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4. Alternative Verkehrskonzepte
- Zwischen Wunsch und Wirklichkeit


Alfred-Herwig Fischer

4.1 Herausforderung „Zukunftsfähige Mobilität"

Um der Herausforderung zukunftsfähiger Mobilität zu begegnen und die richtigen Lösungsansätze zu finden, ist ein Blick auf die Ursachen des weiter wachsenden Verkehrs von Bedeutung. Neben der räumlichen Arbeitsteiligkeit im privaten Bereich bezüglich der Wohnstandorte, der Arbeitsstätten, der Einkaufsstätten oder der Freizeiteinrichtungen oder im industriellen Bereich hinsichtlich der räumlich verteilten Orte der Rohstoffgewinnung, der Produktionsstätten für Halb- und Fertigfabrikate und der Absatzmärkte ist die weitere Zentralisierung der verkehrsinduzierenden Aktivitäten unter Ausnutzung von Größenvorteilen einer der Haupteinflüsse für den weiter wachsenden Verkehr. Die Ausnutzung von „economies of scale" mit ihren Spezialisierungs- und Rationalisierungseffekten ist in der Regel mit einer Erweiterung der Einzugsbereiche und Transportentfernungen für den Warenverkehr wie für den Verkehr von Kunden und Beschäftigten verbunden.

Die Ausnutzung von Größenvorteilen ist keineswegs nur ein Phänomen der industriellen Produktion. Beispielsweise fand auch im Bildungsbereich die Konzentration auf große leistungsfähigere Schul- und Ausbildungszentren statt. Auch im Bereich der staatlichen Verwaltung wurden im Zuge von Reformen größere Verwaltungseinheiten geschaffen, die zwar leistungsfähiger und kostengünstiger sind, bei denen in der Regel aber Standort- und Bürgernähe abnehmen. Ähnliche Erscheinungen sehen wir bei großen Einkaufs- oder Dienstleistungszentren, bei Kultur-, Freizeit- oder Messezentren und bei der

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jüngsten Zentralisierung und Konzentration der Postdienststellen im Rahmen der Postreform. Wir müssen uns im klaren sein, daß bei all diesen Prozessen ein Teil des durch Rationalisierung eingesparten „internen" Aufwandes als zusätzlicher, „externalisierter" Aufwand im Verkehr wiederzufinden ist.

Schließlich spielen auch Veränderungen der individuellen oder gesellschaftlichen Ansprüche eine entscheidende Rolle für das Wachstum des Verkehrs. Hier ist z. B. die Tendenz zur Kleinfamilie oder zu Single-Haushalten zu nennen, die im Endeffekt zu erheblich vergrößertem Wohnraum-, Siedlungsflächen- und Verkehrsbedarf führt.

Der Wunsch nach qualifizierter Ausbildung oder Berufsausübung ist schon lange nicht mehr im eigenen engeren Wohnumfeld zu realisieren, sondern verlangt nach langen und differenzierten Schul- oder Berufswegen zu den Standorten, an denen qualifizierte Berufe gefragt sind oder spezialisierte Ausbildungsmöglichkeiten geboten werden bzw. weiterführende Schulen bestehen. Ähnliche Individualisierungstendenzen und Anspruchshaltungen gelten auch bei den Freizeitaktivitäten. Differenzierte Bedürfnisse für Freizeitgestaltung im Bereich des Sportes, der Kultur oder der Erholung haben dazu geführt, daß der Urlaubs- und Freizeitverkehr die höchsten Wachstumsraten unter allen Verkehrszwecken aufweist und bereits heute rund 50% des Gesamtverkehrs ausmacht.

Neben den Problemen bei der mengenmäßigen Bewältigung des Verkehrs sind auch dessen negative Konsequenzen - wie Flachenbeanspruchung, Umweltbelastungen oder Unfälle - zu beachten. Die gegenseitigen Behinderungen im Verkehr haben spürbar zugenommen. Die Umweltbelastungen des motorisierten Verkehrs sind ein brennendes gesellschaftliches Thema. Der Verbrauch an unwiederbringlichen Rohstoffen und Ressourcen mahnt zu

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nachhaltigem Wirtschaften, und die Vermeidung von Unfällen mit Toten oder Verletzten ist nach wie vor eine der großen Herausforderungen.

