FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: 19 / Fortsetzung]


4. Nutzen der Telematikanwendung im Verkehr

Die Telematik im Verkehrssektor stellt sowohl für die öffentliche Hand als auch für die Privatwirtschaft Nutzen in Aussicht. Profitieren werden von den Verkehrsleit- und -informationssystemen die einzelnen Verkehrsteilnehmer, aber auch die gesamte Gesellschaft. Im einzelnen gehört zu den sich abzeichnenden und teilweise bereits realisierten Nutzen der Telematik einmal die Erweiterung der politischen Steuerungsoptionen im Verkehr. Für die Politik erhöhen sich die Gestaltungsspielräume, indem sie von dem Instrumentarium für das Verkehrsmanagement Gebrauch macht und Verkehrszu- sowie -abflüsse verkehrsabhängig und umweltverträglich regelt. Dabei kann mit ordnungs- und preispolitischen Parametern direkt Einfluß auf die Verkehrsnachfrage genommen und verkehrsträgerübergreifenden Konzepten ein Vorrang eingeräumt werden.

Zum anderen kann die Telematik zu einer besseren Auslastung der Verkehrsmittel und der Verkehrsinfrastruktur beitragen. Große Rationalisierungspotentiale bestehen z.B. beim Straßengüterverkehr. Im Binnenverkehr sind die Lkw oft nur zu 60% ausgelastet, und im grenzüberschreitenden Verkehr Europas ist etwa ein Drittel der Lkw leer unterwegs. Mit einem telematikgestützten Flottenmanagement werden bessere Dispositionen über den Fuhrpark möglich. Beladung und Tourenplanung werden transparenter, effizienter und flexibler. Auch die Bahnen können höhere Auslastungen ihrer Verkehrsmittel erzielen, indem sie im Personen- und Güterverkehr kundenorientierte Verkehrsangebote machen oder ihre Betriebsleistungen der erwarteten Verkehrsnachfrage entsprechend aufstocken oder reduzieren. Höhere Auslastungsgrade sind auch bei der Verkehrsinfrastruktur möglich. So

[Seite der Druckausgabe: 20]

kann mit Hilfe der Telematik der Verkehr auf weniger belastete Straßen umgeleitet und so der Verkehrsfluß im gesamten Netz verbessert werden. Zur Auslastungsoptimierung des Straßennetzes trägt auch ein leistungsfähiges Verkehrsnachrichtensystem bei. Und für die Bahnen stellt eine moderne Betriebsleittechnik Steigerungen der Leistungsfähigkeit ihres Verkehrsnetzes in Aussicht.

Zugleich können Leer- und Suchfahrten reduziert werden. Dies ermöglichen Zielführungs-, Tourenoptimierungs- und Warenbündelungssysteme. Das Deutsche Verkehrsforum weist in diesem Zusammenhang auf zwei weitere Aspekte hin: Einmal werden durch eine verbesserte Abstimmung der Übergänge vom Individual- zum öffentlichen Verkehr die Attraktivität des ÖPNV verbessert, das Aufkommen gesteigert und die Verkehrsströme wirksamer gebündelt. Zum anderen können durch eine weiter verbesserte Kommunikation zwischen Flugsicherung, Flughäfen und Airlines Warteschlangen vor der Landung vermieden werden bei gleichzeitiger Verringerung der Umweltbelastung.

Neben der besseren Kapazitätsauslastung und der Verkehrsverringerung sind weiter die verkehrsbeschleunigenden Effekte der Telematik zu erwähnen. Diese führen u.a. zu günstigeren Zukunftsperspektiven für den kombinierten Verkehr. Nur mit Informationen, die möglichst den Warenströmen vorauseilen, können gebrochene Verkehre mit Zusammenarbeit von Schiene, Straße, Schiff und Flugzeug nach modernsten Logistikanforderungen organisiert und durchgeführt werden.

Wie in Kapitel 8.3 genauer gezeigt, muß durch verkehrsträgerübergreifende Informations- und Kommunikationssysteme sichergestellt werden, daß alle an der Transportkette Beteiligten jederzeit Zugang zu den notwendigen Informationen haben und entsprechend disponieren können. Insbesondere an den Schnittstellen des Kombi-Verkehrs - wie z.B. Güterverkehrszentren - bestehen Potentiale für die Vernetzung und Beschleunigung der Transportsysteme, die durch Telematikeinsatz genutzt werden können. Hierdurch wird es möglich, die Logistikprozesse für Produktion und Handel noch stärker zu straffen.

