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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 45] 8. Die Integration in das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz Wenn es darum geht, ob sich die hohen Investitionen in das System Transrapid rechtfertigen lassen, sind nicht allein die Einsatzchancen in Osteuropa von Belang, sondern ebenso die Integration in ein gesamteuropäisches Hochgeschwindigkeitsnetz. Die Idee eines europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes Nachdem das Zeitalter der Hochgeschwindigkeit 1964 mit dem Shinkansen in Japan begonnen hatte kamen auch in Europa - zunächst auf nationaler Ebene - Gedanken an Hochgeschwindigkeitszüge auf. 1981 wurde der erste Abschnitt der TGV-Strecke Paris - Lyon in Betrieb genommen, die dann 1983 auf ihrer vollen Länge fertig wurde. In Deutschland werden die ersten Neubaustrecken seit 1991 befahren. Der Gedanke an ein grenzüberschreitendes Hochgeschwindigkeitsnetz wurde in besonderer Weise vom Internationalen Eisenbahnverband (UIC) getragen. Dieser Verband, der weltweit über 100 Mitglieder hat, wobei in der europäischen Versammlung rund 50 Bahngesellschaften als aktive Mitglieder fungieren, gliedert sich analog zu den Geschäftsbereichen vieler Bahnen intern in die vier Abteilungen Personenverkehr, Güterverkehr, Infrastruktur und Technik. Seine zentralen Ziele sind:
Bezüglich der Standardisierung der Bahnausrüstungen ist es dem UIC bereits gelungen, das rollende Material, also Reisezugwagen und Güterwagen so zu normen, daß sie heute freizügig zwischen verschiedenen Staaten verkehren können. Trotz massiven Druckes ist es aber bis heute weder für Lokomotiven noch für Hochgeschwindigkeitszüge gelungen, eine Normung herbeizuführen. Es gibt lediglich den Entwurf einer Richtlinie zur Interoperabilität. Um die Belange der Bahnen auf internationaler Ebene und speziell innerhalb der Europäischen Union zu vertreten, wurde die Gemeinschaft Europäischer Bahnen [Seite der Druckausgabe: 46] (GEB) mit Sitz in Brüssel als eigene Institution gegründet. Hier sind die 15 Bahnen der Europäischen Union einschließlich der Schweiz und Norwegens vertreten. Der Förderung des internationalen Eisenbahnverkehrs dient u.a. der 1988 vom UIC vorgelegte Vorschlag für ein gesamteuropäisches Hochgeschwindigkeitsnetz. Es ist möglicherweise mit auf diese Publikation zurückzuführen, daß der Rat der europäischen Verkehrsminister beschloß, die Frage des Hochgeschwindigkeitsverkehrs näher zu untersuchen. Eine von der Kommission des Europäischen Parlamentes aus Vertretern der Länder, der Bahnen und der Bahnindustrie gebildete Hochrangige Arbeitsgruppe" legte innerhalb eines Jahres ihren ersten Bericht vor, der bereits im Dezember 1990 vom Rat der Verkehrsminister gutgeheißen wurde. Im selben Jahr wurden von der Kommission 15 sogenannte Schlüsselverbindungen definiert. Dabei handelt es sich um die Strecken des Hochgeschwindigkeitsnetzes, die eine grenzüberschreitende Verbindung der nationalen Netze darstellen. Diese Schlüsselverbindungen sind u.a. durch geringere Verkehrsaufkommen gekennzeichnet, durch welche sich zwangsläufig nur relativ niedrige Erträge erwirtschaften lassen. Auf der anderen Seite sind die Kosten für den Bau solcher Schlüsselverbindungen besonders hoch, da in sehr vielen Fällen natürliche Hindernisse in Form von Gebirgszügen (Alpen, Pyrenäen) oder Meerengen (Der Kanal, Großer Belt, Fehmarnbelt) überwunden werden müssen. Alle Schlüsselverbindungen zusammen werden mit rund 70 Mrd. ECU (127 Mrd. DM) veranschlagt, das sind rund 35% aller im Hochgeschwindigkeitsnetz für Westeuropa veranschlagten Investitionen. An der Finanzierung dieser Schlüsselverbindungen will sich die Europäische Union in besonderem Umfang beteiligen. 