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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: 7 / Fortsetzung]


2. Telematik als Bestandteil einer rationalen Verkehrspolitik

Die Neuausrichtung der Verkehrspolitik soll die zukünftige Funktionsfähigkeit des Gesamtverkehrssystems sichern und der Zielvorstellung einer langfristig tragbaren - umweltverträglichen - Mobilität (sustainable mobility) insbesondere in Ballungsräumen dienen. Ein Verkehrsinfrastrukturausbau kann hierbei - wie die bisherige Entwicklung deutlich gezeigt hat - die Verkehrsprobleme aber nicht bewältigen. Außerdem sollte eine rein nachfrageorientierte Infrastruktur in Anbetracht der knappen Ressourcen und der ökologischen Probleme nicht das Planungsziel der Verkehrspolitik sein. Um die ökologischen Risiken und die Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen, muß sichergestellt werden, daß nur die wirtschaft- und gesellschaftlich notwendige Verkehrsnachfrage bedient wird. Hierzu ist das Konzept einer zukunftsorientierten Verkehrspolitik nach Auffassung des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung IZT an der folgenden Zielhierarchie auszurichten:

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  • Die Neugestaltung von Siedlungs- und Raumstrukturen soll langfristig der Verkehrsvermeidung dienen.

  • Die Verteuerung des Verkehrs durch Einbeziehung der ökologischen und sozialen Folgekosten in die Preise ermöglicht eine Verkehrsverminderung.

  • Durch die Informationsübermittlung vor Reiseantritt über die individuell günstigste Verkehrsmittelwahl kann die Verkehrsverlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsmittel gefördert werden.

  • Informations- und Koordinationssysteme können zur effizienteren Nutzung der Verkehrsmittel und neue Steuerungs- und Kontrollmechanismen zur Verkehrsoptimierung beitragen.

Zur Erreichung dieser Ziele kann von der Telematik, bei der Technologien und Dienstleistungen aus den Bereichen Telekommunikation und Informatik genutzt werden, Gebrauch gemacht werden. Für das Verkehrswesen sind die verschiedenen Komponenten der Telematik als eine Infrastruktur zu werten, die zur Planung, zur Überwachung, zur Steuerung, zur Sicherung und zur Verbesserung von Verkehrsströmen eingesetzt werden kann. Im Rahmen des Verkehrsmanagements soll Telematik helfen, zunehmende Verkehre auf kaum erweiterbarer Infrastruktur abzuwickeln. Moderne Systeme der Datenerfassung, der Kommunikations-, Leit- und Informationstechnik können einen wichtigen Beitrag leisten

  • zur stärkeren Ausnutzung der Infrastrukturkapazitäten und zur Verbesserung des Verkehrsflusses,

  • zur Vernetzung und Verknüpfung der Verkehrsträger untereinander mit dem Ziel der Verlagerung des Verkehrs auf umweltfreundliche Verkehrsmittel,

  • zur Ausgestaltung von Marktinstrumenten für die Nutzung der Infrastruktur, u.a. zum Aufbau elektronischer Gebührensysteme für schwere Lkw,

  • zur Entlastung der Umwelt durch Verkehrsvermeidung und

  • zur Verbesserung der Sicherheit im Verkehr.

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Die Bedeutung der Telematik für die Verkehrspolitik liegt in der Addition der Effekte. Der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechniken dient nicht dazu, die Subprobleme eines einzelnen Verkehrsträgers zu lösen, sondern folgt vielmehr einem intermodalen Ansatz, in dem verkehrssteuernde und verkehrsplanende Elemente der Telematik zum Einsatz kommen. Von der Verkehrspolitik und privaten Dienstleistern, aber auch von der Industrie werden hierzu verkehrsträgerübergreifende Verbundlösungen für flächendeckende Konzepte erwartet.

Die Chancen und Potentiale, die mit der Anwendung der Verkehrstelematik verknüpft sind, können nur dann genutzt werden, wenn die neuen Technologien und Dienstleistungen als zusätzliches Instrument im Rahmen einer rationalen europäischen Verkehrspolitik eingesetzt werden. Es kommt darauf an, die Rahmenbedingungen für die Telematikanwendung so festzulegen, daß diese einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Effizienz des Verkehrssystems in Europa zu leisten vermag. Gleichzeitig kann der Ressourceneinsatz im Verkehr verbessert werden. Damit rückt das Ziel einer "sustainable mobility" näher. Eine Verkehrspolitik, die sich an dieser Aufgabenstellung orientiert, wirkt sich nicht nur unmittelbar im Verkehrssektor günstig aus. Vielmehr fördert sie generell die Produktivität der Produktionsprozesse in der Wirtschaft, das Wachstum, die Beschäftigung und nicht zuletzt auch die Integration der Europäischen Union.

Besonders im Straßenverkehr, der der Hauptnutznießer der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sein wird, kann Telematik zur Entspannung der Verkehrssituation, aber auch zur Verringerung der Emissionen und Unfallrisiken beitragen. Darunter darf aber nicht der auch weiterhin notwendige Ausbau der Straßeninfrastruktur leiden. Vielmehr kann Telematik nach Auffassung des Verbandes der Automobilindustrie VDA nur dort ihren Nutzen voll entfalten, wo dem Verkehr genügend Raum zur Verfügung steht. Mit Telematik können zwar latente Potentiale im Verkehrssektor erschlossen werden. Wichtig ist aber auch die Beachtung ihrer Grenzen: Der Telematikeinsatz vermag die Kapazitäten auf den europäischen Autobahnen um 10 bis 20% zu erhöhen - der dritte Fahrstreifen bringt dagegen 60% mehr an Kapazität.

Die Einbindung der Telematik in eine umfassende rationale Politik muß auch eine abgestimmte und zügige Umsetzung der neuen Technologien und

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Dienste sicherstellen. Es gilt, auf komplexe und verwobene Politikgremien zu verzichten. Notwendig ist eine straffe Organisation der politischen Entscheidungsprozesse zum Telematikeinsatz. Wie das folgende Beispiel verdeutlicht, sind hier zur Zeit noch deutliche Korrekturen gefragt: Ende September 1995 wurde die EU-Kommission aufgefordert, einen Aktionsplan für die Einführung von Telematikdiensten im europäischen Straßenverkehr auszuarbeiten. Bei der Erstellung dieses Planes wird die Kommission von der Road Transport Telematics High Level Group unterstützt. Der etwas schwerfällige Aufbau dieses Gremiums ist mitentscheidend dafür, daß für den Aktionsplan mit Frühjahr 1997 ein relativ später Vorlagetermin festgelegt wurde. Da aber bereits 1996 bei den autonomen Fahrzeuginformationssystemen und auch bei anderen Telematikbausteinen mit einem intensiven Wettbewerb zu rechnen ist, wird der EU-Aktionsplan nicht rechtzeitig erscheinen.

Dementsprechend fordert der VDA, daß die High Level Group straffer organisiert wird und mit einem erheblich kürzeren Zeitrahmen auskommt. Die Politik in Europa, im Bund, in den Ländern, aber auch die Kommunen, alle Verkehrsträger und die Industrie müssen jetzt handeln. Sonst verspielt Europa auf dem Gebiet der Telematik seinen ohnehin nur geringen Vorsprung im Wettbewerb mit den USA und Asien. Dabei werden von den politischen Instanzen insbesondere kurze Entscheidungswege und eine schnelle Implementierung der erforderlichen Rechtsordnung und Infrastrukturkomponenten für die Verkehrstelematik erwartet.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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