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[Seite der Druckausg.: 19 (Fortsetzung)]



3. Ökonomische und politische Konzepte für eine Verkehrsvermeidung


Bei den Vorschlägen für eine umweltverträglichere Gestaltung des Gütertransportwesens werden Strategien zur Vermeidung von Verkehren im Sinne einer besseren Auslastung der Fahrzeuge immer wieder an vorderster Stelle genannt. Dieser Ansatz sollte um so nachdrücklicher verfolgt werden, als hierbei relativ geringe Kosten anfallen und vor allem kein politischer Widerstand zu überwinden ist. Sehr kontrovers werden dagegen Empfehlungen diskutiert, die Verkehrsvermeidung als übergeordnetes, leitendes Prinzip begreifen und einer umfassenden verkehrspolitischen Konzeption zugrundelegen.

3.1 Verkehrsvermeidung als logistische Strategie zur Verringerung von Leerfahrten

Im gewerblichen Transport sind Lkw im Schnitt nur zu 65 Prozent ausgelastet, d.h. ein Drittel der Lkw-Transport-Kapazität fährt leer herum. Bessere logistische Zusammenarbeit zur Erhöhung des Auslastungsgrades sind ein wichtiges Element zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse. Der

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Gütertransport ließe sich umweltverträglicher organisieren, wenn die Beteiligten das Verkehrsgeschehen integrativ betrachten und eine intensivere Kommunikation praktizieren würden. Mit intelligenten Logistiksystemen, die sich der Möglichkeiten der Datenverarbeitung und Telekommunikation bedienen, ist eine bessere Kapazitätsausnutzung zu erreichen. Dies gilt insbesondere für den Güternahverkehr, wo die Möglichkeiten zur Verlagerung von der Straße eng begrenzt sind. Hier muß der Schwerpunkt auf der Kapazitätsauslastung und effizienter Logistik und damit der Vermeidung überflüssiger Fahrten liegen.

In der Vermeidung von Leerfahrten erblickt der BDF das größte Rationalisierungspotential. Es werden Unternehmerschulungen mit dem Ziel eines effizienteren Fuhrparkeinsatzes im Sinne einer Optimierung der Transportabläufe durchgeführt. Darüber hinaus fördert der BDF Forschungsvorhaben im Bereich EDV-orientierter Lösungen für eine bessere Auslastung der Transporte. Einschränkend weist der BDF-Vertreter jedoch darauf hin, daß sich die Unpaarigkeit der Güterströme nicht vermeiden ließe. Man könne nur Richtungsverkehre optimieren. Ziel- und Quellverkehre zu einer Paarigkeit zu zwingen, sei dagegen unmöglich. "Der Traum von der 90prozentigen Auslastung bleibt ein Traum, weil man die Paarigkeit der Verkehrsströme mit marktwirtschaftlichen Mitteln nicht erreichen kann."

Mit der Deregulierung des Güterkraftverkehrsmarktes durch das Tarifaufhebungsgesetz, also den Wegfall der staatlichen festgesetzten Tarife, möchte die Bundesregierung eine neue Rahmenbedingung für die Vermeidung von Leerfahrten setzen. Dem liegt die Annahme zugrunde, daß mehr Wettbewerb die Unternehmen dazu veranlasse, sich verstärkt um die Auslastung der eingesetzten Fahrzeuge zu bemühen und damit die Anzahl der Leerfahrten zu senken. [Zur Kritik an der Aufhebung der Tarife vgl. Kapitel 4.2]

Mit der Förderung von Telematik im Verkehr, d.h. des Einsatzes moderner Systeme der Datenerfassung, der Kommunikations-, Leit- und Informationstechnik beabsichtigt die Bundesregierung, effektivere Flotten-, Güter- und Logistikmanagements und damit zugleich den Abbau von Leerfahrten zu unterstützen. Zudem soll die Anwendung moderner

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Informationstechnologien zu einer Verstetigung und Verflüssigung des Verkehrs und damit zur optimalen Nutzung der Verkehrsinfrastruktur beitragen.

Dazu vermerkt die SPD-Vertreterin kritisch, daß die zeitliche Entzerrung, also die breitere Verteilung des Verkehrsaufkommens allein keine Lösung für die Verkehrs- und Umweltprobleme sein könne. Der Vertreter der Binnenschiffahrt meint, daß intelligente Verkehrsleitsysteme zwar die Aufnahmefähigkeit der Verkehrswege erhöhen – aber mit dem Effekt, daß "sich der Infarkt nur auf höherem Niveau einstellen wird".