Auch der einzelne Verkehrsteilnehmer hat Vorteile von der Telematik. Diese hängen mit den in Übersicht 1 (Seite 34 ff) aufgelisteten Verkehrs- und

[Seite der Druckausgabe: 21]

Reiseinformationsdiensten zusammen, die es ermöglichen, daß ein Reiseziel schneller, bequemer und zuverlässiger erreicht wird. Hier sind z.B. Zielführungssysteme in den Fahrzeugen und Telematikprogramme zu erwähnen, die den Verkehrsteilnehmer bei der individuellen Auswahl von Fahrtrouten, Fahrtzeiten und geeigneten Verkehrsmitteln unterstützen. Nutzen resultieren auch aus Parkleitsystemen, die den Parkplatzsuchverkehr reduzieren: So verringerte sich z.B. in Stuttgart durch das neu eingeführte dynamische, d.h. situationsabhängig gesteuerte Parkleitsystem der Parkplatzsuchverkehr um 30%.

Ein wichtiger positiver Faktor ist auch die Verbesserung der Verkehrssicherheit durch Telematik. Sicherheits- und Sicherungssysteme in den Verkehrsmitteln, Verkehrsüberwachungs- und -steuerungssysteme sowie Unfallmanagementsysteme werden bei allen Verkehrsträgern zu mehr Sicherheit führen. Durch Systeme, die den Fahrzeugführer auf seine Fahrtüchtigkeit überprüfen und ihn vor Gefahren warnen, können Unfälle verhindert werden. So lassen sich z.B. mit Hilfe der variablen Wechselverkehrszeichen auf der Autobahn, die Verkehrs- und witterungsabhängig geschaltet werden, auf kritischen Streckenabschnitten der Verkehrsfluß harmonisieren, Warnungen abgeben und Staubereiche umfahren. Auf der Autobahn Nürnberg - München konnte so die Zahl der Unfälle und Verletzungen innerhalb von nur drei Jahren um ein Drittel gesenkt werden, und für andere Autobahnabschnitte ist ein Rückgang der Stauunfälle um fast 40%, bei den Schwerverletzungen sogar bis zu 50% festgestellt worden.

Außerdem können die Streckenbeeinflussungsanlagen durch flexible Geschwindigkeitsbeschränkungen den Verkehrsfluß bei hohen Belastungen harmonisieren und gleichmäßiger gestalten. Da solche Anlagen das Tempo nur dann und dort reduzieren, wo es erforderlich ist, werden die Nachteile von starren Geschwindigkeitsbegrenzungen, für die nur eine geringe Bereitschaft zur Akzeptanz besteht, vermieden.

Mit dem ungebremsten Verkehrswachstum erhöht sich der Bedarf an Verkehrssteuerungsanlagen. Dementsprechend hat das Bundesverkehrsministerium die Haushaltsmittel für diesen Bereich bereits in den letzten Jahren erheblich aufgestockt. Nach dem für den Zeitraum 1996 bis 2001 fortgeschriebenen Programm zur Verkehrsbeeinflussung auf Autobahnen, das jetzt den Bundesländern vorgelegt wurde, soll mit Investitionen in Höhe von rund

[Seite der Druckausgabe: 22]

600 Mio. DM einmal die Länge der mit variablen Höchstgeschwindigkeiten versehenen Autobahnstrecken von derzeit etwa 500 km auf rund 1.100 km zunehmen. Zum anderen sehen die Planungen des Ministeriums vor, daß zu den etwa 1.300 km Autobahnen, auf denen heute Wechselwegweiser Autofahrern Umleitungsempfehlungen zum Umfahren von Staubereichen geben können, weitere 800 km hinzukommen. Damit wird also im Jahr 2001 auf etwa 3.200 km Autobahn eine automatische Verkehrsdatenerfassung erfolgen.

Natürlich sind Anlagen zur Verkehrsbeeinflussung kein Allheilmittel zur Lösung der Verkehrsprobleme auf Autobahnen. Werden ihre Gebote und Warnungen von den Autofahrern beachtet und befolgt, dann können Staus, die aufgrund von Überlastungen entstehen, zwar besser abgesichert, entschärft und verflüssigt werden. Das Bundesverkehrsministerium betont aber, daß ein Stau nicht völlig vermieden werden kann, sobald die Kapazitätsgrenze der Straße überschritten ist.

Auch im Schienenverkehr läßt sich die ohnehin hohe Sicherheit durch den Telematikeinsatz noch weiter steigern. Ein verbessertes Luftverkehrsmanagement kann auch bei noch zunehmender Verkehrsdichte die Beibehaltung des hohen Sicherheitsstandards garantieren. Und besonders auf den stark frequentierten Wasserstraßen tragen telematikgestützte Überwachungssysteme zur Erhöhung der Sicherheit bei; ähnliches gilt für moderne Navigationshilfen für den Seeverkehr.

