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4. Rolle und Aufgaben der Wohnungsbaugesellschaften

4.1 Wohnungsversorgung als Dienstleistung für den Mieter als Kunden

Auch die Wohnungsbaugesellschaften begreifen die Stabilisierung und Weiterentwicklung der Großsiedlungen als ihre zentrale Aufgabe, wobei die Probleme und Interessen der jetzigen Mieter im Mittelpunkt stehen. Der Aufgabenbereich der Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf, deren wohnungswirtschaftliche Konzepte und Maßnahmen im folgenden beispielhaft skizziert werden sollen, umfaßt mit ca. 38.000 Wohneinheiten knapp 90 % des örtlichen Neubaubestandes. Angesichts der knappen öffentlichen Gelder muß die Gesellschaft die anstehenden Instandsetzungen bzw. Sanierungen und Modernisierung überwiegend aus eigener Kraft finanzieren. Diese Situation macht es notwendig, alle vorhandenen Ressourcen und Potentiale auszuschöpfen, die zur Zeit noch nicht oder nicht in vollem Umfang erkannt und erschlossen wurden. Ziel ist es dabei, die Probleme zu lösen, die von den Mietern an die Gesellschaft herangetragen werden, und dann über eine stabile Mieterstruktur und hohe Mieterzufriedenheit auch die städtebaulichen und architektonischen Mängel der Siedlungen zu beseitigen.

Eine erhebliche Bedeutung ist den in der Großsiedlung vorhandenen Ressourcen beizumessen. Hierzu gehören:

  • das relativ hohe Einkommen der Bewohner
    Bei etwa 50 % der Mieter werden die Einkommensgrenzen des sozialen Wohnungsbaus überschritten. Diese Kaufkraft gilt es in dem Gebiet zu erhalten und für die Instandsetzungen und Modernisierungen der Wohnungen abzuschöpfen. Es hat sich jedoch gezeigt, daß gerade Mieter mit einem vergleichsweise hohen Kaufkraftpotential lieber größere Wohnungen hätten als ihnen aufgrund der bisher gültigen Belegungsbindungen zustehen. Daher besteht die Sorge, daß gerade jene Bewohner dorthin abwandern könnten, wo sie die gewünschten Wohnungen bekommen.

  • das Vorhandensein von ausreichenden Flächen für Qualitätsverbesserungen im Wohnumfeld und für den Ausbau wohnungsnaher Infrastruktur
    Erforderlich ist hier jedoch eine schnelle Klärung der Grundstücksgrenzen, damit die nötigen Verfügungsrechte an die Wohnungsbaugesellschaften übergehen können und beabsichtigte Investitionen auch tatsächlich getätigt werden können.

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  • die niedrige Verschuldung der Wohnungsbestände bei Inanspruchnahme des Altschuldenhilfegesetzes
    Hierin werden gute Voraussetzungen für die Finanzierung der anstehenden Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen gesehen, denn eine Beleihung der Bestände ist möglich.

  • der gute Ausstattungsgrad mit sozialer Basisinfrastruktur und die gute Erschließung mit öffentlichem Nahverkehr
    In Hellersdorf ist mit einem U-Bahn Anschluß , mit S-Bahn und Straßenbahnen das ÖPNV-Netz hervorragend ausgebaut. Wie auch in den meisten anderen Neubausiedlungen ist die Grundversorgung mit Kindertagesstätten und Schulen gesichert. Dieser hohe Ausstattungsgrad ist in manchen westlichen Großsiedlungen keineswegs selbstverständlich.

Von diesen Potentiale ist mutig Gebrauch zu machen, denn eine technisch, architektonisch und städtebaulich angemessene Fortentwicklung der Großsiedlung ist volkswirtschaftlich sinnvoller als Abriß und Neubau. Dabei stellt sich die Frage: Wie können die vorhandenen Potentiale adäquat eingesetzt und gewinnbringend genutzt werden, wie die Ressourcen ausgeschöpft werden, und zwar so, daß die Großsiedlungen nachhaltig positive Impulse erhalten?

