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3. Reformkonzept der Lean Public Administration


Die konzeptionelle Geschlossenheit des Neuen Steuerungsmodells der KGSt darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Umsetzung der einzelnen Modell-

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bausteine mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Das Fehlen von klaren und bewährten Vorgaben für die Anwendung der neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente hat in der kommunalen Reformpraxis zu einer Reihe von unterschiedlichen Einführungs- und Veränderungsstrategien geführt. Ihnen gemeinsam ist das Ziel, die Funktionsweise der überkommenen Verwaltungsverfahren außer Kraft zu setzen und durch grundlegend neue, den veränderten Anforderungen der modernen Gesellschaft weitgehend angepaßte Strukturprinzipien zu ersetzen. In jüngster Zeit hat dabei vor allem die Konzeption einer Lean (Public) Administration eine wachsende Resonanz gefunden, die von der Unternehmensberatung Shopfloor Psychologie vorgestellt wurde.

Aus den Eigenschaften des Lean Managements kann nahezu idealtypisch abgeleitet werden, wo die strukturellen Probleme des Wirtschaftsstandorts Deutschland liegen. Rückläufige Wettbewerbsfähigkeit bei unzureichender Innovativität, hohe Lohn- und Lohnnebenkosten bei stagnierender Produktivität, geringe Arbeitszufriedenheit bei mangelndem Führungsverhalten etc. lösten in der Wirtschaft eine Welle der Umstrukturierung und der massenhaften Freisetzung von Arbeitskräften aus. Die Erkenntnis, daß die Strukturkrise der Wirtschaft und die öffentliche Finanzmisere weitgehend dieselben Ursachen haben, und daß die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland letztlich auch von der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung abhängt, öffneten dem Lean Management-Konzept den Weg auch in den kommunalen Bereich.

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3.1 Berücksichtigung von prozeßorientierten Modernisierungsaspekten

Lean Administration zielt in seinem Kern auf den Abbau von hierarchischen und bürokratischen Strukturen sowie auf Straffung und Verdichtung von Prozeßketten. Weiter sollen in allen Bereichen der Verwaltung kreative Prozesse in Gang gesetzt und durch eine entsprechende Führungsorganisation abgesichert werden. Wesentliche Elemente des Reformkonzepts sind die Erhöhung der Effizienz des Verwaltungshandelns auf der einen Seite und die konsequente Förderung und Qualifizierung der Mitarbeiterinnen sowie die Herstellung von Verantwortungsbereitschaft auf der anderen Seite.

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Lean Administration ist weniger eine Methode für kurzfristige Veränderungen, sondern ein dauerhaft angelegter Prozeß. Es geht um die Entwicklung und permanente Verbesserung von Verfahren, in deren Mittelpunkt der Bürger als 'Kunde' der Verwaltung steht. Die Konzeption einer 'schlanken' Verwaltung geht somit weithin konform mit den Reformzielen des Neuen Steuerungsmodells. Die Beschränkung der Verwaltung auf die Kernbereiche staatlicher Daseinsvorsorge sowie die Reduzierung der Leistungstiefe gehören ebenso zum Neuen Steuerungsmodell wie der Aspekt eines flexiblen und kundenorientierten Dienstleistungsangebots, das von gut ausgebildeten, motivierten und eigenverantwortlich handelnden Mitarbeiterinnen bereitgestellt wird.

Das Neue Steuerungsmodell beschränkt sich allerdings weithin (noch) auf produktbezogene Kennzahlen zur Leistungsbewertung und vernachlässigt die prozeßbezogenen Komponenten der öffentlichen Leistungserstellung. Das Konzept der Lean Administration versucht dagegen konsequent die Wirkungsebene des Verwaltungshandelns in die Betrachtungen einzubeziehen und ist damit wesentlich komplexer als das Neue Steuerungsmodell. Dabei bestehen bei diesem Reformansatz nach einer Zusammenstellung von Shopfloor Psychologie im einzelnen folgende Verkettungen:

Problem:

staatliche Mißwirtschaft


  • leere Staatskassen
  • ineffektive Arbeitsorganisation
  • schlechte Dienstleistungsqualität
  • reaktive Kontrolleurskultur
  • wandlungsunfähige Starrheit
  • gigantische Verschwendung

Ursache:

bürokratischer Zentralismus


  • überkommene Berufs- und Sozialstrukturen
  • barocke Hierarchien mit Über-/Unterordnung
  • Aufgabenzergliederung und labyrinthische Arbeitsabläufe
  • Abgrenzung, Sparten- und Erbhofdenken

