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Vor- und Nachbemerkungen


Überblickt man das Land mit seinen Städten, folgt ein Erschrecken, daß sich über die oft angesprochenen Belastungen der Luft und des Wassers hinaus in weiten Bereichen eine Art Ödnis in unserer täglich erfahrbaren Umwelt ausgebreitet hat. Der einmal vorhandene Gegensatz zwischen naturnahem Land und klar umgrenzten Städten hat sich aufgelöst. Selbst die Zersiedlung des Landes ist nun nicht mehr das eigentliche Problem. Es hat sich verlagert zur Omnipräsenz technischer, baulicher und wirtschaftlicher Nutzungen, nicht nur in Form ausgreifender Besiedlung, sondern auch in Gestalt schier endloser Straßenbänder, Verkehrsknoten und Parkplätze, kaum noch übersehbarer alter und neuer Industrie- und Gewerbeareale oder nicht mehr begreifbarer Ver- und Entsorgungsanlagen.

Doch die in weiten Bereichen verbreitete Unwirtlichkeit unserer Umwelt erfährt noch eine eklatante Steigerung durch Hoch- und Höchstspannungsleitungen, die in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten in einem exorbitanten Maß gebaut worden sind. Diese Leitungen mit überhohen und -breiten Masten aus scharfkantigen Stahlprofilen durchkreuzen das Land gewissermaßen nach Belieben und strangulieren den kostbaren Freiraum um die Städte, sie überspannen bebaute Gebiete oder treiben sie mit Schutzstreifen auseinander, nehmen kaum Rücksicht auf Erholungs-, Tourismus- oder Landschaftsschutzgebiete, dringen in reizvolle Täler ein oder setzen weithin sichtbar über Bergketten. Die Trassen der Leitungen, oft bereits in ganzen Bündeln verlegt, schneiden und verzweigen sich, eine Orientierung an Ziel oder Herkunft ist ausgeschlossen, eine Anpassung an die Landschaft findet nicht statt. Die sogenannte Internalisierung dieser fatalen „social costs" mit Hilfe der Verlegung von Erdkabeln wird nur in besonderen Fällen praktiziert, weil sie mit erhöhten Kosten verbunden ist.

Immer wieder ist im Lauf der Jahre von „Vernetzung" und der Notwendigkeit des Baus weiterer Hoch- und Höchstspannungsleitungen gesprochen worden - doch das tiefe Unbehagen und Mißtrauen, das uns erfaßt, wenn wir die mächtigen Öl-, Kohle- und Kernkraftwerksblöcke und das von dort ausgehende Gewirr der Hoch- und Höchstspannungsleitungen erblicken, hat triftige Gründe.

Ein Blick in die Geschichte der Energiewirtschaft zeigt, daß es nach der Gründerzeit mit ihrem rauhen Geschäftsgebaren während eines ganzen Jahrhunderts nicht gelungen ist, in diesem Wirtschaftsbereich zu ausgeglichenen Markt-, Macht- und Wettbewerbsverhältnissen zu finden. Die sozusagen archaischen Machtpositionen haben auf der Basis steigender Nachfrage nach Elektrizität zu einem ständigen Ausbau der Kapazitäten nach überkommenen Prinzipien geführt. Zusammen mit günstigen gesetzlichen Grundlagen für die Energie- bzw. Elektrizitätswirtschaft und einem mangelhaften Umwelt- und Landschaftsschutz konnte gewissermaßen alles, was gewünscht wurde, in Stahl und Beton realisiert werden. Später aufkommenden Energieträgern, insbesondere der Gas- bzw. Erdgaswirtschaft, war es nicht möglich, Umwelt und Landschaft auf diese Art und Weise zu nutzen, ja auszubeuten. Niemand wäre nun auf die Idee gekommen, Gas- oder Erdölleitungen an Masten aufgehängt durch das Land zu führen, um Kosten zu sparen oder die Erträge zu steigern.

Die Monopole und Oligopole der Elektrizitätswirtschaft, die Aktivitäten in ihren Verbänden und Verbünden sowie das Versagen des Staates haben das Aufkommen einer modernen Stromerzeugung und -versorgung auf lokaler und regionaler Ebene verhindert. Das gilt in besonderem Maß für die Kraft-Wärme-Koppelung, d.h. die miteinander verbundene Erzeugung von Wärme und Strom. Damit hätte eine „Effizienzrevolution", ausgehend von Industrie- und Gewerbekomplexen oder von Schulen, Kongreßzentren, Krankenhaus- und Verwaltungsbauten ausgelöst werden können. Doch diese Effizienzsteigerungen werden kaum wirksam, weil es noch nicht gelungen ist, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Ähnliches gilt für die Nutzung von Solarenergie über Dächer und Fassaden bei Wohnbauten, Bürohäusern sowie Industrie-, Messe- und Lagerhallen. Die Modernisierung der Stromerzeugung auf der Basis eines zeitgemäßen Energiewirtschaftsgesetzes, sowohl mit Hilfe innovativer als auch mit Hilfe neuer Kombinationen erprobter Techniken, hat nicht stattgefunden.

Wenn wir die mächtigen Kraftwerksblöcke und Kühltürme und die Häßlichkeit und Monstrosität des Leitungsgewirrs betrachten, stoßen wir alsbald auf den Zusammenhang mit der fehlenden Effizienz oder anders gesagt: auf die Verschwendung gerade bei der Elektrizitätserzeugung. So wird das anfängliche Unbehagen am äußeren Bild zum Ärgernis über archaische Strukturen in einem Wirtschaftsbereich, die einerseits durch geschickten und machtbewußten Lobbyismus, andererseits durch Opportunismus und Fatalismus in der Politik bislang erhalten geblieben sind.

Bei der Tagung sollten die Fragen der Umwelt- und Landschaftsbelastung sowie die außerordentlichen Möglichkeiten der Effizienzverbesserung im Vordergrund stehen. In der Diskussion zeigte sich, daß beide Fragenkreise mit den gesamten Bedingungen verknüpft sind, die durch den Anstoß der EU über ein verändertes Energiewirtschaftsgesetz neu geregelt werden sollen. In den weiteren Auseinandersetzungen muß aber immer wieder darauf geachtet werden, daß diesen beiden, für die Zukunft zentralen Fragenkreisen die gebührende Aufmerksamkeit zukommt. Mag das auch derzeit nicht populär sein: eine Abgabe in der Art einer Energiesteuer ist ein wichtiges Instrument, damit mögliche Energiepreissenkungen im Gefolge der Effizienzerhöhungen nicht zu neuen Formen der Verschwendung führen, sondern zu sinnvollen Investitionen und Schutzmaßnahmen zu nutzen sind.

Der seit langem deutlich erkennbare Wandel von den harten zu den weichen Standortfaktoren zeigt auch, daß nicht die Senkung der Energiepreise um wenige Prozente, sondern eine attraktive Umwelt zusammen mit leistungsfähiger Infrastruktur und einem wettbewerbsfähigen Lohnniveau entscheidend sind für den „Standort Deutschland". Und mit der Aussicht auf eine attraktive und gesunde Umwelt wird auch die Jugend eher wieder die Hoffnung auf eine für sie passable Zukunft gewinnen können, die sie jetzt offensichtlich verloren hat.

Der Tagungsbericht ist von Diplombiologin Elke Nickel aus Bonn verfaßt worden.

Bonn, im Mai 1997

Dr. Hannes Tank


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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