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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 49] 6. Positionen zum Stadtverkehr Axel Welge Der Bundesverkehrswegeplan aus dem Jahre 1992 geht davon aus, daß der Autoverkehr bis zum Jahre 2010 um weitere 30% steigen wird. Im Bereich des Straßengüterverkehrs wird von einer fast 100% Wachstumsrate ausgegangen. Im Interesse des Umweltschutzes, der Verkehrssicherheit und der Erhaltung der Attraktivität und Funktionsfähigkeit unserer Städte bedarf es angesichts dieser Wachstumsraten eines umweltorientierten Stadtverkehrsmanagements, das auf die folgenden Ziele gerichtet ist:
6.1 Verkehrsvermeidung In der Stadt- und Verkehrsplanung setzten sich über einen langen Zeitraum hinweg insbesondere im Westen Deutschlands einseitig die Interessen des motorisierten Individualverkehrs durch. Das Straßennetz wurde vergrößert, vorhandene Straßen ausgebaut, Straßenbahnen wurden stillgelegt oder als U-Bahnen unterirdisch geführt. Wohn- und Gewerbegebiete wurden unter dem Aspekt der Erreichbarkeit mit dem Auto erschlossen. Eine Berücksichtigung umweltfreundlicher Verkehrsarten fand nicht in ausreichendem Maße statt. Folge dieser Politik war auch ein erheblich gestiegener Mobilitätsbedarf. Durch eine extensive Flächennutzung wurden die täglichen Wege immer länger. So ist nach einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) die Zahl der Wege je Einwohner und Jahr in der Zeit von 1976 bis 1994 in Westdeutschland mit jeweils rund 1.150 zwar fast kon- [Seite der Druckausgabe: 50] stant geblieben, doch nahm die je Einwohner zurückgelegte Entfernung um fast ein Viertel auf rund 12.000 km zu. In Ostdeutschland legten nach dieser Untersuchung die Einwohner im Jahr 1994 nur 9.860 km zurück. In der Zukunft muß die Stadt- und Verkehrsplanung versuchen, die Wege zwischen Wohnen, Arbeiten und Versorgung zu verkürzen. Die Verkehrsträger müssen besser miteinander vernetzt werden. Hierbei genießen Planungen für Fußgänger, Radfahrer und Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel oberste Priorität. Bei der Gewerbeflächenerschließung und beim Wohnungsbau ist darauf zu achten, daß der Anschluß an öffentliche Nahverkehrsmittel vorhanden ist und kostengünstig betrieben werden kann. Der Wohnraum in den Innenstädten muß erhalten bleiben und - wo möglich - erweitert werden. Flachenintensive Arbeitsstätten sollten möglichst in der Nähe größerer Wohngebiete ausgewiesen werden oder sich durch besonders günstige ÖPNV-Anschlüsse auszeichnen. Ziel einer ökologisch orientierten Stadt- und Verkehrsplanung muß es also sein, den Flächenverbrauch zu begrenzen und zusätzliche Verkehrsbeziehungen zu vermeiden. [Fn. 6: Vgl. hierzu das 10-Punkte-Programm des Deutschen Städtetages zur Verbesserung des Stadtverkehrs, Mitteilungen des Deutschen Städtetages 918/89] 6.2 Verkehrsverlagerung Im Mittelpunkt einer konsequenten Verlagerungsstrategie zur Stärkung des Umweltverbundes muß der weitere Ausbau des ÖPNV stehen. Größere Verlagerungspotentiale bieten sowohl der Berufs- und Ausbildungsverkehr als auch der Freizeit- und Einkaufsverkehr. [Seite der Druckausgabe: 51] Im Bemühen um eine weitere Verbesserung des ÖPNV setzen die Kommunen und ihre Verkehrsunternehmen auf eine Reihe von Schwerpunktmaßnahmen. So soll der Ausbau der Infrastruktur die Kundenakzeptanz weiter erhöhen. Die Renaissance der Straßenbahn wird z.Z. in einigen Städten geplant oder bereits umgesetzt. In anderen Städten soll der Ausbau vorhandener Straßenbahnnetze dazu beitragen, daß Autofahrer bei Fahrten in die Zentren auf die Benutzung ihrer PKW verzichten. Auch Busse und Straßenbahnen mit Niederflurtechnik bedeuten einen Komfortgewinn für den Fahrgast. Zwei-System-Schienenfahrzeuge, die auf Eisenbahn- und Straßenbahnstrecken einsetzbar sind, bewirken eine erhebliche Netzverdichtung und enge Verknüpfung der Ballungsräume mit dem Umland. Im