FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 23 (Fortsetzung)]


3. Stuttgart-Möhringen und die „Neue Mitte" Oberhausen als deutsche Beispiele für neue Freizeit- und Konsumimmobilienkomplexe

Das Freizeit- und Erlebniscenter Stuttgart International (S.I.) in unmittelbarer Nähe zum Autobahnkreuz Stuttgart und zum Flughafen ist ein Beispiel für privatwirtschaftliche „Reißbrettplanung" im suburbanen Raum in Deutschland.

Das in den 60er Jahren in Möhringen erbaute und bis vor kurzem kaum nachgefragte Hotel Stuttgart International im Besitz des Musical-Veranstalters Deyhle bildete den Kristallisationspunkt für die Anlage. Ein erster Projektvorschlag für das Zentrum scheiterte im Jahr 1989 an der CDU-Stadtregierung. Von der schließlich doch erfolgten Einwilligung erhoffte man sich schließlich entgegen aller Bedenken einen Beitrag zur Verbesserung des Standortes Stuttgart.

So entstand das Freizeit- und Erlebniscenter Stuttgart International (S.I.) inklusive Musical Hall und Spaßbad. Es sollte „Phantasy World"-Elemente à la Disneyland beinhalten, gleichzeitig aber die städtische Auflage einer Anpassung der Neubauten an bereits vorhandene Strukturen - wie etwa das Hotel Stuttgart International - erfüllen. An der Projektrealisierung waren ca. 25 Planungsbüros beteiligt.

Das Ergebnis ist ein funktionaler, kühl anmutender Komplex mit wenig spektakulärer Architektur, der seine Zweckbestimmung bis auf die übergroße „Miss Saigon"-Musical-Werbung nach außen kaum zu erkennen gibt. Das Innenleben der Anlage übertrifft allerdings mit Themenrestaurants, Marktständen, Barockkulissen, einer astronomischen Uhr, künstlichen Felsenlandschaften und Höhlen, Badelagunen mit Saunen etc. alle architekturkritischen Maßstäbe. Das Gegenüber von nüchterner bzw. unscheinbarer Architektur und überladener Innengestaltung übersteigert bewußt den Gegensatz von Außen- und Innenwelt.

Bei der Realisierung des Centers wurden keine kulturellen Maßstäbe angelegt, sondern es zählte allein die Frage, ob die Anlage die wirtschaftlichen Erwartungen ihrer Inve-

[Seite der Druckausg.: 24]

storen erfüllen würde. Das Konzept scheint erfolgreich zu sein, wenn man die in jüngster Zeit wieder zunehmenden Buchungsraten in der Stuttgarter Kongreßhalle bzw. in den zahlreichen Hotels der Stadt als Indikator wählt.

Seit ihrer Eröffnung Ende 1994 ist die Anlage durch eine Spielbank, eine weitere Musical Hall mit 1.800 Sitzplätzen und einen Kinokomplex mit 6 Sälen erweitert worden. Die derzeit noch im Bau befindlichen „Erlebnisgastronomie"-Angebote sollen 1997 eröffnet werden. Insgesamt soll das S.I.-Zentrum einmal 2.000 Arbeitsplätze bereitstellen.

Unter städtebaulichen Aspekten bleibt Stuttgart-Möhringen allerdings eine „Vorort-Steppe" mit isolierten Baukörpern und zum Teil kaum aufeinander bezogenen Funktionen, die sich auch durch ein nachträgliches Zentrenkonzept kaum herstellen ließen.

Auch gegenüber der „Neuen Mitte" Oberhausen ist bereits massive Kritik laut geworden: „Das neue Oberhausen ist ganz anders und nennt sich CentrO. Ein britischer Developer nahm die Stadt der Kohlen- und Stahlkrise an die Hand und machte aus einer Industriebrache eine „Neue Mitte". Entstanden ist eine ins Dimensionslose überdrehte Scheinwelt. Europas größtes Kommerz- und Erlebnsizentrum" (Bauwelt, 1996: Titelblatt).