Dementsprechend haben in den letzten Jahren für die Verkehrsplanung und Verkehrspolitik neben den originären Zielen (wie Sicherstellung von Mobilität und Austausch, von städtebaulicher Funktionalität oder von finanzieller Tragfähigkeit) weitere Ziele (wie Umweltschutz und Ressourcenschonung) größere Bedeutung erlangt. Im Gleichklang damit treten Interdependenzen zwischen diesen Zielen, unübersehbare Zielkonflikte und die Notwendigkeit zum Interessensausgleich in den verkehrspolitischen Blickpunkt. Eine besondere Herausforderung ist es, die Konflikte zwischen Mobilitätszielen, Wohlstandszielen, Umweltzielen oder Freiheitszielen konstruktiv zu lösen, d. h. in Einzelzielen Verbesserungen zu erreichen, ohne - nach Möglichkeit - andere Zielsetzungen negativ zu beeinflussen.

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4.2 Optionen für eine zukunftsfähige Gestaltung der Mobilität

Zukunftsfähige Gestaltung des Verkehrs kann auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Es sind dies vor allem verbesserte Technik der Verkehrsmittel, effizientere Gestaltung der betrieblichen und verkehrlichen Abläufe bei den einzelnen Verkehrsmitteln sowie die Kooperation bzw. Optimierung der Arbeitsteilung verschiedener Verkehrsmittel. Auch die Vermeidung von Verkehr - durch effizienteren Einsatz der vorhandenen Verkehrsträger oder auch durch Verzicht auf Mobilität - ist eine grundsätzliche Option.

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4.2.1 Verbesserte Technik der Verkehrsmittel

Investitionen in verbesserte, umweltschonendere Technik der Fahrzeuge kommen unmittelbar, d.h. ohne Umwege dem Umweltschutz zugute. Durch höhere Preise für die anspruchsvollere Technik werden gleichzeitig die Umweltbelastungen an der Quelle bekämpft und externe Effekte des Verkehrs internalisiert.

Hinsichtlich umweltschonenderer Technik der Verkehrsmittel sind vor allem Kraftfahrzeuge mit geringerem Kraftstoffverbrauch und mit optimierter Abgasreinigungstechnik anzusprechen. In den zurückliegenden 15 Jahren wurden die Verbrauchswerte neuer Pkw um mehr als 30% reduziert. Verbesserte Aerodynamik gehörte ebenso zu den Maßnahmen wie die Verbesserung der thermodynamischen Wirkungsgrade der Motoren - beispielsweise durch eine Erhöhung der Verdichtung im Motor oder der konsequente Einsatz der Einspritztechnik. Die Einführung geregelter Katalysatoren führte bereits zu einer Reduzierung der Schadstoffemissionen um mehr als 90%. Mit Hilfe vorgeheizter Katalysatoren und vorgeheizter Sauerstoff-Sonden im Abgassystem werden weitere Emissionsverminderungen auf insgesamt über 99% erreicht.

Solche Erfolge konnten ohne wesentliche Einschränkungen im Gebrauchsnutzen der Fahrzeuge erreicht werden: Weder das Raum- oder Komfortangebot noch die aktive oder passive Sicherheit z.B. in Form ausreichender Beschleunigung beim Überholen oder ausreichender Knautschzonen waren im Kern negativ tangiert.