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3.2 Verkehrsvermeidung als grundlegendes Prinzip der Verkehrsgestaltung

Verkehrsvermeidung im Sinne einer umfassenden Strategie fordert insbesondere der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Der drohenden Verkehrslawine und der sich erschöpfenden Kapazität der Straße wolle das Verkehrsministerium im Verkehrswegeplan mit einem Ausbau der Infrastruktur begegnen. Der Bau neuer Straßen könne aber keine Lösung sein. Im Gegenteil – neue Straßen weckten neuen Kfz-Verkehr. Darüber hinaus seien die geplanten Investitionen nicht zu finanzieren, weil finanzpolitisch nicht durchsetzbar. Auch sei eine "Ökologisierung" des Verkehrs im Sinne einer Verringerung von Schadstoffemissionen durch technische Maßnahmen am Fahrzeug unzureichend, weil das Mengenwachstum beim Fahrzeugbestand und bei den Verkehrsströmen solche Anstrengungen wieder kompensiere. Die negativen Folgen des Lkw-Verkehrs ließen sich nur durch eine möglichst umfassende Verkehrsvermeidung bewältigen.

Bei der Suche nach Vermeidungspotentialen werden Maßnahmen empfohlen, die sich teils mit den Elementen anderer verkehrspolitischer Konzepte decken, wie

  • schrittweise Internalisierung der externen Kosten über höhere Kraftstoffpreise, über eine emissionsbezogene Kfz-Steuer und über Straßenbenutzungsgebühren,

  • Verlagerung von Gütern auf eine europäisierte und modernisierte

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    Bahn bzw. auf die Binnenschiffahrt,

  • Ausbau und Weiterentwicklung des kombinierten Verkehrs und der Citylogistik,

  • Optimierung der vorhandenen Transportmittel und Vermeidung von Leerfahrten,

teils aber auch darüber hinausgehende ordnungsrechtliche Maßnahmen beinhalten:

  • Herabsetzung der zulässigen Gesamtgewichte für Lkw, lokale Zufahrtsbeschränkungen für schwere und nicht emissionsarme Lkw,

  • Lkw-Nachtfahrverbote,

  • eine verbindliche Regelung zur entfernungsabhängigen Transportmittelwahl,

  • die Verpflichtung zur Kennzeichnung von Produkten hinsichtlich ihrer Transportintensität, damit der Verbraucher auch dieses wichtige Kriterium in seine Kaufentscheidung einbeziehen kann.

Nach Auffassung eines Logistikunternehmers, der seine Dienstleistungen auch nach ökologischen Erfordernissen auszurichten sucht, wären Nachtfahrverbote und weitere zeitliche Zufahrtsbeschränkungen für Lkw in die Innenstädte "katastrophal". Dies würde zu einer weiteren Konzentration des Verkehrs in den ohnehin schon überlasteten Verkehrsstoßzeiten führen. Die Zeitfenster für die Belieferung durch die Lkw müßten im Gegenteil vor und nach die rush hour verschoben werden.

Das verbindende Leitmotiv der vom BUND für notwendig erachteten Maßnahmen ist die Verringerung der Transportintensität der Produkte. Dazu seien Veränderungen in den verkehrsverursachenden Unternehmen, Rahmensetzungen der Politik und Verhaltensänderung der Verbraucher erforderlich. Hier müsse das noch nicht ganz verlorengegangene Bewußtsein für die Beachtung von regionalen und saisonalen Besonderheiten sowohl bei der Produktion von Gütern als auch bei der Verfügbarkeit von Produkten durch Aufklärung verstärkt werden. Im Bereich der Unternehmen müsse die Transportintensität der Produkte vor allem durch produktionsnahe Zulieferstrukturen verringert werden.

Entscheidend für die Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist nach Auffassung des BUND jedoch ihre Einbindung in ein Konzept der Entkoppelung von

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Wirtschaftswachstum und Verkehrswachstum. Auch die stellvertretende verkehrspolitische Sprecherin der SPD hält es für erforderlich, daß die Verkettung von Wirtschaftswachstum, Transportwachstum und steigender Umweltbelastung gelöst wird, um die negativen Folgen des Güterverkehrs begrenzen zu können.