Die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf möchte dafür Methoden des modernen Dienstleistungs-Marketings heranziehen und mit technischer, architektonischer und städtebaulicher Sensibilität eigenständig Beiträge im Bereich der staatlichen Daseinsfürsorge erbringen. Folgende Aspekte sind der Gesellschaft dabei wichtig:

  • Jede Großsiedlung muß individuell behandelt werden. Lokalspezifische Bewohnerstrukturen und Bedarfslagen sind zu beachten.

  • Der Mieter ist kein Verwaltungsobjekt und auch keine technisch oder sonstwie geartete Dispositionsmasse. Vielmehr ist der Mieter ein Kunde, der weiß, was er will, und berechtigte sowie sinnvolle Anregungen zur Verbesserung der Wohnsituation vorbringt.

Es wird davon ausgegangen, daß die Mieter bereit und auch in der Lage sind, für die Befriedigung ihrer Interessen, also für die Realisierung individueller Wohnvorstellungen auch entsprechend zu bezahlen. Aus der Bereitschaft vieler Haushalte, für Wohnungseigentum große finanzielle Belastungen zu akzeptieren, - weil sie in Wohneigentum ein besonders erstrebenswertes Gut sehen, - wird geschlossen, daß auch die Mieter bereit seien, entsprechend mehr Miete zu bezahlen, wenn sie mehr und etwas anderes nutzen können als eine standardisierte Wohnung mit relativ geringer Attraktivität. Mit den Erträgen, die die Gesellschaft auf

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diese Weise von der zahlungskräftigen Bewohnerkundschaft zu erzielen hofft, ist beabsichtigt, die anstehenden Probleme der Instandsetzung und Modernisierung zu finanzieren.

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4.2 Marktforschung zur Ermittlung der Mieter-Kunden-Wünsche

Um die Wohnansprüche Bewohner im Einzelnen zu kennen und entsprechend reagieren zu können, werden mit den Instrumenten der Marktforschung die derzeitige und absehbare Mieterzufriedenheit und die Vorstellungen zur Wohnsituation ermittelt. Diese Marktforschung wird kontinuierlich fortgeschrieben, um einerseits den Bedarfswandel zu erfassen und um andererseits eine Erfolgskontrolle zu durchgeführten Maßnahmen zu ermöglichen.

Seit 1990 werden in Hellersdorf jährlich in Marketing-Gutachten erstellt, die darlegen, was die Mieter von ihrer Wohnung und Wohnumgebung erwarten, welche Ansprüche sie an die Wohnungsbaugesellschaft richten, wo sie Prioritäten für Eingriffe und Investitionen sehen, mit welchen Bereichen sie zufrieden oder aber auch unzufrieden sind. Darüber hinaus sind in der Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf über 70 Mieterbeiräte eingerichtet worden. Diese tragen im wesentlichen dazu bei, die Geschäftspolitik der Gesellschaft für die Mieterbelange zu sensibilisieren, und sie sollen helfen, Probleme sofort bei ihrem Auftreten zu erkennen und damit verhindern, daß sie zu Massenphänomenen werden.

Für die spezifischen Probleme einzelner Bewohnergruppen - Frauen, Kinder, Jugendliche, Senioren, Behinderte - gibt es sogenannte Zielgruppenbeiräte, und für bestimmte inhaltliche Aufgabenstellungen und reale Projekte - Neubau, Verkehr, Wohnumfeld etc. - sind Maßnahmenbeiräte eingerichtet. Diese Beiräte stellen eine Korrekturinstanz bei allen Planungen und Eingriffen dar. Wo immer sich spontane Mieterinitiativen bilden, ist die Wohnungsbaugesellschaft zu Aufmerksamkeit und zu sofortigem Dialog gefordert, denn jede spontane Organisation ist ein Seismograph für aktuelle und angestaute Problemlagen innerhalb der Bewohnerschaft.

