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[Seite der Druckausg.: 48


Stellungnahme des Bundesrates (DRKS: 806 / 96)


Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts

Der Bundesrat hat in seiner 707. Sitzung am 19. Dezember 1996 gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes beschlossen, zu dem Gesetzentwurf wie folgt Stellung zu nehmen:

I.

  1. Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts zu einem Zeitpunkt eingebracht, in dem die Richtlinie der Europäischen Union für den Elektrizitäts-Binnenmarkt noch nicht abschließend beraten ist und für eine Richtlinie für den Gasbinnenmarkt nicht einmal ein gemeinsamer Standpunkt vorliegt.

    Es steht schon jetzt fest, daß der Gesetzentwurf im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch an die künftigen gemeinsamen Vorschriften der Europäischen Union für die Energiebinnenmärkte angepaßt werden muß, ohne daß der Bundesrat hierzu im ersten Beratungsdurchgang Stellung nehmen kann.

    Der Bundesrat sieht darin eine Verkürzung seiner verfassungsrechtlich vorgesehenen Mitwirkungsmöglichkeiten. Er sieht auch aus diesem Grunde davon ab, zu Einzelregelungen des jetzt eingebrachten Gesetzentwurfs Stellung zu nehmen. Er erwartet, daß die Länder bei den notwendigen Ergänzungen des Gesetzentwurfs intensiv beteiligt werden.

  2. Der Bundesrat teilt die Zielsetzungen des Gesetzentwurfs, mit der Einführung von Wettbewerb in der Energiewirtschaft einen Beitrag zur Verbesserung der Standortbedingungen für die Wirtschaft in Deutschland zu leisten und allen Verbrauchergruppen die Vorteile des Marktes zukommen zu lassen.

  3. Der Bundesrat betont, daß er die ordnungspolitische Grundausrichtung des Gesetzentwurfs, Wettbewerb im energiewirtschaftlichen Ausnahmebereich einzuführen und die Staatsaufsicht auf unverzichtbare Aufgaben zurückzuführen, teilt. Er teilt die Auffassung, daß im künftigen Energiewirtschaftsrecht Belange des Umweltschutzes und der Ressourcenschonung sowie die Belange und die Aufgabe der Städte und Gemeinden stärkere Berücksichtigung finden müssen.

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  4. Der Bundesrat steht zu den Zusicherungen der Bundesregierung an die internationale Staatengemeinschaft, die von der einheimischen Wirtschaft und Gesellschaft zu verantwortenden Klimaemissionen bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990 um 25% zu vermindern.

  5. In diesem Zusammenhang erinnert der Bundesrat an seine früheren Beschlüsse, mit denen er eine wettbewerbliche Neuordnung der Energiewirtschaft mit wirksamer ökologischer Flankierung gefordert hat.

  6. Der Bundesrat unterstützt das Anliegen,

    • im Interesse der Chancengleichheit den Wettbewerb um Kunden auf allen Versorgungsstufen, von der Erzeugungs- bzw. Importstufe bis zur Letztverteilung zu ermöglichen,

    • zur Vermeidung wettbewerbsverzerrender Abgrenzungen den freien Marktzugang über die stufenweise Mindestanforderung der Stromrichtlinie hinaus allen Kunden zu eröffnen.

II.

Der Bundesrat sieht sich aus folgenden Gründen nicht in der Lage, dem von der Bundesregierung vorlegten Gesetzentwurf in der gegenwärtigen Fassung zuzustimmen:

  1. Das von der Bundesregierung gewählte Reformkonzept ist wettbewerbspolitisch und umweltpolitisch unzulänglich. Der Gesetzentwurf respektiert nicht das kommunale Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG) und gefährdet die kommunalen Finanzen.

    Die örtliche Energieversorgung gehört zu den durch Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gewährleisteten Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinde. Diesem Grundsatz, zuletzt bestätigt durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 1995, wird der Gesetzentwurf in keiner Weise gerecht.

  2. In der Begründung zum Regierungsentwurf wird eingeräumt, daß Anpassungsbedarf an die vorgesehenen EU-Richtlinien verbleibt. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, Vorschläge für die notwendigen Regelungen zur Umsetzung der EU-Richtlinien vorzulegen, die sich nach seiner Auffassung insbesondere auf die folgenden Themen beziehen müssen:

    • Benennung und Lizenzierung von Übergangsnetzbetreibern und Sicherung ihrer Unabhängigkeit von Erzeugung und Verteilung zumindest auf Ver-

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      waltungsebene (Art. 7);

    • Organisation des Netzzugangs (einschließlich Entgeltregelung; Art. 17);
    • Aufsicht über die Netzbetreiber (Art. 10);
    • Regelungen über die getrennte Rechnungslegung für Erzeugungs-, Übertragungs- und Verteileraktivitäten (Art. 14);
    • Regelungen zur Verhinderung des Mißbrauchs marktbeherrschender Stellungen zum Nachteil insbesondere der Verbraucher und zur Verhinderung von Verdrängungspraktiken (Art. 22).