Busbereich werden umweltschonende Antriebstechnologien erprobt. Eine ökologisch interessante Alternative sind z.B. Erdgasbusse. Der Aufbau der dazu nötigen Infrastruktur und die systembedingten Mehrkosten bei der Anschaffung oder Umrüstung von Fahrzeugen können jedoch nicht alleine von den Städten getragen werden. Hier könnte ein Sonderprogramm von Bund und Ländern unterstützend wirken. Eine Befreiung der Erdgasbusse von der Kraftfahrzeugsteuer ist aus ökologischer Sicht ebenfalls zu erwägen. Auch durch höhere Reisegeschwindigkeiten öffentlicher Verkehrsmittel lassen sich Fahrgäste gewinnen. Im Vordergrund stehen Beschleunigungsmaßnahmen wie eigene Fahrwege für Straßenbahnen und Busse, Vorrang an Lichtsignalanlagen und kürzere Haltestellenabstände. Weiterhin gilt es, die Fahrpläne zu optimieren. Taktverdichtungen entsprechend dem Verkehrsaufkommen sowie sorgfältiges Abstimmen der Ankunft- und Abfahrtzeiten entsprechend den Mobilitätsbedürfnissen der Fahrgäste stärken die Angebotsqualität erheblich. Das Umsteigen auf andere Verkehrsmittel sollte möglichst vermieden. Wo dies nicht machbar ist, sind die Wartezeiten beim Umsteigen zu minimieren. [Seite der Druckausgabe: 52] Angesichts der häufig äußerst komplexen Tarifgestaltung stellen integrierte und harmonisierte Fahrscheinsysteme eine erhebliche Erleichterung für die Kunden dar; dies bestätigt die hohe Zustimmung zu entsprechenden Maßnahmen in Verkehrsverbünden. In diesem Jahr laufen in Hamburg, Frankfurt/Main, Stuttgart und München Pilotprojekte mit einer multifunktionalen Chipkarte, die die ÖPNV-Nutzung und das Telefonieren bargeldlos ermöglicht. Ein weiteres Mittel zur Attraktivitätssteigerung sind preisgünstige Tarifangebote. Von Arbeitgebern zu Sondertarifen erworbene und an die Mitarbeiter zum Selbstkostenpreis oder kostenfrei abgegebene Job- oder Firmentickets werden mittlerweile in zahlreichen Städten genutzt. Viele Verkehrsunternehmen bieten zusätzlich Umweltfahrkarten an, die z.T. auch übertragbar sind. Mit dem Einsatz elektronischer Informationssysteme kann der Vorrang des ÖPNV vor dem Autoverkehr gefördert und die Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel verbessert werden. Hierbei kommt neben dem Aufbau rechnergestützter Betriebsleitsysteme und Ampelvorrangschaltungen der Verbesserung der Fahrgastinformation erhebliche Bedeutung zu. Künftig kann sich der Reisende per PC-Programm vor Fahrtantritt einen genauen Überblick über die vorhandenen Verkehrsalternativen (Fahrtrouten, Abfahr- und Ankunftszeiten, Reisedauer, Umsteigerelationen etc.) verschaffen. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Förderung des ÖPNV bietet die Stadt Freiburg im Breisgau. Bereits Ende der 60er Jahre fiel hier die Grundsatzentscheidung für die Beibehaltung und den Ausbau des Straßenbahnsystems. 1970 wurde darüber hinaus die Altstadt für den motorisierten Individualverkehr gesperrt. Mitte der 80er Jahre wurde die erste neue Stadtbahnlinie eröffnet. Vorrangschaltungen für die Stadtbahn und eigene Gleiskörper führen zu einer [Seite der Druckausgabe: 53] hohen Reisegeschwindigkeit (ca. 28 km/h). Letztere trug dazu bei, daß die Stadtbahn einen Fahrgastzuwachs von über 60% gegenüber den vorher verkehrenden Omnibuslinien erzielen konnte. Durch Erweiterungen des Streckennetzes leben mehr als zwei Drittel der Einwohner und liegen rund 80% der Arbeitsplätze in Freiburg im 600m-Einzugsbereich der Stadtbahnhaltestellen. Auch bei der Einführung attraktiver Tarifsysteme leistete Freiburg in der Bundesrepublik Pionierarbeit. Nach Baseler Vorbild führte Freiburg 1984 als erste deutsche Stadt die preiswerte und übertragbare Umweltschutzkarte" ein. Inzwischen ist dieses Tarifsystem aufgrund der hohen Akzeptanz in der Bevölkerung auf die gesamte Region ausgeweitet worden: Die sogenannte Regio-Karte", die für das gesamte Umland der Stadt (rund 520.000 Einwohner) gilt, hat