Weitere Schritte in der Fahrzeugentwicklung zeichnen sich heute bereits politisch ab, sei es in Richtung auf sogenannte Drei- oder Fünf-Liter-Autos in Deutschland oder in Richtung auf Low-Emission-Vehicles. Bei diesen weiteren technologischen Schritten sind aus heutiger Sicht Veränderungen im Gebrauchsnutzen der Fahrzeuge nicht mehr auszuschließen, die sich z. B. hin-

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sichtlich der Fahrzeuggröße und des Raumkomforts, der möglichen Zuladung, der Reichweite einer Tankfüllung (Elektrobatterie, Wasserstoffspeicher) oder hinsichtlich des Reise- oder Fahrkomforts auswirken können. Voraussichtlich ist damit auch die Tendenz zu einer Abkehr vom bisherigen Universal-Automobil zu spezialisierten Fahrzeugen - z.B. für den Ballungsraumverkehr, für den Freizeitverkehr oder für den Geschäftsreise- und Langstreckenverkehr - verbunden. Ob dies letztendlich die Anschaffung zusätzlicher Zweit- oder Drittwagen und damit eine Bestandserweiterung bedeutet, muß die Zukunft zeigen. Im Bereich der Fahrzeugindustrie wird jedenfalls auch bereits über neue Angebots- und Nutzungskonzepte nachgedacht, bei denen der Kunde nicht mehr ein Fahrzeug kauft, sondern flexibel je nach Bedarf ein Fahrzeug passender Größe und Ausstattung für begrenzte Zeit mietet.

Aufgrund intensiver, langjähriger Forschungsanstrengungen weiß man heute, daß auf dem Feld alternativer Antriebe und Energien kurzfristig kein überraschender technologischer Durchbruch zu erwarten ist. Bei Berücksichtigung der gesamten Energiekette - von der Gewinnung der Primärenergie über die verschiedenen Umwandlungsstufen bis hin zur nutzbaren Energie zum unmittelbaren Antrieb des Fahrzeuges - ist weder beim Elektroantrieb, noch bei Wasserstoff- oder bei Bio-Kraftstoffen (Ethanol, Rapsöl), noch bei anderen bislang diskutierten Antrieben bzw. Motoren mit innerer oder äußerer Verbrennung (Stirling-Motor, Gasturbine, Drehkolbenmotoren) kurzfristig mit wegbahnenden Neuigkeiten zu rechnen, die für diese Antriebe den großen Durchbruch bedeuten könnten.

Ähnliche Aufgaben der Verminderung des Energieeinsatzes bzw. der Emissionen wie bei den individuellen Kraftfahrzeugen gibt es bei den Verkehrsmitteln des öffentlichen Verkehrs. Bei den Fahrzeugen des Schienenverkehrs geht es vor allem um vermehrten Einsatz von Leichtbau, um moderne sparsame An-

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triebe oder z. B. auch um die konsequente Verwirklichung der Bremsstrom-Rückspeisung in das elektrische Versorgungsnetz.

Der Weg über verbesserte Technologie führt nicht nur jede investierte Mark unmittelbar der Verbesserung der Umweltsituation zu. Sie kann darüber hinaus marktstimulierend für innovative umweltschonende Technologien der Zukunft wirken. Dieser Weg ist daher ein mögliches Stimulanz für sichere und dauerhafte Arbeitsplätze am Standort Deutschland und Europa und geeignet, im weltweiten Wettbewerb eine bessere Ausgangsposition zu schaffen. Damit solche Effekte eintreten ist allerdings auch eine entsprechende Werthaltung breiter Schichten der Bevölkerung erforderlich. Erst wenn die Bevölkerung bereit ist, die eigenen Ausgabenpräferenzen in Richtung Umweltschonung zu verschieben, kann ein positiver volkswirtschaftliche Impuls erwartet werden.

4.2.2 Effektivere und effizientere Organisation des Verkehrs

Verbesserungen der Organisation des Verkehrs können einerseits beim einzelnen Verkehrsmittel, andererseits aber auch bei der Kooperation und Optimierung der Arbeitsteilung der Verkehrsträger ansetzen. Bei der Verbesserung der verkehrlichen und betrieblichen Abläufe geht es vor allem um den Aspekt einer größeren ökonomischen und ökologischen Effizienz. Wenn es gelingt, durch weniger Fahrzeugbewegungen oder mit geringerem Energie- und Ressourceneinsatz die gleiche quantitative und qualitative Verkehrsleistung zu erbringen, profitieren die Verkehrsnutzer und die Umwelt gleichermaßen.