  3. Der Bundesrat sieht in der allgemeinen Anschluß- und Versorgungspflicht sowie im Grundsatz der Gleichpreisigkeit für die vom Wettbewerb nicht umworbenen Kunden in einem Gemeindegebiet bewährte Prinzipien, deren Schutz sichergestellt werden muß.

  4. Der Bundesrat weist darauf hin, daß das Konzessionsabgabenaufkommen durch den Wegfall der Ausschließlichkeit der Wegerechte gefährdet ist; das gilt insbesondere bei weniger günstig strukturierten Versorgungsgebieten, für deren Versorgung kein wettbewerblicher Anreiz besteht.

  5. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat massive Konsequenzen für die kommunalen Haushalte. Zum einen sinkt die Ertragskraft der kommunalen Versorgungsunternehmen, zum anderen wird der Wegfall ausschließlicher Wegerechte die Einnahmen aus der Konzessionsabgabe nachhaltig senken. Zwar sollen nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung die Höchstsätze der Konzessionsabgabenverordnung auch nach der Reform ihre Gültigkeit behalten. Es steht allerdings außer Frage, daß einfache Wegerechte für die Versorgungsunternehmen einen weitaus geringeren Wert haben als ausschließliche Wegerechte. Dies wird zwingend auf die Höhe der Konzessionsabgaben durchschlagen. Die kommunalen Spitzenverbände rechnen mit einer Halbierung des bisherigen Aufkommens von rund 6 Mrd. DM jährlich. Eine solche Belastung ist für die kommunalen Haushalten nicht zu verkraften.

  6. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung nutzt nicht die - in der EU-Richtlinie ausdrücklich eröffneten - Möglichkeiten, die Energieversorgung stärker am Ziel der Umwelt- und Ressourcenschonung auszurichten. Der im Zielkatalog des Gesetzentwurfs erhobene Anspruch, zu einer umweltverträglichen Energieversorgung beizutragen, wird nicht eingelöst. Vielmehr gefährdet das Konzept der Bundesregierung die umweltverträgliche Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung und durch erneuerbare Energien sowie die Ansätze der integrierten Ressourcenplanung. Zu befürchten ist auch eine Aushöhlung des Stromeinspeisungsgesetzes; die Aussagen der Bundesregierung hierzu

    [Seite der Druckausg.: 51]

    sind widersprüchlich.

  7. Der Gesetzentwurf enthält nicht die aus der Sicht des Bundesrates notwendigen und nach der EU-Richtlinie möglichen Ausnahmen von der Wettbewerbsöffnung im Interesse ökologischer Zielsetzungen. Nach Auffassung des Bundesrates muß es auch künftig möglich sein, mit Hilfe von örtlichen Energiekonzepten eine sparsame und rationelle Energieverwendung, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und den Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung wirksam zu fördern.

  8. Ohne klare Wettbewerbsregeln können die im Energiebereich bestehenden Ungleichgewichte verstärkt werden und Marktverzerrungen durch Verdrängungswettbewerb entstehen. Dies läßt eine Gefährdung der Verteilerunternehmen sowie Konzentration und Oligopolbildung befürchten.

  9. Die in den letzten Jahren in den neuen Ländern etablierten überregionalen, regionalen und kommunalen Versorgungsunternehmen haben mit sehr hohen Investitionen in Stromerzeugungs- und Verteilungsanlagen bei weitgehender Nutzung der ostdeutschen Braunkohle eine moderne, hohen Umweltstandards genügende Energieversorgung aufgebaut. Die mit dem Gesetzentwurf gegebene Gefahr eines erneuten Strukturbruches, der von den neuen Ländern nicht verkraftet werden könnte, ist deshalb unbedingt zu vermeiden. Die Bundesregierung wird daher gebeten, dafür Sorge zu tragen, daß die Energieversorgung und hier insbesondere die Braunkohleverstromung in den neuen Bundesländern ausreichend vor Verdrängungswettbewerb geschützt wird.

III.

Der Bundesrat ist der Meinung, daß im weiteren Gesetzgebungsverfahren Regelungen insbesondere zu folgenden Bereichen gefunden werden müssen:

  1. Durch eine angemessene Regelung ist ein möglichst schonender Übergang zu einem wettbewerbsorientierten Energieversorgungssystem in einer Weise zu gewährleisten, daß die Vorteile des Wettbewerbs allen Kunden / Kundengruppen zugute kommen.

  2. Eine sachgerechte Anpassung von vertraglichen Bezugsbindungen, welche in der Zeit fehlenden Wettbewerbs eingegangen wurden, ist sicherzustellen.

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  3. Zur Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Zugangs sind die Netzzugangsvoraussetzungen möglichst eindeutig zu regeln. Besonderheiten der Gasversorgung sind dabei zu berücksichtigen.