Demgegenüber sieht es der Vertreter des Bundesverkehrsministeriums als "Illusion" an, daß Verkehr und Wachstum in der nächsten Dekade entkoppelt werden könnten. Überhaupt sei ein Verzicht auf Emotionen bei der Diskussion über den Begriff der Verkehrsvermeidung vonnöten. Das Argument ’Wer Straßen baut, wird Verkehr ernten’ mache wenig Sinn. Stattdessen sei Verkehrsvermeidung zu verstehen als "sorgsamer Umgang mit Mobilität". Beispielhaft dafür sei der Beschluß der Bundesregierung, Gesetze und Verordnungen in Zukunft auf ihre verkehrsverursachenden Auswirkungen zu prüfen.

Der Vertreter des BDF hält Verkehrsvermeidung – verstanden als Verringerung der Transportintensität der Produkte – für eine Strategie, die letztlich mit dem marktwirtschaftliche System nicht vereinbar sei. Die Konsequenzen einer solchen Verkehrspolitik im Sinne einer Beschränkung auf regional und saisonal verfügbare Produkte wären Verzicht auf Angebotsvielfalt, Vernichtung von Arbeitsplätzen in den diese Güter produzierenden Regionen, Verteuerung der Produkte durch die Schaffung von monopolähnlichem Anbieterverhalten sowie Einschränkung der Lebensqualität im Konsum- und Gebrauchsgüterbereich.

Ebenso sei die Forderung von produktionsnahen Zuliefererstrukturen wirklichkeitsfremd. Wenn Güter über weite Strecken zur Be- und Verarbeitung transportiert würden, dann sollte man die eigentliche Ursache bedenken, die nach Meinung des BDF im zu teuren Wirtschaftsstandort Deutschland liege. Verkehrsvermeidung wäre hier also nur möglich durch Senkung der Standortkosten.

Insgesamt hält der BDF einer ausschließlich ökologisch orientierten Verkehrspolitik "Ideologie", "Dogmatismus der Methoden" und "Ausschweigen über die Konsequenzen" vor. Sie sei letztlich eine Politik gegen die

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Bürger, weil sie einen Rückschritt in der Versorgungsqualität brächte. "Totalverzicht auf den Schadstoffemissionsträger Straßengüterverkehr geht nicht, Alternativen sind nicht da."

Dieser Kritik begegnet der BUND-Vertreter mit der Feststellung, daß hier eine falsche Alternative – hohe Versorgungsqualität dank Lkw-Verkehr versus geringe Lebensqualität bei Einschränkung des Straßengüterverkehrs – aufgemacht werde. Es gehe einzig darum, daß eine "Ökologisierung" des Verkehrs angesichts seines prognostizierten Wachstums nicht funktioniere. Deshalb sei ein grundsätzliches Umdenken, ein völlig neuer Ansatz nötig, der die Entkoppelung von Verkehrs- und Wirtschaftswachstum verfolgt.

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4. Verkehrspolitische Beschlüsse in der Kritik

Die bisher in der Diskussion einzelner verkehrspolitischer Konzepte und Maßnahmen bereits deutlich gewordene Position der Bundesregierung findet ihre Umsetzung in konkreten Entscheidungen und Beschlüssen zur Gestaltung der Rahmenbedingungen des Verkehrsgeschehens. Nach allgemeiner Auffassung kommt der verkehrspolitischen Rahmensetzung in bezug auf den Umweltschutz im Güterverkehr im Vergleich mit den betrieblichen und überbetrieblichen Eigenleistungen eine ungleich größere Bedeutung zu. In der Regel liefern die flankierenden ordnungspolitischen Maßnahmen für die einzelnen verkehrswirtschaftlichen Betriebe überhaupt erst den Anlaß, bestimmte unternehmerische Entscheidungen im Sinne einer größeren Umweltverträglichkeit des Güterverkehrs zu treffen.

Inwieweit die konkreten Beschlüsse der Politik tatsächlich zu einer Lösung oder wenigstens Entschärfung des Konfliktes Verkehr/Umwelt beitragen, ist dabei allerdings – nicht nur auf parteipolitischer Ebene – umstritten. So weist der Vertreter des BDF nachdrücklich darauf hin, daß eine Reihe staatlich gesetzter Rahmenbedingungen betrieblichen und überbetrieblichen Bemühungen etwa zur Vermeidung von Leerfahrten "diametral entgegenstehen, sie schlichtweg konterkarieren."