Telematik ist auch ein Instrument zum Abbau der Umweltbelastungen durch den Verkehr. Umweltfreundliche Verkehrsträger können priorisiert werden. Verkehrsinformations- und -leitsysteme führen im Güter- und Personenverkehr über bessere Kapazitätsauslastung zu Verkehrsverringerung und -vermeidung damit auch zu mehr Umweltschutz. Der Verband der Automobilindustrie weist auf Modellrechnungen hin, die zeigen, daß ein verbesserter Verkehrsablauf die Emissionen von Kohlenwasserstoff um über 40%, von Kohlenmonoxid um mehr als 20%, von Stickoxid um fast 15% sowie den Kraftstoffverbrauch und die CO2-Emissionen um rund 20% senken kann.

Für Gefahrguttransporte, die ein gravierendes Risiko für die Umwelt darstellen, ist eine permanente elektronische Überwachung möglich. Im Notfall können innerhalb kürzester Zeit und unter Beachtung der Eigenschaften des betreffenden Transportgutes die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet wer-

[Seite der Druckausgabe: 23]

den. Gleichzeitig kommt es zu einer Reduzierung der Folgeschäden von Unfällen. Ähnlich können mit Hilfe von Umweltbeobachtungs- und -informationssystemen Umweltbelastungen früh erkannt und bekämpft werden.

Der gesamtwirtschaftliche Nutzen der Anwendung von Telematikbausteinen im Verkehr ergibt sich aus dem Abbau bestehender Ineffizienzen. Die Kosten von Zeit- und Kraftstoffverlusten sowie von an sich vermeidbaren Emissionen und Unfallgefahren werden in verschiedenen Studien in dreistelliger Milliardenhöhe angesetzt. Der Bouladon-Bericht, dessen Ergebnisse die Gemeinschaft der Europäischen Eisenbahnen (GEB) 1989 vorstellte, schätzt die Staukosten auf 2,6% bis 3,1% des Bruttoinlandsproduktes in der Europäischen Union. Danach wären die Verkehrsnutzer im Europäischen Markt jedes Jahr mit Staukosten von 170 bis 200 Mrd. ECU belastet. Für Deutschland beziffert die BMW AG die Staukosten pro Jahr auf über 200 Mrd. DM. Dabei machen die Zeitkosten 187 Mrd. DM und der staubedingte Kraftstoff-Mehrverbrauch 17 Mrd. DM aus. Hieraus folgert der Verband der Automobilindustrie, daß mittlerweile rund zwei Drittel der seit 1978 fahrzeugtechnisch erschlossenen Einsparpotentiale beim Kraftstoffverbrauch wieder in Staus und zähflüssigem Verkehr an Engpässen verloren gehen.

Diese Schlußfolgerung bleibt allerdings nicht ohne Widerspruch. In "Mobilität für morgen" weisen Mitarbeiter des Wuppertal Instituts darauf hin, daß sich die theoretisch günstiger gewordenen Verbrauchswerte des Autos kaum in der Praxis wiederfinden lassen. Ausschlaggebend hierfür ist, daß die Verbrauchsabnahmen auf dem für die Realität nicht aussagekräftigen Prüfzyklus (keine Berücksichtigung von Kaltstarts und Geschwindigkeiten über 120 km/h) basieren. Seit der Einführung des Europafahrzyklus vor 25 Jahren hat sich aber das Fahrverhalten mit den heute sehr viel stärkeren und schwereren Autos gravierend verändert. Eine Aufrechnung von theoretischen Verbrauchseinsparungen und im Stau aufgewandten Kraftstoffmengen muß deshalb zu unzutreffenden Ergebnissen führen.

