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6. Das Beispiel Frankfurt: Flüssiger Verkehr durch Verkehrsvermeidung

Die Stadt Frankfurt ist Hauptknotenpunkt im deutschen und europäischen Straßen-, Schienen- und Luftverkehrsnetz. Motorisierungsquote sowie Verkehrsaufkommen und damit die Umweltbelastungen steigen weiter an. Demgegenüber kann der Ausbau der Infrastruktur mit dieser Entwicklung nicht schritthalten. Außerdem wird der Bau neuer Verkehrswege in Wohngebieten und Grünzügen nicht mehr akzeptiert. Eine zeitgemäße Verkehrspolitik muß daher beiden Entwicklungen Rechnung tragen: einerseits die notwendige Mobilität garantieren und andererseits die Wohnbevölkerung vor Folgen schützen.

Die Stadt Frankfurt verfolgt bei ihrer Verkehrspolitik folgende Grundsätze:

  • Erhaltung Frankfurts als lebendige Metropole, die vor allem der Begegnung von Menschen und nicht nur zur Verkehrsabwicklung dient

  • Aufbau eines ressourcenschonenden Gesamtsystems

  • Vorrang für den öffentlichen Nahverkehr

  • Sicherung der Mobilität im Wirtschaftsverkehr

  • gezielte Förderung von Fußgänger- und Radverkehr unter besonderer Berücksichtigung der Belange von Behinderten

Ein Verkehrskonzept kann nur dann funktionieren, wenn alle fachlichen Ziele gemeinsam betrachtet und verfolgt werden. Dabei ist die überregionale Erreichbarkeit sicher zu stellen. Bei der Einführung von Restriktionen muß die Wahlfreiheit offengehalten werden. Beim Individualverkehr soll der Wirt-

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schaftsverkehr Priorität haben und möglichst ohne Staus abgewickelt werden. Dem öffentlichen Nahverkehr wird Vorrang eingeräumt - durch die Schaffung eigener Fahrwege und Vorrangschaltungen im Straßengrundnetz.

Begonnene Straßenbauprojekte werden fertiggestellt. Weitere Neubauten werden nur in Verbindung mit Verkehrsberuhigungsmaßnahmen realisiert. Gleiches gilt für den Ausbau vorhandener Straßen. Im Innenstadtbereich wird der Autoverkehr durch die Auflösung von Straßenraumparkplätzen, der Einführung von Parkplaketten für Anwohnerparken und die Installation eines Parkleitsystems verringert.

Vor Umsetzung des Konzeptes hat die Stadt Frankfurt die Bevölkerung zu den verschiedenen verkehrspolitischen Maßnahmen befragt. Dabei wurde die Einführung eines Parkleitsystems in der Innenstadt am besten beurteilt: 80 % der Befragten bewerteten dieses System mit gut, nur 20 % urteilten mit weniger gut bzw. "gar nicht gut". Hohe Zustimmungsquoten erreichten auch die Parkerlaubnis in Wohngebieten vorrangig für Anwohner (79 % Bewertung mit gut), die Einführung von Tempo 30 in Wohngebieten (77 %), bevorrechtigte Ampelschaltungen für Busse und Straßenbahnen (76%), die Einführung von Busspuren/Straßenbahntrassen (71 %) und das Abschaffen des Bürgersteigparkens (59 %).

In einem anderen Bereich gab es aber auch eine scheinbar paradoxe Beurteilung. So beurteilten 45 % die Sperrung des Innenstadtkerns für den privaten Pkw-Verkehr mit gut; hier hielten aber nur noch 35 % die Verringerung der Zahl der Parkplätze für gut. Dies zeigt, daß sich die Verkehrspolitik ständig mit "gespaltenen Persönlichkeiten" auseinander setzen muß. Theoretisch sind die Bürger mit Restriktionen einverstanden. Sie erkennen die Verkehrsbelastung der Stadt und wollen die Situation verbessern. Sitzen dieselben Bürger aber im Auto, dann halten sie großzügige Verkehrsflächen für den fließenden und ruhenden Verkehr für unverzichtbar.

Die Erkenntnis daraus ist, daß die Verkehrspolitik für restriktiven Maßnahmen keine Zustimmung in der Bevölkerung findet. Die Bürger sind sowohl von der Verkehrsbelastung betroffen als auch gleichzeitig an der eigenen Mobilität interessiert. Daher ist ein Konsens anzustreben, aber gleichzeitig die Möglichkeit offenzuhalten, auf das Verkehrsgeschehen Einfluß zu nehmen.

