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Vorwort

Zur Lösung der bereits heute bestehenden Verkehrsprobleme und verkehrsbedingten Folgeprobleme, aber auch zur Sicherung einer umweltverträglichen Mobilität für die Zukunft werden Konzepte gesucht, die vorhandene Kapazitätsreserven der Verkehrsinfrastruktur mobilisieren und die Verkehrsabläufe im Hinblick auf Effektivität, Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Verkehrssicherheit verbessern. Ein zentraler Ansatz ist in diesem Zusammenhang in der Schaffung integrierter Verkehrsnetze zu sehen, die durch eine Verknüpfung der Verkehrsträger Straße, Schiene, Wasserwege und Luftverkehr zu mehr Lebensqualität und einer breiteren Ausschöpfung wirtschaftlicher sowie sozialer Potentiale führen können. Hierfür stellt die Telematik, bei der moderne Systeme der Telekommunikation und der Informatik genutzt werden, eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung. Diese zielen einerseits auf den Aufbau und auf Verbesserungen von Verkehrsmanagementsystemen. Andererseits geht es um Dienste privater Anbieter für Verkehrs- und Transportunternehmen, für die unterschiedlichen Kategorien von Verkehrsteilnehmern, aber auch für Reisebüros. Schließlich kann Telematik über Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung zu Umweltschutz und Energieeinsparung beitragen.

Damit stellt die Telematik eine wichtige Zukunftstechnologie dar, mit der der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt werden kann. Die neuen Produkte und Dienste der Verkehrstelematik werden im Industrie- und Dienstleistungssektor zu Wachstum, größerer Wettbewerbsfähigkeit und neuen Arbeitsplätzen führen. Allein bei der Telematik für den Straßenverkehr wird in der EU im Jahr 2010 mit einem Marktvolumen von 120 Mrd. ECU gerechnet. Insbesondere für wichtige Schlüsselsektoren - wie Automobilindustrie, Ingenieur- und Konstruktionstätigkeiten, Informations- und Kommunikationstechnologie, Telekommunikationsdienste - zeichnen sich erhebliche Marktpotentiale ab.

Die Einführung und Nutzung der Telematik im Verkehr ist aber nicht nur mit Chancen verknüpft. Vielmehr wirft sie auch eine Reihe von Problemkomplexen auf. Diese hängen einmal mit der Einbindung unterschiedlicher staatlicher Ebenen (EU, Bund, Länder, Kommunen), aber auch mit den verschiedenen betroffenen Politikbereichen (wie Verkehrs-, Wirtschafts-, Umwelt-, Forschungs-, Arbeits- und Sozialpolitik) zusammen. Probleme ergeben sich zum anderen aus den verschiedenen Grundtechnologien, die genutzt werden

können, also z.B. Radiosysteme, Bakensysteme, Mobilfunk sowie Satellitennavigation und -kommunikation. Schließlich hängen die komplexen Probleme auch mit der breiten Palette möglicher Dienste zusammen.

Nur wenn öffentliche Hand, Wirtschaft und Wissenschaft abgestimmt agieren und gemeinsam die Akzeptanz der Telematikdienste bei den verschiedenen Nutzergruppen sicherstellen, können die Chancen, die die Telematik für den Wirtschaftsstandort Deutschland in Aussicht stellt, auch genutzt werden. Dies setzt detaillierte Kenntnisse bei allen Beteiligten und intensive Diskussionen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen voraus, die bei der Entwicklung von Telematikanwendungen im Verkehr und beim Einsatz von Telematiksystemen partnerschaftlich zusammenwirken müssen. Beiträge zu einem entsprechenden Erfahrungs- und Meinungsaustausch zu leisten, war das Ziel des wirtschaftspolitischen Diskurses, den die Friedrich-Ebert-Stiftung Ende 1995 in Mannheim veranstaltete.

