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7. Die wirtschaftliche Bedeutung des Transrapid

Um die hohen Investitionen im Zusammenhang mit dem Transrapid und dem Bau einer Referenzstrecke zwischen Hamburg und Berlin zu rechtfertigen, werden immer wieder wirtschaftspolitische Argumente in die Diskussion eingebracht. Dabei nehmen die infolge von Wartungs- und Instandhaltungsbetrieben zu erwartenden Effekte auf den Arbeitsmarkt eine nachrangige Position ein, denn für die Wartung und Instandhaltung von Fahrzeugen, Fahrweg und sonstigen Anlagen sind im Finanzierungskonzept lediglich 27 Mio. DM ausgewiesen, wodurch höchstens um die 200 Arbeitsplätze zu schaffen wären. Die Bedeutung des Transrapid liegt vielmehr darin, daß Deutschland mit Hilfe dieser Technologie eine stärkere und konkurrenzfähigere Position als bedeutender und zukunftsfähiger Industrie- und Wirtschaftsstandort einnehmen kann, wodurch sich möglicherweise andere Arbeitsplätze sichern ließen. Gerade mit der prestigeträchtigen Anwendungsstrecke zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und dem Welthafen Hamburg verbinden sich Hoffnungen, die Magnetschwebebahn und das mit ihrer Entwicklung erworbene Know-how gewinnbringend exportieren zu können. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde der Transrapid in den letzten Jahren vom Bundesministerium für Forschung und Technologie mit ungefähr 1,8Mrd. DM gefördert.

7.1 Zukunftstechnologie für den Industriestandort Deutschland

Grundsätzlich gilt für die dauerhafte Sicherung eines Wirtschaftsstandortes, daß sich dessen Zukunft mittel- und langfristig nur sichern läßt, wenn sich jede wirtschafts- und technologiepolitische Entscheidung an der Leitperspektive einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung orientiert. Gleichzeitig ist bekannt, daß nur solche Verfahren, Produkte und Technologien positive Antworten auf Krisenprobleme geben können, welche die Stoff-, Energie- und Umweltbelastungsströme drastisch senken, das verfügbare Kapital diesbezüglich höchst effektiv nutzen, die Qualifikationspotentiale optimal einsetzen, und im Hinblick auf Transportströme Mobilität sowie Lebens- und Produktionsgrundlagen langfristig erhalten.

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Am Institut für Zukunftsforschung und Technologiebewertung wurde untersucht, welche Zukunftstechnologien die nächsten 20 bis 30 Jahre bestimmen werden. Das Ergebnis war, daß vor allem umweltverträgliche Zukunftstechnologien wie ökologische Produkt- und Verfahrensentwicklungen, ökologisches Bauen, Nutzung regenerativer Energien und Energiespeichertechniken gefragt sein werden.

Außerdem finden sich im oberen Bereich einer erstellten «Hitliste" von etwa 1.000 zukunftsträchtigen Technologien häufig Telekommunikationsstrukturen, insbesondere dann, wenn sie im Hinblick auf die Substitution von physischem Verkehr eingesetzt werden können. Unter der Voraussetzung, daß die politischen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet werden, können Informations- und Telekommurikationssysteme in Verbindung mit dem Einsatz von Computern und hochleistungsfähigen Übertragungsnetzen enorme Veränderungen der gesellschaftlichen Mobilität bewirken. Entscheidende Innovationen - speziell auch für die technologische Zukunftsentwicklung in Deutschland - sind durch eine Kombination der Telematik mit der Rad/Schiene-Technik möglich. Vor allen Dingen in bezug auf den rasant zunehmenden Güterverkehr bietet die Verknüpfung von herkömmlicher Eisenbahntechnik und Telematik offenbar enorme Chancen für eine zukunftsfähige, ökonomische wie ökologische Bewältigung der Güterströme. Darüber hinaus werden in Zukunft neue Schnittstellentechniken benötigt, um die Güter von der Straße oder vom Binnenschiff auf die Schiene zu verladen. Auch Container- und Verladetechniken sowie Logistiksysteme stellen damit innovative Zukunftstechnologien dar. Sie könnten für den Industriestandort Deutschland ein weltweiter Exportschlager werden, weil die Bundesrepublik bei diesen Techniken immer noch Führungspositionen einnehmen kann, und bei Eisenbahnsystemen zudem über kurz oder lang weltweit grundlegende Modernisierungsaufgaben anstehen.