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Diese Diskussion soll anhand von zwei verkehrspolitischen Beschlüssen der jüngsten Zeit

  • der Einigung des EG-Verkehrsministerrats vom 19.6.93 zur Einführung bzw. Beibehaltung von nationalen Straßenbenutzungsgebühren und

  • der Entscheidung der Bundesregierung zur Tarifaufhebung im Güterverkehr zum 1.1.94

nachgezeichnet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Handlungsspielräume für eine nationale Verkehrspolitik erheblich eingeschränkt sind. Die Umsetzung umweltorientierter Verkehrskonzepte kann in weiten Teilen nur zum Zuge kommen, wenn sich die EG-Partner gemeinsam darauf verständigen. So ist z.B. die Einführung neuer technischer Maßnahmen – etwa zur Verringerung des Schadstoffausstoßes – nur EG-einheitlich möglich, weil unterschiedliche Richtwerte zu Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen führen können. Auch bei der Gestaltung der preispolitischen Maßnahmen bestehen Abhängigkeiten von der EG.

Die Probleme zwischen Verkehr und Umwelt erhalten damit eine zusätzliche Konfliktlinie, denn im Mittelpunkt der Zielvorstellungen der EG stehen ein grenzenloser Binnenmarkt sowie Liberalisierung und Ausbau der Infrastruktur. Diese haben (noch) Priorität vor der umweltbezogenen Verkehrspolitik. Zwar enthält das von der Kommission vorgelegte "Weißbuch" eine klare Analyse der gegenwärtigen und zukünftigen Verkehrsverhältnisse und ihrer Auswirkungen auf die Umwelt. Auch wird die volle Anlastung der internen und externen Kosten nach dem Verursacherprinzip zum wesentlichen Bestandteil einer zukünftigen gemeinsamen Verkehrspolitik erklärt. Nach Ansicht der SPD lassen die bisher von der Gemeinschaft durchgeführten, beschlossenen und angekündigten Maßnahmen jedoch vermuten, daß es zunächst um die Harmonisierung der Vorschriften auf niedrigstem Niveau gehe und erst in weiterer Zukunft um die Realisierung einer wirklichen Verkehrskostenanlastung. Grundsätzlich stelle die EG ein "großes Problem in der Verkehrspolitik" dar, da Handeln nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner möglich sei.

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4.1 Beschluß des EG-Verkehrsministerrates über Autobahnbenutzungsgebühren

Der EG-Verkehrsministerrat hat am 19. Juni 1993 in Luxemburg eine politische Einigung darüber erzielt, daß die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft strecken- oder zeitbezogene Straßenbenutzungsgebühren auf Autobahnen einführen oder beibehalten können. Damit wurde es der Bundesregierung ermöglicht, in Deutschland ab dem 1. Januar 1995 Autobahngebühren für deutsche und ausländische Lkw ab 12t zulässigem Gesamtgewicht im Verbund mit den Benelux-Staaten und Dänemark zu erheben, deren Höchstsatz bei ca. 2.500 DM pro Jahr (Lkw-EURO-Vignette) liegen wird. Diese stellt nur eine zeitbezogene Übergangslösung dar. Nach dem 1. Januar 1998 ist es den künftigen Verbundstaaten freigestellt, ein generelles entfernungs- und nutzungsabhängiges elektronisches Gebührensystem einzuführen.

Aus Sicht des Bundesverkehrsministeriums wird die Einführung dieser zeitbezogenen Autobahnbenutzungsgebühr erstmals dazu führen, den Einstieg in eine gerechte Anlastung der Wege- und damit auch der Umweltkosten für ausländische Lkw zu ermöglichen. Neben einer Deckung der Wegekosten werde zugleich eine Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen erreicht. Insgesamt handele es sich bei dem Beschluß um einen Kompromiß, "auf dem sich aufbauen läßt".

Nach Überzeugung der SPD-Vertreterin kann die Einführung der EURO-Vignette weder die Wettbewerbsnachteile des deutschen Speditionsgewerbes gegenüber den anderen EG-Staaten vermindern, noch könne sie die Wettbewerbsgleichheit der Bahn gegenüber dem Straßengütertransport mit dem Zweck einer Verlagerung auf die Schiene herstellen. Für beide Ziele sei die Gebühr viel zu niedrig. Die deutschen Spediteure bekämen einen zusätzlichen Vorteil gegenüber der Bahn, wenn die Kfz-Steuer für Lkw bereits 1994 halbiert bzw. für schadstoffarme Lkw geviertelt wird. Die Kostenschere werde sich weiter zu Lasten der Schiene öffnen. Die Lkw-Vignette sei aber nicht nur zu billig, sondern auch "ökologisch und ökonomisch Unsinn", weil sie die tatsächliche Fahrleistung nicht berücksichtige. Nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion ist die EURO-Vignette in der vorliegenden Form "eine kontraproduktive Entscheidung". Damit erfolge kein Durchbruch zu einer quantitativ neuen