Diese Feststellung ändert natürlich nichts daran, daß Staus an sich unökonomisch und unökologisch sind. Maßnahmen für ihre Bekämpfung sind einzel- und gesamtwirtschaftlich sinnvoll, soweit sie nicht letztlich nur zu mehr Mobilität führen. Daß hierfür und für den Abbau der volkswirtschaftlichen Kosten der Verkehrsstauungen nicht allein der Telematikeinsatz ausreicht, ist auch für den VDA klar. Mit marktfähigen Telematiksystemen lassen sich aber die Infra-

[Seite der Druckausgabe: 24]

strukturkapazitäten des Straßennetzes um 15 bis 20% besser auslasten. Beim öffentlichen Verkehr wird mit telematikinduzierten Reisezeitverbesserungen von bis zu 25% gerechnet. Eine Arbeitsgruppe des European IT-lndustry Round Table (EITIRT) schätzt, daß - bezogen auf das Jahr 2000 - durch die Telematikanwendung im Straßenverkehr

  • die Staus und Engpässe um 15% verringert und damit 10 Mrd. ECU eingespart werden,

  • 20% der Unfälle sich vermeiden lassen - entsprechend 10 Mrd. ECU an sozialen Kosten und

  • 10% der Umweltbelastungen vermieden werden können - entsprechend 1 Mrd. ECU.

Die telematikverbundenen Prozeß- und Produktinnovationen können in Europa einen erheblichen Beitrag zur Erschließung künftiger Märkte leisten. Nach Einschätzung der Europäischen Kommission resultiert aus den Telematikbausteinen für die Schlüsselsektoren der europäischen Wirtschaft - Autoindustrie, Ingenieur- und Konstruktionstätigkeiten, Telekommunikationsdienste, informations- und kommunikationstechnologische Industrie - ein beachtliches Marktpotential. Dieses Marktvolumen für Infrastruktur, Endgeräte und Zusatzdienste schätzt die EITIRT-Arbeitsgruppe auf 20 Mrd. ECU im Jahr 2010 und rechnet damit, daß hierdurch etwa 1 Mio. neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Noch optimistischer ist die entsprechende Schätzung der EU-Kommission. Diese geht von einer Wertschöpfung durch Infrastruktur und Endgeräte bei einer Ausstattungsquote von 90% aller Fahrzeuge von 65 Mrd. ECU aus. Unter Einbeziehung der Informationsbereitstellung als verkehrsspezifischer Mehrwert-Telematikdienst - das sind kommerzielle Dienste von privaten Anbietern für einzelne Verkehrsteilnehmer, Verkehrsbetriebe, Spediteure und Reisebüros einschließlich elektronische Zahlungs- und Buchungssysteme - wird das Marktvolumen für Telematiksysteme für den Straßenverkehr in der Europäischen Union sogar auf 120 Mrd. ECU geschätzt. Der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament aus dem Jahr 1995 zufolge wird die Einführung der Telematik für Kommunikations- und Navigationszwecke sowie zur Überwachung und Sicherung des Luftverkehrs sowie des Schienen- und Schiffsverkehrs einen ähnlichen Aufschwung auslösen. Nach Auffassung der Kommission ist die potentielle Rentabilität der betreffenden Investitionen sehr hoch. Die Produk

[Seite der Druckausgabe: 25]

tivität in der gesamten Wirtschaft wird steigen und damit die Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Um diese Vorteile der Telematik auszuschöpfen, nehmen die europäischen Staaten erhebliche Investitionen in verkehrsspezifische Telematikeinrichtungen vor. So wird die Bundesregierung bis zum Jahr 1997 allein für den Aufbau von Wechselverkehrszeichen auf Bundesautobahnen 600 Mio. DM ausgeben. Im Bundesverkehrswegeplan 1992 sind für den Aufbau der Telematik bis zum Jahr 2010 etwa 6 Mrd. DM vorgesehen. Hiervon entfallen über 4 Mrd. DM auf die Programme CIR (Computer Integrated Rail-Roading) und ELKE (Erhöhung der Leistungsfähigkeit im Kernnetz). Mit Hilfe der verbesserten Betriebsleittechnik sollen im Eisenbahnnetz Kapazitätssteigerungen um bis zu 40% erzielt werden.

Aus den hohen einzel- und gesamtwirtschaftlichen Nutzen der Telematik, insbesondere aus ihren verkehrsentlastenden Effekten und ihren unbestreitbar günstigen ökonomischen Zukunftsperspektiven darf aber nicht der Schluß gezogen werden, daß das Auto im Zuge dieser Entwicklung seine Bedeutung als wichtiges Medium der Raumüberwindung und der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung verlieren wird. Vielmehr sprechen nach Einschätzung des Verbandes der Automobilindustrie viele Anzeichen dafür, daß es auch künftig eine enge symbiotische Beziehung zwischen Automobilität und Telematik geben wird. Deshalb darf sich nach Auffassung des VDA die Politik auch nicht einseitig auf den Ausbau und die Förderung von Verkehrsinformations- und -managementsystemen beschränken. Vielmehr seien weiterhin auch Investitionen in die Straßeninfrastruktur sinnvoll und notwendig.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

Previous Page TOC Next Page