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1. Die verkehrspolitische Herausforderung

Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis. Ihre Sicherstellung wird im Alltag der Bevölkerung als selbstverständlich angesehen. Sie ist Voraussetzung für eine arbeitsteilige Wirtschaft und Motor der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung. Bei der Entwicklung des Verkehrssystems haben sich über Jahrzehnte die Anzahl der täglichen Wege und das tägliche Zeitbudget pro Person im statistischen Durchschnitt kaum verändert - nach wie vor werden für das Erreichen von etwa drei Zielen ungefähr 60 Minuten Zeit aufgewendet. Zu registrieren ist aber gleichzeitig ein gravierender Zuwachs beim Verkehrsvolumen, der sich aus weiteren Distanzen, die über höhere Geschwindigkeiten ermöglicht werden, ergibt. Die entscheidende Größe für dieses Verkehrswachstum ist die Auto-Mobilität und zwar sowohl im motorisierten Individualverkehr als auch beim Güterverkehr und beim städtischen Wirtschaftsverkehr. In den letzten Jahren gewinnen aber auch die negativen Konsequenzen, die mit dieser Entwicklung verknüpft sind, ständig an Bedeutung. Die Mobilitätszunahme und die wachsenden Verkehrsengpässe führen zu immer größeren Belastungen von Mensch und Umwelt. Sie stellen das heutige Verkehrssystem zunehmend in Frage.

Eine Entschärfung dieser Situation ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Durch die Wiedervereinigung Deutschlands, durch die Öffnung der Grenzen nach Osteuropa und durch die Vollendung des europäischen Binnenmarktes steht der Verkehrssektor vor völlig neuen Anforderungen und Perspektiven. Hinzu kommt, daß auch wachsende Einkommen und mehr Freizeit erheblich zur Expansion der Verkehrsbedürfnisse beitragen. Zunehmende Bestände an Fahrzeugen und stetig steigende Fahrleistungen werden die Verkehrs- und Umweltprobleme weiter verschärfen. Es wird mit enormen Wachstumsraten gerechnet. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet gegenüber dem Basisjahr 1992 bis zum Jahr 2010 pro Einwohner eine Zunahme der zurückgelegten Entfernungen um knapp 2.000 km auf fast 13.500 km, und im Güterverkehr soll der Verkehrsaufwand im selben Zeitraum um 61% auf 495 Mrd. Tonnenkilometer steigen. Im Bundesverkehrswegeplan 1992 werden für den Zeitraum von 1988 bis 2010 Zuwächse der Verkehrsleistungen von 29% im motorisierten Individualverkehr und von 95% im Straßengüterverkehr vorhergesagt. Bei diesen ohnehin schon beängstigenden Prognosewerten ist aber davon auszugehen, daß sie - ebenso wie alle früheren Berechnungen - das tatsächliche Wachstum wohl unterschätzen. Es ist

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also mit noch größeren Verkehrs-, Umwelt- und Sicherheitsproblemen zu rechnen, wenn die Verkehrspolitik nicht gegensteuert.

Schon die wenigen erwähnten Daten geben einen Eindruck von der auf uns zukommenden Entwicklung. Verkehrspolitische Entscheidungen und Maßnahmen erscheinen dringend geboten, weil die Grenzen der Belastbarkeit der Infrastruktur vielerorts bereits erreicht, ja sogar schon überschritten sind, und weil die Verschiebung von Problemlösungen für die verkehrsbedingten Umweltbelastungen (Schadstoffemissionen, Ozonkonzentration) sowie für die sozialen Folgeprozesse (Unfälle) immer weniger toleriert wird. Fest steht hierbei, daß das Auto auch künftig einen wichtigen Platz im Verkehrssystem einnehmen wird - nach den Prognosen ist sogar mit einem weiteren Ausbau seiner Position zu rechnen. Dementsprechend kann sich eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik nicht nur auf den öffentlichen Verkehr konzentrieren. Eine realistische Politik muß vielmehr auch Verbesserungen der Infrastruktur für das Auto berücksichtigen. Sonst könnte die Verkehrsinfrastruktur zur Schranke der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und Europa werden, so die Warnung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 1990/91.

Fest steht aber auch, daß der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur mit dem sich abzeichnenden Wachstum der Verkehrsbedürfnisse nicht mehr mithalten kann. Die Gründe hierfür liegen u.a. in den (zu) langen Planungs- und Bauzeiten, in der finanziellen Situation von Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch in den steigenden Umweltbelastungen und im stärkeren Umweltbewußtsein der Bevölkerung. Ausweitungen des Straßennetzes werden hierdurch zu einem langwierigen, teilweise sogar zu einem unmöglichen Unterfangen. Besonders in Ballungsgebieten wird entsprechenden Projekten zunehmend die gesellschaftliche Akzeptanz verweigert.

In dieser Situation darf die Politik sich nicht auf das Kurieren von Symptomen beschränken und weiterführende Handlungsansätze blockieren. Vielmehr kommt es darauf an, zukunftsweisende Problemlösungen zu entwickeln und umzusetzen. Gesucht werden Konzepte, die die vorhandenen Kapazitätsreserven der Verkehrsinfrastruktur mobilisieren, und die die Verkehrsabläufe effizienter, effektiver, umweltverträglicher und sicherer machen. Ein zentraler Ansatz ist in diesem Zusammenhang in der Schaffung integrierter Verkehrsnetze zu sehen, die zu mehr Lebensqualität und zur Ausschöpfung von wirt-

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schaftlichen und sozialen Potentialen führen können, indem sie die Übergänge zwischen Fern- und Verteilverkehr, zwischen Fläche und Ballungszentren, aber auch zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln Auto, Bahn, Schiff und Flugzeug verbessern. Eine solche Arbeitsteilung zwischen den Verkehrsträgern würde das heute noch weitgehend bestehende Nebeneinander im Verkehr in ein integriertes Gesamtsystem mit erweiterten Freiheitsgraden transformieren. Dabei geht um die Optimierung der komplexen Mobilität einschließlich Individualverkehr und nicht um eine Anti-Auto-Politik, die lediglich den modal-split zugunsten des öffentlichen Verkehrs zu verschieben sucht.

Ziel muß es sein, mit Unterstützung von abgestimmten Maßnahmen der Infrastruktur- und Ordnungspolitik ein Verkehrssystem zu entwickeln, das eine langfristige tragbare Mobilität (sustainable mobility) sicherstellt. Beiträge zur Bewältigung dieser Aufgabe kann die Telematik leisten, indem sie Voraussetzungen u.a. für ein besseres Verkehrs-, Informations- und Netzmanagement schafft. Darüber hinaus kann die Telematik als Teil eines komplexen Instrumentenbündels die Politik bei den Bemühungen um eine umweltgerechte Mobilität und um Einsparung von knappen Ressourcen durch Verkehrssubstitution unterstützen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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