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[Seite der Druckausg.: 7]


2 Zu den externen Kosten der Stromversorgung




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2.1 Der Begriff der "Externen Kosten"

Der Begriff der externen Kosten, obwohl in der Ökonomie seit über 70 Jahren theoretisch diskutiert, ist erst im letzten Jahrzehnt mehr und mehr in wirtschaftspolitische Debatten eingegangen.

Handelte die Diskussion der Theoretiker in den zwanziger Jahren typischerweise von einem A, etwa dem Papierfabrikanten, der einem B, etwa dem flußabwärts lebenden Fischer einen verminderten Nutzen aufzwingt, so sehen wir in der heutigen Wirklichkeit, etwa in Europa, Hunderte von Millionen von Menschen, deren Lebensraum und Gesundheit von fast anonymen wirtschaftlichen Aktivitäten bedroht wird, die sich - häufig mit monopolistischer Macht ausgestattet - einem Interessenausgleich in Form eines "vernünftigen Diskurses" gänzlich entziehen; dies macht die von Neoliberalen so gerne beschworenen Kontrakt-Regelungen in der Praxis gänzlich absurd.

William Kapp folgend wird die Mehrzahl der externen Kosten deshalb heute, dem Grad der Vergesellschaftung entsprechend, treffend als soziale Kosten bezeichnet. Es handelt sich dabei also um die Gesamtheit der Kosten und Schäden, die die Teilnehmer einer Volkswirtschaft für wirtschaftliche Handlungen anderer zu tragen haben, ohne daß diese als einzelwirtschaftliche, verhaltenssteuernde Kosten bei den Verursachern erscheinen.

Soziale Kosten entstehen insbesondere

  • durch massive und systematische Fehlallokationen von Ressourcen, wie sie typischerweise durch monopolistische Nicht-Markt-Verhältnisse zustandekommen,
  • durch massive und systematische Über-Nutzung, Verbrauch und Verschlechterung von "Freien Gütern" wie Umwelt als Folge von falsch oder unzureichend definierten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen.


2.1.1 Ursprung und Umfang der Kosten in der heutigen Stromversorgung

Die externen Kosten der heutigen Stromversorgung in Deutschland umfassen alle die durch das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 verursachten "volkswirtschaftlich schädlichen Auswirkungen", um den dubiosen Satz aus der Präambel zu zitieren. Wie schon oft - und weitgehend folgenlos - konstatiert war dieses Kriegsvorbereitungsgesetz ein Teil jenes Paktes, den das Dritte Reich mit der Industrie, vor allem der Großindustrie abschloß. In diesem Pakt wurden in der Tat die angeblich "volkswirtschaftlich schädlichen Auswirkungen des Wettbewerbes" verhindert; der Industrie, vor allem anderen den Großen der Stromwirtschaft, wurde eine quasi-staatliche Monopolstellung eingeräumt und damit ihre Loyalität gegenüber den Machthabern erkauft.

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2.1.2 Ziele des Energiewirtschaftsgesetzes


Nun gab es in den dreißiger Jahren - unabhängig von den kriegswirtschaftlichen Zielen des nationalsozialistischen Staates - durchaus vernünftige wirtschaftliche Gründe für den forcierten Aufbau eines Verbundnetzes mit dem Ziel, den Stromanteil erheblich zu erhöhen, die komparativen Stromkosten zu senken und die Ausfallrate entscheidend zu vermindern. Diese Ziele sind erreicht; der Bedarf für Verbundnetze ist heute als gesättigt anzusehen, da angesichts eines erheblichen (wenn auch regional nicht völlig gleichmäßig verteilten) Überangebotes an Erzeugungs- und Transportkapazität die Stromversorgungsmängel der Zeit vor und nach dem 2. Weltkrieg behoben sind. Absatzausweitung führt nicht mehr zu gesamtwirtschaftlichen Vorteilen, ganz im Gegenteil.

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2.2 Regulierende Wirkung des Marktes

Weitgehend unbestritten ist heute, daß die Interessen der Energieabnehmer prinzipiell auf die mittels Energie verrichtbaren Dienstleistungen nicht auf einen bestimmten Energieträger gerichtet sind. In welchen Formen und über welche Energieträger die Bedarfsdeckung erfolgt, sollte dann Marktentscheidungen überlassen bleiben, da diese nach allgemeiner Auffassung am ehesten die optimale Nutzung knapper Ressourcen (einschließlich der Ressource Umwelt) ermöglicht. Dies gilt aber nur, wenn gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen (wie Minimierung des Primärenergieansatzes und der Schadstoffbelastung, Optimierung der Boden - und Raumnutzung) für alle Marktteilnehmer gleichermaßen als Rahmenbedingungen ihrer Entscheidungen wirksam werden.

