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TEILDOKUMENT:


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3. Personalpolitik mit Fremdpersonal

3.1 Einsatz von Fremdpersonal in der Bauwirtschaft - Bericht aus der Praxis

Der hohe Konkurrenzdruck durch Bauunternehmen aus anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft und Osteuropas und der Zustrom billiger Arbeitskräfte aus diesen Ländern haben in der Bauwirtschaft zu einer besonders massiven Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnis-se geführt. Aber auch aufgrund ihres besonderen Produktionsprofiles ist die Baubranche ein bevorzugtes Einsatzgebiet äußerst unsicherer und bedenklicher Beschäftigungsverhältnisse: Befristete Arbeitsverhältnisse, Saisonarbeit, Leiharbeit [ Fn.1: Leiharbeit ist in der Baubranche im allgemeinen verboten. Sie findet in verdeckter Form durch den Einsatz von Subunternehmen statt. Seit kurzem ist es jedoch Bauunternehmern, die Beitrage an die Sozialkasse (siehe unten) der Bauwirtschaft zahlen, gestattet, untereinander Leiharbeiter auszutauschen.] und Scheinselbständigkeit kumulieren hier. Personalpolitik mit Fremdpersonal gilt als "normal". Auch der Mißbrauch in Form von Schwarzarbeit bzw. illegaler Leiharbeit ist weit verbreitet.

Der sächsische Landesvorsitzende der IG Bauen, Agrar, Umwelt berichtete über abenteuerliche prekäre Arbeitsverhältnisse in der betrieblichen Praxis: Es sei bereits jetzt ein Trend zu beobachten, demzufolge die großen Baukonzerne sich mehr auf das Baumanagement verlagerten. Die Aufträge würden zunehmend in viele kleine Aufträge unterteilt, die dann mit Subunternehmen realisiert würden. Diese Struktur der Baubetriebe führe zu einer ausgeprägten Unübersichtlichkeit. So seien in den 7195 Betrieben des Bauhaupt- und Baunebengewerbes in Sachsen nur in 2686 Betrieben mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt. Insgesamt existierten nur 600 Betriebsräte. Die Folge dieser Struktur seien Leistungsmißbrauch in den verschiedensten Formen und ein enormer Abbau des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates und der Arbeitnehmer. Aufgrund der großen Anzahl von Subunternehmen sei es dem Betriebsrat unmöglich, festzustellen, ob er tatsächlich über alle Neueinstellungen informiert worden ist, von den Kündigungen ganz zu schweigen:

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  • Es sei keine Seltenheit, daß Arbeitnehmer in kleineren Betrieben ohne einen schriftlichen Arbeitsvertrag beschäftigt würden. Bei genauerem Überprüfen könne man feststellen, daß es sich in den meisten Fällen um eine Briefkastenfirma handele. In diesen Fällen würden meist keine steuerlichen bzw. sozialversicherungspflichtigen Abgaben gezahlt.

  • Vor allem in kleinen Unternehmen würden auf abenteuerlichste Art und Weise Arbeitsverhältnisse beendet. In den meisten Fällen würde den Arbeitnehmern nur mündlich gekündigt. Tarifliche bzw. gesetzliche Kündigungsfristen spielten dabei so gut wie keine Rolle.

  • Man ginge neuerdings dazu über, befristete Arbeitsverträge für bestimmte Bauvorhaben abzuschließen. In den meisten Fällen rekrutierten die Baubetriebe die Arbeitnehmer vom Arbeitsamt und schickten sie nach der Bau-Realisierung wieder dorthin zurück. Durch solche Praktiken werde Berufserfahrung vergeudet. Teamarbeit könne gar nicht erst entstehen. Die Bereitschaft der Arbeitnehmer, sich mit dem Betrieb zu identifizieren und sich dementsprechend zu engagieren, sei kaum gegeben. Die Betriebe stellten sich nur noch "Olympiamannschaften" zusammen. Arbeitnehmer, die älter als 50 Jahre seien, hätten keine Chance auf Neueinstellung.

Er wies auf die Konkurrenz durch Arbeitnehmerströme aus Ost- und Westeuropa hin, in denen der Gewerkschaftsvertreter eine immense Gefahr für die Arbeitsplätze einheimischer Bauarbeiter sah. Für einen bundesdeutschen Arbeitnehmer sei es unmöglich, in Konkurrenz zu EG-Arbeitnehmern zu bestehen, die ihre Lohnforderungen an die in ihrem Heimatland üblichen Lebensstandards anpaßten.

Wegen der Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt erklärten sich die Arbeitnehmer zu schnell bereit, Abstriche von den gegebenen gesetzlichen und tariflichen Regelungen zu machen. Die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes würden mißachtet, obwohl sie bereits sehr großzügig seien. Arbeitstage von mehr als zwölf Stunden seien keine Seltenheit, auch am Wochenende. Gravierender noch seien die zunehmenden Verstöße gegen

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Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen. So habe es in Sachsen in diesem Jahr allein zwölf tödliche Unfälle auf dem Bau gegeben.