Stau, Umwege oder Fehlfahrten zu vermeiden und Emissionsminderungen zu erreichen, ist Ziel von Verkehrsinformations- und -beeinflussungsanlagen insbesondere im Straßenverkehr. Zu erheblichen Verringerungen des Parkplatzsuchverkehrs, der z. B. an verkaufsoffenen Samstagen bis zu über drei Viertel

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des Gesamtverkehrs in einem Innenstadtgebiet ausmachen kann, führen Parkleitsysteme. Elektronische Stadtpläne und Zielführungssysteme sind über Pilotversuche hinaus. Das gleiche gilt für Wechselwegweisung zur Routenoptimierung und zur Stauvermeidung. In sogenannten dynamischen Zielführungssystemen soll die aktuelle Belastungs- und Stausituation auf den Straßen künftig bereits mit berücksichtigt werden.

Eine Optimierung der Abläufe im Straßenverkehr kommt grundsätzlich auch der Umweltsituation zugute. Verflüssigung und Erleichterung des Verkehrs kann zweifellos aber auch Mehrverkehr induzieren und dadurch Umwelteffekte teilweise konterkarieren. Den bereits vorhandenen Verkehr durch Stau zu behindern, scheint aus Umweltsicht jedoch der denkbar schlechteste Weg. Was mühsam durch bessere Technik bei den Verkehrsmitteln erreicht wurde, darf nicht im Stau wieder verloren gehen.

Mehrfachnutzung von PKW insbesondere im städtischen Verkehr wird immer wieder diskutiert. Neben dem sogenannten car-sharing - der gemeinsamen Nutzung von PKW in zeitlicher Abfolge - könnte auch „trip-sharing", d. h. die gemeinsame gleichzeitige Nutzung von PKW ein besonders interessanter Lösungsansatz sein, um die Verkehrsbelastungen zu verringern, ohne die Mobilitätsbedürfnisse all zu sehr zu beschneiden. Im Berufsverkehr innerhalb von Firmenbelegschaften wird dieser Weg in Form von Mitfahrgemeinschaften bereits vielfach praktiziert.

Das theoretisch nutzbare Verkehrspotential in Form der unbesetzten PKW-Sitzplatzkilometer in einem Ballungsraum wird in aller Regel größer sein als das von den Verkehrsbetrieben aufwendig bereitgestellte ÖPNV-Angebot. Während sich das Verkehrsangebot des ÖPNV aus organisatorischen und wirtschaftlichen Gründen auf Magistralen konzentrieren muß, stehen die heute

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ungenutzte PKW-Sitzplatzkilometer auch in der Fläche der Ballungsräume bis in die angrenzenden ländlichen Regionen hinein zur Verfügung.

Natürlich dürfen die Hemmnisse einer Nutzung dieser Potentiale nicht übersehen werden. So müßten beispielsweise Probleme wie Entgeltentrichtung oder Versicherungsschutz gelöst werden. Die Frage der Sicherheit von Mitnehmenden und Mitgenommenen oder die Einbeziehung von Grenzgruppen der Gesellschaft ist gleichfalls ein nicht einfach zu beseitigendes Hindernis.

Unter dem Aspekt „Nutzen statt Besitzen", d.h. nicht Kauf eines Fahrzeuges, sondern Kauf einer Nutzungszeit für eigene persönliche Zwecke ist car-sharing zu sehen. Konkret geht es in den bisher bekannt gewordenen Projekten zumeist um den gemeinsamen, oftmals genossenschaftlichen Besitz von Pkw, der mit Nutzungsrechten gegen Entgelt verbunden ist. Ökologische Vorteile von car-sharing sind im Gegensatz zum trip-sharing weniger in der unmittelbaren Vermeidung von Fahrzeug- oder von Sitzplatzkilometern zu sehen, sondern eher in der Verminderung des Stellplatzbedarfes zusätzlicher Fahrzeuge. In aller Regel ist davon auszugehen, daß beim car-sharing die Fahrzeuge intensiver als entsprechende Privatfahrzeuge genutzt werden.