Die vorliegende Broschüre, der eine Ausarbeitung von Dipl.-Volkswirt Klaus Esser, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verkehrswissenschaft an der Universität zu Köln zugrunde liegt, faßt die wichtigsten Ergebnisse der Fachkonferenz thematisch gegliedert zusammen. Für die Konzeption der Veranstaltung war Karl-Hans Weimer aus der Abteilung Wirtschaftspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung verantwortlich, der auch den Tagungsbericht redaktionell überarbeitete und durch die Auswertung ausgewählter Fachliteratur ergänzte.

Bonn, im August 1996

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Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Mit den zu erwartenden weiteren Zunahmen beim Autobestand und Autoverkehr in Deutschland werden sich auch die Verkehrsprobleme und die verkehrsbedingten Folgeprobleme weiter verschärfen. In dieser Situation stellen Anpassungsplanungen im Bereich der Straßeninfrastruktur keine zukunftsfähige Lösung dar. Auch in der Telematik im Verkehr ist kein Patentrezept zu sehen, mit dessen Hilfe allein alle negativen Folgen des motorisierten Straßenverkehrs beseitigt oder verhindert werden können. Die Telematik kann aber Verlagerungsstrategien auf umweltfreundliche Verkehrsmittel unterstützen und physische Verkehre reduzieren. Sie kann mithelfen, den Verkehr effizienter und effektiver abzuwickeln und gleichzeitig die Attraktivität des gesamten Verkehrssystems erhöhen - dies gilt nicht nur für den Pkw- und Lkw-Verkehr, sondern auch für den Verkehr mit Bahn, Schiff und Flugzeug.

Im Rahmen von integrierten Verkehrsmanagementsystemen, in denen die verschiedenen Verkehrsträger vernetzt und damit Synergieeffekte erzielt werden können, ergeben sich für die Telematik vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Diese betreffen u.a. die Planung, die Steuerung, die Sicherung und die Verbesserung von Verkehrsströmen. Werden die an die Verkehrsinformations- und -lenkungssysteme gestellten Erwartungen erfüllt, dann wird sowohl die öffentliche Hand als auch die Privatwirtschaft in erheblichem Umfang von der Telematik im Verkehr profitieren. Für alle Beteiligten zeichnen sich deutliche Vorteile ab, so z.B.

für die öffentliche Hand durch komfortablere Verkehrsmanagementsysteme,

  • für die Betreiber von Personen- und Güterverkehr durch effizientere und effektivere Verkehrsleit- und Transportmanagementsysteme,

  • für die Hersteller bzw. Anbieter von Produkten und Diensten aus dem Telekommunikations- und Informationssektor durch die Erschließung neuer Märkte,

  • für die Fahrzeughersteller und Zulieferanten durch die Verbesserung von Produkten und die Erschließung zusätzlicher Marktpotentiale,

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  • für Industrie und Handel durch Nutzung leistungsfähiger Transportketten und

  • für die einzelnen Verkehrsteilnehmer durch bessere Verkehrsinformationen und attraktivere Verkehrsangebote.

Mit der Erschließung dieser Vorteile werden zugleich der Standort Deutschland bzw. Europa gestärkt und neue Arbeitsplätze geschaffen. Dabei gelten besonders günstige Prognosen für die Entwicklung neuer Telematikprodukte und -dienste für den Sektor des motorisierten Straßenverkehrs. Wichtige Markt- und Beschäftigungspotentiale liegen aber auch in Telematikprojekten für die Verkehrsträger Bahn, Schiff und Flugzeug. Nach Angaben der Bundesregierung erwartet die Industrie bis zum Jahr 2010 allein in Europa ein Umsatzvolumen von rund 200 Mrd. DM.