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Die Kfz-Dichte In Frankfurt ist seit 1988 in etwa konstant. Dagegen stieg sie im Bundesdurchschnitt weiter an. Bis 1987 lag der Wert mit 476 Pkw pro 1000 Einwohner noch über dem Bundesdurchschnitt von 457; 1992 wurde mit 457 der landesweite Durchschnitt von 495 Pkw pro 1000 Einwohner jedoch deutlich unterschritten. Ein Erklärungsansatz kann die Veränderung der Sozialstruktur in Frankfurt sein, die es bestimmten Bevölkerungskreisen nicht mehr ermöglicht, ein Kraftfahrzeug zu erwerben bzw. es zu betreiben. So hat die Stadt sehr viele Flüchtlinge aufgenommen, die sich noch kein Auto leisten können. Es ist aber auch möglich, daß schlichtweg eine Sättigung - wie bei vielen anderen Konsumgütern - eingetreten ist. Die genauen Hintergründe sind noch nicht bekannt.

Jeden Tag pendeln über 300.000 Menschen in Frankfurt ein, davon kommen zwei Drittel mit dem Kraftfahrzeug. Bei einer Betrachtung der Verkehrswege und Pendlerströme aus den einzelnen Landkreisen ergibt sich in Bezug auf den öffentlichen Nahverkehr folgendes Bild: Optimal mit S- und U-Bahnen ist der Bereich Vortaunus erschlossen, dagegen ist der Raum östlich von Frankfurt eher schlecht mit öffentlichen Verkehrsmitteln versorgt. Trotzdem ist der Anteil von ÖPNV-Nutzem im Bereich des Vortaunus nicht höher als der im Raum östlich von Frankfurt. Offensichtlich hat die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs nur wenig Auswirkungen auf den Pendleranteil. Daraus könnte der Schluß folgen, daß die Milliarden-Investitionen der letzten 20 Jahre im U- und S-Bahn-Netz wenig Wirkung gehabt haben. Tatsächlich ist es aber so, daß parallel Investitionen in den Straßenbau stattgefunden haben. So gleichen sich die Nutzen-Effekte beider Systeme aus. Bereits 1980 pendelten 80.000 Beschäftigte mit dem ÖPNV in die Stadt hinein, 1990 waren es nur 20.000 mehr, obwohl die Gesamtpendlerzahl um 100.000 stieg. In der Zwischenzeit wurden 2,5 Mrd. DM investiert. Das bedeutet: Wenn man in beide Systeme investiert, so verringert sich die Reisezeit und erweitert sich der Einzugsbereich der Stadt. Aber die Natur nimmt dabei enormen Schaden. Daher sind eindeutige Prioritäten zu setzen.

Dementsprechend sieht das kommunale Verkehrskonzept den Bau von P+R-Anlagen im Frankfurter Umland mit Geldern der Stadt Frankfurt vor. Damit soll den 200.000 Pkw-Einpendlern eine Alternative geboten werden. Die hierfür verwendeten Mittel stammen aus Ablösesummen nicht gebauter Parkplätze. Wer in der Frankfurter Innenstadt keinen Parkplatz bauen darf (dies ist inzwischen der Regelfall), muß jedoch ebenfalls dafür die Ablösesumme

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zahlen. Diese Gelder werden zweckgebunden für solche Maßnahmen verwendet. Die Ablösung bietet auch Einsparungsmöglichkeiten für die Bauherren: Während derzeit die Erstellung eines Abstellplatzes 40.000 DM kostet, beträgt die Ablösesumme nur 25.000 DM.

Dem P+R-Konzept gingen Untersuchungen über das mögliche Potential an Umsteigern voran. Daraus wurden mögliche Standorte für P+R-Anlagen - zum einen in einem Ring an der Frankfurter Stadtgrenze, zum anderen in den Umlandgemeinden - ermittelt. Bei der Vorstellung der Standortüberlegungen am Stadtrand kam es zu Kontroversen mit den Landräten der umliegenden Kreise. Diese erklärten, daß zwar Frankfurt entlastet, aber ihre Kreise weiterhin vom Pkw belastet würden. Um diese Situation zu entschärfen, haben die Landräte dem Bau von P+R-Anlagen in ihren Kreisen zugestimmt. Dabei wird durch eine mehrgeschossige Bauweise ein geringer Flächenverbrauch erreicht.

