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Zusammenfassung


Obwohl in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren über die Notwendigkeit einer Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) diskutiert wird, haben erst die Anforderungen der EU zur Liberalisierung des Energie- bzw. Elektrizitätsmarktes die Bundesregierung zu einer Konkretisierung dieser Diskussion in Form eines Gesetzentwurfes veranlaßt. Die Inhalte dieses Gesetzentwurfes, seine Vor- und Nachteile unter energie- und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten sowie mögliche Alternativen der Effizienzsteigerung waren ebenso Gegenstand der Tagung wie aktuelle Konzepte zu einer umweltorientierten Neugestaltung des Energiemarktes. Zur Aktualisierung des Tagungsberichtes wurde die Stellungnahme des Bundesrates vom 19. Dezember 1996 aufgenommen. Da sich die EU-Mitgliedsländer bisher erst auf die Verabschiedung der Strom-Richtlinie verständigen konnten, wurde die Diskussion überwiegend für den Bereich der Elektrizitätswirtschaft und nur in wenigen Einzelfragen für die Gaswirtschaft geführt. Nicht berücksichtigt in dem Bericht sind die Erwiderung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrates und der seit März diesen Jahres vorliegende Gesetzentwurf der SPD-Fraktion. Die Ergebnisse der Anhörung vom 2. Juni konnten ebenfalls nicht in den Bericht aufgenommen werden.

Das geltende Energiewirtschaftsgesetz ist mehr als 60 Jahre alt. Es wurde vorbereitet in der Zeit der Weimarer Republik, aber erst 1935 erlassen und seither in seiner Grundkonzeption nicht mehr novelliert. Offensichtlich wurden die Einzelregelungen des geltenden Gesetzes in einer historischen Situation geprägt, die von einer ganz anderen technisch-wirtschaftlichen Ausgangssituation und grundlegend anderen Vorstellungen zur Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung bestimmt war als dies heute der Fall ist. Nur so ist es zu erklären, daß es zu den zentralen Zielen dieses noch heute gültigen Gesetzes gehört, die Energiewirtschaft vor den "schädlichen Auswirkungen des Wettbewerbes" zu schützen. Dieses Ziel wird durch den § 103 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) erreicht, der die Freistellung der leitungsgebundenen Energiewirtschaft vom Wettbewerb erlaubt. Erst unter der Obhut von EnWG und GWB konnte die deutsche Strom- und Gaswirtschaft ihre privilegierte Ausnahmestellung erlangen. Das gilt für kommunale und regionale Monopole ebenso wie für die national und international tätigen Großversorger, von denen sich wenige u. a. dank der staatlich garantierten Monopolstellung mit risikofrei erwirtschafteten Monopolgewinnen zu weltweit agierenden Konzernen entwickelt haben.

Die Reformdiskussion über das geltende Energierecht war bisher ganz überwiegend von der Kritik an den volkswirtschaftlichen Ineffizienzen des Monopolsystems bestimmt. Dieses tendiert nach Auffassung der meisten Kritiker dazu. Überkapazitäten, also Fehlinvestitionen zu produzieren. Auch das staatliche Kontrollsystem hat diese Fehlinvestition nicht verhindert.

Im Mittelpunkt aller Reformkonzepte steht seit langem die Forderung, die u. a. auch von der Monopolkommission unterstützt und begründet wird, die Erzeugung von Strom sowie den Handel und die Belieferung von Strom und Gas wettbewerblich zu organisieren und eine Freistellung vom Wettbewerb nur noch für den Betrieb der Übertragungs- und Verteilernetze, die als natürliches Monopol betrachtet werden, zu gestatten. Die Netze sollten nach diesem Konzept allen Erzeugern, Händlern und Kunden diskriminierungsfrei gegen ein Nutzungsentgelt zur Verfügung stehen. Erreicht werden sollen diese Ziele durch die Aufhebung der Sonderregeln für Strom und Gas im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 193 und 103 a GWB), d. h. durch ein Verbot von Gebietsabsprachen und ausschließlichen Wegerechten. Es wird aber kein spezieller Durchleitungstatbestand geschaffen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beinhaltet also die Abschaffung der beiden genannten GWB-Bestimmungen bzw. eine Modernisierung des Energiewirtschaftsgesetzes durch Deregulierung. Gleichzeitig soll durch die Abschaffung von § 4 des EnWG die Aufsicht der Länder reduziert werden. Aus Sicht der Bundesregierung ist die Steuerung der Länder im Bereich Energieträger nicht das geeignete Mittel, z. B. zur Reduzierung der CO2-Belastung. Die Bundesregierung setzt hier auf Regulierungsmöglichkeiten in einem generellen Rahmen.

Zwei Instrumente sollen in Zukunft den Wettbewerb gewährleisten: die Durchleitung, d. h. die Benutzung des vorhandenen Netzes durch Dritte und der freie Leitungsbau. Ausdrückliches Ziel des Wettbewerbes ist die Kostensenkung. Gleichzeitig soll die Änderung des Gesetzes zugunsten der Umwelt wirken. Es ist jedoch nicht klar, wie das geschehen soll. Die Bundesregierung rechnet mit der Installierung zahlreicher Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen besonders im industriellen und weniger im kommunalen Bereich. Sie rechnet auch mit Innovationen im Kraftwerkssektor aufgrund des Wettbewerbes. Detailregelungen für viele Umweltbelange wie die Einführung und Überwachung von Emissionsstandards und die Gestaltung des Raumordnungsrechtes im Rahmen des EnWG lehnt die Bundesregierung ab. Eine Sonderstellung für Kommunen wird es nach dem Willen der Bundesregierung nicht geben.