Durch die unübersichtlichen Beschäftigungsverhältnisse in der Bauwirtschaft seien dem Mißbrauch in Form von Lohnsteuerhinterziehung und Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen an die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung Tor und Tür geöffnet. Auch die tarifvertraglich vereinbarten Sozialkassen [ Fn.2.: In die Sozialkassen zahlen die Arbeitgeber einen bestimmten Prozentsatz des gesamten Bruttolohnes ihrer gewerblichen Arbeitnehmer. Diese Beiträge werden unter anderem zur Finanzierung der Urlaubsvergütung und der Alterszusatzversorgung (nur in den alten Bundesländern) sowie auch als teilweisen Ersatz für das weggefallene Schlechtwettergeld verwandt. Eine Möglichkeit, die Sozialkassen zu umgehen, von der neuerdings vermehrt Gebrauch gemacht wird, besteht darin, die gewerblichen Arbeitnehmer in Angestellte umzudeklarieren.] der Bauwirtschaft als stabilisierender Faktor für dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse würden in ihrer Existenz gefährdet. Gerade sie aber hätten in entscheidendem Maße dazu beigetragen, der Baubranche den Saison- und Tagelöhnercharakter zu nehmen. Ihr Fortbestand müsse unbedingt gesichert werden. Darüber hinaus sah der Gewerkschaftsvertreter es für zwingend erforderlich an, das weitreichende Verbot der Leiharbeit am Bau aufrechtzuerhalten und die Entsenderichtlinie am Bau möglichst schnell umzusetzen.

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3.2. Formen des Einsatzes von Fremdpersonal: Leiharbeit, Werk- und Dienstvertragsverhältnisse, freie Mitarbeit und Scheinselbständigkeit

Leiharbeit, Werk- und Dienstvertragsverhältnisse, freie Mitarbeit und Scheinselbständigkeit gehören zu den Beschäftigungsformen, die man als den Einsatz von Fremdpersonal in Unternehmen beschreiben könnte. Der Vertreter der Hochschule für Wirtschaft und Politik, Hamburg zeigt die folgenden drei Möglichkeiten eines Unternehmens auf, Fremdpersonal einzustellen:

  1. zunächst können Unternehmen Fremdfirmen mit der Verrichtung bestimmter Tätigkeiten beauftragen, die ihr eigenes Personal zur Erledigung des Auftrags einbringen. Dies ist der klassische Einsatz von Fremdpersonal und geschieht in der Regel auf Basis eines Werk- oder Dienstvertrags. Bis auf die Bauwirtschaft wird diese

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    Form nicht unbedingt zur Kategorie prekärer Beschäftigungsverhältnisse gezählt. Wie auch der obige Bericht aus der Praxis gezeigt hat, werden in der Bauwirtschaft jedoch heute bei jedem größeren Bauvorhaben zahlreiche Sub- und Sub-Subunternehmen eingeschaltet, die oft illegales Personal mitbringen. Das sind Arbeitnehmer, die nach dem Fall des eisernen Vorhangs ungehindert aus den osteuropäischen Ländern rekrutiert werden können.

  1. Die zweite Form des Fremdpersonaleinsatzes betrifft das 1-Personen Unternehmen, die kleinste Form des Subunternehmertums. Es handelt sich um ein Engagement einzelner Personen, die als Selbständige ihre Dienste anbieten und in eigener Person und auf eigene Rechnung tätig werden, ebenfalls auf Basis eines Werk- oder Dienstvertrags.

  2. Schließlich ist der Einsatz von Leiharbeitskräften zu nennen, die bei einer Verleihfirma geordert werden können.

Der Einsatz von Fremdpersonal in Gestalt einzelner Selbständiger oder von Leiharbeitskräften wird in der Öffentlichkeit von vielen Seiten, insbesondere von Gewerkschaftsseite, häufig negativ bewertet. Nicht viel besser ist das Image von Selbständigen, wenn sie als 1-Personen-Betrieb auftreten. Man redet hier von "Scheinselbständigkeit", was ja bereits andeutet, daß ihre Selbständigkeit nur vorgetäuscht ist.

Von daher werden Leiharbeit und Scheinselbständigkeit immer in einem Atemzug genannt, wenn von prekären Beschäftigungsverhältnissen die Rede ist.

Der schlechte Ruf dieser Beschäftigungsformen kommt zunächst einmal daher, daß sie eindeutig mit einer bestimmten Personalpolitik identifiziert werden, die auf eine Senkung von Arbeitskosten und eine Verlagerung von Arbeitsrisiken weg von den Unternehmen hin zu den Beschäftigten abzielt, und zum anderen mit prekären Beschäftigungsbedingungen verbunden sind.

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3.3 Betriebliche Gründe für den Einsatz von Fremdpersonal

Die Personalpolitik mit Selbständigen und Leiharbeitskräften hängt eng zusammen mit der Veränderung betrieblicher Organisationsstrukturen, die mit dem Schlagwort "lean production" oder schlanke Produktion gekennzeichnet werden. Zur Erreichung eines schlanken Betriebs wird eine umfassende Reduktion auf die sogenannten betrieblichen Kernaufgaben vorgenommen, z.B. durch eine Verringerung der Fertigungstiefe, die Vergabe von vor- und nachgelagerten Dienstleistungen oder ihre Auslagerung und Beauftragung von Fremdfirmen. Die Reduzierung des Stammpersonals durch solche Auslagerungsstrategien wird auch "Out-Sourcing" genannt.