Obwohl der Transrapid und ähnliche Projekte im Gegensatz zu Zukunftstechnologien wie Telekommunikationssystemen und Schnittstellentechniken überhaupt nicht in der o.g. Liste erscheinen, standen die bisher für die Fortentwicklung und technologische Verbesserung der herkömmlichen Rad/Schiene-Technik aufgewendeten Summen mit rund 1 Mio. DM in einem absolut disparitätischen Verhältnis zur Förderung des Transrapid. Das Anbieterkonsortium des ICE, welches mit dem Herstellerkonsortium des Transrapid vollkommen identisch ist, hätte beispielsweise international sehr viel stärker durch Fördermittel für Entwicklung und Aquisitionsbemühungen unterstützt werden können als das bisher der Fall gewesen ist.

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7.2 Marktchancen

Für die zukünftige Vermarktung des Produktes Transrapid sollen die Bundesministerien für Wirtschaft und für Entwicklungshilfe bzw. Wirtschaftliche Zusammenarbeit zuständig sein. Dabei werden jedoch die Marktchancen des Transrapid auf dem europäischen Markt allenfalls mit Blick auf 2 Anwendungsfälle gesehen:

  • Wegen der Nachteile des gebrochenen Verkehrs und der Konkurrenz der in Zentral- und Westeuropa gut ausgebauten Rad/Schiene-Technik ist eine erfolgreiche Anwendung des Transrapid nur in einem großräumigen Netz vorstellbar. Ideal wären lange Strecken in den osteuropäischen Bereich hinein, z.B. eine Strecke von Berlin in Richtung Warschau und Moskau. Erst bei solchen Distanzen wird der Transrapid seine Geschwindigkeitsvorteile, die er selbst bei fortentwickelter Rad/Schiene-Technik haben soll, zur Geltung bringen können.

  • Vor dem Hintergrund des günstigen Beschleunigungsmomentes könnte der Transrapid auch auf kurzen Strecken vorteilhaft sein. Hierbei sollte er allerdings nicht in Konkurrenz zum Schienennetz stehen, sondern eher in sehr spezifischen Relationen eingesetzt werden, z.B. zwischen einem Großflughafen und einem Ballungsgebiet oder zwecks Substitution innerdeutschen Flugverkehrs zwischen mehreren internationalen Flughäfen. Eine konkrete Möglichkeit wäre hier die Verbindung zwischen einem Großflughafen im Berliner Raum und dem Berliner Zentrum.

Außerhalb des europäischen Marktes wäre lediglich ein joint-venture-Unternehmen mit einem ausländischen Partner vorstellbar, um an einem geeigneten Ort die spezifischen Vorteile des Transrapid zur Geltung zu bringen. In Frage kämen möglicherweise eine Strecke von Los Angeles nach Las Vegas oder eine Verbindung zwischen Orlando und der Disney World in Florida. Ebenso ließen sich in einer internationalen Kooperation auch Anwendungsstrecken auf dem asiatischen Markt erschließen, z.B. die Strecke Djakarta - Surabaja, für welche von indonesischer Seite bereits Interesse angemeldet wurde.

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7.3 Export nach Osteuropa

Interessant ist vor allem der sich öffnende Osten, da hier in Zukunft mit einem kräftig ansteigenden Verkehrsaufkommen gerechnet werden kann, gleichzeitig aber nur eine veraltete und damit unzulängliche Schieneninfrastruktur vorhanden ist. Ein Ex-

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port des deutschen Magnetschwebezuges nach Polen und in die angrenzenden Länder, idealerweise in direkter Fortführung der Strecke Hamburg - Berlin würde die finanziellen Risiken der Referenzstrecke sicher reduzieren, zumal hiermit als Nebeneffekt ein Beitrag zur Erschließung der Ostmärkte geleistet würde. Andererseits ist aber zu fragen, inwieweit der Bau von Magnetschwebebahnen in den Ländern des ehemaligen Ostblockes angesichts der wirtschaftlichen Situation dieser Staaten realistisch ist.