Grundlage der Finanzmittelbeschaffung ist die Einschränkungssatzung der Stadt Frankfurt. Für jedes neue Bürohaus und jeden geplanten Gewerbebetrieb teilt die Stadt mit, wieviel Prozent der nach der Bauordnung verlangten Parkplätze gebaut werden dürfen. Dieser Prozentsatz hängt von der Bedienungsqualität des ÖPNV ab. In der Innenstadt besteht ein optimale Struktur des ÖPNV; hier bestehen daher Einschränkungen von 90 %, die mit 25.000 DM je Stellplatz abgelöst werden. Bisher haben diese Restriktionen zu keinen negativen Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit geführt. Kritik kam insbesondere von Seiten der Industrie- und Handelskammer, die eine deutliche Verschlechterung des Investitionsklimas befürchtete. Dies ist jedoch nicht eingetreten. In anderen Stadtquartieren beträgt die Einschränkung zwischen 50 % und 70 %. Nur in einigen wenigen Gebieten besteht keine Einschränkung, da hier nur ein sehr schlechtes ÖPNV-Angebot besteht.

Die eingenommenen Gelder werden nicht nur für P+R-Anlagen, sondern auch für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und den Radwegebau verwendet. Nach einer internen Regelung werden die Mittel halbiert. Beim ÖPNV fließen die Gelder in die Umsetzung des Beschleunigungsprogramms, beim Radwegebau in die Anlage von Durchgangsstrassen durch die Innenstadt. Damit wird der rechtliche Rahmen für solche Maßnahmen eingehalten.

Diese Stellplatzbeschränkung ist das Herzstück zur Veränderung der bestehenden Strukturen. Die Erfolge werden zwar nicht von heute auf morgen

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sichtbar, sie werden aber von Jahr zu Jahr im Rahmen von Neubaumaßnahmen deutlicher. Dieses Instrument ist das wirksamste, da eine direkte Überleitung vom Individualverkehr auf den öffentlichen Nahverkehr besteht.

Eine zweite Maßnahme stellt das Parkraum-Management dar. Dieses bezieht sich auf die die Innenstadt umgebenden Wohnquartiere. Auch hier besteht eine hohe Arbeitsplatzdichte. Zugleich wohnt hier aber auch der Großteil der Frankfurter Bevölkerung. Für diese wird die Parkplakette eingeführt, die in der Früh- und Nachmittagsspitze bei 50 % der Parkplätze nur Anwohner zum Abstellen ihrer Fahrzeuge berechtigt. Damit werden Pendler aus den Wohnquartieren herausgedrängt.

Das Instrument ist sehr wirksam. Es gibt eine breite Zustimmung der Wohnbevölkerung, die für einen Zwei-Jahres-Ausweis etwa 50 DM als Verwaltungsgebühr zahlen muß. Geringfügige Kritik üben die Gewerbetreibenden, wobei hier Abhilfe mit Sonderausweisen geschafft wurde. Großen Widerspruch gibt es bei denjenigen, die zuvor die Wohnquartiere mit ihren Autos verstopft haben. Wichtig ist eine systematische Überprüfung der Parkberechtigung. Würde einmal zwei Monate lang nicht kontrolliert, wäre mit einem Anstieg des Fehlbelegeranteils wieder auf 30 % bis 40 % zu rechnen. Insgesamt handelt es sich um ein sehr schnell wirksames und bürgerfreundliches Instrument. In den nächsten drei bis vier Jahren werden alle Stadtviertel aus der Gründerzeit einbezogen. Zugleich wird auch ein wesentlicher Beitrag zur Verkehrsverdrängung geleistet.

Die Innenstadt wird aber nicht nur von Autos, die dort abgestellt werden, sondern auch durch den Parksuchverkehr belastet. Nach Schätzungen handelt es sich bei 40 % des Autoverkehrs in der City um eben diesen Verkehr. Zu dessen Verringerung wurde ein Parkleitsystem für die Frankfurter Innenstadt entwickelt, in der keine neuen kommunalen Parkhäuser mehr gebaut werden. Vom Stadtrand aus lenkt das Leitsystem die Autofahrer direkt zu den Parkbereichen. Dort wird den Autofahrern mitgeteilt, in welchen Parkhäusern des ausgewählten Bereiches noch Abstellplätze frei sind.