1992 wurde seitens der UIC ein neues Leitschema vorgelegt, in welchem erstmalig auch eine Ausdehnung des Hochgeschwindigkeitsnetzes in Richtung Osteuropa enthalten war. In dieser Fassung war der Streckenabschnitt zwischen Hamburg und Berlin als Neubaustrecke vorgesehen. Von der UIC wurde dann gemeinsam mit der Europäischen Kommission eine Studie zum Thema Verkehrsprognose und Bewertung für ein Hochgeschwindigkeitsnetz in Westeuropa" an eine deutsch-französische Arbeitsgemeinschaft [Fn. 3: INTRAPLAN CONSULT GMBH, München, und INRETS, Arcueil Cedex (bei Paris).] vergeben. Im Rahmen dieser Studie, die im Dezember 1993 abgeschlossen wurde, war eine Bewertung [Seite der Druckausgabe: 47] des Netzes für zwei verschiedene Zeithorizonte (2000 und 2010) sowohl mit als auch ohne Schlüsselverbindungen vorgenommen worden. Als Bezugsjahr diente das Jahr 1988. Nach den Ergebnissen der Studie würden sich im Schienenverkehr ohne ein ausgebautes Hochgeschwindigkeitsnetz bis 2010 nur sehr schwache Zuwächse ergeben, während der Straßen- und Luftverkehr stark ansteigen würde. Anders verhält es sich im Fall der Verwirklichung einer Maximal Variante, d.h. eines kompletten Hochgeschwindigkeitsnetzes einschließlich aller Schlüsselverbindungen: Dann könnte die Schiene gegenüber dem Bezugsfall von 1988 rund 140 Mrd. Pkm hinzugewinnen. Dabei wären rund 41 Mrd. Pkm induzierter Neuverkehr, die restlichen 70% des Gesamtzuwachses das Resultat einer veränderten Verkehrsmittelwahl. Seit Februar 1995 liegt der zweite Bericht der 1989 in Brüssel gebildeten Hochrangigen Arbeitsgruppe" vor, in welchem sich eine aktuelle Karte der Europäischen Union für das Hochgeschwindigkeitsnetz in Westeuropa befindet. In dieser Karte ist die Strecke zwischen Hamburg und Berlin lediglich als Verbindungsstrecke dargestellt, und nicht mehr wie noch 1992 als Neubaustrecke. Die Abwertung zur Verbindungsstrecke erfolgte letztlich durch die Planungen der DB AG, die sich offenbar an die Aussagen des Bundesverkehrswegeplanes angelehnt hat. Ein weiterer Einfluß war hier sicherlich, daß in Deutschland schon die Entscheidung zugunsten einer Magnetbahn gefallen war. Im Frühjahr 1995 ist dann die Transrapidstrecke Hamburg - Berlin offiziell in das Hochgeschwindigkeitsnetz der Europäischen Union aufgenommen worden. Eine aktualisierte Karte des UIC über vorgesehene Hochgeschwindigkeitsverbindungen wurde im Oktober 1995 in Lille beim Kongreß Eurospeed '95 vorgestellt, in welcher vor allem auch die Planungen für Osteuropa präzisiert worden sind. Diese Karte ist bezüglich Westeuropa praktisch identisch mit der Karte der Europäischen Gemeinschaft, bezogen auf Osteuropa ist sie allerdings wesentlich detaillierter. Der gegenwärtige Ausbaustand und aktuelle Planungen von Hochgeschwindigkeitsstrecken Im gegenwärtigen Zustand sind im europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz 2.600 km Neubaustrecken in Betrieb. Den größten Anteil haben daran die französischen TGV-Strecken. Der Rest wird gebildet durch die beiden ersten deutschen Neubaustrecken Hannover - Würzburg und Mannheim - Stuttgart sowie durch eine [Seite der Druckausgabe: 48] italienische und eine spanische Strecke. Die spanische Strecke ist im übrigen in mitteleuropäischer Normalspur gebaut, wodurch sie im spanischen Netz derzeit eine Insellösung darstellt. Das Verkehrsaufkommen auf diesen Strecken hat sich deutlich gesteigert: Wurden auf der Strecke Paris - Lyon 1983 noch 5,7 Mrd. Pkm zurückgelegt, so sind es heute auf dieser Relation rund 22 Mrd. Pkm, was einem Anteil von 50% des gesamten Fernverkehrs der Bahnen in Frankreich entspricht. Weitere knapp 8 Mrd. Pkm erbringt die DB AG mit dem ICE, womit in Deutschland rund 25% der Pkm des Fernverkehrs auf dem gesamten Laufweg der Hochgeschwindigkeitszüge