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[Seite der Druckausgabe: 5 / Fortsetzung]


2. Anforderungen an ein zukünftiges Verkehrssystem

Die Zukunft des Verkehrs - und damit allgemein von Mobilität und Umwelt - steht heute vor ganz prinzipiellen Herausforderungen. Es geht vor allem darum, wie bei der Erschöpfbarkeit von Rohstoffen und bei der Überschreitung der Absorptionsfähigkeit globaler und lokaler Ökosysteme irreversible Folgen unserer Mobilitätssysteme vermieden werden können. An dieser Meßlatte muß heute ein Verkehrssystem - insbesondere ein neues, das zukunftsfähig sein soll - gemessen werden.

Grundsätzlich gibt es zwei Ansatzpunkte: Einerseits wird heute gefordert, daß ein neues Verkehrssystem dazu beitragen muß, den motorisierten Straßenverkehr - Pkw und Lkw - zu substituieren. Andererseits muß es vermittels sorgfältiger Planung, unter Berücksichtigung gestalterischer Aspekte, umfeld- und sozialverträglich in bestehende Strukturen eingepaßt werden.

2.1 Substituierung des Individualverkehre

Heute stoßen die Mobilitätsmuster in den Industrieländern an prinzipielle Belastungsgrenzen von Natur und Sozialsystem. In Teilbereichen sind diese Grenzen regional für spezifische Umweltbereiche - Wasser, Boden oder Luft - bereits überschritten. Der moderne motorisierte Massenverkehr, sowohl der Personen- wie der Güterverkehr, ist jener Sektor der Industriegesellschaft, der die größten Zuwachsraten

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im Ressourcenverbrauch hat - das gilt für Stoffe, Energie und Fläche genauso wie für Gesundheit und Sicherheit. Sättigungstendenzen sind bisher nicht ersichtlich. Selbst Teilerfolge einzelner Verkehrssysteme wurden durch hohe Zuwachsraten des individuellen motorisierten Berufs- und Wirtschaftsverkehrs und insbesondere des steil ansteigenden Freizeit- und Einkaufsverkehrs überproportional zunichte gemacht. Der wachsende physische Verkehr wird sowohl aus globaler als auch aus regionaler und lokaler Sicht immer stärker zum Krisenfaktor Nr. 1.

Die integrierte Gesamtverkehrsprognose für den Bundesverkehrswegeplan 92 geht für den Zeitraum bis 2010 von einem weiteren Wachstum des Personenverkehrs um 32% aus und nimmt bezüglich des Güterverkehrs einen Anstieg um 78% an. Berücksichtigt man zusätzlich neuere Prognosen, dann ergibt sich im Mittel der Prognosen beim Personenverkehr eine Zunahme der Verkehrsleistung um 50% und im Güterverkehr um 100%. Somit ist der Verkehrssektor jener Bereich, in welchem heute hinsichtlich des Energieverbrauchs die geringsten Chancen bestehen, die Verpflichtungserklärung der Bundesrepublik Deutschland, die anläßlich des Weltklimagipfels in Rio de Janeiro und später nochmals auf der Klimakonferenz in Berlin abgegeben worden ist, nämlich den klimaschädlichen C02-Ausstoß bis zum Jahre 2005 um 25 bis 30% zu reduzieren, einzuhalten.

Unser heutiges technisches System sieht so aus, daß die effektive Nutzenergie, die eingesetzt wird, um eine Person oder ein Gut von einem Punkt A zu einem Punkt B zu bringen bei der Benutzung des Automobils unter 1% liegt. Rund 99% der aufgewandten Primärenergie werden somit sinnlos vergeudet. Zudem ist ein Automobil während seiner ganzen Lebenszeit nur zu 4% ausgelastet. Bei den Nutzfahrzeugen sieht die Bilanz nicht grundsätzlich anders aus: die energetischen Wirkungen liegen unter 2%, allerdings beträgt die Auslastung immerhin 51 %.