Im Bereich des städtischen Güterverkehrs sind zur Effizienzsteigerung des Verkehrs sogenannte City-Logistik-Konzepte in Erprobung bzw. teilweise bereits Stand der Technik. City-Logistik bedeutet in diesem Zusammenhang gebündelte gemeinsame Anlieferung oder Abfuhr von Ware für verschiedene Empfänger bzw. von verschiedenen Lieferanten.

Das Ziel verbesserter Betriebsweisen - z. B. weiter optimierte Anpassungen an die räumlichen und zeitlichen Schwankungen der Verkehrsnachfrage - wird auch im ÖPNV schon lange verfolgt. Dabei ist zu beachten, daß die ökonomische wie auch ökologische Effizienz von Massenverkehrsmitteln maßgeblich

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durch den Auslastungsfaktor bestimmt wird. Die Vorteile im spezifischen Energieverbrauch und in den spezifischen Emissionen kommen naturgemäß erst bei hohen Auslastungen zum Tragen. Systemvergleiche zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln - wie Schienen-, Bus- und individuellem Straßenverkehr -, die sich auf den Zustand der Vollauslastung beziehen, liegen deshalb neben der Realität. Die ökologische Qualität eines Verkehrsträgers ist keine Systemkonstante, sondern hängt maßgeblich vom konkreten Verkehrsprozeß mit seiner Auslastung, seinen Umwegen und weiteren betrieblichen Faktoren - wie z.B. dem Bereitstellungsaufwand für das rollende Material - ab, wobei im besonderen die Auslastung tageszeitlich oder linienbezogen großen Schwankungen unterliegt.

Lösungsansätze zur Effizienzsteigerung des ÖPNV in Form einer Auslastungsverbesserung sind oft mit anderweitigen Nachteilen - z.B. hohen Kosten - verbunden. In den 70er Jahren wurden z. B. Rufbussysteme diskutiert und erprobt. Bei ihnen sind Fahrplan und Linienlauf nicht starr fixiert, sondern werden nachfrageabhängig flexibel gestaltet. Insbesondere wegen der anfallenden Umwegkilometer bei der Aufnahme zusätzlicher Fahrgäste wie auch wegen der aufwendigen Betriebsleitzentralen war diesen Systemen bisher kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden. Auch die Anpassung der Fahrzeuggröße, d.h. das An- oder Abkoppeln zusätzlicher Waggons oder Zug-Teile vor allem im Außenbereich noch weit vor der Endstation erfordert betrieblichen Aufwand, der zumindest hinsichtlich der Kosten den erwarteten Energie- und Ressourceneinsparungen gegenzurechnen ist.

Erfolgreich praktiziert wird sogenannter Taxen-Ersatzverkehr. Zu nachfrageschwachen Zeiten oder auf nachfrageschwachen Linien findet die Verkehrsbedienung durch Taxiunternehmer statt, die dann zu Fahrpreisen und Konditionen des ÖPNV verkehren. Dieses Vorgehen spart aufwendige Kapazitätsvorhaltung und -bereitstellung bei den Fahrzeugen und beim Personal der Ver-

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kehrsbetriebe, ist somit insgesamt kostengünstiger und auch hinsichtlich der Umweltbilanz von Vorteil.

Auch durch moderne Informations- und Kommunikationstechnik kann der ÖPNV weiter verbessert werden. Häufig stellt gerade die mangelnde Information über Fahrpläne, Haltestellen, Tarife oder Linienführung der öffentlichen Verkehrsmittel ein wesentliches Nutzungshemmnis dar. Besonders in attraktiven Informations- und Abrechnungssystemen des ÖPNV liegen noch enorme Fortschrittspotentiale. Konkrete Überlegungen gehen dahin, Geräte anzubieten, die den potentiellen Kunden über das Verkehrsangebot des ÖPNV nicht nur lückenlos informieren, sondern gleichzeitig auch die - bargeldlose - Fahrpreisentrichtung automatisieren. Mit solchen Einrichtungen können die kollektiven Verkehrsmittel ihre Systemvorteile, die sie - freilich nur bei hoher Auslastung - im Umweltbereich haben, noch besser zur Geltung bringen.