  4. Regelung der Trennung zwischen Erzeugungs-, Übertragungs- und Verteilungsaktivitäten gemäß der EU-Stromrichtlinie.

  5. Regelung des Verhältnisses von konkurrierendem Direktleitungsbau und Durchleitung durch vorhandene Netze im Sinne der EU-Stromrichtlinie.

  6. Der Daseinsvorsorgeauftrag der gemeindlichen Gebietsversorgung ist gesetzlich klarzustellen und in dem nach europäischem Recht möglichen Umfang zu schützen. Das Konzessionierungsrecht der Gemeinden bleibt entsprechend ihrer Daseinsvorsorgeaufgabe erhalten.

  7. Die Einführung eines Alleinabnehmersystems auf der örtlichen Verteilstufe ist zu prüfen. Prüfungsbedürftig ist insbesondere, inwieweit und ggf. mit welchen Modifikationen ein solches System, richtlinienkonform ausgestaltet, sowohl dem Ziel wirksamen brancheninternen Wettbewerbs auf allen Stufen als auch den Anliegen der Kommunen und der kommunalen Wirtschaft Rechnung tragen könnte. Der Bundesrat betont in diesem Zusammenhang, daß die Entwicklung wirksamen Wettbewerbs auch auf örtlicher Ebene unverzichtbar ist.

  8. Ziele und Umfang der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen sind gesetzlich näher zu regeln. Es ist in diesem Zusammenhang zu prüfen, inwieweit nach der EU-Richtlinie die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen durch Konzessionsverträge möglich ist und zur Erfüllung dieser Verpflichtungen Einschränkungen (auch des grenzüberschreitenden) Wettbewerbs zulässig sind.

  9. Zu den bei der Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Pflichten zu berücksichtigenden öffentlichen Interessen gehören insbesondere:
    • die Sicherung des Klima- und Umweltschutzes;
    • der rationelle Netzbetrieb;
    • die Energiesicherung durch einen Sockelbeitrag der Stromerzeugung aus heimischen Energiequellen;
    • die Nutzung ostdeutscher Braunkohle muß gegen Billigimporte aus Osteuropa, die auf der Grundlage niedriger Umwelt- und Sozialstandards möglich wären, gesichert werden.

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  10. Vorrangregelungen für die Einspeisung und Vergütung von Strom aus erneuerbaren Energien und aus Kraft-Wärme-Kopplung einschließlich der erforderlichen Folgeregelungen, insbesondere zur Kostenverteilung. Dabei sind die Regelungen des Stromeinspeisungsgesetzes fortzuentwickeln und so in die Energierechtsreform einzubeziehen, daß ein nationaler Ausgleich (unter Einbeziehung von Importen) ermöglicht wird.

  11. Klare Kostentragungsregelungen für alle im öffentlichen Interesse liegenden Belastungen.

  12. Für alle größeren Leitungsbauvorhaben der Energiewirtschaft ist ein energierechtliches Planfeststellungsverfahren einzuführen, das eine sachgerechte Abwägung energiewirtschaftlicher und ökologischer Belange ermöglicht.

    Im Gesetz muß klargestellt werden, ob die Förderung des Wettbewerbs zu den Gemeinwohlbelangen gehört, die bei der Prüfung der Enteignungs- bzw. Planfeststellungsvoraussetzungen zu berücksichtigen sind.

    Dabei ist zu beachten, daß eine privatnützige Enteignung für Leitungen zusätzlich zu bestehenden bedarfsgerechten Gebietsnetzen verfassungsrechtlich problematisch ist.

    Das gleiche gilt für Leitungsprojekte, die nach dem Willen des Investors nur eigenen Handelsinteressen, nicht aber einer Versorgung der Allgemeinheit im Wettbewerb dienen sollen.

    Auch das Erfordernis rationeller, landschaftsschonender Leitungsnetzplanung gebietet, daß das Planfeststellungsverfahren den Vorrang von bedarfsgerechten Gebietsnetzen zur Durchleitung vor dem Bau von Leitungen für einzelwirtschaftliche Lieferinteressen ermöglichen muß.

  13. Regelungen für eine effiziente Preis- und Kartellaufsicht. Der Bundesrat hält in diesem Zusammenhang flankierend zum entstehenden Wettbewerb zum einen eine Anpassung der Bundestarifordnung Strom für notwendig, damit Kosten- und Preisverschiebungen zu Lasten der Tarif-Verbraucher rechtlich ausgeschlossen sind. Zum anderen sollte der Gesetzgeber die künftigen Aufgaben und Möglichkeiten der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht bei differenzierten Preisen präzisieren.

  14. Die kostengünstige Bereitstellung von Energiedienstleistungen durch Integrierte Ressourcenplanung und Umsetzung von Energiesparaktivitäten muß möglich sein.

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  15. Sicherung eines funktionierenden Marktes durch eine wirksame Kontrolle der Preishöhen und Preisstrukturen der Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber.

  16. Der Bundesrat hält die Einbeziehung des Energieeinsparungsrechts in das Energiewirtschaftsgesetz für sinnvoll.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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