meine Oma im Internet herumsucht, dann kann ich dieser Vision nicht folgen. Es herrscht ein großes Informationsdefizit bei der Benutzung des ÖPNV. Als in Berlin Smogalarm war, sind Tausende von Menschen in den U-Bahnhöfen herumgeirrt, die nicht wußten, wo welcher Zug fährt. Zudem haben Politiker eine Vorbildfunktion. Wenn Politiker mit ihrem Wagen fahren, kann man nicht erwarten, daß Privatleute auf diesen verzichten. Wenn der Vorstand der DB AG nicht mit der Bahn anreist, sondern mit dem Auto, oder der Vorsitzende der Verkehrsbetriebe zur Arbeit nicht mit dem Bus, sondern ebenfalls mit dem Wagen fährt, obwohl eine Haltestelle direkt vor der Tür ist, dann darf man sich nicht wundern, wenn sich die Bevölkerung nicht anders verhält. Wir brauchen neue Vorbilder in Deutschland - die notwendigen Verkehrssysteme sind da!

  • Fischer: Um den Vorschlag von Herrn Haefner zu realisieren, müßte erst einmal eine zuverlässige High-Tech-Zentrale errichtet und organisiert werden. Ob sein abstraktes Modell auf die Wirklichkeit der Verkehrsteilnehmer übertragbar ist, erscheint mir zweifelhaft. Die Menschen wollen in ihrer Mobilität nicht fremdverwaltet werden.

Der Grundgedanke des Schlanken Verkehrs ist die Suche nach nicht genutzten Transportkapazitäten. Dabei konzentriert sich das Interesse auf das Auto. Warum konzentrieren Sie sich nicht auch auf den ÖPNV?

  • Marte: Wir konzentrieren uns nicht auf das Auto, sondern auf das System. Man muß darüber nachdenken, ob man mit dem Straßenbau die Verkehrsansprüche erfüllen kann. Ich denke nein. Deshalb muß man fragen,

[Seite der Druckausgabe: 63]

    wie man den Verkehrsraum vernünftiger verwalten kann. Auf jeden Fall muß der öffentliche Verkehr aus dem Stau herausgenommen werden. Wir sind aber der Meinung, daß alle Verkehrsmittel mit höherer Auslastung zu bevorzugen sind - unabhängig davon, ob es sich dabei um ÖPNV, Bürgerbusse, Sammeltaxis oder mehrfach besetzte Pkw handelt. Das System läßt sich wesentlich besser stabilisieren, wenn wir eine differenzierte Politik betreiben. Wir wollen Fahrgemeinschaften, Mikrofahrzeuge und den öffentlichen Verkehr begünstigen, aber keine einzelgenutzten Autos.

  • Welge: Zum Thema Fahrgastinformation möchte ich feststellen, daß die Städte seit Jahren an solchen Systemen arbeiten. Informationstechnisch war dieses ein großes Problem, zumal nicht jeder Bürger Zugang zu PC-Systemen hat. Auch das Mobilitätsmanagement ist für die Städte kein Fremdwort. In vielen Städten werden Mobilitätszentralen errichtet, die allerdings als alleiniges Instrument die Problematik nicht lösen können.

  • Holzapfel: Es bringt nichts, irgendwelche komplizierten Informationssysteme zu erstellen. Der ÖPNV braucht Veränderungen, die den Bedürfnissen der Menschen entsprechen. Beispielsweise ist in Sachsen-Anhalt ein Taktfahrplan eingeführt worden, damit die Leute zu jeder Zeit wissen, wann die Bahn oder der Bus fährt. Es wurde eine Diskette mit allen Fahrplänen ausgegeben, damit die Fahrgäste, die einen Computer besitzen, sich zu Hause informieren können. Weiter muß der ÖPNV kundenfreundlicher werden. Das ist wichtig und kostet auch nicht zwangsläufig viel Geld.

Ab 1998 müssen gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienstleistungen öffentlich ausgeschrieben werden. Dieses impliziert, daß beispielsweise auch ausländische Verkehrsunternehmer im ÖPNV tätig werden können. Wird diese neue Situation die notwendigen Modernisierungen einleiten?