Im Bereich der Fernbahnen werden die Kapazitätsreserven, die durch verbesserte Sicherungssysteme aktiviert werden können, auf bis zu 30% geschätzt. Einer der Schritte zu ihrer Nutzung ist die Umstellung des Systems der ortsfesten Signale und Sicherungsabschnitte auf das sogenannte „Fahren auf elektrische Sicht", bei dem der Sicherungsabschnitt, der dem erforderlichen Bremsweg entspricht, räumlich flexibel - gewissermaßen vor dem Fahrzeug - hergeschoben wird.

Durch verbesserte Kooperation und Arbeitsteilung der Verkehrsträger will die integrierte Verkehrsplanung eine Optimierung erreichen und gleichzeitig Doppel- oder Fehlinvestitionen vermeiden. Hierbei ist das Verkehrsmittel für eine Verkehrserschließung vorzusehen, das insgesamt die günstigsten Eigenschaften aufweist. Das ist dort, wo Verkehr über längere Strecken bündelbar ist und dies nicht zu unzumutbaren Umwegen, Umsteigezeitverlusten oder anderen Nachteilen führt, der ÖPNV. Wo es sich hingegen um zeitlich oder

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räumlich fein verteilte oder in der Fläche streuende Verkehrsvorgänge handelt, liegt die Stärke der individuellen Verkehrsmittel (wie Auto oder Zweirad).

4.2.3 Integrierte Verkehrsplanung und intermodale Verkehrsbeeinflussungstechnik

Während integrierte Verkehrsplanung zeitlich und räumlich weitgehend statisch eine zweckmäßige Zuordnung von Verkehrsnachfrage und Verkehrsangebot vornehmen will, ist es Ziel der intermodalen Verkehrsbeeinflussung, diesen Prozeß auch zu dynamisieren, d. h. abhängig von der tageszeitlich bzw. entlang der betreffenden Verkehrslinie schwankenden Verkehrsnachfrage oder nach anderen situativ wechselnden Größen - wie z.B. der Immissionsbelastungssituation - das Verkehrsangebot und die Arbeitsteilung der Verkehrsmittel flexibel zu gestalten.

Moderne Sensortechnik setzt uns z. B. in die Lage, Zustände im Verkehr aktuell und detailliert zu erfassen und Abweichungen des Ist-Zustandes vom Soll-Zustand zu ermitteln. Das verkehrstechnische Wissen erlaubt uns, Algorithmen für Eingriffsstrategien in den Verkehr zur Verfügung zu stellen. Als Eingriffsinstrumente in den Verkehr steht ein breites Repertoire traditioneller bzw. zukunftsorientierter Mittel zur Verfügung, das von herkömmlicher situativ variabler Beschilderung oder Signalisation bis hin zur direkten Information oder Anweisung an den Verkehrsteilnehmer reicht.

Verkehrsmanagement kann u. a. auch die Aufteilung des Verkehrs auf die unterschiedlichen Verkehrsträger umfassen. Durch frühzeitige Information der Verkehrsteilnehmer über Verkehrsengpässe, über zu vermeidende Umweltgefahren oder über andere zu berücksichtigende Parameter kann beispielsweise in die Verkehrsentstehung, in die zeitliche oder räumliche Wahrnehmung

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der Verkehrswünsche (Zeit- und Routenwahl) oder in die Verkehrsmittelwahl eingegriffen werden. Freilich besteht hinsichtlich dieser Möglichkeiten noch grundsätzlicher fachlicher, aber auch politischer Diskussions- bzw. Konsensfindungsbedarf. Insbesondere werden demokratische Verfahren und Kontrollmechanismen benötigt, damit nicht technokratisch oder ideologisch motivierten Interventionen Tür und Tor geöffnet wird.

