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TEILDOKUMENT:
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Die kommunalen Spitzenverbände lehnen die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes ab, weil sie tief in die kommunale Selbstverwaltung und die Kommunalwirtschaft eingreift und damit kommunale Interessen massiv verletzt. Energiekompetenz: Eingriff in der kommunale Selbstverwaltungsrecht Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluß vom 16. Mai 1989) und des Bundesverwaltungsgerichtes (Urteil vom 18. Mai 1995) gehört die örtliche Energieversorgung "zu den typischen, die Daseinsvorsorge betreffenden Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften" bzw. "zu den durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Selbstverwaltungsangelegenheiten örtlich-relevanten Charakters." Der Bundesgesetzgeber beseitigt durch die Aufhebung geschlossener Versorgungsgebiete und zugleich ausschließender Wegerechte die verfassungsgerichtlich gewährleistete Regelungskompetenz der Gemeinden für die örtliche Versorgung der Bevölkerung mit Energie. Entscheidungen über die örtliche Energieversorgung werden zukünftig im Ergebnis nicht mehr - wie von der Verfassung vorgesehen - durch die Kommune getroffen, sondern durch jeden interessierten Bewerber im Wettbewerb. Konzessionsabgabe: Eine wesentliche kommunale Finanzierungsquelle steht zur Disposition Die Einführung von Wettbewerb durch Aufhebung des Gebietsschutzes und Öffnung der Netze für Durchleitungen stellt die Konzessionsabgabe als wesentliche kommunale Finanzierungsquelle mit einem bundesweiten Gesamtvolumen in Höhe von ca. 6 Mrd. DM zur Disposition. Die Konzessionsabgabe ist zur Zeit mit einer zweifachen Ausschließlichkeit verknüpft, nämlich der Versorgung und dem Wegebenutzungsrecht. Durch die Reform wird das bisherige Verhältnis von Leistung und Gegenleistung innerhalb eines Konzessionsvertrages beseitigt. Die Konzessionsabgabe wird im Ergebnis auf ein bloßes Wegbenutzungsentgelt reduziert. Die Gemeinde überträgt zukünftig lediglich noch Teile des bisherigen geschlossenen Versorgungsgebotes, so daß sich auch zwangsläufig die Konzessionsabgabe als wesentliche Gegenleistung des Unternehmens verringern wird. Das Reformvorhaben beinhaltet damit letztendlich einen nachhaltigen Eingriff in die kommunale Finanzmasse in einer Größenordnung von mindestens ca. 3 Mrd. DM. Die vom Bundeswirtschaftsminister in die Diskussion eingeführte Übergangsvorschrift ist weder tatsächlich noch rechtlich geeignet, eine uneingeschränkte Aufrechterhaltung des bisherigen Konzessionsabgabenvolumens zugunsten der Städte, Gemeinden und Kreise zu gewährleisten. Die angedachte gesetzliche Regelung ist tatsächlich [Seite der Druckausg.: 44] nicht problemlösend, sondern lediglich problemverschiebend, zudem erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Wenn das BMWi die Auffassung vertritt, die Konzessionsabgabe bleibe in voller Höhe erhalten, dann reicht der Text des § 9 des Gesetzentwurfes nicht aus. Der diesbezügliche Text aus der amtlichen Begründung sollte in den Gesetzestext übernommen werden. Darüber hinaus würde das im Wettbewerb gewollte Herausbrechen von Großkunden aus den kommunalen Versorgungsgebieten zu deutlichen Erlösminderungen bei den kommunalen Versorgungsbetrieben führen und damit die finanziellen Möglichkeiten im kommunalen Querverbund (z. B. zur Finanzierung des ÖPNV) drastisch einschränken. Konzentration statt Wettbewerb: Keine Chancengleichheit für kommunale Unternehmen im Energiewettbewerb Der mit der Reform des Energiewirtschaftsrechts gewollte