zu einem weiteren Anstieg des Fahrgastaufkommens geführt. Als Ergebnis der benutzerfreundlichen ÖPNV-Politik kann festgestellt werden, daß in Freiburg heute der PKW nicht häufiger als im Jahre 1976 genutzt wird: Nach wie vor werden rund 230.000 Wege täglich mit dem PKW zurückgelegt. Gleichzeitig hat aber der Motorisierungsgrad um mehr als 50% zugenommen. In den letzten Jahren hatten die öffentlichen Nahverkehrsmittel bundesweit einen nicht unbeträchtlichen Fahrgastzuwachs zu verzeichnen. [Fn. 7: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Jahresbericht 1994, S. 16] Dieser Trend muß sich fortsetzen. Hierzu könnte auch die Regionalisierung des ÖPNV beitragen. [Fn. 8: Einzelheiten zur Bahnstrukturreform und zur Regionalisierung enthalten die Wirtschaftspolitischen Diskurse Nr. 48 „Die deutschen Eisenbahnen vor einem Neubeginn" und Nr. 67 „Regionalisierung des Nahverkehrs", Hrsg. Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Wirtschaftspolitik] Nach jahrelangen Diskussionen um einen wirtschaftlicheren und effektiveren schienengebundenen Fern- und Nahverkehr wurden Ende 1993 die [Seite der Druckausgabe: 54] notwendigen Entscheidungen zur Bahnstrukturreform getroffen. Eng verknüpft mit der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn und der Reichsbahn ist der Wechsel in der Aufgaben- und Finanzverantwortung für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV), die Anfang 1996 vom Bund auf die Länder übertragen wurde. Die Regionalisierung zielt darauf ab, den SPNV der ehemaligen Staatsbahnen und den übrigen - überwiegend kommunalen - ÖPNV auf regionaler Ebene bedarfsgerechter und kostengünstiger zu gestalteten. In Verbindung mit der Übernahme der Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für den gesamten ÖPNV werden in einigen Bundesländern die Kommunen als zukünftige Aufgabenträger für die Bestellung und Bezahlung von Verkehrsleistungen bei Nahverkehrsunternehmen zuständig. Vorgesehen ist auch, daß sich in den ÖPNV-Verkehrsmärkten der Zukunft verstärkt Wettbewerb entwickelt. Dementsprechend können im SPNV z.B. regionale Bahngesellschaften und kommunale Verkehrsunternehmen neben der DB AG als weitere Anbieter von Schienenverkehrsleistungen auftreten. 6.3 Städteverträgliche Lenkung des notwendigen" Verkehrs 6.3.1 Parkraumbewirtschaftung Die intensive Förderung des Umweltverbundes muß begleitet werden durch ein umfassendes Parkraummanagement in den Innenstädten. Flächendeckende Parkraumkonzepte sind ein wichtiger Mosaikstein der Bemühungen um eine Verbesserung der gesamtstädtischen Lebensqualität. Die Steuerung des ruhenden Verkehrs erfolgt hierbei über das Parkraumangebot, die Parkgebühren, die erlaubte Parkdauer, über Bevorrechtigungen bestimmter Nutzer- [Seite der Druckausgabe: 55] gruppen und durch eine konsequente Überwachung. Private und öffentliche Stellplätze im Straßenraum, in Parkhäusern und in Tiefgaragen werden bewirtschaftet. Dauerparkplätze sollten nur noch für Anwohner und ansässige Gewerbetreibende zur Verfügung gestellt werden. Für den übrigen Parkraum sind Gebühren je nach Lage der Parkplätze zu erheben. Hierdurch können der Stadtkern und Stadtteilzentren von Autoverkehr entlastet und die für den Dienstleistungs-, Einkaufs- und Anwohnerverkehr erforderlichen Stellplätze gesichert werden. Auch über Stellplatzsatzungen oder Festlegungen in Bebauungsplänen können die Kommunen das Stellplatzvolumen beeinflussen. Durch solche Maßnahmen zur Neuordnung des ruhenden Verkehrs werden die Belastungen des Straßennetzes der Städte verringert und Mobilitätsspielräume an Fußgänger und Radfahrer zurückgegeben. 