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4. Schlußwort

Die Hauptrolle bei der Ausdehnung der Formen prekärer Beschäftigung spielt die Arbeitsmarktkrise. Denn ohne ein entsprechendes Angebot an Arbeitskräften wären Formen prekärer Beschäftigung irrelevant. Prekär ist also insbesondere die Lage einer großen Personengruppe, die sich damit am Rand des regulären Arbeitsmarktes behaupten will. Um überhaupt in Zeiten einer schwierigen Arbeitsmarktlage in ein Arbeitsverhältnis aufgenommen zu werden, nehmen sie Nachteile in Kauf, die sie unter anderen Umständen beanstanden würden. Was für den einzelnen individuell rational ist, "lieber prekäre Arbeit als gar keine Arbeit", führt zu einer gesellschaftlichen Entwicklung, die offensichtliche Gefahren erzeugt.

Die massenhafte Ausschöpfung der gesetzlichen Ausnahmeregelungen und die Ausnutzung der Defizite staatlicher Exekutiv- und Kontrollfunktionen hat ein beträchtliches Beschäftigungsvolumen außerhalb des Schutzbereichs der gesetzlichen Sozialversicherung entstehen lassen. Zugleich entstand damit ein Potential an Personen, deren Lebensrisiken nur durch das Minimalsicherungskonzept der Sozialhilfe gewährleistet ist. Damit sind die volkswirtschaftlichen Grundlagen des deutschen Konzepts Sozialer Sicherheit infrage gestellt. Denn ein hohes Beschäftigungsvolumen außerhalb des finanziellen Regelkreises der damit finanzierten Lebensrisiken stellt die Finanzierung dieser Lebensrisiken selbst über kurz oder lang infrage.

Ein Großteil dieser Arbeitnehmer verfügt zwar über einen abgeleiteten Versicherungsschutz - jedoch auf Kosten aller Beitragszahler. Andere sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer subventionieren also die nicht Versicherten. Langfristig entstehen zusätzliche Belastungen für die steuerfinanzierte Sozialhilfe. Angesichts des sinkenden Anteils versicherungspflichtig Beschäftigter unter den Arbeitnehmern und angesichts der demographischen Entwicklungen muß man sich berechtigte Sorgen um die zukünftige Finanzierung der Sozialversicherung machen.

Dies führt zu der allgemeinen Poblemstellung, wie sich die reguläre soziale Absicherung in einem zunehmend deregulierten Arbeitsmarkt behaupten kann. Das Dilemma besteht darin, daß im politischen Raum

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zwar keine Alternative zu den Sozialversicherungssystemen und ihren Finanzierungsgrundlagen gesehen wird, andererseits aber die konsequente Anpassung dieser Systeme an die gewandelten Beschäftigungsformen und -strukturen verweigert wird.

Die ökonomische Entwicklung wird darauf - wie aus den verbandlichen Diskussionsbeiträgen ersichtlich - keine Rücksicht nehmen und ihre Dynamik weiterhin dem Spielraum deregulierter Beschäftigung widmen. Die daraus entstehende Spannnung zwischen reguliertem Sozialrecht und dereguliertem Wettbewerb erzeugt andererseits wachsenden Handlungsdruck auf die politischen Akteure. Deshalb erscheint es für diese Akteure unerläßlich, diesen Zielkonflikt verhandelbar zu machen. An einer uferlosen Ausdehnung des Spektrums sozialer Problemlagen außerhalb der Sozialversicherungssysteme kann schließlich keine Seite ernsthaft interessiert sein.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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