ausschließliche Preiswettbewerb wird zu mehr Verdrängung und Konzentration in der europaweit vergleichsweise pluralistischen Struktur der bundesdeutschen Energieversorgungslandschaft führen. Am Ende der Entwicklung wird eine oligopolistische Struktur mit wenigen großen Verbundunternehmen stehen. Eine Einschätzung, die durchaus verbundseitig geteilt wird. Im Ergebnis geht diese Entwicklung insbesondere zu Lasten mittlerer und kleinerer Unternehmen, sicherlich vornehmlich der Stadtwerke, denen die Reform die Bildung und Teilhabe am Wettbewerb im Bereich der leitungsgebundenen Energiewirtschaft erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Außerdem sind der Wettbewerbsfähigkeit kommunaler Unternehmen rechtliche Grenzen durch die - dem Zugriff des Bundes entzogenen - Kommunalverfassungen der 126 Bundesländer gesetzt: nach dem geltenden Kommunalwirtschaftsrecht ist es nämlich den kommunalen Unternehmen untersagt, jenseits der Gemeindegrenzen tätig zu werden, so daß die Stadtwerke bereits rechtlich nicht in den politisch gewollten Wettbewerb eintreten können. Ökologische Unverträglichkeit: Der Umweltschutz bleibt auf der Strecke Die vorliegenden Zielvorstellungen des Bundeswirtschaftsministers sind ausschließlich wettbewerbsorientiert und lassen zugleich den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und damit den gesamten Bereich der Umweltpolitik und des Klimaschutzes unberücksichtigt. Ein hemmungsloser Preiswettbewerb und das nahezu alleinige Ziel, wenigen Energiegroßverbrauchern in der Industrie besonders günstige Preise anbieten zu können, wird keinen Raum für ein freiwilliges Engagement der Energieversorgungsunternehmen bei der Energieeinsparung, rationellen Energienutzung und der Ausschöpfung regenerativer Energiepotentiale belassen. Eine Fernwärmeversorgung auf der Basis der Kraft-Wärme-Kopplung steht vor dem Aus, weil die gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme im Verbundbetrieb am gleichen Ort im Wettbewerb um Großkunden nicht mehr möglich wäre. In einem Preiswettbewerb setzt sich der billigste Anbieter durch; eine kostspieligere, aber umweltfreundlichere Stromerzeugung, die bisher auch von Bundesseite unterstützt wurde, wird unterbleiben. [Seite der Druckausg.: 45] Soziale Schieflage: Gewerbe, Mittelstand und Haushalte werden die Verlierer Der gewollte Preiswettbewerb um die leitungsgebundenen Energien Strom und Gas wird einen gespalteten Markt hervorrufen, denn wettbewerbsbegünstigt werden nur wenige industrielle Großabnehmer sein. Fixkosten, die auf diesem Wettbewerbsmarkt nicht gedeckt werden, müssen von den übrigen Verbrauchern, also den Bürgern und dem gewerblichen Mittelstand, übernommen werden. Ein Teil der Kunden zahlt damit Wettbewerbspreise, der andere Teil zwingend Vollkostenpreise. Die Vorteile für die Großindustrie werden damit durch Energiepreissteigerungen der Tarifabnehmer erkauft, im Ergebnis ein sozial unausgewogenes Wettbewerbssystem. EU-Binnenmarktrichtlinie Strom Der BMWi-Vorstoß bedeutet zum jetzigen Zeitpunkt eine einseitige nationale Vorleistung, ohne daß zugleich die notwendige Reziprozität mit der europäischen Entwicklung gewährleistet ist. Inhaltlich gehen die Vorstellungen zudem weit über den europäischen Wettbewerbsstandard hinaus. Die Beschlüsse zur EU-Binnenmarktrichtlinie gewährleisten in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union keine gleichgewichtige Marktöffnung, wie dies bereits in der Koalitionsvereinbarung, zudem im Bereich der Kommission vom März 1995 sowie in den Festlegungen der Koalition Ende 1995 zu Recht gefordert worden ist. So