  • Friedrich: Konkurrenz belebt das Geschäft. Das gilt auch für die Fahrgastinformation. Heute morgen mußte ich eine Stunde am Flughafen auf den

[Seite der Druckausgabe: 64]

    Bus warten und es gab keinerlei Information, warum der Bus nicht kommt, ob er noch kommt, wann er kommt etc. Information bedeutet auch, über solche Störungen zu informieren. Konkurrenz würde sicherlich auch zur Lösung dieser Probleme beitragen. Informationen würden dann sicher eher bereitgestellt. Die Kundeninformation über Fahrpläne ist zwar besser, aber noch nicht gut geworden. Wenn dieses Defizit behoben, wenn der Kundendienst insgesamt verbessert wird, dann werden auch mehr Leute mit dem ÖPNV fahren. Busse und Bahnen wären dann besser ausgelastet.

  • Welge: Ich bin auch der Meinung, daß Konkurrenz das Geschäft belebt. Die Verkehrsbetriebe müssen sich mit der neuen Konkurrenzsituation auseinandersetzen. Sie müssen zusammen mit den Städten die Verkehrspläne und das Angebot verbessern. Folge der Konkurrenz können aber auch Arbeitsplatzverluste und damit entstehende soziale Probleme sein, wenn beispielsweise ausländische oder private Unternehmen an Stelle von kommunalen Betrieben den Zuschlag für Verkehrsleistungen erhalten. Hinzu kommt, daß natürlich auch die öffentlichen Verkehrsbetriebe, wenn sie in der Konkurrenz bestehen wollen, auf ihre Personalkosten achten müssen. „Verschlankung" und Rationalisierung haben aber zwei Seiten. Es geht auch um viele Arbeitsplätze und auch um sozialen Frieden.

  • Holzapfel: Im ÖPNV stecken noch hohe Produktivitätsreserven, die bisher von den Betrieben aus sozialen Gründen nicht genutzt werden. Ohne Produktivitätserhöhung muß der öffentliche Verkehr in Zukunft aber wohl viele Strecken aufgeben. In Sachsen-Anhalt hätte ohne Rationalisierung ein Drittel der Strecken bereits stillgelegt werden müssen. Nur mit einem modernen, effizienten und attraktiven Verkehrssystem hat man eine Chance gegen das Auto.

[Seite der Druckausgabe: 65]

Wird Daimler-Benz in naher Zukunft als Anbieter von Verkehrsdienstleistungen auf den Markt gehen?

  • Fischer: Wir bieten bereits eine Reihe von Verkehrsdienstleistungen an, z.B. in der Verkehrsberatung oder indem wir im Geschäftsfeld Charterway nicht mehr Fahrzeuge, sondern Verkehrsleistungen verkaufen. Auch eine Rolle als ÖPNV-Unternehmen ist theoretisch nicht auszuschließen. Beispielsweise ist die Region Stuttgart an Daimler-Benz mit dieser Frage herangetreten. Zur Zeit wird aber lediglich darüber nachgedacht - konkrete Pläne gibt es noch nicht.

Welche Rolle spielt der Preis im Verkehrssystem?

  • Haefner: Der Verzicht auf preisliche Maßnahmen hat eine lange Tradition in der Verkehrspolitik. In nächster Zukunft wird hier wohl ein drastischer Bruch stattfinden. Der Mineralölpreis ist seit den 50er Jahren real gefallen. Wenn wir den Mineralölpreis jetzt drastisch heraufsetzten - beispielsweise DM 5,- pro Liter -, dann werden hierdurch die Menschen, die sich diesen Preis nicht leisten können, ausgegrenzt - das ist sozial inakzeptabel. Dadurch würden auch die Straßen leerer, und die Reichen könnten schneller und weiter fahren. Insgesamt würde sich somit nichts wesentliches an der Fahrleistung ändern. Beim Konzept des Schlanken Verkehrs sollen aber nicht die Straßen von den Armen zugunsten der Reichen freigefegt werden. Dieses Problem könnte zwar abgefedert werden, in dem man ein „Verkehrsgeld" - ähnlich dem Wohngeld - einführt. Die Verkehrspolitiker stehen diesem Vorschlag aber durchgängig ablehnend gegenüber. Deshalb halte ich die Preise für ein unwirksames Instrument. Hierdurch kann das Verkehrswachstum von 2% pro Jahr nicht verhindert werden.