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  • zentralistischer Dirigismus
  • mehr Fremd- als Selbstkontrolle
  • leistungsfeindliche Entlohnung
  • bevormundende Führungsstruktur
  • 'positive' Normanwendung
  • Vorrang der statusbezogenen Berechtigung

Lösung:

Lean Public Administration


  • dezentrale, bürgernahe Staatsinstitutionen
  • wirtschaftlich nachhaltige Amts- und Betriebsführung
  • effiziente, kundenorientierte, flexible Arbeitsorganisation
  • integrierte, basisnahe Verantwortungsstruktur
  • sinnbezogene, prinzipiengestützte Selbstführung
  • vertrauensvolle Kooperation
  • offener, lernfördernder Informationskomfort
  • proaktive Wandlungs- und Verbesserungskultur
  • Vorrang wertschöpfender Leistung

Ergebnis:

gemeinwohlorientierte Kompetenz


  • bürger-, künden- und marktbezogene Dienstleistungsqualität
  • funktionsgerechte Ablaufstrukturen
  • wertschöpfungszentrierte Sozialkultur
  • zukunftsfähige Leistungsreserven


Lean Administration-Konzept versteht sich in erster Linie als eine dauerhaft angelegte, prozeßorientierte Veränderungsstrategie. Die gegenwärtige Krise der öffentlichen Finanzen, der Entwicklungsrückstand und der zunehmende Modernisierungsdruck werden dabei vor allem als eine Chance begriffen, den 'Quantensprung' zu wagen und den überfälligen Strukturwandel hin zur 'schlanken', leistungs- und gestaltungsfähigen Verwaltung einzuleiten. Als ein dynamisches Kompetenzzentrum für Gemeinwohl, Entwicklungsförderung und Kultur könnte die öffentliche Verwaltung sogar Vorreiterin beim Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft werden. Das setzt voraus, daß die zahlreichen Reformprojekte in den Städten, Kreisen und Gemeinden

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zu grundlegenden Leistungsverbesserungen führen und die kritische Grenze von 'noch erträglichen Leistungskürzungen' nicht überschritten wird.

Bei den Reorganisationsbemühungen im Rahmen von Lean Administration kommt den Beschäftigten aller Hierarchiestufen die entscheidende Rolle zu. Der eigenverantwortlich und innovativ tätige Mitarbeiter rückt in den Mittelpunkt der Reformbemühungen. Als 'schlanke' Organisation wird die Verwaltung wandlungsfähiger, die Arbeit wird flexibler und intelligenter organisiert, die Beschäftigten werden besser und vor allem breiter qualifiziert, Kooperation zwischen allen Beteiligten hat Vorrang vor Partikularinteressen. Die Selbststeuerung und Eigenkontrolle im Lean Administration-Konzept beruht ganz wesentlich auf allgemeinverbindlichen Leitbildern, die für die Mitarbeiterinnen wie für die Führungskräfte gleichermaßen gelten.

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3.2 Reorganisationsinstrumente für „schlanke" Kommunalverwaltungen

Lean Administration kann als ein umfassendes und integrales Modernisierungskonzept für öffentliche Verwaltungen bezeichnet werden, das die gebräuchlichsten Reforminstrumente und -modelle zu einem strategisch ausgerichteten Praxismodell zusammenfaßt und durch die Grundsätze des Qualitätsmanagements im Dienstleistungssektor anreichert. Die Umsetzung folgt dann im wesentlichen den Prinzipien und der Logik des Business Process Reengineering-Modells von Hammer und Champy (1994). Grob umrissen setzt Lean Administration auch auf der Kommunalebene weniger auf bürokratischen Über-Staat und auf überflüssig gewordene Kontrollinstanzen, sondern auf dynamisch und flexibel agierende Verwaltungseinheiten und auf den Ausbau der unmittelbar wertschöpfenden und -sichernden kommunalen Ebene. Die bisherige Entscheidungs- und Verantwortungspyramide wird gewissermaßen umgedreht, indem konsequent Kompetenzen nach unten verlagert und die Städte, Kreise und Gemeinden wieder stärker als bisher in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben im Sinne des kommunalen Gemeinwohlauftrags zu erfüllen.

