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[Seite der Druckausgabe: VII]


Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Die Verkehrsverhältnisse in unseren Städten und Gemeinden verschlechtern sich permanent. Zunehmende Verkehrsstaus und Umweltbelastungen sowie eine nicht akzeptierbare Zahl von Verkehrsopfern spiegeln dies unübersehbar. Zur Entschärfung dieser Situation wurde eine Vielzahl von Lösungsvorschlägen entwickelt und mit unterschiedlichen Intensitäten und Erfolgen auch in die Praxis umgesetzt. Die Vorstellung und kontroverse Diskussion von fünf derartigen Konzepten führte im wesentlichen zu den im folgenden dargestellten Ergebnissen.

Das Konzept des Schlanken Verkehrs zielt auf die Maximierung der in Personenkilometern gemessenen Mobilität bei Begrenzung der Fahrzeugkilometer. Dieses Ziel soll durch eine Prioritätensteuerung zugunsten von Fahrzeugen mit einem höheren Besetzungsgrad erreicht werden. Solchen Fahrzeugen werden Sonderfahrspuren und Sonderparkplätze eingeräumt, während der Verkehr mit einfachbesetzten Pkw über eine Verlangsamung begrenzt wird. Letzteres wird durch das - empirisch nachgewiesene - konstante Reisezeitbudget ermöglicht, das das Verkehrsvolumen zu einer von Geschwindigkeitsänderungen abhängigen Variablen macht. Der Individualverkehr kann ausgebremst werden, indem seine Geschwindigkeit durch Tempolimits, durch begrenzte Kapazitäten für den fließenden und den ruhenden Verkehr und durch Beschleunigungen des öffentlichen Verkehrs unter die Geschwindigkeit von Bahnen und Bussen abgesenkt wird. Es steigen solange Autofahrer auf den öffentlichen Verkehr um, bis der Individualverkehr aufgrund der geringeren Verkehrsdichte wieder die gleiche Geschwindigkeit wie der öffentliche Verkehr erreicht. Bei dieser Strategie wird also der Individualverkehr tempomäßig an den öffentlichen Verkehr gebunden.

Da die zu diesem Lösungsvorschlag gehörenden Beschleunigungsmaßnahmen des öffentlichen Verkehrs hohe Kosten verursachen, sind Fahrgemeinschaften und Mikrofahrzeuge als preisgünstigere Alternativen zu nutzen. Durch den Vorrang solcher Fahrzeuge und Benachteiligungen für Einzelfahrer ergeben sich weniger Fahrzeugkilometer und Mobilitätsgewinne aufgrund der Beschleunigung der Pkw mit höheren Besetzungsgraden bzw. mit geringerem Flächenverbrauch.

Wichtig für die politische Durchsetzbarkeit des Schlanken Verkehrs ist seine soziale Ausgewogenheit. Die Steuerung des Verkehrs der Einzelfahrer über Verringerungen der Geschwindigkeit trifft alle Autofahrer gleich, also unabhängig von der Höhe des verfügbaren Einkommens. Unsozial ist dagegen der Einsatz von preispolitischen Instrumenten zur Reduzierung der Fahrzeugkilome-

[Seite der Druckausgabe: VIII]

ter, weil hier Einkommensschwache zugunsten von Reichen vom Individualverkehr ausgeschlossen werden.

Für das Konzept der Sustainable Mobility ist die Internalisierung der externen Kosten nur ein Ansatz. Zusätzlich werden für die Einleitung einer nachhaltigen Entwicklung im Verkehr folgende Maßnahmenbündel diskutiert:

  • technische Maßnahmen an Fahrzeug, Fahrbahn und Kraftstoff (z.B. Flottenverbrauchsgrenzwerte)

  • ökonomische Maßnahmen (z.B. fahrleistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe für Lkw)

  • Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrsablaufs (z.B. Sonderspuren für Pkw mit hohem Besetzungsgrad)

  • raum- und umweltplanerische Maßnahmen (z.B. verkehrsarme Siedlungsstrukturen)

  • Maßnahmen zur Umweltentlastung im Stadtverkehr (z.B. Parkraumbewirtschaftung)

  • Maßnahmen zur Verbesserung des Eisenbahnverkehrs (z.B. Kapazitätserweiterung von Schienenstrecken)

  • Maßnahmen zur Reduzierung der Umweltbelastungen durch den Flugverkehr (z.B. Ausdehnung der Nachtflugbeschränkungen).