  • Friedrich: Die Realität zeigt, daß preisliche Faktoren wie die Kfz- oder die Mineralölsteuer zur Verkehrssteuerung wenig taugen. Entscheidend für die Nutzung des Autos ist seine Verfügbarkeit.

[Seite der Druckausgabe: 66]

Warum vertröstet die EU mit ihrer Politik der fairen und effizienten Preise die Bevölkerung Europas auf Morgen und Übermorgen?

  • Törkel: Ich glaube nicht, daß wir zur Vertröstung beitragen. Im Gegenteil: Die Kommission hat mit ihrem Grünbuch die Debatte über externe Kosten auf europäischer Ebene erst ermöglicht. Die endgültige Entscheidung trägt jedoch der Ministerrat. Klar ist, daß man den Autoverkehr nicht nur isoliert verteuern darf. Man muß zugleich auch die Verkehrsalternativen verbessern. Hierfür Konzepte zu entwickeln, ist nicht schwierig. Schwierig ist aber deren Durchsetzung. Klar ist auch: Die Verkehrsprobleme von heute können nur durch ein Bündel von ordnungs-, investitions- und finanzpolitischen sowie technologischen und organisatorischen Maßnahmen gelöst werden. Hierzu hat und wird die Kommission eine Reihe von Gesetzesinitiativen ergreifen.

Hat das Umweltbundesamt vor, den Autofahrer „abzuzocken"?

  • Friedrich: Als der Bundesfinanzminister vor Jahren die Mineralölsteuer anhob, ist zum ersten Mal in Deutschland die Fahrleistung real gesunken. Somit müssen wir uns überlegen, ob wir externe Kosten oder Steuern erheben sollen. Dabei müssen wir bedenken, daß das Zahlen von Kfz-Steuern kein Freibrief für die Benutzung der Straßen ist. Über die Jahre ist der private Autoverkehr billiger geworden, d.h. der Anteil des Autofahrens an den Haushaltskosten ist real gesunken. Von Abzocken kann also nicht die Rede sein.

  • Fischer: Marktwirtschaftliche Prinzipien sind auch sinnvoll im Verkehr. Nicht vertretbar ist dagegen das einseitige Abkassieren des Autofahrers. Das Prinzip der Kostenwahrheit muß gleichmäßig angewendet werden. Dabei müssen auch die geringen Kostendeckungsgrade bei anderen Verkehrsträgern beachtet werden, die sich z.B. in den hohen Subventionen der Bahnsysteme spiegeln. Auch hier besteht Handlungsbedarf.

[Seite der Druckausgabe: 67]

  • Darüber, ob die Politik in der Lage ist, im Leistungswettbewerb der Verkehrsträger etwas für faire oder effiziente Preise zu tun, gehen die Meinungen aber weit auseinander. Unterschiedliche Branchen, Nutzergruppen oder Fahrtzwecke würden auch ganz unterschiedlich auf Preissignale reagieren. Mit strukturellen Verwerfungen wäre zu rechnen. Das Ziel der substantiellen Verkehrsminderung muß meines Erachtens allein schon deshalb auf der Strecke bleiben, weil es so etwas wie eine Zwangsmobilität gibt: Die Menschen müssen zur Arbeit fahren und können nicht ständig umziehen, um schneller und billiger zu fahren. Vielmehr werden die Menschen zähneknirschend die höheren Preise hinnehmen und bezahlen. Dieses Zwangssituation nutzt meiner Meinung nach die Politik aus. Dabei wird die Zahlungsbereitschaft der Autofahrer bereits heute überstrapaziert.

  • Auch die gegenwärtigen Pläne der EU haben noch zu wenig praktischen Bezug. Niemand hat etwas gegen faire und effiziente Preise und einen funktionierenden Markt. Nur ist dies mit dem gegenwärtigen Konzept der EU nicht zu realisieren. Es läuft auf neuen preispolitischen Interventionismus hinaus.

Die zunehmende Individualisierung macht in vielen gesellschaftlichen Bereichen - z.B. auch beim Bauen und Wohnen - große Schwierigkeiten. Auch im Verkehr gibt es diesen Prozeß der Individualisierung. Warum sollte gerade hier ein gegenläufiger Trend erfolgreich eingeleitet werden können? Mit anderen Worten: Kann man mit der Bevorzugung mehrfach besetzter Fahrzeuge das Verkehrsproblem schnell und sinnvoll in den Griff kriegen?

