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[Seite der Druckausgabe: 1]


1. Motivation

Klaus Haefner

Wir beginnen in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit über den Verkehr ernsthaft nachzudenken. Dieses tut einer Industrienation außerordentlich gut. Wir haben eine massive Diskussion über das Gesundheitswesen hinter uns mit der phänomenalen Konsequenz, daß es eine Deckelung der Ausgaben gibt. Weiterhin wird zur Zeit eine ähnlich geartete Diskussion bezüglich des Bildungswesens geführt. Dabei werden die Systemaspekte in den Vordergrund gestellt. Diese Betrachtungsweise scheint aber im Verkehr keine Rolle zu spielen. Das ist überraschend, da der Verkehrssektor ein volkswirtschaftliches Volumen von ca. 400 Mrd. DM besitzt. Wir sollten aber über diesen Sektor als Gesamtsystem sprechen. Es kann nicht angehen, daß beispielsweise das Gesundheitswesen, bei dem es um Leben und Tod geht, rationalisiert wird, während im Verkehrswesen „jeder tut, was ihm Spaß macht".

Wir hoffen, daß diese Fachtagung ein Schritt sein wird, um das Bewußtsein über das System Verkehr einen Schritt voranzubringen. Wie kann dieses System organisiert, strukturiert, rationalisiert und effektiver gestaltet werden? Für mich ist es völlig unverständlich, daß jeder kleine Unternehmer in diesem Lande darüber nachdenkt, wie er seine Produktionsmittel effizient nutzt. Niemand kann es sich leisten, beispielsweise eine zweite weitere CNC-Maschine zu kaufen, wenn die erste nicht ausgelastet ist. Im Verkehr aber entsteht der Eindruck, man könne beliebig Ressourcen verbrauchen und beliebig schlechte Auslastungen von Fahrzeugen akzeptieren: Im ÖPNV ist im Mittel nur jeder fünfte Sitzplatz, im fließenden PKW-Verkehr im Mittel nur jeder vierte Platz benutzt. Bei 40 Mill. PKW, die sich ständig auf unseren Straßen bewegen, fahren stets 120 Mill. freie Sitzplätze herum. Dies ist aufgrund der Verkehrsströ-

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me und der breit gefächerten Fahrtziele in gewissem Umfang zwar unvermeidbar. Es besteht aber auch ein großes Potential an Rationalisierungsmaßnahmen und Effizienzverbesserungen.

Die Frage ist nun, wie konstruiert man ein System, das die notwendige und wichtige Mobilität (Transportleistung) gewährleistet, ohne ständig überflüssige Ressourcen vorzuhalten und zu verbrauchen? Durch Flächenverbrauch und Abgase wird die Umwelt in extremster Weise belastet: Die Urbanität ist erheblich zerstört worden. Unsere Städte sind dichtgeparkt und voller Autoverkehr. Kinder haben keine Gelegenheit mehr, auf der Straße zu spielen; sie sitzen in der Wohnung vor Fernseher oder Computer und reagieren ihren Mobilitätsmangel in Aggressionen ab.

Was kann nun eine „Zukunftsfähige Mobilität" eigentlich sein? Die gegenwärtige Politik scheint in die Richtung zu gehen, daß „zukunftsfähig" ein „Weitermachen wie bisher" bedeutet. Es werden z.B. immer mehr Straßen gebaut und immer mehr Gelder in den ÖPNV gesteckt - ganz egal, ob ihn einer nutzt oder nicht.

Für mich ist „zukunftsfähig" das, was zumindest nicht schlechter ist als die Gegenwart! Dieses ist eine Minimalanforderung an zukünftige Systeme. Alle kommenden Systeme dürfen die Situation nicht verschlechtern. Das hat für den Verkehr unmittelbare Konsequenzen:

  • keine zusätzlichen Ressourcen verbrauchen,

  • keine höheren Umweltbelastungen und

  • keine weitere Verschlechterung der urbanen Struktur.

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„Zukunftsfähige Mobilität" bedeutet somit:

  • Erhalt/Verbesserung der Umwelt

  • Reduktion der Unfallzahlen

  • Erhalt/Verbesserung der Reisezeiten für den ökonomisch orientierten Verkehr

  • Erhalt/Verbesserung der Urbanität

  • Stabilisierung oder Reduktion der Fahrleistung bei hoher Transportleistung und

  • Rationalisierung des Verkehrssystems.

Die Frage der Rationalisierung wurde auch im Gesundheitswesen gestellt: Wie schafft man es, mit einem Minimum an Aufwand die Menschen in diesem Land gesund zu halten? Warum kann diese Frage nicht auch auf den Verkehr übertragen werden? „Wie schafft man es, mit einem Minimum an Fahrleistung (Fahrzeug-km), ein möglichst hohes Maß an Mobilität (Personen-km, Tonnen-km) zu erreichen?" Dieses Ziel kann nicht dadurch erreicht werden, daß die Infrastrukturen ausgebaut werden. Bestehende Infrastrukturen müßten vielmehr besser ausgenutzt werden - insbesondere die vorhandene Fahrzeugkapazität! Um eine „Zukunftsfähige Mobilität" zu erreichen, brauchen wir einen grundsätzlich neuen Ansatz zur Rationalisierung des Systems Verkehr. Bisher existiert in der verantwortlichen Politik jedoch keinerlei Interesse, über Rationalisierungsmaßnahmen nachzudenken.

Ich hoffe, daß die heutige Konferenz einen Beitrag liefern wird, das komplexe Thema der Betrachtung des Systems Verkehr als „zukunftsfähige" Struktur weiterzubringen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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