Mit einer Umsetzung der potentiellen Effekte der Telematik ist nur dann zu rechnen, wenn zugleich überfällige verkehrspolitische Entscheidungen getroffen werden, die - wie interventionistische Maßnahmen zur Veränderung der Aufgabenteilung im Verkehr zugunsten der umweltfreundlichen Verkehrsträger und zu Lasten des Autoverkehrs - viel Geld und Durchstehvermögen erfordern. Die neuen Telekommunikations- und Informationstechnologien sind kein Ersatz für Verkehrspolitik, sondern nur ein zusätzliches Gestaltungselement des Verkehrs. Unerläßlich ist eine stärkere marktwirtschaftliche Ausrichtung der politischen Rahmenbedingungen. Dementsprechend erscheinen die Einführung von Knappheitspreisen und die konsequente Anlastung der externen Kosten bei allen Verkehrsmitteln notwendig. Das bedeutet, daß sich die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen des Verkehrs, die u.a. aus Staus, aus Lärm- und Luftbelastungen, aus Verkehrsunfällen und der Nutzung knapper Verkehrsflächen resultieren, in den Preisen der Verkehrsleistungen spiegeln müssen. Eine entsprechende Zuordnung der tatsächlichen Verkehrskosten wird sich günstig auf die Prozesse der Verkehrsverlagerung und Verkehrsvermeidung auswirken.

Auf der Basis klarer Rahmenbedingungen kann die Privatwirtschaft dann ihre Entscheidungen über Investitionen in Telematikprojekte und über ihr Angebot an Telematikgütern und -diensten treffen. Dabei können die Marktchancen für Telematikanwendungen im Personen- und Güterverkehr dadurch noch weiter verbessert werden, daß innerhalb der gesamten Europäischen Union eine

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abgestimmte Infrastruktur für Telekommunikations- und Informationssysteme aufgebaut wird. Europaweit sind deshalb die Bemühungen um kompatible und interoperable Telematiklösungen zu verstärken sowie entsprechende Standardisierungs- und Normierungsarbeiten zu fördern. Gleichzeitig ist darauf zu achten, daß für die Entwicklung der unterschiedlichen Grundtechnologien (Radio-, Satelliten-, Bakensysteme, Mobilfunk) weiterhin Wettbewerbsbedingungen gelten, weil dies eine optimale Ausschöpfung der mit der Telematik verknüpften Potentiale sowohl durch die Anbieter als auch durch die Nutzer in Aussicht stellt.

Wichtig ist auch, daß die Entscheidungen über Telematikkonzepte und -projekte auf europäischer Ebene straffer organisiert und innerhalb kürzerer Fristen getroffen werden. Nur dann wird Europa im internationalen Wettbewerb von Telekommunikations- und Informationstechnologien bestehen und seine sich auf diesem Markt abzeichnenden Chancen nutzen können.

Sicherzustellen ist weiter die Akzeptanz der Telematikprodukte und -dienste durch die Verkehrsteilnehmer. Hier müssen Politik, Industrie, Dienstleister und Verkehrswirtschaft gemeinsam eine breite Aufklärungsarbeit über die Vorteile der Telematik im Verkehr leisten. Dabei sind die Beiträge der Telematik zur Verbesserung der Verkehrssituation der Nutzer zu verdeutlichen. Zugleich ist dem Schutz der Privatsphäre der Bürger besondere Beachtung zu schenken. Den "gläsernen Autofahrer" darf es nicht geben.

Telematik im Verkehr ist nicht einseitig als Instrument zu nutzen, das weitere Ausweitungen des Verkehrsvolumens und eine maximale Auslastung der Infrastruktur ermöglicht. Vielmehr sollte es bei den integrierten Verkehrsmanagementsystemen vorrangig um Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerungen, um mehr Sicherheit und weniger Umweltbelastungen sowie um den Abbau von Verkehrsengpässen und um eine effizientere Bewältigung des Verkehrsaufkommens gehen. Dementsprechend sind die Erfolge der modernen Telekommunikations- und Informationstechnologien primär daran zu messen, inwieweit es gelingt, die Mobilität mit weniger Verkehr zu erhalten. Telematik ist deshalb als high Tech for low Traffic zu nutzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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