abgewickelt werden. Die Gesamtsumme der auf den Laufwegen der Hochgeschwindigkeitszüge von allen fünf der beteiligter europäischen Bahnen erbrachten Pkm beträgt 32 Mrd., was auf ganz Westeuropa bezogen 12% der in Hochgeschwindigkeitszügen zurückgelegten Pkm entspricht. Insgesamt läßt sich aus diesen Zahlen ablesen, daß der Hochgeschwindigkeitsverkehr in Europa große Potentiale aufweist. Auch ein Vergleich mit Japan, wo heute bereits jährlich 70 Mrd. Pkm in Hochgeschwindigkeitszügen zurückgelegt werden, läßt hohe Erwartungen gerechtfertigt erscheinen. Insgesamt sind für das Jahr 2010 allein in Westeuropa 23.000 km Hochgeschwindigkeitsstrecken geplant, darunter rund 12.000 km Neubaustrecken und etwa 11.000 km Ausbaustrecken. U.a. ist auch die Strecke Berlin - Dresden - Prag - Budapest als Hochgeschwindigkeitsstrecke in Rad/Schiene-Technik in den bestehenden Planungen enthalten. In diesem Kernnetz eröffnen sich dann neben der Personenhochgeschwindigkeit auch noch andere Märkte: Das Thema Frachthochgeschwindigkeit scheint dabei besonders interessant zu sein. Hierbei handelt es sich nicht um normalen Güterverkehr, sondern um Spezialzüge auf der Basis von Hochgeschwindigkeitszügen, mit denen sogenannte KEP-Güter, also Kuriergut, Expressgut und Pakete, transportiert werden können. Solche Dienste haben heute konstant zweistellige Wachstumsraten, und folglich sind die in diesem Sektor engagierten Firmen, wie beispielsweise UPS, an derartigen Frachthochgeschwindigkeitsüberlegungen äußerst interessiert. Diese Züge schaffen Steigungen bis 40 Promille und können damit auch Neubaustrecken wie in Frankreich benutzen. Vorläufer solcher Züge gibt es bereits: So hat die Post in Frankreich 3 fensterlose TGV-Garnituren gekauft, mit denen sie einen 270 km/h schnellen Frachtverkehr [Seite der Druckausgabe: 49] zwischen Paris und Lyon betreibt. Umgekehrt hat die SNCF bereits auf der Basis des zweigeschossigen TGV-Duplex, der 1996 in Betrieb geht, eine eigene Version für Frachttransporte entwickelt, bei der auch die standardisierten Ladeeinheiten des Luftverkehrs berücksichtigt sind. Eine direkte Verknüpfung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs mit den Flughäfen Charles-de-Gaulles und Roissy ist in diesem Zusammenhang anvisiert. Insgesamt denkt die SNCF an etwa 8 bis 10 Fracht-TGV für den Einsatz insbesondere in Frankreich. Die sich daraus ergebenden zusätzlichen Nutzungen der teuren Neubaustrecken können aber letztlich nur Marktnischen sein. Finanzierungsmöglichkeiten Die Europäische Union wollte - so lauteten früher die Absichtserklärungen - die Schlüsselverbindungen im internationalen Bereich finanzieren. Heute werden bereits Neubaustrecken aus europäischen Töpfen bezuschußt, wobei verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten existieren:
Die Rentabilität des Netzes mit allen Schlüsselverbindungen liegt der Studie von Intraplan/INRETS zufolge bei 6,4%. Dies ist in Anbetracht der kostenintensiven Schlüsselverbindungen ein guter Wert, wenn man berücksichtigt, daß die SNCF eigene Strecken bereits ab einer Rentabilität von 8% selbst finanziert. Insofern erscheint die Finanzierung von einzelnen Strecken unproblematisch zu sein. Problematischer stellt sich die Situation dar, wenn tatsächlich die auf den Karten dargestellten Hochgeschwindigkeitsnetze im vorgegebenen Umfang realisiert wer- [Seite der Druckausgabe: 50] den sollen. Die UIC-Karte, die einer Addition nationaler Wunschzettel entspricht, erfordert insgesamt Investitionen in vierstelliger Milliardenhöhe und liegt damit fern jeglichen Finanzierungshorizontes. Allein der Bundesverkehrswegeplan in Deutschland mit einer Perspektive bis 2012 sieht für Schienenprojekte Investitions- und Neubauvorhaben in einer Gesamthöhe um