  • Haefner: Neben den Individualisierungstendenzen können wir auch neue Solidaritäten feststellen. Aus vielen Umfragen wissen wir, daß ein hoher Bevölkerungsanteil, der in den neuen Bundesländern noch über den westdeutschen Werten liegt, bereit ist, organisierte Mitfahrsysteme zu nutzen - seien dieses nun Sammeltaxen, Bürgerbusse oder private Pkw. Wir sollten

[Seite der Druckausgabe: 68]

    den Mut haben, diesen Ansatz ausprobieren. Bisher haben wir es allerdings noch nicht geschafft, daß die Verkehrspolitiker und -planer in Deutschland mit der Realisierung dieses Konzepts beginnen. Konkret schlagen wir heute vor, in Kooperation mit Daimler-Benz und dem Land Sachsen-Anhalt die Umsetzung des Schlanken Verkehrs in Angriff zu nehmen.

  • In vielen Bereichen, sogar im Gesundheitswesen, wird ständig rationalisiert; warum dann nicht auch im Verkehr? Diese Strategie wird langfristig zum Erfolg führen. Mit der Verkehrsreduktion wäre ein Verkehrssystemmanager zu beauftragen. Dieser Manager schließt mit Privatpersonen (Pkw Besitzern) Verträge ab, in denen die Betreibung von Autos als Mehrpersonenfahrzeuge vereinbart wird. Andere Fahrzeuge können dadurch „stillgelegt" und so die gesamten Fahrzeugkilometer in einer Region verringert werden. Nur die höher ausgelasteten Pkw werden dann beispielsweise im Bereich der Parkraumbewirtschaftung oder durch Sonderspuren im fließenden Verkehr bevorzugt.

  • Fischer: Wir können heute feststellen, daß die Besetzungsgrade der Pkw im Osten Deutschlands größer sind als in den alten Bundesländern. Dies kann auf ein größeres Gemeinschaftsgefühl bei den neuen Bundesbürgern zurückgeführt werden, aber auch Ausdruck der sozialen Differenzen sein.

  • Friedrich: Entscheidend ist die geringere Verfügbarkeit von Autos in den neuen Ländern. Diese führt zu höheren Auslastungen. Ist ein Fahrzeug da, wird es auch genutzt. Steigt in den neuen Ländern die Motorisierungsdichte, dann wird auch hier die Auslastung zurückgehen.

  • Holzapfel: Die Zuteilung von Verkehrsraum an höher besetzte Fahrzeuge hört sich zwar sehr gut an, aber ich denke, daß dieses keine Lösung ist. Wie soll das praktisch funktionieren? In den USA gibt es bereits spezielle Spuren, die für höher besetzte Fahrzeuge reserviert sind. Das führte dann dazu, daß der Absatz an Puppen, die man neben sich auf den Sitz setzen kann, angestiegen ist. Man darf auch nicht die Kosten, die durch eine sol-

[Seite der Druckausgabe: 69]

    che Zuteilung entstehen - z.B. für Überwachungsmaßnahmen und für die Durchsetzung von Sanktionen bei Umgehungsversuchen -, außer acht lassen.

  • Als Konsens dieser Veranstaltung kann man wohl feststellen, daß in der konsequenten Beschleunigung des ÖPNV ein erfolgversprechender Ansatz gesehen wird. Hierbei geht es um eine Beschleunigung der Haus-zu-Haus-Beförderung und nicht um die Stillegung von Haltestellen, um so die Fahrzeit zu reduzieren. Wichtig sind auch Verbesserungen der Kundennähe des ÖPNV und die Übernahme einer Vorbildfunktion durch die Politiker und das Management der Verkehrsbetriebe. Schließlich sollte auch der regionale Aspekt im Verkehr stärker beachtet werden. Es können zwar nicht alle Wirtschaftskreisläufe regional organisiert werden - dies erlauben allein schon die gegenwärtig ablaufenden Globalisierungstendenzen nicht. Aber durch die Zurückverlagerung von überregionalen, nationalen und transnationalen Aktivitäten in die Region könnten unsere heutigen Verkehrsprobleme spürbar entschärft werden.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

Previous Page TOC Next Page