Der Referent betonte, daß es sich hier nicht um eine bundesdeutsche Besonderheit der Personalpolitik handelt, sondern um ein globales Phänomen, das unter dem Schlagwort flexible Beschäftigungspolitik seit den 80er Jahren in allen kapitalistischen Industrienationen aufgetreten ist. [ Fn.3: Im historischen Rückblick lassen sich Parallelen aufzeigen. So hat es z.B. nach der Weltwirtschaftskrise 1929 einen starken Anstieg der Selbständigen gegeben. Dazu gehörten Schuhputzer, Kohlenschlepper und Schnürsenkelverkäufer. In den 30er Jahren sprach der Soziologe Geiger vom „proletaroiden Selbständigen".] Das vermehrte Auftreten dieser Beschäftigungsformen wird mit der Notwendigkeit des Erhalts internationaler Konkurrenzfähigkeit von Standorten legitimiert. Die gemeinsame Grundlage bei dieser Flexibilisierung der Personalpolitik ist eine Strategie der Personalkostenminimierung. Die Vorteile für die Unternehmen durch den Verzicht auf eigenes Personal und den Ersatz durch Fremdpersonal liegen auf der Hand:

  • Durch die Beauftragung von Selbständigen und Leiharbeitskräften für die Erledigung betrieblicher Teilaufgaben entfallen bestimmte direkte Kosten wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und während des Urlaubs, Lohnnebenkosten für die Sozialversicherung und für betriebliche Sozialleistungen sowie indirekte Kosten wie für Kündigungsverfahren etc.

  • Bei Leiharbeitskräften stellt sich als weiterer Vorteil dar, daß die Verleihagenturen entsprechendes Personal vorhalten, das dann auf Abruf und je nach den betrieblichen Notwendigkeiten etwa bei Auftragsspitzen zur Verfügung steht. Das ermöglicht

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  • dem Unternehmen eine flexible Anpassung an das jeweils notwendige Arbeitsvolumen.

Im folgenden sollen zwei Formen des Einsatzes von Fremdpersonal, Leiharbeit und Scheinselbständigkeit, näher beleuchtet werden.

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3.4 Leiharbeit

3.4.1 Gesetzliche Regelungen der Leiharbeit

Leiharbeit gibt es in der Bundesrepublik seit 1967, nachdem das BVerfG ihr ursprüngliches Verbot wegen Verstoß gegen das Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit aufgehoben hat. Leiharbeit soll dann keine verbotene Arbeitsvermittlung sein, wenn bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden wie z.B. die feste Anstellung der Leiharbeitskräfte bei einer Leihfirma. Dann sollte der Abstand zur bloßen Arbeitsvermittlung, die sich damals noch im Monopol der Bundesanstalt befand, hinlänglich gewährt sein.

Leiharbeit hat also einen sehr engen Bezug zur Arbeitsvermittlung. Die Verleihfirmen offerieren ihre arbeitsuchende Klientel, lassen sich diese Vermittlungstätigkeit von ihren Kunden, den sogenannten Entleihern, jedoch bezahlen. Im Gegensatz zu den Vermittlungsstellen der Arbeitsämter müssen sie jedoch mit ihrer Klientel ein Arbeitsverhältnis abschließen und haben ihr gegenüber sämtliche Arbeitgeberfunktionen wie die Lohnzahlungspflicht und die Beitragspflichten gegenüber der Sozialversicherung. Eine zentrale Arbeitgeberfunktion üben sie jedoch nicht aus: die Weisung zur Ausübung der konkreten Arbeitsleistung. Diese Funktion wird vielmehr von den Entleihern wahrgenommen.

Diese Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen führt in der Praxis immer wieder zu Problemen, deren Leidtragende überwiegend die Leiharbeitskräfte sind. Zwar hat das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) detaillierte Verhaltensregeln aufgestellt, die von den Akteuren dieses Dreiecksverhältnisses zu beachten sind. So ist die Verleihtätigkeit grundsätzlich erlaubnispflichtig, die Überlassungsdauer von Leiharbeitskräften auf 9 Monate beschränkt, eine Befristung der Arbeitsverhältnisse auf den Zeitraum der Überlassung verboten, der Entleiher in der Mithaftung

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für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und die Leiharbeitskraft nicht verpflichtet, einem Einsatz in bestreikte Betriebe Folge zu leisten. Und unter Umständen ergibt sich sogar ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher, wenn sich in der rechtlichen Dreiecksbeziehung bestimmte Risse auftun.

Das Verleihgewerbe ist also eines der Gewerbe in der BRD, das ziemlich stark reguliert ist aufgrund negativer Erfahrungen aus der kurzen unregulierten Anfangsphase zwischen 1967 und 1972. Mit dem Verbot der Leiharbeit in der Bauwirtschaft ist diese Regulierungsdichte Anfang der 80er Jahre eher noch verstärkt worden, wobei dieses Verbot 1994 allerdings wieder gelockert worden ist. Nach wie vor dürfen jedoch private Verleihagenturen keine Leiharbeitskräfte in die Bauwirtschaft entsenden, für den Referenten ein deutliches Zeichen dafür, wie gefährdet gerade diese Branche durch den Einsatz von Leiharbeitskräften ist.

3.4.2 Umfang und Struktur der Leiharbeit

Die Zahl der Leiharbeitskräfte ist stark konjunkturabhängig. Seit Anfang der 90er Jahre wurden am jeweiligen Stichtag 30.6. im Schnitt 130 Tsd. Leiharbeitsverhältnisse pro Jahr gezählt. Die Durchschnittszahlen sind damit in den 90er Jahren deutlich höher als in den 80er Jahren. 1994 wurden fast doppelt so viele Leiharbeitsverhältnisse wie 1987 gezählt.

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Möglicherweise wird diese Zahl trotz der schlechten wirtschaftlichen Situation noch zunehmen, da seit 2 Jahren das Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit gänzlich entfallen ist und die Verleihagenturen als erste in den neuen Markt der privaten Vermittler gedrängt sind. Dank ihrer vorhandenen Infrastruktur und der ähnlichen Aufgaben waren sie natürlich bestens gerüstet, auf diesem neuen Markt aktiv zu werden. Selbst wenn die Vermittlungserfolge dieser jungen Branche mit 15 Tsd. Vermittlungen in 1995 noch recht bescheiden waren, haben die traditionellen Verleihagenturen damit jedoch zwei Sparten an der Hand und können ihre arbeitsuchende Klientel sowohl in ein festes Arbeitsverhältnis als auch in ein Leiharbeitsverhältnis vermitteln.