Am günstigsten sieht die Situation momentan in Polen aus. Politisch ist das Land durch die Wahl von Kwasniewski zum neuen Präsidenten geprägt. Während aber im allgemeinen mit dem Präsidentenwechsel ein politischer und auch wirtschaftspolitischer Kurswechsel verbunden wird, scheinen die Befürchtungen eines Kursverfalls an der Warschauer Börse zunächst nicht gerechtfertigt zu sein. Bereits seit 1993 hat das sogenannte Linke Lager, dem auch Kwasniewski angehört, die Mehrheit im polnischen Parlament. Trotzdem wurde nicht von der bisherigen radikalen Zuwendung zur Marktwirtschaft und dem Transformationskurs abgewichen. Im Jahr 1994 ist vom polnischen Finanzministerium eine Strategie vorgestellt worden, die auf exportorientiertes Wachstum setzt und deutlich geringere Reallohnsteigerungen vorsieht, als zunächst erwartet worden war. Analog ist durch den aktuellen Präsidentenwechsel nicht zu erwarten, daß es einen radikalen Bruch bei den bisherigen Wirtschaftsreformen in Polen geben wird. Auch bedeutet der Ausgang der Wahl keineswegs ein Abweichen von der bislang angestrebten Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Kwasniewski hatte schon im Wahlkampf betont, daß es ein zentrales Ziel seiner Politik sei, die potentielle Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union zu fördern. Deshalb versucht Polen z.T. die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, um sich für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu qualifizieren.

Die Perspektiven der wirtschaftlichen Entwicklung in Polen sind dabei ebenfalls vielversprechend. Seit 1992 hat in Polen ein Wirtschaftswachstum eingesetzt, und damit war Polen die erste Transformationsökonomie, die überhaupt ein Wirtschaftswachstum ausweisen konnte. In den ersten beiden Jahren, also 1992 und 1993, lag die impulsgebende Bedeutung beim privaten Verbrauch als einer zentralen Nachfragekomponente. Seit 1994 hat sich das ein wenig geändert, und zwar spielen jetzt die Exporte und die Investitionstätigkeiten eine maßgebliche Rolle.

Aus den außenwirtschaftlichen Daten Polens läßt sich ablesen, daß die Exporttätigkeit deutlich gesteigert werden konnte. Seit dem Zusammenbruch der Handelsbeziehungen

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mit den RGW-Ländern richtet sich die Exporttätigkeit jetzt vor allen Dingen nach Westeuropa, wobei 60% der Exporte in die Europäische Union gehen. Die Bundesrepublik Deutschland ist dabei mit 40% der gesamten polnischen Exporte der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Auch wenn sich inzwischen eine leichte Erholung der Beziehungen zu den ehemaligen RGW-Handelspartnern abzeichnet, so wird die Orientierung nach Westeuropa doch weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. Die zukünftige Entwicklung der Exporte hängt allerdings auch von der konjunkturellen Entwicklung in Westeuropa ab.

Ein anderer bedeutsamer Punkt für die Exporttätigkeit Polens ist der Wechselkurs. In der jüngsten Vergangenheit zeichnet sich eine deutliche reale Aufwertungstendenz des Zloty ab. Damit ist allerdings der negative Effekt verbunden, daß sich die Exporte zunehmend verteuert haben. Dies könnte zu unbeabsichtigten Folgen für die Exporttätigkeit führen. Deshalb versucht man in Polen, dieser Entwicklung durch eine vorherbestimmte monatliche Abwertungsrate des Zloty gegenzusteuern.

Für eine Expansion der für die Wirtschaftsentwicklung Polens so wesentlichen Exporte ist neben einer umfassenderen Öffnung der EU-Märkte die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit polnischer Produkte auf dem Weltmarkt nötig. Insofern war die

1994 und 1995 sowohl durch Steuer- und Abgabenerleichterungen unterstützte Investitionstätigkeit eine zweite wesentliche Säule des wirtschaftlichen Aufschwunges. Dieser Aufschwung wurde insgesamt durch eine erhöhte Produktivität und eine demzufolge verbesserte Gewinnsituation der Unternehmen unterstützt, da die Unternehmen Investitionen über Eigenfinanzierungen tätigen konnten.