6.3.2 Verkehrsbeschränkungen Nur wenige verkehrsplanerische Maßnahmen haben die öffentliche Diskussion in den letzen Jahren so stark bestimmt wie die Einführung der autofreien Altstadt" in Lübeck im Oktober 1989 oder die fußgängerfreundliche Innenstadt" in Aachen im Oktober 1991. Diese beiden Konzepte wurden inzwischen in enger Abstimmung mit den beteiligten Kreisen weiter fortentwickelt. So soll z.B. die Aufenthaltsqualität der Aachener Innenstadt nicht - wie früher - nur an Samstagen, sondern an allen Wochentagen durch weniger Autoverkehr entscheidend verbessert werden, ohne die Erreichbarkeit der City zu beeinträchtigen. Die Modelle von Lübeck und Aachen haben sich in mehrjähriger Praxis bewährt. Aufgrund der unterschiedlichen städtebaulichen Voraussetzungen können diese verkehrsbeschränkenden Maßnahmen aber nicht direkt auf andere Kommunen übertragen werden. Gleichwohl haben diese Projekte bundeswei- [Seite der Druckausgabe: 56] ten Vorbildcharakter für Bemühungen, die Zentren unserer Städte als attraktive Wirtschafts-, Wohn- und Kulturstandorte zu erhalten und auszubauen. 6.3.3 Verkehrsmanagement durch Telematik Moderne Verkehrsleitsysteme können einen Beitrag zur besseren Bewältigung des Stadtverkehrs leisten. [Fn. 9: Über Probleme und Perspektiven der Telematik im Verkehr informiert der Wirtschaftspolitische Diskurs 88 der Friedrich-Ebert-Stiftung.] Der Einsatz von elektronischen Informationssystemen im Verkehr wird z.Z. auf der Bundes- und Länderebene, aber auch in den Städten diskutiert. Zu unterscheiden ist zwischen kollektiven und individuellen Verkehrsleitsystemen. Bei kollektiven Systemen können die Verkehrsteilnehmer durch einen Datenverbund städtischer und regionaler Verkehrsrechenanlagen beispielsweise mit Hilfe von Leittafeln über die aktuelle Verkehrssituation informiert werden (P+R-Empfehlungen, Anschlußverbindungen mit U- und S-Bahnen etc.). Bei den individuellen Verkehrsleitsystemen empfängt der Autofahrer über das Autoradio oder ein im KFZ installiertes Gerät aktuelle Verkehrsinformationen. Die von der Industrie angebotenen elektronischen Systeme sind dabei sehr unterschiedlich. Neben Radiosystemen, dem Mobilfunk und der Satellitennavigation werden Bakensysteme angeboten. Der Deutsche Städtetag hat nach intensiver Diskussion mit seinen Mitgliedern Anforderungen an den Einsatz von elektronischen Informationstechniken im Verkehr formuliert, die eindeutig die Belange des Umweltverbundes in den Vordergrund stellen. Hiernach sollten Verkehrsleitsysteme nur dann eingesetzt werden, wenn sie mindestens die folgenden Forderungen erfüllen:
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weiligen Stadt flächendeckend eingesetzt und auch die Nachbar- und Umlandgemeinden einbezogen werden. Eine bundesweite Standardisierung ist erforderlich, da nur so die Kompatibilität der verschiedenen Systeme gewährleistet und damit die Basis für ein kommunale Grenzen übergreifendes Verkehrsmanagement geschaffen wird. 6.4 Anforderungen an die künftige Stadtverkehrspolitik Bei der Umsetzung eines ökologisch orientierten Straßenverkehrsmanagements sind die Städte auf die Hilfe von Bund und Ländern angewiesen. Der notwendige kommunale Autoverkehr - insbesondere der Wirtschafts- und Anwohnerverkehr - wird in Zukunft nur zu bewältigen sein, wenn der Staat bereit ist, die Rahmenbedingungen des motorisierten Verkehrs zu verändern. Die Städte haben in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um der wachsenden Verkehrslawine Einhalt zu gebieten. Diese Politik muß konsequent fortgesetzt werden. Der ÖPNV - die tragende Säule des Stadtverkehrs der Zukunft - befindet sich z.Z. in einer Phase des Umbruchs. Nur wenn es gelingt, seine Attraktivität zu steigern und gleichzeitig die des Autos zu senken, können unsere Städte als [Seite der Druckausgabe: 58] Orte des Handelns, des Wohnens und der Kultur erhalten werden. Hierfür ist ein Bewußtseinswandel in der Bevölkerung notwendig, zu dem umfassende Informationskampagnen über alle verkehrsberuhigenden oder -beschränkenden Maßnahmen beitragen können. Vor allem erfordert eine solche Politik aber eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000 |