Nach Angaben des Bundesverbandes für Zeitarbeit e.V. (BZA) weisen die Leih- oder Zeitarbeitsunternehmen folgende Strukturmerkmale auf:

Es ist auffällig, daß ein Großteil der Beschäftigten noch sehr jung ist. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer sind unter 30, weitere 30% sind zwischen 31 und 40 Jahren. Knapp 20% der Arbeitnehmer sind der Kategorie "ältere Arbeitnehmer" bis 60 Jahre zuzuordnen.

Der Anteil der Frauen an den Beschäftigten beträgt etwa 20%. Die meisten von ihnen sind als Büro- und Verwaltungskräfte tätig. Bei den männlichen Zeitarbeitnehmern überwiegt eine gewerbliche Ausbildung wie Facharbeiter- oder Handwerkerausbildung.

Leih- bzw. Zeitarbeitnehmer weisen nach Darstellung des BZA ein überdurchschnittliches Qualifikationsniveau auf. 80% besitzen eine Ausbildung, 12% sind nur angelernt bzw. ungelernt. Insgesamt 8% aller Zeitarbeitnehmer haben einen universitären Abschluß.

3.4.3 Prekarität von Leiharbeitsverhältnissen

Die Prekarität von Leiharbeitsverhältnissen liegt für den Vertreter der Hochschule für Wirtschaft und Politik, Hamburg in folgenden Strukturen:

  • Leiharbeitsverhältnisse sind mitnichten Dauerarbeitsverhältnisse, sondern relativ kurz und zwar im Durchschnitt so lange, wie der jeweils gerade gesetzlich zulässige Überlassungszeitraum ist. Er betrug viele Jahre 6 Monate. Ebenso lang war die

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    Durchschnittdauer von Leiharbeitsverhältnissen. Im Augenblick beträgt der zulässige Überlassungszeitraum 9 Monate und so dürfte sich die Dauer der Arbeitsverhältnisse entsprechend höher einpendeln. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (ÄUG) verbietet zwar eine Befristung auf den Überlassungszeitraum; es verbietet allerdings nicht, daß Arbeitsuchende "freiwillig" nur einen Fristvertrag schließen wollen. Diese Möglichkeit machen sich die Verleiher zunutze und verbreiten entsprechende "Anregungen". Eine Kontrolle findet so gut wie nicht statt, da in Verleihagenturen nur sehr selten Betriebsräte existieren. Das Fehlen von Betriebsräten in den meisten Verleihfirmen und damit das Fehlen einer entsprechenden Kontrolle kann zwar z.T. dadurch wettgemacht werden, daß die Betriebsräte in den Entleihfirmen ausdrücklich auch für die Leiharbeitskräfte zuständig sind, allerdings natürlich nur, soweit der Einsatz in ihrem Betrieb berührt wird. Als bloß temporär beschäftigte Gruppe erfahren die Leiharbeitskräfte jedoch häufig nicht die Aufmerksamkeit wie das jeweilige Stammpersonal.

  • Die Bezahlung der Leiharbeitskräfte liegt weitgehend im Ermessen der Verleihagenturen. Eigene Tarifverträge bestehen nicht. Die DGB-Gewerkschaften haben bislang jede Tarifverhandlung mit den Verleiharbeitgebern abgelehnt, obwohl der Verband der Zeitarbeit seit Jahren entsprechende Vorstöße unternommen hat. Der DGB sieht nach wie vor in der Leiharbeit eine sozial nicht akzeptable Beschäftigungsform und lehnt deshalb jede Kooperation mit der Begründung ab, diesen Gewerbezweig nicht salonfähig machen zu wollen. Das Arbeitsentgelt der Leiharbeitskräfte liegt deutlich unter dem Arbeitsentgelt der Stammarbeitskräfte in den jeweiligen Entleihfirmen, mit denen sie zusammenarbeiten müssen, etwa 30% bis 40% unter dem Tariflohn. Der Lohnunterschied führt innerhalb der Unternehmen zu einer Konkurrenzsituation, die für das Betriebsklima nicht zuträglich ist. Aus wettbewerbspolitischer Sicht, so die Vertreterin des DGB, führe er zu einer bedenklichen Segmentierung des Arbeitsmarktes.

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3.4.4 Leiharbeit aus Sicht des Verbandes für Zeitarbeit e.V.

Dieser negativen Einschätzung der Leih- bzw. Zeitarbeit setzt der Vertreter des Bundesverbandes für Zeitarbeit e.V. (ZAV) - zusätzlich zu den bereits genannten Vorteilen aus Arbeitgebersicht - folgende Argumente entgegen:

In kaum einem anderen Unternehmen würden die Arbeitnehmer so viel Schutz genießen wie in den Leiharbeitsunternehmen. Sie unterstünden der Kontrolle der Bundesanstalt für Arbeit und könnten dort auch ihre Rechte einklagen.

Aus Sicht der Arbeitnehmer sei das Arbeitsverhältnis nicht begrenzt. Das Zeitarbeitsunternehmen habe ein betriebswirtschaftliches Interesse daran, die Arbeitnehmer durchgehend zu vermitteln, da es auch bei Nichtbeschäftigung das Gehalt zahlen müsse.