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2.3 Entwicklung der Monopolstellung

Der Stromwirtschaft, genau genommen, den großen überregionalen Erzeugergesellschaften, wurde hingegen eine weitgehende Monopolstellung gegenüber anderen Energieformen und anderen Stromerzeugern (z. B. dezentralen oder regenerativ erzeugenden oder kommunal organisierten Anbietern) eingeräumt. So kam es zu dem überstarken Ausbau des Verbundnetzes in Verbindung mit immer größeren Kraftwerksblöcken, was innerhalb eines solchen zentral-organisierten Systems in der Tat zu einzelwirtschaftlichen "economy of scale" - Kostenvorteilen führte. Der Energieträger Strom konnte tendenziell auch in nicht stromspezifische Anwendungsmärkte (z.B. Wärmemarkt) vordringen. Dies war eine Konsequenz aus der monopolistischen Tarifstruktur (Preisdifferenzierung mit hohen Preisen für den Grundbedarf und niedrigen Preisen für den Zusatzbedarf im Bereich der Energieträgerkonkurrenz) und dem Bau von zentralen Kondensationskraftwerken verbundenen, grundsätzlichen Verzicht auf gekoppelte Produktion von Wärme. Andere, vor allem stark dezentralisierte Energiesysteme, die unter dem Primat einer Minimierung des Primärenergieeinsatzes und einer optimalen Allokation der Ressourcen hätten entstehen können, wurden infolge von staatlichen Regelungen seit 1935 weitgehend von dem sogenannten Energiemarkt verdrängt.

Damit sind genau die beiden oben charakterisierten Sozialkosteneffekte eingetreten: systematische Fehlallokation von Ressourcen und systematische Übernutzung bzw. Schädigung der Ressource Umwelt.

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2.4 Zeitpunkt der Debatte um Marktwirtschaft

Das Erstaunliche an der Debatte, die wir heute führen, ist ihr Zeitpunkt: nicht etwa vor 45 Jahren, bei der vielgepriesenen Wiedereinführung der Marktwirtschaft und nicht in den Jahrzehnten seither wurde an dem alten Pakt von Staat und Stromwirtschaft gerüttelt: auch die neuen Machthaber, wiewohl demokratisch legitimiert, fanden Gefallen an dem Bündnis.

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2.5 Gründe für die Befürwortung der Monopolstellung

Über die Motive der demokratischen Parteien bei dieser Bündnispolitik wäre viel zu sagen; bei den Adenauer-Parteien liegen sie auf der Hand, hier soll eine Beschränkung auf die SPD erfolgen. Gewiß war die Vorstellung lange Zeit maßgeblich, durch staatlichen Einfluß den Kapitalismus zu bändigen und, vermittelt etwa durch den Besitz der Aktienmehrheit bei Ländern und Kommunen, gemeinwirtschaftliche Ziele in der Stromwirtschaft verfolgen zu können. Heute ist klar, daß diese Vorstellungen in der Praxis nicht realisiert worden sind.

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2.6 Instrumente zur Durchsetzung von Allgemeinwohlinteressen

Wir wissen heute: das Aktienrecht jedenfalls läßt es nicht zu. Gemeinwohlinteressen etwa per Beschluß des Aufsichtsrates durchzusetzen. Folgende Forderungen herrschen in der Wissenschaft vor:

  1. Optimale Allokation von Ressourcen läßt sich nur durch Herstellung völliger Markttransparenz anstreben, das heißt im Klartext: Die Energiewirtschaft muß ein offenes Marktsystem werden, wie jeder andere Wirtschaftssektor auch. Der Entwurf aus dem Hause Rexrodt, d.h. die Erweiterung des Kreises der Regionalmonopole durch bevorzugte Zulassung einiger weiterer Oligopolisten unter Beibehaltung der monopolistischen Struktur der Verteilernetze und ohne Offenlegung der tatsächlichen regionalen oder lokalen Erzeugerpreise leistet diese Markttransparenz jedenfalls nicht; diese Form der "Deregulierung" führt im Ergebnis nur zu einer Verstärkung der monopolistischen Struktur.
  2. Sozialpolitische Ziele, über die hier nicht weiter zu reden ist, lassen sich in erster Linie durch Setzung von staatlichen Rahmenbedingungen durchsetzen.
  3. Umweltpolitische Ziele können durch ein Bündel staatlicher Vorgaben gefördert werden, von denen im Regierungsentwurf nichts zu finden ist:

    - es müssen der freie Marktzugang und faire Preise für die Anbieter umweltoptimierter Energiedienstleistungen wie dezentraler Kraft-Wärme-Kopplung und regenerativer Energie gesichert sein;