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Verkehrskonzeption. Vielmehr werde mit den politischen Entscheidungen zur Straßenbenutzungsgebühr und zur Kfz-Steuer für Lkw das bisher praktizierte verkehrspolitische Schema der Entwicklung des Verkehrs in einem weitgehend liberalisierten Binnenmarkt fortgeführt. Bei dem jetzigen Stand der Verkehrssituation würde damit die einseitige Bevorzugung der Straße fortgesetzt.

Auch nach Ansicht des BDF leistet die Einführung der Straßenbenutzungsgebühr von jährlich 2.500 DM ab 1.1.95 "nicht den geringsten Beitrag" dazu, Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Diese Maßnahme trage damit auch nicht zur besseren Auslastung der vorhandenen Kapazitäten und damit zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Bahn bei. Auch werden die Spielräume zum Abbau der Umweltbelastungen nicht besser ausgeschöpft. Daß hier aber ein ökologischer Handlungsbedarf besteht, verdeutlichen folgende Angaben des BDF: Allein im Transitverkehr – insbesondere von Skandinavien und den Benelux-Staaten – werden pro Jahr bei 1,32 Mio. Fahrten rund 322 Mio. l Kraftstoff verbraucht. Dabei entstehen u.a. folgende Schadstoffemissionen:

  • 420 t Kohlenmonoxid,

  • 700 t Stickoxide,

  • 850.000 t CO2.

Das im Transitverkehr liegende Verlagerungspotential für die Bahn bleibt nach Auffassung des BDF-Vertreters aber ungenutzt, weil die Straßenbenutzungsgebühr viel zu niedrig bemessen sei. "Oder glaubt jemand im Ernst daran, daß mit einer Straßenbenutzungsgebühr von umgerechnet 10 bis 12 DM pro Tag auch nur ein einziger Lastzug des Transitverkehrs von der Straße auf die Schiene umsteigt?" Der BDF habe vorgeschlagen, die Vignette für alle EG-Partner auf 9.000 DM festzusetzen. Denn den deutschen Güterfernverkehr interessiere nur sekundär die Höhe dieser Abgabe, wichtiger sei die europaweite Gleichbehandlung aller Wettbewerber auf dem Markt.

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4.2 Aufhebung der Frachttarife

Die Bundesregierung verspricht sich von der Deregulierung des Güterkraftverkehrsmarktes durch das Tarifaufhebungsgesetz – also vom Wegfall der staatlich verordneten Tarife im Bereich des Güterkraftverkehrs – zusätzliche Wettbewerbsimpulse und ökologisch günstige Effekte. Die Unternehmen müßten sich verstärkt bemühen, die Auslastung der eingesetzten Fahrzeuge zu verbessern sowie die Anzahl der Leerfahrten zu senken.

Dieser Annahme widerspricht der BDF-Vertreter entschieden. Das eigentliche Problem liege in der Zahl der im Straßenverkehr eingesetzten Fahrzeuge. Seit der Aufhebung der zahlenmäßigen Beschränkung der im grenzüberschreitenden Verkehr der EG fahrenden Lastzüge gebe es einen dramatischen Anstieg der eingesetzten Lkw, der weit über der Zunahme der im Straßengüterverkehr transportierten Gütermenge liege. Dementsprechend habe im Zeitraum von 1987 bis 1991 die Zahl der Leerfahrten von EG-Fahrzeugen um 43 Prozent, real um 1,76 Mio. Fahrten zugenommen; Konsequenz seien zigtausend Tonnen mehr Schadstoffe in der Luft. Die drastische Zunahme der Leerfahrten zeige, daß deregulierungsbedingte Überkapazitäten zusätzliche Leerfahrten erzwingen, um bei immer mehr Wettbewerb überhaupt an eine Ladung zu kommen. Es sei ein wirtschaftstheoretischer Fehlschluß, daß die Deregulierung den Druck zum Abbau von Leerfahrten und damit zu ökonomischem Verhalten erhöhe.