Darüber hinaus sei die arbeitsmarktpolitische Bedeutung der Leiharbeit nicht zu unterschätzen. Die amtlichen Zahlen zeigten: In den letzten drei Jahren sind in der Zeitarbeit insgesamt 987.000 Menschen beschäftigt gewesen, teilweise vorübergehend. Über 60% der Beschäftigten waren vorher ohne Beschäftigung. Etwa 30% wurden von den entleihenden Arbeitgebern auf Dauer übernommen. 10% der Beschäftigten der Leiharbeit sind ehemals Langzeitarbeitslose. Den Berufsrückkehrern, die immerhin 10% der Beschäftigten ausmachten und deren Ausbildungsstand nicht mehr zeitgemäß ist, werde ein training-on-the-job geboten, das sie auf dem Arbeitsmarkt wieder attraktiv mache. Im amtlichen Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes stehe: "Die legale Arbeitnehmerüberlassung hat sich zur Deckung des kurzfristigen Arbeitsbedarfs erneut bewährt. Sie leistet einen, allerdings kleinen, Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Sie bewegt sich in geordneten Bahnen".

Den Lohnunterschied begründet der Verband der Zeitarbeit wie folgt:

"Die Zeitarbeitnehmer sind häufig nur kurzfristig und auf ständig wechselnden Arbeitsplätzen eingesetzt und verfügen deshalb im Vergleich zu Arbeitnehmern außerhalb der Zeitarbeit über geringeres Insider-Wissen. Außerdem ist zu bedenken, daß die Zeitarbeitnehmer häufig zu den Brutto-Arbeitsentgelten steuerfreie Zusatzvergütungen erhalten wie Fahrtkostenzuschüsse und Tagegelder."

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3.4.5 Handlungsansätze

Die Grundidee, mehrere kurzfristige Personalbedarfe verschiedener Betriebe zu einem regulären Arbeitsplatz zusammenzufassen, wird von vielen nicht nur akzeptiert, sondern auch begrüßt. "An der Philosophie ist überhaupt nichts auszusetzen", so der brandenburgische Staatssekretär. Jedoch habe sich in der Praxis gezeigt, daß es viel zu viele schwarze Schafe gibt, die sich an gesetzliche Bestimmungen nicht halten. Ein sinnvoller Ausweg wäre hier eine freiwillige Selbstverpflichtung der Zeitarbeitsunternehmen, sich an ein bestimmtes Regelwerk zu binden.

In den Augen eines Wissenschaftlers des DIW stellen die Probleme der niedrigen Entlohnung und der mangelnden gewerkschaftlichen Organisationder Leiharbeitskräfte, die in der Praxis auftreten, keine unüberwindbaren Schwierigkeiten dar. Das Hauptproblem liege darin, daß keine Einzelgewerkschaft explizit für die Arbeitnehmer der Leiharbeit zuständig sei, da sie aus vielen verschiedenen Branchen kommen. Die Zuständigkeit habe daher der DGB insgesamt. Der schließe wiederum keine Tarifverträge ab. Wenn man sich grundsätzlich damit abfinde, daß der Zeitarbeit etwas Positives abzugewinnen ist, sollten die Gewerkschaften hier innovative Lösungen suchen.

Der Vertreter der Zeitarbeit e.V. unterstreicht in diesem Zusammenhang noch einmal die Rolle der privaten Vermittler. Er tritt dem Vorwurf entgegen, die privaten Vermittler schafften keine Arbeit. Die Personalberatung leiste einen wichtigen Beitrag zur sozialverträglichen Befriedigung der Nachfrage nach Arbeit und sollte daher vermehrt in Anspruch genommen werden. Für die Zeitarbeitnehmer könne viel erreicht werden, wenn der Dialog zwischen Personaldienstleistern und Gewerkschaften wieder aufgenommen würde.

Die Vertreterin der Gewerkschaften erkennt die Leistung an, daß viele kurzfristige Personalbedarfe verschiedener Betriebe in gerechte, sozial abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse überführt werden. Jedoch sei nicht einzusehen, daß die Arbeitsvermittlung kommerziell betrieben werde, da es doch bereits eine gut ausgebaute, von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermaßen finanzierte Arbeitsvermittlung gebe. Außerdem gebe es andere Alternativen zur gewinnorientierten Arbeitsvermittlung wie etwa das Start-Modell. Der DGB-Landesbezirk Sachsen-Anhalt

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unterstützt zur Zeit ein Modellprojekt, bei dem über eine Dienstleitungsagentur Interessen von Beschäftigten nach abgesicherten Arbeitsplätzen und von privaten Haushalten nach stundenweisen Bedarfen verbunden werden sollen. Eine gesetzliche Regelung sei erforderlich, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Die sozial- und arbeitsmarkt-politischen Gestaltungsmöglichkeiten einer solchen gesetzlichen Neuordnung seien noch längst nicht ausgeschöpft.

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3.5 Scheinselbständigkeit (abhängige Selbständigkeit)

3.5.1 Begriff der Scheinselbständigkeit

Der Vertreter der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik führte aus, daß die Personalpolitik mit Selbständigen in bestimmten Bereichen eine lange Tradition hat. Vor allem bei Presse, Rundfunk und Fernsehen ist diese Form unter dem Stichwort freie Mitarbeit weit verbreitet und vom BVerfG heute als Instrument der Rundfunkfreiheit höchstrichterlich abgesegnet, nachdem es bis in die 70er Jahre hinein zahlreiche Statusklagen gegeben hatte, in denen für die Betroffenen ein abhängiger Arbeitnehmerstatus anerkannt wurde.