Im einzelnen können nach Shopfloor Psychologie folgende Reform- und Reorganisationsinstrumente für eine 'schlanke' Verwaltung unterschieden werden:

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Anbindung der Leistungserstellung an den Markt

  • Preis-, Leistungs- und Qualitätsvergleiche ('Benchmarking')
  • regelmäßige Kundenzufriedenheitsmessung (Bürgerbefragungen)
  • Eliminierung nicht wertschöpfender Tätigkeiten durch Wertanalysen
  • Einführung interner Kundenorientierung
  • Einbeziehung der Bürger in den Leistungserstellungsprozeß (Kooperation)

sach- und erfolgsorientierte Rechnungslegung

  • Selbstkontrolle durch Marktfeedback
  • projektbezogene Investitionsplanung
  • Vorgabe von Produktivitäts- und Kostenkennzahlen
  • Kostenstellen-, Kostenträger- und Leistungsrechnung, Bilanz- und Erfolgsrechnung

dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung

  • Schaffung übersichtlicher Arbeitseinheiten (Teamarbeit)
  • Entfachlichung, Entspezialisierung
  • Konzentration der Steuerung auf Leitlinien, Methoden und Beratung
  • volle Verantwortung der neuen Geschäftseinheiten für die Mittelbewirtschaftung
  • Verzicht auf Einzeleingriffe (Führung und Kontrolle auf Abstand)

Deregulierung und Entbürokratisierung

  • Stärkung der Eigenverantwortung statt Bevormundung
  • ökonomische und fachliche Zielvorgaben anstelle von Handlungsanweisungen
  • Übernahme privatwirtschaftlicher Personalregelungen
  • leistungsgerechte Aufstiegsmöglichkeiten; Abschaffung von laufbahnbezogenen Karrieren

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produktorientierte Prozeßorganisation

  • prozeßorientierte Aufgabenerledigung
  • Organisation der Prozesse von 'außen nach innen' und 'von unten nach oben'
  • Vorrang für kundenorientierte Dienstleistungsprozesse
  • leistungs- und qualifikationsbezogene Dienstpostenbewertung
  • Erweiterung der Entscheidungsbefugnisse Vor Ort'
  • Flexibilisierung durch 'Job rotation', Teilzeitarbeit, Projektkompetenz statt Amtskompetenz

Unternehmensorientierung – Corporatization – Privatisierung

  • Reintegration der Verwaltungen in Markt und Gesellschaft
  • Einführung betriebswirtschaftlicher Planungs-, Steuerungs- und Kontrollmethoden
  • Ausschreibung aller Projekte; Wettbewerb der öffentlichen mit privaten Anbietern
  • Public-Private-Partnership

Bürgernähe

  • interne und externe Kunden- und Marktorientierung
  • bürgergestützte Leistungskontrolle
  • bürgerorientierte Integration der Dienstleistungen
  • Aufwertung und Qualifizierung von Bürgerberatern ('Job rotation')
  • Einbeziehung der Bürger in die Problemlösung und Entscheidungsfindung
  • wohnortnahe Servicecenter

Diese Reform- und Reorganisationsinstrumente sind nur dann nachhaltig wirksam, wenn ihnen die Leitgedanken, die Organisations- und Arbeitsplatzprinzipien und die Grundstrategien der Lean Administration zugrunde gelegt werden. Einige dieser Instrumente unterstützen zudem die notwendige Konsolidierung der öffentlichen Finanzen. Gleichzeitig mit der Hinwendung zu 'schlanken' Elementen muß auf die Nutzung von Instrumenten verzichtet werden, die die alten Strukturen konservieren.

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Der entscheidende Impuls für eine 'Verschlankung' der öffentlichen Verwaltung kommt 'von unten', d.h. von den Städten, Kreisen und Gemeinden als unmittelbar leistungserbringender Ebene – und hier vor allem von den Beschäftigten, ihren Kompetenzen und Bedürfnissen. Diese basisbezogene Sicht der Lean Administration prägt den Reorganisationsprozeß als ganzes. Es wird zugleich sichergestellt, daß sich alle Modernisierungsmaßnahmen letztlich auf den Bürger als den Adressaten der Verwaltungsleistungen beziehen. Der Bürger soll also mehr und mehr zum Maßstab und Kontrolleur kommunaler Güter und Dienste werden. Er rückt damit in den Mittelpunkt der kommunalen Reformbemühungen und avanciert gleichsam zum Kunden des 'Dienstleistungsunternehmens Kommunalverwaltung'.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2002

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