Erste Ansätze dynamischer intermodaler Arbeitsteilung im Verkehr können in der Umlenkung des Verkehrs auf Park-and-Ride-Fahrgelegenheiten, im Taxen-Ersatzverkehr oder in der situativen zeitweiligen Sperrung von Stadtzonen gesehen werden. Auslösekriterien können im genannten Beispiel u.a. bestimmten Immissions-Wetterlagen, Verkehrsbelastungssituationen oder auch Erfahrungswerte aus dem zeitlichen Verlauf des Verkehrsaufkommens sein.

Künftig könnte sich eine Verkehrsbeeinflussungs-, Verkehrsregelungs- und Steuerungsstrategie auf die Erfassung von Zustandsgrößen des Verkehrs, der Umwelt wie auch anderer Umfelddaten erstrecken. Solche Daten sind in einen informationstechnischen Optimierungsregelkreis einführen, der dann mit Hilfe eines „Expertensystems" und nach einem zu vereinbarenden Zielsystem ein Optimum hinsichtlich Mobilitätszielen, Verkehrszielen, Umweltzielen, Wirtschaftszielen usw. ermittelt und als konkrete Intervention dann Beeinflussungsmaßnahmen im Verkehr auslöst, die von der schlichten Zustandsinformation über Empfehlungen, Anreize, Druck, Ge- und Verbote bis hin zu Zwangseingriffen in den Verkehr reichen können.

Zur weiteren Fundierung derartiger Systeme ist allerdings noch erhebliche Entwicklungs- und Forschungsarbeit zu leisten. Offene Fragen bestehen beispielsweise hinsichtlich gesellschaftlich allgemein akzeptierter Zielsysteme, hinsichtlich der einzubeziehenden Bewertungskriterien und deren Operationa-

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lisierung oder hinsichtlich der Lösung von Konflikten zwischen Mobilitäts-, Umwelt-, Wohlstands- oder Freizeitzielen.

Ebenso forschungsbedürftig sind die eigentlichen Optimierungsstrategien. Dabei ist es durchaus streitig, welcher Verkehr mit welchen Umweltbeeinträchtigungen (spezifische Emissionen, spezifischer Flächenbedarf, spezifischer Energieeinsatz etc.) oder auch gesamtgesellschaftlichen Kosten verbunden ist. Diese Größen sind nämlich von der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen Verkehrsprozesse abhängig, stellen also keine „Systemkonstante" der Verkehrsträger dar.

Intermodale Verkehrsleit- und Beeinflussungstechnik ist nicht a priori auf Angebotselemente im Verkehr beschränkt, sie kann ebenso Verkehrsnachfrageelemente umfassen. Konkret werden heute schon Empfehlungen zur Verkehrsmittelwahl in bestimmten Belastungssituationen (Verkehrsballung, Immissionskonzentrationen) mittels Rundfunkdurchsagen gegeben. Auch die zeitliche Verschiebung eines Verkehrswunsches oder die Wahl einer anderen Zielregion - z. B. beim Einkauf - sind heute recht konkret. Ein Versuch des Landesverkehrsministeriums Baden-Württemberg zur Einführung gestaffelter "Eintrittsgebühren" mit dem Pkw in die Landeshauptstadt Stuttgart hatte beispielsweise das interessante Ergebnis, daß die zeitliche Verschiebung einer Fahrt für den Bürger vor dem Umsteigen auf die Stadtbahn rangiert.