Mittlerweile ist die „abhängige" Beschäftigung von Selbständigen jedoch brachenunabhängig und als Beschäftigungsform in allen Wirtschaftsbereichen anzutreffen. Das Beispiel der freien Mitarbeiter im Medienbereich zeigt bereits, worum es bei dem Begriff der Scheinselbständigkeit geht: Es handelt sich hier um Personen, die formal als Selbständige engagiert und beschäftigt werden, von ihrer materiellen Lage und der Gestaltung ihrer Tätigkeit jedoch eher einem abhängigen Arbeitnehmer gleichen. In Frankreich spricht man von "travailleurs independants", in England bezeichnet man die Personengruppe als "controlled self-employed". Deutlich wird immer, daß die Personen eine Zwitterstellung zwischen Selbständigen und abhängigen Arbeitnehmern einnehmen.

Das geltende Recht bietet den Unternehmen zwei Vertragstypen zur freien Auswahl bei der Rekrutierung von Personal an: den Arbeitsvertrag für die Einstellung von Arbeitnehmern und den Dienst- oder Werkvertrag für die Beschäftigung von Selbständigen. Da die Einstellungs- und Beschäftigungshoheit beim Arbeitgeber liegt, steht es auch in seinem Er-

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messen, welchen Vertragstypus er wählt. Da die gesetzliche Typisierung der Vertragsinstrumente eher allgemein umschrieben und nicht besonders trennscharf ist, ergeben sich die Probleme erst später bei der Ausführung der Vertragsverhältnisse.

Dann spätestens stellt sich heraus, ob die betreffende Person weisungsungebunden ist und frei über Arbeitszeit und Arbeitsmodalitäten bestimmen kann (Indiz für Selbständigkeit) oder ob sie in diesen Punkten an Weisungen des Auftraggebers gebunden ist (Indiz für Arbeitnehmereigenschaft). Die Rechtsprechung hat dazu zwar eine Reihe von Abgrenzungskriterien entwickelt, die für die Einordnung der Vertragsverhältnisse hilfreich sind. Davon wird in der Regel erst nachträglich Gebrauch gemacht, wenn in der Vertragsbeziehung Schwierigkeiten auftreten.

Ein gemeinsames Problem bei einzelnen Selbständigen besteht darin, daß nicht nur ihr Einkommen erheblichen Schwankungen ausgesetzt ist, was ja ein typisches Risiko der Selbständigkeit darstellt. Ein weitaus größeres Problem besteht vielmehr darin, daß viele dieser Selbständigen von einem einzelnen Auftraggeber abhängig sind, teilweise durch Exklusivklauseln an diesen gebunden werden und dadurch in ihrer unternehmerischen Dispositionsfreiheit erheblich eingeengt sind. Sie können ihre Dienste nicht allgemein auf dem Markt anbieten und so eine gewisse Risikostreuung vornehmen. Das hat zur Folge, daß sie sofort in eine ökonomische Krise geraten, wenn der Auftraggeber wegbricht. Formal sind sie also selbständig, materiell jedoch weisungsgebunden.

3.5.2 Erscheinungsformen und Umfang der Scheinselbständigkeit

Die Erscheinungsformen abhängiger Selbständigkeit ergeben ein buntes Bild. Sie sind nicht auf einzelne Bereiche oder Branchen beschränkt, sondern erstrecken sich über zahlreiche Berufsgruppen: die Selbständigen werden dabei zum einen für Tätigkeiten eingesetzt, die nicht unbedingt im Betrieb eines Unternehmens erbracht werden müssen, sondern typischerweise ausgelagert sind oder ausgelagert werden können. Zum anderen werden sie aber auch im Betrieb eingesetzt, wenn bestimmte Tätigkeiten von der Kernbelegschaft abtrennbar sind.

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Zur ersten Gruppe der ausgelagerten Tätigkeiten gehört von alters her der Außendienst, für den bereits das HGB seit über 100 Jahren den Typ des selbständigen Handelsvertreters anbietet. Hier findet sich nach wie vor die einzige gesetzliche Definition des Selbständigen (§ 84 HGB), aus der im Umkehrschluß die Kriterien für den Arbeitnehmerbegriff abgeleitet werden, der seinerseits nirgends gesetzlich geregelt ist. Für die Versicherungsbranche hat der Gesetzgeber sogar den Typus des abhängigen Selbständigen in Gestalt des Einfirmenvertreters (92a HGB) akzeptiert. Per Definition sind das Personen, die vertraglich an ein Versicherungsunternehmen gebunden sind und deren wirtschaftliche Existenz allein von diesen Unternehmen abhängt. Sie werden vom Gesetzgeber deshalb jedoch nicht etwa der Gruppe der Arbeitnehmer zugeschlagen, sondern den Selbständigen, lediglich mit der Maßgabe versehen, daß der Bundesminister für Arbeit für sie Mindestarbeitsentgelte per Rechtsverordnung festlegen kann. Das ist bislang niemals geschehen und ist nach Einschätzung des Referenten wohl auch in Zukunft nicht zu erwarten, da gesetzliche Mindestentgelte für die gegenwärtige Bundesregierung einen ordnundspolitischen Sündenfall darstellen, wie man bei der jetzt erhobenen Forderung nach gesetzlichen Mindestlöhnen nach dem gescheiterten Tarifkompromiß beim Entsendegesetz sehen könne.

Abhängige Selbständige finden sich ferner im Bereich des gewerblichen Güterkraftverkehrs, bei sogenannten selbstfahrenden Unternehmen oder Kurierdiensten. Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren ihre Fuhrparks aufgelöst und ihren Fahrern den Weg in die Selbständigkeit als Alternative zur Arbeitslosigkeit schmackhaft gemacht, indem sie ihnen die alten Fahrzeuge mit großzügigen Rabatten und Krediten verkauften. So fahren viele heute noch denselben LKW für dieselbe Firma - nur auf eigenes Risiko als Selbständige.