Von den Mietern in Hellersdorf werden konkrete und differenzierte Wohnwünsche vorgebracht. Die Gesellschaft sieht es als ihre Aufgabe an, diese individuellen Wünsche ihrer Bewohnerschaft schrittweise zu realisieren. Dabei kommt es nicht in erster Linie auf generelle Planungen und allgemeine Standardanpassungen an das Niveau der westlichen Bundesländer an. Ansatzpunkte für Maßnahmen sind vielmehr die jeweiligen spezifischen Defizite und individuellen Ansprüche einer lokal

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begrenzten Bewohnerschaft - beispielsweise nach Telefonanschlüssen und Kabelfernsehen oder nach Instandsetzung der Treppenhäuser und Hauseingänge. Dort, wo die Bewohner ihre Prioritäten setzen, möchte die Gesellschaft beginnen und ihren Mietern die Umsetzung überprüfbarer und nachvollziehbarer Kurzziele liefern. Die Gesellschaft erlangt nur dann Glaubwürdigkeit bei ihren Kunden, wenn sie die versprochenen Maßnahmen auch in überschaubaren Zeiträumen verwirklicht.

Von den Bewohnern wird auch der Wunsch nach Eigentum an ihrer Wohnung geäußert. Die realistische Nachfrage übersteigt aber nicht mehr als 3 bis 5 % der Bewohnerschaft. Bei verringerten Preisen könnte man sich vielleicht eine Nachfrage von 8 bis 9 % vorstellen. Eine größere Nachfrage wird sich aber nicht von allein einstellen. Die Wohnungsbaugesellschaft erwägt daher andere Eigentumsformen - genossenschaftliches Eigentum oder Werkseigentum -, um den Privatisierungszwängen bei Inanspruchnahme des Altschuldenhilfegesetzes zu entsprechen. Umwandlungen einzelner Mietwohnungen in Eigentumswohnungen soll es nur in dem Umfang der entsprechenden realen Nachfrage geben.

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4.3 Mieterzufriedenheit und Imagepflege

Ein weiterer Aspekt, den die Wohnungsbaugesellschaft mit in ihren Aufgabenbereich einbezieht, ist die Imagepflege in den Großsiedlungen. Hier soll vor allem einer allzu schnellen Stigmatisierung durch die Medien vorgebeugt werden, und bei der Fachöffentlichkeit ist das vielfach undifferenzierte Wissen über die Siedlungen zu erweitern.

Schließlich ist die solide Information und Aufklärung der Bewohner über veränderte Wertesysteme im Wohnungswesen nach der Wende eine dringliche Aufgabe der Wohnungsbaugesellschaften. Wenn z.B. Mieterhöhungen anstehen, haben die Mieter das Recht auf deren verständliche Begründung. Ebenso müssen sie wissen, was Betriebskosten sind, wenn sie diese nun zu bezahlen haben. Veränderte Belegungsvorschriften müssen genau erläutert werden, denn es setzen schon erste Beschwerden ein, wenn über die Belegungsbindung eine veränderte Sozialstruktur entsteht.

Ein großer Teil der (Mieter-)Kundenwünsche ist nach Meinung der Wohnungsbaugesellschaften mit geringem finanziellem Aufwand zu erfüllen, und zum Teil sind es die Mieter auch selbst, die für die Realisierung ihrer Wünsche bezahlen können und wollen. Auf diese Weise kann relativ schnell und im gesamten Gebiet eine hohe

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Mieterzufriedenheit hergestellt werden. Anschließend können dann die bautechnischen, gestalterischen und städtebaulichen Problemen in Angriff genommen werden.

Eine funktionierende Wohnungswirtschaft kann jedoch nicht alle politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme der neuen Bundesländer lösen. Es ist Vorsicht geboten, wenn mit dem Auftragsvolumen einer Wohnungsbaugesellschaft gezielte lokale Wirtschaftsförderung betrieben werden soll. Dieser eine Wirtschaftssektor kann nicht allein eine tragfähige Grundlage für einen allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung bilden. Die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf möchte ihre Aufgabe so definieren: Zunächst ist mit geringen finanziellen Mitteln Mieterzufriedenheiten herstellen. Dann sind die Mieterhöhungspotentiale abzuschöpfen und zwar mit dem Ziel, eine höhere Wohnzufriedenheit zu schaffen, die auf umfangreicheren und kostenträchtigeren Maßnahmen beruht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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