Die andere Quelle für Investitionen könnten die öffentlichen Haushalte sein, insbesondere wenn es um Projekte aus dem Bereich der Verkehrspolitik geht. Die öffentlichhen Haushalte in Polen sind auf Konsolidierungskurs. 1994/95 zeigt sich die

Haushaltslage relativ entspannt. Das Defizit liegt mit 3% des Bruttoinlandsproduktes relativ niedrig. Chronische Haushaltsprobleme sind die soziale Sicherung und die jetzt im Inland zu leistenden Zinszahlungen. Deshalb standen sowohl 1994 als auch 1995 nur 4,5% der Gesamtausgaben für Investitionen zur Verfügung.

Ein differenzierteres Bild ergibt sich, wenn man die osteuropäischen Nachbarn Polens mit in die Betrachtung einbezieht. Relativ gut stehen in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung neben Polen die Staaten Ungarn, Tschechien und Slowakei da. In Ungarn zeichnen sich im Moment allerdings schon Schwierigkeiten ab. Ganz große

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Schwierigkeiten sind bereits in Rußland und in Weißrußland abzusehen: In Rußland zeichnet sich für dieses Jahr ein Rückgang von etwa 5% des Bruttoinlandsproduktes ab. Auch wenn das deutlich weniger ist als im Vorjahr, so ist doch der rückläufige Trend immer noch nicht gebrochen. Es bestehen aber Hoffnungen, die Inflation in Rußland 1995 unter die 200%-Marke zu drücken. In Weißrußland liegt dagegen der Produktionseinbruch unvermindert bei 12%, d.h. das Bruttoinlandsprodukt hat um 12% abgenommen. Die Inflation liegt hier gar bei 1.000%. Die Reformen in Weißrußland kommen nahezu gar nicht mehr voran. Es scheitert vor allen Dingen daran, daß man institutionelle Reformen wie die Privatisierung zurückhält. Auch in der Ukraine sieht es weiterhin sehr schlecht aus. 1995 liegt der Rückgang des Bruttoinlandsproduktes bei einer Größenordnung von 10%.

Wenn man sich also damit beschäftigt, ob man Infrastrukturverbindungen nach Osteuropa ausweiten kann, dann müssen viele Finanzierungsfragen gelöst werden. Dabei ist die Notwendigkeit unbestritten, daß Osteuropa gerade im Infrastrukturbereich deutliche Unterstützung von seinen westlichen Nachbarn erhalten muß, um diese Länder näher an den wirtschaftlichen Kern Europa heranzuführen.

Alleine ist Polen wirtschaftlich nicht so stark, daß sich das Land die Parallelinvestition eines Transrapid leisten könnte. Außer Frage steht, daß die Eisenbahnstrecken nach Warschau und weiter in die ehemalige Sowjetunion saniert werden. Dem Ausbau dieser Ost-West-Magistrale wird seitens der polnischen Raumordnung höchste Priorität beigemessen. U.a. wird dort sogar ein drittes oder viertes Gleis als Trassenmöglichkeit vorgesehen. Es liegen auch schon fertige Pläne vor, die Strecke von Frankfurt/Oder bis Warschau für eine Geschwindigkeit von 300 km/h auszubauen, aber aufgrund der Tatsache, daß die Länder Mittel- und Osteuropas schwerwiegendere Probleme als den Bau von Neubaustrecken haben, wird in einem ersten Schritt wohl nur die vorhandene Strecke auf eine durchgängige Befahrbarkeit mit Tempo 160 ausgebaut. Angesichts dieser Situation kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich Polen oder eines seiner östlichen Nachbarländer mittelfristig eine aus Deutschland importierte Magnetschwebebahn leisten können wird. Die hohen export- und industriepolitischen Erwartungen werden vor diesem Hintergrund von unabhängigen Experten nicht geteilt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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