Parallel dazu geht der Abbau von Stellplätzen im öffentlichen Straßenraum einher. Gegen das illegale Parken wird mit dem Aufstellen von Pollern vorgegangen. Das Stadtbild wird dadurch zwar beeinträchtigt, es geht aber offensichtlich nicht anders. Auch die freien Stellplätze werden drastisch abgebaut

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bzw. in Kurzzeitparkplätze für Kunden des Einzelhandels umgewandelt oder zum Anwohnerparken genutzt. In der Summe ergibt sich dadurch die Reduzierung der Parkplatzzahl im Straßenraum um ein Drittel.

Zu den kommunalpolitischen Zielen gehört auch, daß die Innenstadt lebendiger wird. In einem hierzu vergebenen Gutachten werden Konzepte für die Nutzung des ehemaligen Straßenraums in der Innenstadt entwickelt. Verkehrsstrategisch wichtig ist dabei eine Gesamtbetrachtung des Verkehrs. Bei der Verkehrsberuhigung in den Wohnquartieren ist auch die Frage nach der Ausstattung der Radialen, die auf die Stadt zuführen, zu klären. Autobahnen und Autobahnzubringer führen bis in die Stadt und bieten damit einen Anreiz, mit dem Auto in die Stadt hineinzufahren. Es gibt schnelle Verbindungen bis fast in die Innenstadt. Daher müssen nach Auffassung der Stadt Frankfurt Maßnahmen am Ende der Zubringer getroffen werden. Seit drei Jahren wird die Strategie verfolgt, Pförtnerampeln am Stadtrand zu schaffen, die über die Phasenumläufe die Verkehrsmenge so steuern, daß der Verkehr nach Passieren der Ampeln relativ flüssig läuft. Vor den Pförtnerampeln stehen die Autofahrer jedoch im Stau, und es wird relativ viel Zeit benötigt, um die Pförtner-Ampeln zu passieren. Insgesamt wird die Fahrzeit nicht verlängert. Aus Sicht der Bürger ist es jedoch besser, daß die Abgasbelastung vor den Toren der Stadt größer ist als in den Wohngebieten. Dies sind Maßnahmen, die auch zur Flüssigkeit des Wirtschaftsverkehrs beitragen. Andere Maßnahmen dienen dazu, dem Fußgänger und Radfahrer wieder mehr Chancen und Flächen für seine Mobilität gegenüber dem Auto zu geben.

Beim System zur Verkehrsberuhigung in den Wohngebieten wurde das Straßennetz der Stadt in "Grundnetzstraßen" (etwa 15 % des Straßennetzes) und in die dazwischen liegenden Maschen mit Tempo-30-Zonen aufgeteilt. Die Grundnetzstraßen fallen in den Aufgabenbereich des Magistrats. Alle anderen Straßen sind Aufgabe der Ortsbeiräte, die damit über den Verkehrsfluß in ihren Zonen entscheiden. Der Magistrat hält u.a. zugunsten des ÖPNV das Grundnetz aufrecht. Diese Vorgehensweise ist sehr kostengünstig. Innerhalb von drei Jahren wurden 40 % des Netzes in die Bearbeitung bzw. in die Umsetzung gebracht. Zu den Maßnahmen gehören u.a. die Verbannung der Autos von den Bürgersteigen, die Einengung und damit Verlangsamung des Straßenraumes, der Verzicht auf Mittelstreifen, auf Ampelanlagen und Zebrastreifen (mit Ausnahme vor Schulen). Für Fahrradverkehr sind Durchmesserstrecken vorgesehen, die jetzt zum Bau anstehen.

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Insgesamt machen die Erfahrungen der Stadt Frankfurt folgenden Zusammenhang deutlich: Je sinnvoller die Flächennutzung ist, d.h. je dichter gebaut wird, desto geringer sind Verkehrsmengen und Energieverbrauch. Im Gegensatz dazu stehen die meisten amerikanischen Städte mit ihrem hohen Flächen- und Energieverbrauch. Das bedeutet, daß die Städtebauer großen Einfluß auf das künftige Verkehrsgeschehen haben. Es ist eine Fehlentwicklung, wenn viele Menschen aus der Stadt ziehen müssen, weil es dort keinen Wohnraum mehr gibt, und dann wieder in die Städte pendeln müssen, weil dort die Arbeitsplätze liegen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2001

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