bewirken die eingeführten Schwellenwerte für eine Marktöffnung (40 Gigawattstunden, 20 Gigawattstunden und 9 Gigawattstunden) unterschiedliche Niveaus der Marktöffnung in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Die Zulassung von Verbrauchern mit Elektrizitätsjahresverbräuchen von 40 Gigawattstunden pro Jahr führt z. B. in Frankreich zu einer Marktöffnung von 24%, in Deutschland von 32,5% und in Finnland sogar von 45,3%. Auch sieht die europäische Regelung entgegen den Forderungen der Koalition keine einheitliche Definition der zugelassen Kunden vor, sondern überläßt dem einzelnen Mitgliedsland diese Entscheidung. Verteilerunternehmen werden nach Maßgabe der Beschlüsse nicht uneingeschränkt zu den zugelassenen Kunden gezählt und damit den Industrieverbrauchern gleichgestellt, wie dies ebenfalls in der Vergangenheit von der Kommission und auch den Koalitionsfraktionen gefordert worden ist. Hinzu tritt schließlich die Gefahr einer weitergehenden Marktabschottung anderer europäischer Staaten durch den Hinweis auf den Service Public sowie die sog. "Schutzklausel". Diese ist nicht dazu geeignet, die negative Reziprozität zu gewährleisten, sondern stellt eher einen weiteren Schutz zentralistischer Strukturen in einigen Mitgliedsstaaten sicher. Entscheidend ist schließlich, daß der EU-Binnenmarktrichtlinie Strom die Koexistenz zweier Wettbewerbssysteme in Europa zugrunde liegt, nämlich das französische, quasi monopolistische Alleinabnehmersystem sowie das von der Bundesrepublik favorisierte Modell eines verhandelten Netzzugangs als fortgeschrittenes Wettbewerbsmodell. Es entsteht in der Europäischen Union eine "Zweiklassengesellschaft": während die Energieversorgungsunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland europaweit schutzlos dem Wettbewerb ausgesetzt werden, schottet andererseits z. B. Frankreich seinen Energiemarkt als Folge des Alleinabnehmerkonzeptes gegenüber Wettbewerbern [Seite der Druckausg.: 46 aus anderen europäischen Staaten weiterhin ab. Dies benachteiligt die deutschen Energieversorgungsunternehmen, darüber hinaus auch die deutschen Kraftswerksbauer und Zulieferunternehmen. Vor diesem Hintergrund weisen die kommunalen Spitzenverbände den Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts mit Entschiedenheit zurück. Zugleich fordern die kommunalen Spitzenverbände die Bundesregierung ausdrücklich auf, vor einer Beschlußfassung über den Gesetzentwurf im Bundeskabinett die gewichtigen Bedenken der Kommunen ernst zu nehmen und zunächst einmal - wie in der Koalitionsvereinbarung versprochen - die Auswirkungen der Reform auf die Kommunen sorgfältig zu prüfen. Dies ist um so dringender angezeigt, als das Reformvorhaben für die Kommunen keine evolutionäre Weiterentwicklung des bisherigen Wettbewerbssystems der 4. und der 5. GWB-Novelle darstellt, sondern - geradezu revolutionär - auf einen gänzlich neuen, dem bisherigen System diametral zuwiderlaufenden Ansatz setzt. Zudem verlangen die europäischen Beschlüsse eine sorgfältige Prüfung etwaiger nationaler Umsetzungsmaßnahmen. Der nationale Gesetzentwurf bezieht sich darüber hinaus sowohl auf den Strom- als auch auf den Gasbereich. Auf europäischer Ebene liegt jedoch lediglich eine Richtlinie für Strom, nicht aber für Gas vor. Diese wird nicht vor Mitte des Jahres 1997 erwartet. Auch insoweit sollte der nationale Gesetzentwurf, der für die Kommunen von außerordentlicher Tragweite ist, zunächst zurückgestellt werden. Die kommunalen Spitzenverbände verschließen sich insgesamt keineswegs der Diskussion über mehr Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energieversorgung. Vielmehr