Im Jahr 1988 war eine kanadische Investorengruppe an der nordrhein-westfälischen Landesregierung mit ihren Plänen gescheitert, auf dem 93 ha großen ehemaligen Firmengelände des zu diesem Zeitpunkt bereits abgerissenen Thyssen-Stahlwerks einen riesigen Freizeitpark zu errichten. Die Stadt Oberhausen plante daraufhin allerdings, das Gelände - geographische Mitte der drei Stadtteile Alt-Oberhausen, Sterkrade und Osterfeld - mit einem anderen Großprojekt zu besetzen (Gatermann, 1996).

Der britische Developer Edwin D. Healey, dem die Investorengruppe Stadium-Group untersteht, hatte bereits in der Nähe von Sheffield - ebenfalls ein vom Niedergang betroffener Stahlort - ein erfolgreiches Mall-Projekt realisiert und erhielt nun den Zuschlag, in Oberhausen ein ähnliches, nur wesentlich größer dimensioniertes Objekt zu bauen. Stadium realisierte gemeinsam mit dem Co-Investor Peninsular & Oriental Steam Navigation Company (P&O) für insgesamt 2,4 Mrd. DM auf Basis eines von einem US-amerikanischen Architektenteam entwickelten Masterplans in zweijähriger Bauzeit das CentrO, eine überdimensionale Shopping Mall mit 70.000 m2 Verkaufsfläche für 243 Geschäfte und Gastronomiebetriebe sowie drei Kaufhäuser. Dazu kommen das außerhalb des Einkaufszentrums gelegene Kinocenter, die Großraumveranstaltungshalle „Arena", der Freizeitpark sowie 10.000 Parkplätze (Gatermann, 1996).

[Seite der Druckausg.: 25]

Kritiker äußern die Befürchtung massiver Kaufkraftverlagerungen aus den benachbarten Stadtvierteln. Die Stadt Oberhausen rechnet dort zwar tatsächlich mit Kundenverlusten, nimmt diese aber angesichts der erwarteten Umsätze im CentrO und der rund 10.000 Arbeitsplätze, die das Großprojekt geschaffen haben soll, in Kauf. Außerdem ist in den betroffenen Stadtvierteln - wie in der Vergangenheit auch - die Durchführung von Projekten zur Attraktivitätssteigerung des Einzelhandels vorgesehen, deren kompensierende Wirkungen allerdings von den Kritikern ebenso in Frage gestellt werden (General-Anzeiger vom 25.09.95 und 08.05.96). Als positiver Aspekt läßt sich hervorheben, daß die „Neue Mitte" Oberhausen das größte realisierte Revitalisierungsprojekt einer Industriebrache an einem zentralen Standort in Deutschland darstellt.

Die vergleichsweise schnelle Realisierung des Großprojektes basiert auf der Zusammenarbeit der Stadt Oberhausen mit dem Developer. Die Stadt schuf die notwendigen verwaltungstechnischen Voraussetzungen und die notwendige infrastrukturelle Anbindung des Projektgeländes. Der Developer übernahm dafür den Bau der gesamten Infrastruktur auf dem Gelände selbst, die er nach Fertigstellung der Stadt überantwortete. Außerdem verpflichtete er sich zur Planung eines Freizeitparks, einer Großveranstaltungshalle sowie eines das Einkaufszentrum umgebenden Büro- und Gewerbeparks (Gatermann, 1996).

Im Gegensatz zu den geschilderten Entwicklungen der edge cities in den USA können entsprechende europäische Siedlungsprojekte im suburbanen Raum also nicht auf gänzlich unstrukturierte (Frei-) Räume zurückgreifen, sondern müssen sich an vorhandene Strukturen anpassen - wie beispielsweise auch die Projekte der IBA Emscher Park zeigen - oder zumindest in eine Rahmenplanung eingebunden werden. Die realisierten Konzepte des vorgestellten Freizeit- und Erlebniscenters Stuttgart International und der „Neuen Mitte" Oberhausen können allerdings auch in Deutschland als Tendenz zur Betonung von Repräsentation und neuen Verkaufsstrategien in symbolisch noch unbesetzten „künstlichen Welten" interpretiert werden. Die alten, sozial und wirtschaftlich „belasteten" Zentren der Kernstädte werden zurückgelassen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

Previous Page TOC Next Page