Die neue Selbständigkeit ist auch in der Medienindustrie zu finden, wo sie als Tele-Heimarbeit verbreitet ist. Sie hat vor allem Frauen erfaßt, denen sich keine sonstige Alternative zur Arbeitslosigkeit bietet.

Zur zweiten Gruppe der abgespaltenen Einzeltätigkeiten innerhalb der Unternehmen gehören zunächst einmal die verschiedenen Gewerke in der Bauwirtschaft. Hier finden sich einzelne Selbständige als Eisenflechter, Abbrucharbeiter, Baumaschinenführer, Schweißer, Fenstereinbauer etc. Im Baubereich setzte ein wahrer Boom der Selbständigen mit dem Zeitpunkt ein, als der Einsatz von Leiharbeitskräften untersagt wor-

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den war. Die Beschäftigung von Selbständigen erschien dabei als ein Ausweg, um die Kostenvorteile gegenüber fest beschäftigten Bauarbeitern zu retten. Verbreitet ist die Beschäftigung von Selbständigen auch in der Ernährungsindustrie, etwa als Fleischzerleger, Schlachter und Ausbeiner im Schlachthöfen. Im Einzelhandel werden selbständige Propagandistinnen vor allem in großen Kaufhäusern beschäftigt. Weiter finden sich einzelne Selbständige im Bereich des Reinigungsgewerbes, im Messebereich, Gartenbau und der Gastronomie.

Der quantitative Umfang von Scheinselbständigkeit ist nur schwer einzuschätzen. Die Zahlen schwanken zwischen 600000 und 1,2 Mio. Genauer läßt sich die Anzahl von Ein-Personen-Unternehmen feststellen. Nach dem Mikrozensus 1993 betrug sie in den alten Bundesländern 1,2 Mio., das sind 4,1% der dortigen Erwerbstätigen. In den neuen Bundesländern betrug sie 120000, das sind 2% der Erwerbstätigen. Unter Abzug der Ein-Personen-Unternehmen in der Landwirtschaft kommt man auf eine Zahl von 900 Tsd. Ein-Personen-Unternehmen in den alten Bundesländern, die jedoch nicht alle scheinselbstädig sein müssen. Bei dieser Zahl kann es sich also nur um eine erste Annäherung an den tatsächlichen Umfang der Scheinselbständigkeit handeln. Ein anderer Schätzweg besteht darin, den Anteil der Selbständigen, deren Nettoeinkommen unter der durchschnittlichen Netto-Lohn- und Gehaltssumme eines Arbeitnehmers liegt, an den Selbständigen zu eliminieren. Hier kommt man für 1991 auf eine Zahl von etwa einer Million, bei der es sich ebenfalls nur um eine Näherungslösung handeln kann, da das Risiko geringer Einkünfte untrennbarer Bestandteil des unternehmerischen Risikos ist.

3.5.3 Merkmale der Scheinselbständigkeit und ihre Prekarität

Von Scheinselbständigkeit bzw. prekärer Beschäftigung bei Selbständigen spricht man jedoch erst, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Der Status der Selbständigen wird von den Auftraggebern ausgenutzt, um bestimmte Verpflichtungen zu umgehen und Kosten einzusparen, die für Arbeitnehmer zu zahlen sind wie vor allem Sozialversicherungsbeiträge, aber auch betriebliche Sozialleistungen.

  • Die Selbständigen werden für Tätigkeiten eingesetzt, für die zuvor Arbeitnehmer herangezogen worden sind. Bei der Ge-

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    staltung der Tätigkeit ist kein großer Unterschied festzustellen:
    Die Auftraggeber bestimmen Art und Weise der Ausführung, den zeitlichen Rahmen, den Ort, schlicht: alle wesentlichen Modalitäten.

  • Die Selbständigen werden exklusiv unter Vertrag genommen und dürfen zumindest für eine bestimmte Zeit mehr oder minder nur für einen Auftraggeber tätig werden.

  • Die wirtschaftliche Gesamtsituation liegt eher unter dem Einkommen eines Arbeitnehmers, addiert man zum durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen noch die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und betriebliche Zusatzleistungen hinzu.

Diese Personen befinden sich nicht nur in einer Scheinselbständigkeit, sondern auch in einer prekären Situation: aufgrund niedrigen oder schwankenden Einkommens sind sie häufig nicht in der Lage, Vorsorge für typische Lebensrisiken zu treffen wie insbesondere finanzielle Beiträge für eine Altersversorgung zu leisten. Damit entsteht die Gefahr, daß sich hier ein Potential bildet, das im Riskofall ausschließlich auf Sozialhilfe zurückgreifen kann.

Diese Gefahr wird dadurch hervorgehoben, daß sich die Arbeitgeber bei der Beschäftigung von Selbständigen aus der Solidargemeinschaft zur Finanzierung der Arbeitsrisiken verabschiedet haben, zu der sie bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern zwangsverpflichtet sind. Das ist letztlich eine Form der Privatisierung von Beschäftigungsrisiken durch die Unternehmen, indem sie ihren Risiko- bzw. Beitragsteil auf die alleinigen Schultern der Beschäftigten, und im Endeffekt auf die Allgemeinheit, abwälzen.