Mit der Aufhebung der Tarife sei eine Rahmenbedingung gesetzt worden, die dem Umweltschutz zuwiderlaufe. Sie trage dazu bei, daß ausländische und auch deutsche Transporteure zur Wahrung oder Verbesserung ihrer Rentabilität mittels Abbau von Leerfahrten Güter von der umweltfreundlichen Schiene abwerben. Die vor fast zehn Jahren von der EG eingeleitete Liberalisierung des Straßengüterverkehrs im Binnenmarkt müsse deshalb insgesamt daraufhin überprüft werden, ob sie noch den gegenwärtigen und künftig zu erwartenden Infrastruktur- und Umweltproblemen angemessen sei.

Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der politischen und wirtschaftlichen Öffnung der mittel- und osteuropäischen Staaten. Mit den Drittstaaten werden seit Jahrzehnten expandierende Kontingente für den

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Lkw-Verkehr bilateral vereinbart. Der BDF-Vertreter beschreibt die Folgen der "großzügige Aufstockung" dieser Kontingente: In ständig steigendem Maße belegten Fahrzeuge aus Weichwährungsländern mit unschlagbaren Niedrigpreisangeboten den deutschen Markt mit der Folge von deutlichen Mengenverlusten bei der Bahn und der Straße. Fast 800.000 Fahrzeuge belasteten so ohne Bindung an deutsche und EG-Abgasnormen die Umwelt.

In der Sprache des BDF-Interessenvertreters liest sich die zusammenfassende Kritik an den politischen Entscheidungen so: "Zeitgeist, wirtschaftliche Machtpotentiale und eine unkritische Huldigung an die Marktwirtschaft und ihre wundersamen Kräfte des Wettbewerbs um jeden Preis haben unter dem Deckmantel der Liberalisierung und Deregulierung in der Verkehrspolitik Entwicklungen zugelassen, die den Forderungen des Umweltschutzes nicht nur entgegenstehen, sondern sie geradezu in das Gegenteil verkehren."

Als Lösung der mit dem wachsenden Verkehrsaufkommen sich verschärfenden Umweltbelastungen schlägt der BDF das Konzept einer "flexiblen Kapazitätssteuerung" im Straßengüterverkehr vor. Maßnahmen zur Verringerung der Schadstoff- und Lärmemissionen müßten in erster Linie an der Zahl der im Verkehr befindlichen Fahrzeuge ansetzen. Solange hier keine Begrenzung stattfinde, sei mit Überkapazitäten zu rechnen. Hierdurch würden zusätzliche Leerfahrten ausgelöst, denn der Wettbewerb um jede Ladung verschärfe sich. Es sei eine Fehlspekulation, wenn man darauf hoffe, daß Angebotsüberhänge durch den Zwang zu wirtschaftlichem Handeln vom Markt gedrängt würden. Die Erfahrungen, die mit dem deregulierten grenzüberschreitenden Verkehr gemacht wurden, bestätigen, daß anstelle der von der Wirtschaftstheorie erwarteten Mengenreduzierung über den Preis eine enorme Zunahme der Leerfahrten festzustellen ist.

Die flexible Kapazitätssteuerung sei erforderlich, weil auch die Straßeninfrastruktur nicht beliebig vermehrt werden kann. Durch Orientierung der Kapazitäten am Gemeinwohl sei es möglich, im Straßenverkehr zu einem optimalen Einsatz von Transportmitteln mit ökonomischen Steuerungsmechanismen zu kommen. Darüber hinaus müßten die leistungswirtschaftlichen Vorteile der Straße in einem mit den

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anderen Verkehrsträgern abgestimmten Konzept zur Vernetzung im Güterverkehr genutzt werden – und zwar auch im Interesse des Umweltschutzes.

Auch der Vertreter der Binnenschiffahrt kritisiert die Aufhebung der Tarife in der BRD zum 1.1.94. Man wehre sich nicht gegen eine Liberalisierung und einen freien Wettbewerb, doch man erwarte eine Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen innerhalb der europäischen Binnenschiffahrt und zwischen den Verkehrsträgern. "Die Bundesregierung hat ihr Versprechen gebrochen, erst die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in Europa, dann die Liberalisierung des Marktes herbeizuführen." Sinkende Tarife machten einen kostendeckenden Betrieb nicht mehr möglich. Immer noch staatlich festgesetzte Preise in den Niederlanden, Belgien und Frankreich führten in Verbindung mit den vorhandenen Überkapazitäten auf dem europäischen Binnenschiffahrtsmarkt und dem rezessionsbedingten Rückgang im Massengutverkehr zu einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten der deutschen Flotte mit der Folge von Massenentlassungen bei den Reedereien.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

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