Entscheidend für die Minderung der Umweltbeeinträchtigungen durch den Verkehr sind insbesondere die Verkehrsvermeidung u.a. durch preis- und raumordnungspolitische Instrumente, die Verkehrsverlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel im Güter- und Personenverkehr sowie die umweltverträgliche Verkehrsabwicklung u.a. durch die Einführung bzw. Verschärfung der Abgas- und Verbrauchsgrenzwerte.

Auch das Verkehrskonzept des Deutschen Städtetages setzt auf Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung und stadtverträgliche Verkehrsabwicklung. Im Zusammenhang mit der Verkehrsvermeidung werden insbesondere eine bessere Abstimmung von Stadt- und Verkehrsplanung sowie eine bessere Vernetzung der Verkehrsträger mit Prioritäten für den Umweltverbund gefordert. Notwendige Voraussetzung für Verkehrsverlagerungen sind quantitative und qualitative Angebotsverbesserungen des ÖPNV. Hierfür kann ein breites Maßnahmenbündel realisiert werden, das vom Ausbau der Infrastruktur über Beschleunigungsmaßnahmen für Busse und Bahnen bis hin zu tarifpolitischen Maßnahmen und Verbesserungen von Informationssystemen reicht. Und bei der stadtverträglichen Verkehrsabwicklung geht es um Aspekte wie Verkehrsbeschränkungen (Stichwort „autofreie bzw. fußgängerfreundliche Innenstadt", flächendeckendes Parkraummanagement und Einsatz von telematikgestützten Verkehrsleitsystemen).

[Seite der Druckausgabe: IX]

Bei der Umsetzung dieses Konzeptes sind die Kommunen auf die Hilfe des Bundes und der Länder angewiesen. Der Staat muß durch entsprechende Rahmenbedingungen und eine ausreichende Finanzausstattung die Weichen in Richtung auf eine zukunftsfähige Mobilität setzten. Notwendig ist aber auch, daß die Verkehrswende von der Bevölkerung mitgetragen wird.

Im Konzept eines Automobilherstellers wird Verbesserungen in der Technologie der Fahrzeuge bei der zukunftsfähigen Gestaltung des Verkehrs eine Priorität eingeräumt. Dort erzielte Erfolge wirken unmittelbar umweltentlastend im Sinne der Zukunftsfähigkeit. Für die Betroffenen fallen zwar Kosten an. Diese sind aber im Vergleich zu anderen Eingriffen - z.B. in Mobilitätsmuster - vergleichsweise harmlos und bedeuten wenig „Bevormundung" der Bürger. Erhöhte Kosten für anspruchsvollere technische Lösungen haben auch einen Lenkungseffekt hinsichtlich der Vermeidung von aus individueller Sicht verzichtbaren Fahrten und internalisieren gleichzeitig externalisierte Belastungen.

Steigerungen der ökologischen Effizienz beim einzelnen Verkehrsmittel durch Verbesserung der Prozessabläufe im Verkehr greifen bereits eher in Mobilitätswünsche und Anspruchshaltungen der Betroffenen ein. Verbesserungen der Auslastung beim einzelnen Fahrzeug bedeuten in der Regel Verzicht auf Ungestörtheit und Individualität. Rationellerer Umgang mit den Kapazitäten kann zeitliche oder räumliche Verlegungen von Fahrtwünschen auslösen. Veränderungen der intermodalen Arbeitsteilung - ggf. mit dem Instrument der intermodalen Verkehrsbeeinflussung - setzen zum Teil erhebliche Eingriffe in Anspruchshaltungen und Verkehrsgewohnheiten voraus.