Im Rahmen der Tagung wurden die Entregelungsaspekte des Gesetzentwurfes sowie verschiedene Wettbewerbsmodelle in der Stromversorgung vorgestellt, ein weiterer Diskussionsschwerpunkt waren die Voraussetzungen für einen wirksamen Durchleitungswettbewerb. Der Diskussionsschwerpunkt war die Betrachtung der externen Kosten in der Stromwirtschaft. Diese "externen" bzw. sozialen Kosten, die bei der Gesellschaft und nicht beim Nutznießer anfallen, entstehen durch massive und systematische Fehlallokationen von Ressourcen, wie sie typischerweise durch monopolistische Nicht-Markt-Verhältnisse zustande kommen und durch massive und systematische Über-Nutzung, Verbrauch und Verschlechterung von "Freien Gütern" wie Umwelt bzw. Natur. Die externen Kosten der heutigen Stromversorgung in Deutschland umfassen alle die durch das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 verursachten "volkswirtschaftlichen schädlichen Auswirkungen". Ein Faktor in dieser Berechnung sind die sozialen Kosten von Fernleitungen, bes. Höchstspannungsleitungen.

Die Kritiker betonen das Fehlen folgender Regelungen für die Einführung eines funktionierenden Wettbewerbes:

  • keine Interessenverflechtung von Erzeugung und Netzbetrieb
  • keine explizite Durchleitungsregelung mit der Verpflichtung zu transparenten, kostenorientierten und diskriminierungsfreien Gebühren
  • keine explizite Regelung für "stranded Investments" (z. B. langfristige Vertragsbindung)
  • kein Verbot von Ausschließlichkeitsklauseln in Strombezugsverträgen
  • keine Regelung der Reserve und Zusatzstromkonditionen
  • keine Regelung der möglichen Versorgerwechsel-Gebühren
  • keine eindeutige Anschluß- und Versorgungspflicht für Eigenerzeuger und Zusatzstrombezieher

Sie stellen dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung folgende Forderungen entgegen:

  • Verbundwettbewerb als erste Wettbewerbsstufe (Wettbewerb auf der Großhandelsstufe)
  • Entflechtung der Transportfunktion von der Stromerzeugung und -verteilung
  • transparente Durchleitungsgebühren
  • Sicherung des Wettbewerbes (z. B. Verschärfung der Fusionskontrolle)
  • keine Kostenverlagerung zu Lasten der nicht zugelassenen Kunden
  • IRP-Pflichten für Verteilerunternehmen (Durchführung von Energiesparprogrammen)
  • Auflagen beim Neubau von Kraftwerken (hoher Wirkungsgrad der Energieumwandlung)
  • Vorrangregelung für KWK-Strom und Strom aus erneuerbaren Energien
  • Umweltzuschlag auf Netzgebühren

Parallel zu der Diskussion um mehr Wettbewerb im Energiesektor hat sich im Verlaufe von jetzt schon fast zwanzig Jahren eine neuartige Argumentationslinie entwickelt. Hier geht es um den Vorwurf hoher Effizienzdefizite im Energiesystem, also um unausgeschöpfte Einsparpotentiale und die Hemmnisse, die einer verstärkten Nutzung regenerativer Energien und ökologisch sinnvoller Technologien entgegenstehen. Fünfzehn Jahre des Experimentierens in vielen Ländern mit Programmen zur Effizienzsteigerung der Stromnutzung haben eine Vielzahl von verläßlichen Politikinstrumenten hervorgebracht, die Veränderungen in Unternehmen zu einer ökologisch verträglichen Energienutzung mit meist niedrigem Verwaltungsaufwand kostengünstig ermöglichen. Eines dieser markttransformierenden Instrumente ist eine Reihe von freiwilligen oder gesetzlich auferlegten Effizienzstandards für strombetriebene Geräte, Gebäudehüllen sowie Wärmeisolierungen und Ausstattungen am Bau. Schließlich wurde die Durchführung der Liberalisierung auf dem dänischen Stromsektor diskutiert. Das dänische Beispiel veranschaulicht dem deutschen Beobachter, wie beide Zielsetzungen - billige Strompreise und Umweltschutz - miteinander vereinbart werden können. Es ist u. a. auf die Initiative Dänemarks zurückzuführen, daß die Binnenmarktrichtlinie auf den Umweltschutz hinweist und besonders Kraft-Wärme-Kopplung, aber auch erneuerbare Energien fördern möchte. Auch dieser Ansatz fehlt im Entwurf der Bundesregierung.

Abkürzungsverzeichnis

BMWi

Bundeswirtschaftsministerium

BnatschG

Bundesnaturschutzgesetz

CO2

Kohlendioxid

DVG

Deutsche Verbundgesellschaft

DSM

Demand-Side-Management (nachfrageorientiertes Management)

ECU

zukünftige einheitliche Währung der EU

EFLOR

Organisation von ELSAM

ELSAM

Zusammenschluß von Kraft werksgesellschaften in Dänemark

EnWG

Energiewirtschaftsgesetz

EVU

Energieversorgungsunternehmen

EU

Europäische Union

FFH

Flora-Fauna-Habitat

GG

Grundgesetz

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Gwh

Giga-Watt-Stunde

IRP

Integrierte Ressourcenplanung

kV

Kilo-Volt

kWh

Kilo-Watt-Stunde

KWK

Kraft-Wärme-Kopplung

LCP

Least-Cost-Planning (Strategie und Instrumente zur Energieeinsparung)

MW

Mega-Watt

NTPA

Negotiated Third Party Excess (Verhandelter Netzzugang für Dritte)

OECD

Organisation of Economic Cooperation and Development

ÖPNV

Öffentlicher Personen-Nahverkehr

ROV

Raumordnungsverfahren

SO2

Schwefeldioxid


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