Diese Risikoabwälzung ist dann besonders problematisch, wenn sich am arbeitsteiligen Zusammenwirken zur Herstellung eines bestimmten Betriebsergebnisses ansonsten mit der Beschäftigung von Selbständigen gegenüber der Beschäftigung von Arbeitnehmern nichts geändert hat. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Selbständigen nur ihre Arbeitskraft, allenfalls zusammen mit unterwertigen Arbeitsmitteln zur Verfügung stellen und die Auftraggeber die Infrastruktur des Unternehmens vorhalten mit der Folge, daß sie alleinige Nutznießer des Betriebsergebnisses bleiben. Diese Flucht der Arbeitgeber aus der Solidargemeinschaft geht aber letztlich auf Kosten der Allgemeinheit, wenn der einzelne Be-

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schäftigte die Kosten der Risikovorsorge nicht allein aufbringen kann. Es stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft diese Flucht der Arbeitgeber aus der Solidargemeinschaft hinnehmen will oder neue Formen der Solidarhaftung entwickeln muß.

3.5.4 Handlungsansätze

Ein wesentliches Problem, das sich im Zusammenhang mit der Scheinselbständigkeit stellt, ist die mangelnde soziale Absicherung der betroffenen Personen. Aufgrund niedriger Einkommen sind viele Selbständige nicht in der Lage, Risikovorsorge für das Alter zu leisten. Sie sind somit auf das letzte Netz sozialer Absicherung, die Sozialhilfe verwiesen.

Zur Zeit obliegt es den Krankenkassen als Einzugsstellen des Gesamtsozialversicherungsbeitrages über das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses zu entscheiden. Es ist jedoch nicht immer ganz einfach für sie, in der Grauzone zwischen Illegalität und erfolgreicher Unternehmensgründung diejeneigen Beschäftigungsverhältnisse auszumachen, auf die die Kriterien der Scheinselbständigkeit zutreffen. Eine Forderung, die auch von einem Wissenschaftler der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik gestellt wird, ist, den Begriff des Arbeitnehmers neu zu definieren, indem man neue Kriterien für die arbeits- und sozialrechtliche Abgrenzung zu den Selbständigen einführt. Seit Mitte der 70er Jahre gebe es zahlreiche Entwürfe in diese Richtung. Der jüngste Ansatz in dieser Richtung ist ein Gesetzentwurf der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hessen im Bundesrat vom 23.10.1996, der die sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung zwischen beitragspflichtiger und beitragsfreier Beschäftigung im Sozialgesetzbuch IV präzisiert. Bisher hat noch keiner der Vorschläge tatsächlich Gesetzeskraft erreicht.

Dem hält der Vertreter der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg e.V. entgegen, daß das bestehende Regelwerk genügend Freiraum zur Rechtsfortbildung durch die Gerichte läßt. Bestehende Vorschläge zur Abgrenzung, z.B. der Vorschlag, das unternehmerische Risiko als Abgrenzungskriterium zu verwenden, seien wenig praktikabel. Eine etwaige Abwägung über die Ausgewogenheit von unternehmerischem Risiko und unternehmerischen Chancen unterliege einer zu subjektiven Betrachtungsweise. Darüber hinaus könne eine juristische Neudefinition des Arbeitnehmerstatus nicht die Vielfalt der Er-

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scheinungsformen der abhängigen Selbständigkeit erfassen. Notwendig seien vielmehr differenzierte Ansätze, die für einzelne Gruppen der sog. prekären Arbeitsverhältnisse klären, ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. In diesem Falle wären Schutzregelungen für bestimmte Einzelgruppen auch ohne Klärung ihres Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberstatus denkbar. Dieser Weg hätte gegenüber der Neudefinition des Arbeitnehmerstatus den Vorteil der größeren Praktikabilität.

Um jedoch sinnvoll vorgehen zu können, bedarf es einer grundlegenden quantitativen und qualitativen Erfassung der Anzahl der Scheinselbständigen. Derzeit befaßt sich das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung mit einer solchen Untersuchung, deren Ergebnisse in Bälde vorgetragen werden.

Der brandenburgische Staatssekretär weist darauf hin, daß es bereits Formen der Sozialversicherung für Selbständige gibt wie etwa die in § 166 der Reichsversicherungsordnung bereits festgelegten Versicherung für Hebammen und Küstenfischer. Ursprüngliches Motiv bei der Einführung dieser Versicherung war es, Selbständige, bei denen die Bedeutung der Produktionsmittel hinter die Bedeutung der Arbeitsfähigkeit zurücktritt, zu schützen. Sie seien deshalb schutzbedürftig, weil sie im Falle der Arbeitsunfähigkeit weder auf Einkommen noch auf Grundkapital zurückgreifen könnten. Es sei überlegenswert, ob man nicht auf die veränderten Erscheinungsformen auf dem Arbeitsmarkt reagieren könne, indem man den Kreis der Versicherten über Hebammen und Küstenfischer hinaus erweitert.

Dem hält der Vertreter der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik entgegen, daß ein wesentliches Problem dadurch nicht behoben wird, daß nämlich die Arbeitgeber sich aus der sozialen Verantwortung ziehen. In diesem Modell werde keine Risikoteilung vorgenommen. Die Risikovorsorge laste allein auf den Schultern der abhängig Selbständigen. Anders wäre es, wenn man in Anlehnung an das Künstlersozialversicherungsgesetz die Arbeitgeber oder Auftraggeber dazu zwingen würde, einen bestimmten Beitragsanteil in einen Fonds einzuzahlen. Denn es sei nicht einzusehen, daß die Unternehmen zwar von der Beschäftigung von Selbständigen profitieren, die sozialen Risiken aber allein auf die Personengruppe der abhängigen Selbständigen abgewälzt werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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