Verkehrsvermeidung wird nur dort allgemein Zustimmung finden, wo sie mit Vorteilen für den Einzelnen und für die Gesellschaft verbunden ist, wo also Umwege, Fehlfahrten oder Suchfahrten vermieden werden. Erheblich schwieriger wird Verkehrsvermeidung jedoch dort, wo Mobilität behindert oder Anspruchshaltungen und Verkehrsursachen unterdrückt werden sollen. Auch die Rückkoppelung auf Verkehrsursachen - wie Wirtschaftswachstum, Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen - oder auf andere verkehrsinduzierende Aktivitäten und Strukturen muß Beachtung finden, damit Kontraproduktivitäten zur ökonomischen und sozialen Dimension der Zukunftsfähigkeit vermieden werden.

Das Konzept der Gemeinsamen Verkehrspolitik für Europa zielt auf die Steigerung der Leistungsfähigkeit und Effizienz des Verkehrssystems sowie auf eine Reduzierung der negativen Auswirkungen des Verkehrs für Mensch und Umwelt. Es wird ein Paradigmenwechsel vorgenommen von einer Politik der Beseitigung von Hindernissen im Verkehr zu einer Politik der Verkehrsoptimierung unter Beachtung von Umweltbelastungen. Ordnungs-, investitions- und finanzpolitische Maßnahmen sollen hierbei abgestimmt eingesetzt werden.

[Seite der Druckausgabe: X]

Entscheidende Bedeutung wird der Durchsetzung der Kostenwahrheit und hoher technischer Umwelt- und Sicherheitsstandards im Verkehr beigemessen - und zwar bei allen Verkehrsträgern. Daneben gibt es spezielle Maßnahmen in einzelnen Verkehrsbereichen (z.B. Einführung von Fahrwegzugangsrechten im Personenverkehr bzw. deren Ausweitung im Güterverkehr der Eisenbahnen; Liberalisierung des europäischen und Schaffung eines gemeinsamen transatlantischen Luftverkehrsmarktes). Ein Leitlinienvorschlag der Kommission sieht bis zum Jahr 2010 die Zusammenfassung der nationalen Verkehrsnetze zu einem transeuropäischen Netz vor (Investitionsbedarf über 400 Mrd. ECU). Zur Lösung der Verkehrsprobleme sollen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Gemeinschaft einen wichtigen Beitrag leisten; hierzu zählt insbesondere die Förderung von Telematikvorhaben.

Zwischen den fünf vorgestellten Mobilitätskonzepten gibt es eine Reihe von Überschneidungen. Die durchgeführte Podiumsdiskussion machte aber auch besondere Stärken und Schwächen der einzelnen Lösungsvorschläge deutlich. Verkehrsvermeidungen und Verkehrsverlagerungen wird eine entscheidende Bedeutung zuerkannt. Hierfür bilden Verbesserungen der Attraktivität und Kundenfreundlichkeit des ÖPNV eine zentrale Voraussetzung. Daneben sollte Tripsharing- und Carsharing-Modellen größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wichtig erscheinen auch die sozialverträgliche Ausschöpfung vorhandener Produktivitäts- und Kapazitätsreserven im derzeitigen Verkehrssystem sowie die Durchsetzung des Prinzips der Kostenwahrheit - und zwar bei allen Verkehrsträgern. Die Politiker und die Manager von Verkehrsbetrieben sind aufgefordert eine Vorbildfunktion zu übernehmen, indem sie weniger Auto und verstärkt mit Bus und Bahn fahren.

Es kommt darauf an, die Verkehrsabläufe in unseren Städten und Gemeinden effizienter, effektiver, sicherer und umweltfreundlicher zu machen. Hierfür erscheint das Instrument Infrastrukturausbau nicht problemadäquat, denn es wird zu weiter wachsenden Verkehrsströmen führen. Es geht auch nicht um die maximale Auslastung der vorhandenen Infrastruktur. Ziel sollte vielmehr die Verbesserung der Mobilität durch Optimierung der Fahrzeugauslastung und Stärkung des Umweltverbundes sein. Hierfür muß die Politik die notwendigen ordnungs- und preispolitischen Rahmenbedingungen setzen. Unverzichtbar ist aber auch , daß der Einzelne die Neujustierung der Verkehrslandschaft akzeptiert und seinen Beitrag zur Verkehrswende leistet.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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