Es waren die Klima-Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags und der Sachverständigenrat für Umweltfragen, die übereinstimmend verlauten ließen, daß angesichts der hohen Zuwachsraten im Personen- und Güterverkehr drastische Veränderungen im heutigen Verkehrssystem und bei der Verkehrsträgerwahl erfolgen müssen. Das generelle Ziel der Verkehrspolitik müßte also die Vermeidung und Verminderung von motorisiertem Individualverkehr sein, was einerseits durch die Verlagerung auf umwelt- und sozialverträgliche Verkehrssysteme erreicht werden könnte, besser aber noch durch die Substitution von physischem Verkehr und eine damit im Zusammenhang stehende Verminderung der Distanzen bei einer im

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Grundsatz gleichbleibenden Anzahl an Aktivitäten bzw. Wegen pro Einwohner. Hierdurch würde eine Erhöhung der Urbanität und der Lebensqualität erreicht.

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2.2 Planung und Gestaltung des Lebensraumes

Um irreversible Folgen von Mobilitätssystemen erfolgreich und nachhaltig zu bekämpfen bzw. zu vermeiden, ist eine sorgfältige Planung erforderlich. Dabei ist unter dem Begriff „Planung" etwas grundsätzlich anderes zu verstehen als unter dem Begriff „Projektierung": Projektierung heißt, von vornherein zielgerichtet vorzugehen, ohne das verfolgte Ziel selbst als Gegenstand der Frage zu betrachten. Planung im weiteren Sinne, wie etwa Raumplanung, Stadtplanung, räumlich-gesellschaftliche Planung usw. hat jedoch gerade jene Bearbeitungen zum Gegenstand, die zur Festlegung eines Zieles führen können. Planung ist also Voraussetzung für Projektierung. Die grundlegende Aufgabe von Planung ist die Erfassung von Problemen und die Bearbeitung dieser Probleme im Hinblick auf ihre Lösung, und zwar die gesamte dazu notwendige Bearbeitung und nicht eine formale Auswahl daraus.

Ein Bestandteil von Planung muß dabei die Gestaltung bzw. die „Maximierung der Gestaltwerte" sein. Dabei bezieht sich der Begriff „Gestaltung" auf den gesamten Lebensraum, d.h. sowohl auf Städte als auch auf Siedlungen und Landschaften. Die Gestalt einer Stadt wird z.B. durch die Verbindung der verschiedenen „Systeme von Strukturen" dargestellt, die zusammen die Stadt oder den Raum bestimmen. Dies sind räumliche Strukturen, funktionelle Strukturen und Wertestrukturen. Die kommunikative Struktur, also die Gesamtheit der Verkehrssysteme, spielt darin eine relativ große Rolle. Stadtgestaltung umfaßt all jene Vorgänge, die in die Stadtgestalt und Raumbildung einwirken, auch indem sie die Verflechtungen von Funktionen verändern und dabei Trennungen oder Verbindungen herstellen.

Es ist jedoch festzustellen, daß in der Gesetzgebung unabhängig von den Bezeichnungen der Gesetze etwa als Magnetschwebebahnplanungsgesetz oder als Raumordnungsgesetz oder anderen Gesetzen des Planungsrechtes die Festschreibung eines Planungserfordemisses fehlt. Auch Gestalt- und Gestaltungsprobleme werden von der Gesetzgebung nicht wahrgenommen. Die Auswirkungen sind, daß weder auf der Ebene der Gebietskörperschaften noch in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) Geldmittel für die Bearbeitung von Planung und Gestaltung vorgesehen sind. Vorgesehen sind nur entsprechende Geldmittel für die Bearbeitung

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und weitere Ausarbeitung von bereits vorliegenden Planungs- und Gestaltungsergebnissen.