begrüßen und unterstützen wir grundsätzlich sehr wohl die Zielsetzung, auch Energieversorgungsunternehmen zukünftig stärker dem Wettbewerbsprinzip zu unterwerfen. In Betracht kommen kann allerdings nur ein Wettbewerbsansatz, der das politische Kräftedreieck von energiewirtschaftlichen, ökologischen und kommunalen Interessen gleichermaßen berücksichtigt. Ein Wettbewerbssystem ist darüber hinaus nur dann sinnvoll, wenn alle Stromabnehmer, d. h. auch der Tarifkunde und der gewerbliche Kleinverbraucher, also der Mittelstand, hiervon gleichermaßen profitieren. Schließlich muß aus kommunaler Sicht der verfassungsrechtlich gewährleisteten Kompetenzwahrnehmung in der örtlichen Energieversorgung, der uneingeschränkten Aufrechterhaltung des bisherigen Konzessionsabgabenvolumens als wesentlicher Eckpfeiler kommunaler Finanzausstattung sowie der zukünftigen Fortführung einer eigenständigen kommunalen Versorgungsstufe Rechnung getragen werden. Unter Berücksichtigung dieser Prämissen haben sich die kommunalen Spitzenverbände für eine Fortentwicklung des durch die 4. und 5. Kartellgesetznovelle maßgeblich gestalteten Ordnungsrahmens für Strom und Gas in der Bundesrepublik Deutschland hin zu einem "Wettbewerb um Versorgungsgebiete" im Sinne des Alleinabnehmersystems ausgesprochen. Dieses kommunale Wettbewerbsmodell trägt insbesondere der Tatsache Rechnung, daß letztlich nur Gemeindegebiete natürliche und damit beachtliche Monopole darstellen; Gebietsschutz ist damit im Ergebnis auch Gemeindeschutz. Das Bundeswirtschaftsministerium behauptet, ein Konzept um Versorgungsgebiete lie- [Seite der Druckausg.: 47 ße sich wegen der EU-Richtlinie nicht aufrechterhalten. Die EU-Richtlinie sieht aber zwei Wettbewerbsmodelle vor, für die sich die Mitgliedsstaaten entscheiden können: Das Alleinabnehmersystem und der verhandelte Netzzugang (Art. 17 und 18 der EU-Richtlinie). Wenn der gesamte Mitgliedsstaat Frankreich das Alleinabnehmersystem anwenden wird, ist nicht einsehbar, daß gerade in der Bundesrepublik mit der vergleichsweise kleinteiligeren Versorgungsstruktur das Alleinabnehmersystem nicht verwirklicht werden kann, so daß Wettbewerb um Versorgungsgebiete möglich wird. Es ist für die Kommunen nicht nachvollziehbar, daß der Bundeswirtschaftsminister bisher diese Alternative im Gesetzentwurf nicht vorsieht. Die kommunalen Spitzenverbände sind offen für eine intensive Diskussion und Auseinandersetzung über eine konkrete Ausgestaltung dieses Modells. Jedenfalls zeigen die bisherigen politischen Gespräche sehr deutlich, daß das auch von der Bundesregierung verfolgte Ziel einer uneingeschränkten Gewährleistung des bisherigen Konzessionsabgabenaufkommens im Grunde unmittelbar mit der Aufrechterhaltung geschlossener Versorgungsgebiete auf der Verteilungsebene verknüpft ist. Leider hat sich das Bundeswirtschaftsministerium in den verschiedentlich durchgeführten Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden einer eingehenden Auseinandersetzung mit der kommunalen Wettbewerbsalternative "Alleinabnehmersystem" und damit dem "Wettbewerb um Versorgungsgebiete" verschlossen. Notwendig und geradezu selbstverständlich sollte es allerdings sein, im Falle einer Systemänderung alle denkbaren Alternativen und Modelle in die Meinungs- und Willensbildung mit einzubeziehen. Der Hauptausschuß des Deutschen Städtetages hat sich in seiner Sitzung am 07. November 1996 in Stuttgart nochmals ausführlich mit dem Energiewirtschaftsrecht befaßt und folgenden Beschluß einstimmig gefaßt:
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