die 100 Mrd. DM vor und ist folglich weit unterfinanziert. Hinzu kommt, daß die öffentlichen Finanzierungsspielräume in den nächsten Jahren aufgrund der Gesamtproblematik der öffentlichen Haushalte auf den Ebenen aller Gebietskörperschaften immer enger werden. Auch private Finanzierungen sind bisher keine Alternative. Während sich im Fernstraßenbau mit der Warne-Querung in Mecklenburg-Vorpommern und eventuell mit einer Elb-Querung westlich von Hamburg erste in klassischer Weise privat finanzierte Projekte abzeichnen ist im Schienenwegeausbau bisher kein einziges Projekt erkennbar, das privat finanziert wird. Zu beachten ist bezüglich privater Finanzierungen auch die Unterscheidung zwischen echter Privatfinanzierung und privater Vorfinanzierung. Letztere Finanzierungsform beinhaltet, daß über den Kapitaldienst der Effekt für die öffentlichen Haushalte viel ungünstiger ist, als wenn sie einen gleichwertigen Kredit aufgenommen hätten. Die Integration eines Transrapid Während die von der UIC erstellten Leitpläne als gute Basis für den Ausbau eines transeuropäischen Netzes angesehen werden können, sind Magnetschwebebahnen darin ein Fremdkörper. Für den Einsatz des Transrapid auf der Referenzstrecke Berlin - Hamburg ergeben sich bezüglich einer Eingliederung in das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz sehr negative Folgerungen. So heißt es 1992 in der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesverkehrsminister zum Transrapid bzw. zur Referenzstrecke Berlin - Hamburg: .Eine Magnetbahn läßt sich auf absehbare Zeit nicht in ein europäisches Verkehrswegenetz integrieren, weil die getroffenen verkehrspolitischen Entscheidungen in Europa eine Magnetbahn nicht vorsehen. Die großen westeuropäischen Verbindungen, wie Kanaltunnel, Alpentransversalen, öresund- und Fehmarnbelt-Strecken, sind für Rad/Schiene-Technik ausgelegt. Das europäische Hochgeschwindigkeifsnetz enthält außerhalb Deutschlands keinen Abschnitt, auf dem ein Magnetbahnbetrieb erwogen würde. [...] Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lassen sich nur wenige Relationen finden, auf denen eine Magnetbahn merkliche Zeitvorsprünge gegenüber einer Hochgeschwindigkeitseisenbahn erzielt. So läßt sich auf der Verbindung zwischen Ham- [Seite der Druckausgabe: 51] burg und Berlin durch eine 400 km/h schnelle Magnetbahn gegenüber einer 350 km/h schnellen Hochgeschwindigkeits-Eisenbahn ein Reisezeitvorteil von günstigstenfalls 6 Minuten herausfahren" [Fn. 4: Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr .Die Magnetschnellbahn ist noch nicht marktreif". In: Internationales Verkehrswesen 44 (1992), 7. / 8. Heft, S. 276 und 279.] Wesentliche Kriterien für ein leistungsfähiges Verkehrssystem sind Kompatibilität, Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit. In allen diesen Punkten stellt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Verkehr eine hohe Überlegenheit des Rad/Schiene-Systems fest: Die Netzbildungsfähigkeit der Magnetbahn ist begrenzt durch die Notwendigkeit eines eigenen Fahrwegs und die komplizierte Technik der Weiche. Die Verknüpfung mit dem Eisenbahnnetz an den Haltepunkten führt zu außerordentlichen Problemen. [...] Magnetbahnanlagen sind inflexibel und im Falle künftiger Bedarfsänderunger schwer auf geänderte Anforderungen umzustellen. Bei auftretenden Betriebsstörungen oder notwendigen Reparaturen ist es nicht möglich, auf Alternativrouten auszuweichen. Die Magnetbahn ist in solchen Fällen auf die Rückversicherung der Eisenbahn angewiesen." [Fn. 5: Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr .Die Magnetschnellbahn ist noch nicht marktreif". In: Internationales Verkehrswesen 44 (1992), 7. / 8. Heft, S. 275] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001 |