Sollte Verkehrstelematik vorwiegend als interventionistisches Instrument zur Bevormundung oder Gängelung der Verkehrsteilnehmer in das öffentliche Bewußtsein eingehen, könnte dies allerdings auch das frühzeitige politische Ende für seinen konstruktiven, effizienzsteigernden Einsatz bedeuten. Bereits heute wird die Diskussion um Telematik zeitweilig von kritischen Tönen geprägt - wie z.B. Mißbrauch für monopolistische Gebührenfestsetzung, Gängelung und Überwachung, gläserner Mensch oder Schikanestrategie. Es ist daher eine

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sensible politische Vorgehensweise mit diesen neuen Instrumenten zur zukunftsfähigen Gestaltung des Verkehrs erforderlich. Die Instrumente müssen glaubwürdig eingesetzt werden und eine verläßliche Hilfe sein, um auch Akzeptanz zu finden.

4.2.4 Verkehrsvermeidung

„Der beste Verkehr ist der, der erst gar nicht entsteht", lautet eine alte „Grundregel" der Verkehrspolitik. Die anhaltende Diskussion um „notwendigen" oder „unnötigen" Verkehr führt auf das Phänomen der sogenannten „Kognitiven Dissonanz". Verkehr wird ganz unterschiedlich bewertet, ob man ihn passiv als Belasteter oder aktiv als Begünstigter erlebt. Ernsthaft über Vermeidbarkeit oder Vermeidungswürdigkeit zu diskutieren, erfordert die Ursachen des jeweiligen Verkehrs sowie seine ökonomischen und sozialen Hintergründe mit zu berücksichtigen.

Verkehrsvermeidung, die auf rationellerer, effizienterer Abwicklung des Verkehrs beruht, dient in der Regel den Interessen der aktiv und auch der passiv Betroffenen. Verbesserung der Auslastung, Abwicklung der gleichen Personen- oder Tonnenkilometer mit weniger Fahrzeugkilometern oder die Vermeidung von Umwegen, von Suchfahrten und Fehlfahrten wird leichter auf die Zustimmung aller Beteiligten stoßen als die Unterdrückung von Mobilität.

Interessant ist auch die bessere Zuordnung von Quellen und Zielen im Verkehr, die insbesondere die Standortentscheidungen für Wohnen und Arbeiten, die räumliche Arbeitsteiligkeit oder die Zentralität bzw. Dezentralität von Versorgungseinrichtungen betrifft. Allerdings ist die Standortfrage kein von gesellschaftlichen, ökonomischen oder anderen Interessen losgelöstes Problem, das allein durch raumordnerische, städtebauliche oder flächennutzerische Ent-


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scheidungen zu bewältigen ist. Vielmehr muß hier eine Reihe ernsthafter Interessenkonflikte beachtet werden.

Am schwierigsten durchzusetzen wird Verkehrvermeidung dort sein, wo sie echten Mobilitätsverzicht bedeutet. Dazu gehört insbesondere die „Verhinderung" oder „Unterdrückung" des Verkehrs gegen die erkennbaren Wünsche der Bevölkerung. Vielfach wird in diesem Zusammenhang ein Bewußtseinswandel gefordert. Bezeichnend ist, daß damit in aller Regel die - anonyme - Gesellschaft insgesamt oder zumindest der jeweils Andere gemeint ist.

Entscheidungen über Beeinflussungen der Verkehrsnachfrage sollten nicht ohne intensive Beschäftigung mit den Determinanten der Entwicklung des Verkehrswachstums getroffen werden. Die Forderung nach Rückkehr zu „regionalen Wirtschaftskreisläufen" wird im Zusammenhang damit immer wieder aufgestellt. Sie findet abstrakt oftmals ungeteilte Zustimmung. Ob von den Betroffenen damit auch die Rückkehr zu einem quasi autarken regionalen Selbstversorgungssystem akzeptiert würde, muß ernstlich bezweifelt werden.

Die Diskussion „globale Wirtschaftsverflechtung versus regionale Wirtschaftskreisläufe" berührt den Kern des Problems unseres Verkehrswachstums. Dabei sollten aber auch die Veränderungen berücksichtigt werden, die sich in den zurückliegenden Zeiträumen, d.h. seit vor der Industriellen Revolution hinsichtlich der Lebensansprüche, des Lebensstandards und der Bevölkerungszahlen ergeben haben.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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