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    - es müssen durch generelle staatliche Eingriffe, nämlich durch positive und negative steuerliche Anreize, anhaltende und massive Preissignale gesetzt werden zu Ungunsten nicht erneuerbarer Primärenergieressourcen entsprechend dem Grad ihres toxischen Potentials und ihres Beitrages zur Klimaschädigung;

    - es müssen bei den Genehmigungsverfahren insbesondere für landschaftsverbrauchende und flächenbelastende Investitionen wie Hoch- und Höchstspannungsleitungen die sozialen Kosten solcher Umweltverluste berücksichtigt werden, um die gesamtwirtschaftlich günstigsten Lösungen zu favorisieren.



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2.7 Die sozialen Kosten von Fernleitungen, besonders Höchstspannungsleitungen

Im Jahre 1990 waren in der Bundesrepublik (alt) 380 kV-Leitungen in einer Gesamtlänge von rund 12.000 km installiert, mit einer Trassenfläche von rund 1000 Km2, entsprechend 0,4 % des Bundesgebietes. (Zum Vergleich: Fernstraßen und Autobahnen machen flächenmäßig rund 0,7 %, alle Straßen etwas über 1% aus.) Die Trassen, wenngleich nicht bodenversiegelt und zusätzlicher Nutzung nicht gänzlich entzogen, verlaufen großenteils in vorher naturnaher Landschaft und bedeuten jedenfalls, auch wegen ihres weitreichenden optischen Effektes, einen schwerwiegenden Verlust an "Natur".

Besonders bemerkenswert ist die zeitliche Entwicklung der 380 kV-Leitungslänge; diese ist etwa in den 10 Jahren von 1976 bis 1985 um fast 60% gestiegen, während der Stromverbrauch nur um 25% zunahm. Dies zeigt, wie verbraucherferne Großkraftwerke zu einem krassen Mißverhältnis der benötigten Leitungslänge führen; ein erheblicher Teil der Leitungen wird im Normalfall nicht benötigt, ist aber zur schnellen Reserve im Störfall unentbehrlich, was bei einer dezentralen, verbrauchernahen Erzeugerstruktur offenbar nicht der Fall ist.

Vor einigen Jahren haben JARASS, NIEßLEIN und OBERMAIER (Von der Sozialkostentheorie zum umweltpolitischen Steuerungsinstrument, Nomos 1989) ein Verfahren zur Bewertung der sozialen Kosten des Flächenverbrauches, der Umweltschäden und der Landschaftszerstörung durch Hochspannungsfreileitungen entwickelt. Bei der Anwendung dieses Instrumentes auf eine Reihe konkreter EVU-Planungen zeigte sich:

  • die sozialen Kosten pro Kilometer Leitungslänge sind durchaus mit den Investitionskosten vergleichbar
  • Alternativtrassen durch ohnedies bereits "denaturierte" Gebiete haben bei einer größeren Länge und daher erhöhten einzelwirtschaftlichen Kosten insgesamt häufig geringere gesamtwirtschaftliche Kosten zur Folge.

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2.8 Schlußfolgerungen für die Reformdiskussion

Aus all dem ergibt sich schließlich: eine umweltgerechte Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes muß nicht nur brachliegende Effizienzpotentiale und die damit verbundenen Umweltgefahren, sondern auch die sozialen Kosten der Leitungen bzw. der Transporttrassen berücksichtigen. Auf der Erzeugerseite muß Dezentralisierung, auf der Verteilerseite Einspeisung und Durchleitung so geregelt werden, daß ein Zubau-Bedarf an Leitungen völlig oder weitgehend vermieden wird. Falls ein Zubau nicht zu umgehen ist, müssen zumindest in sensiblen Bereichen (z. B. reizvolle Landschaft, Fremdenverkehrsgebiet, Stadtrand und Stadtumland) Verkabelungen in Betracht gezogen werden, auch wenn damit erhöhte Kosten verbunden sein sollten. Technisch und baulich ist das machbar, denn es gibt bereits Verlegungen von 380 kV-Kabeln. Schließlich werden auch Seekabel für Höchstspannungen über Hunderte von Kilometern seit langer Zeit verwendet. Niemand hat sich erlaubt, Gas- und Ölleitungen an Masten hängend durch das Land zu führen, was sicher Kosteneinsparungen bewirkt hätte. Inzwischen hat die Gaswirtschaft ihre Leistung in Gestalt einer umwelt- und landschaftsfreundlichen Verlegung ihres Leitungsnetzes erkannt: sie weist in ganzseitigen Zeitungsanzeigen auf dieses anzuerkennende Verfahren hin.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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