Schnellverbindungen in Mittel- und Osteuropa, wie sie im Zusammenhang mit dem Transrapid gern diskutiert werden, bilden wesentliche Elemente der räumlichen Gestalt auf kontinentaler und regionaler Ebene. Dabei wird deren Gestaltwirkung davon mitbestimmt, ob sie eigene Netze bilden, sich in andere Netze integrieren oder ob es sich um Einzelstreckenverbindungen zwischen übergeordneten Punkten handelt. Mit einem Verkehrsmittel, das in der Landschaft und in der Siedlungsstruktur so deutlich sichtbar und wirksam wird, wie es die Trasse des neuen Transrapidsystems sein könnte, ist es möglich, auf regionaler Ebene verbindende Funktionen zu symbolisieren, aber auch den Unterschied zwischen der nur durchquerten Region und den Zielbereichen dieser Verbindung zu dokumentieren. In derartigen Verkehrssystemen spiegelt sich desweiteren ein Aspekt der regionalen Wirtschaftsstrukturen räumlich sichtbar wider und wirkt somit mitbestimmend auf die Gestalt der Region. Die Einbindung in Städte- und Siedlungsnetze ergibt nicht immer die kürzeste, schnellste Verbindung. Daher erscheint es unter regionalen Aspekten problematisch, eine einzelne Linie wie z.B. die diskutierte Transrapidstrecke in bestehende Netzstrukturen einzuführen.

Eine Trassenwahl wird heute üblicherweise aufgrund verschiedener Kriterien und deren räumlicher Verteilung entschieden. Bei dieser statisch-analytischen Auswahlmethode fehlt fast immer die Erfassung der mit der einzelnen alternativen Trasse angeschnittenen (Umwelt-)Probleme und besonders der Gestaltungsfragen. Deshalb muß schließlich nahezu jede Trassenwahl (oder auch Standortwahl) als suboptimal und als zusätzlicher Eingriff in die vorhandenen Systeme betrachtet werden. Aus dieser Situation ergibt sich die besondere Notwendigkeit, die mit der Einfügung eines derartigen Systems entstehenden Gestaltprobleme systematisch und konsequent zu lösen, d.h. unter anderem auch in kleinen Detailfragen eine sorgfältige Gestaltung vorzunehmen. Diese Gestaltung setzt voraus, daß auch zum Aspekt Siedlungsgestalt und Landschaftsgestalt die Folgeprobleme des Eingriffes ermittelt, erfaßt und auf eine Lösung hin bearbeitet werden. Es kann nicht darum gehen, eine vom Projektstandpunkt aus optimale Trassen- und Konstruktionslösung der Gestaltlösung zugrundezulegen und zusätzliche Forderungen der durchquerten Gebiete nur auf deren Kosten aufzunehmen. Es ist vielmehr die Aufgabe gestellt, daß mit dem Eingriff auch die optimale Lösung der Gestaltprobleme durchgeführt wird.

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Für einen adäquaten Umgang mit der Veränderung räumlicher Gestalt können folgende Prinzipien angeführt werden:

  • Prinzip der Erhaltung und Maximierung von Werten. Bestehende Werte sind zu erhalten und Eingriffe in diese Werte zu minimieren. Gleichzeitig soll die Summe der Werte, die durch die Veränderung der Situation eintreten, nach Möglichkeit maximiert werden.

  • Prinzip der Verflechtung der Systeme. Eine getrennte Betrachtung der verschiedenen Systeme wie Verkehrssystem, Siedlungssystem, Umweltsystem, Wasserhaushalt, Versorgung mit Energie usw. ist nicht möglich.

  • Prinzip der Ganzheit. Es geht um Gesamtwerte und Gesamtwirkungen; obwohl der Mensch in der Regel Einzelheiten wahrnimmt und Gesamtheiten nicht bewußt erfaßt, ist doch durch die unterschiedliche Wahrnehmung verschiedener Menschen und die unterschiedliche Bedeutung der Einzelheiten auf die Gesamtgestalt Rücksicht zu nehmen.

  • Prinzip der ökonomischen Unabhängigkeit von Gestaltung. Gute Gestaltung muß nicht mehr kosten als schlechte: In der Regel ergibt sich bei guter Gestaltung eher eine Verminderung der Gesamtkosten, da aufgrund der umfassenderen Planung zwar Mehrkosten in der Planungs- und Gestaltungsphase zu erwarten sind, nicht aber bei den eigentlichen Projektkosten.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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