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IV. Hemmnisse auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise


In den letzten 10 bis 15 Jahren ist eine zunehmende Sensibilisierung für ökologische Probleme festzustellen. Viele Unternehmen sind umweltbewußter geworden und beziehen den betrieblichen Umweltschutz über das technische Design von Produktionsanlagen und -verfahren hinaus in einem integrierten Ansatz auf die gesamte Management- bzw. Unternehmensebene. Erfolgsstories von Unternehmen im Umweltschutz werden allerdings nach wie vor nur selten als offensives Element in der Unternehmensstrategie genutzt. Dementsprechend muß positiven Umwelteffekten, die sich vielfach schon mit geringem Einsatz erzielen lassen, oft die betriebsexterne Anerkennung versagt bleiben.

Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht geht es beim nachhaltigen Wirtschaften um Lösungen für Problemkomplexe, die die Grenzen des einzelbetrieblichen Umweltschutzes weit überschreiten. Gesucht werden Antworten u.a. auf die folgende Fragen: Wo muß die Wirtschaft insgesamt hinsteuern? Welche Produkte und Dienstleistungen brauchen wir zukünftig? Wo bestehen Innovationshemmnisse? Wie werden Erfinder und Tüftler unterstützt? Was ist zu tun, damit die vielen guten Entwicklungen von der Wirtschaft aufgegriffen werden? Wie läßt sich der umweltbezogene Einfluß der Verbraucher stärken? Die aktuelle Diskussion verdeutlicht, daß auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise noch erhebliche Hemmnisse zu überwinden sind.

Zum einen ist hier der Komplex Umweltbewußtsein und -verantwortung zu nennen. Die meisten deutschen Unternehmen betreiben den betrieblichen Umweltschutz eher aus rechtlichen oder ökonomischen Erwägungen als aus Eigenverantwortung gegenüber der Umwelt. Bislang stammen erfolgreiche Umweltaktivitäten primär immer noch aus Bereichen, in denen gegenwärtige bzw. absehbare rechtliche Anforderungen (z.B. Öko-Audit) ein Handeln quasi erzwungen haben. Unklar bleibt daher, wie weit Produzenten bereit sind, über den gesetzlichen Rahmen hinaus etwas für den Umweltschutz zu tun, wenn mit Verschlechterungen der Kosten- oder Wettbewerbssituation zu rechnen ist. Nach wie vor ist das Umweltbewußtsein in vielen Betrieben und sogar in ganzen Branchen noch zu gering ausgeprägt. Dies gilt auch für die öffentliche Hand, wenn z.B. in behördlichen Ausschreibungen zum Kauf von Kraftfahrzeugen alternative Antriebe unberücksichtigt bleiben. Hierbei werden die Chancen vertan, die ein gezieltes öffentliches Beschaffungs- und Vergabewesen in Richtung auf ökologische Verbesserungen auslösen kann (z.B. Förderung der Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten und Technologien oder nach Dienstleistungen von Öko-Unternehmen).

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Die Frage des Umweltbewußtseins spiegelt sich auch in der kontroversen Diskussion um die Produktverantwortung und dabei beispielsweise konkret in der gering ausgeprägten Neigung der Automobilindustrie, Altautos kostenlos zurückzunehmen. Während sich der Kunde in der Gebrauchsphase bei technischen Problemen an das Servicenetz des Herstellers wenden kann, sollen nach Auffassung der Automobilindustrie bei der Entsorgung die Zulieferer mitwirken, obwohl die Autoindustrie selbst über die Art und Qualität der Zulieferteile entscheidet (ob z.B. eine Stoßstange aus umweltfreundlichem oder aus anderem Material besteht).

Die Verankerung des Gedankens der Produktverantwortung bei der Wirtschaft ist offenbar bisher in weiten Bereichen noch nicht gelungen. Analoges gilt für den Leitgedanken der Kreislaufwirtschaft, nach dem die Entsorgungskosten bereits in den Preis des neuen Produktes eingehen sollten. Dementsprechend wird ein Produzent den späteren Abfall – mit dessen Entsorgung er am Ende des Produktlebens konfrontiert wird – nur dann in sein Kalkül einbeziehen, wenn sich dies auch bereits im Produktpreis niederschlägt. Ungeklärt ist die Situation auch auf der Nachfrageseite. Der Käufer kennt oft die Umwelteigenschaften eines Produktes nicht und weiß bislang auch nicht, was mit dem Produkt am Ende der Gebrauchsphase passiert. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Umwelteigenschaften – wie derzeit bei BMW – nicht eigens werblich herausgestellt werden. Auf der Kundenseite mangelt es außerdem nach wie vor an Einflußmöglichkeiten auf die "entsorgungsbezogene" Produktgestaltung.

Die Integration der Entsorgungskosten in den Produktpreis ist jedoch nicht unproblematisch. So steht ein deutscher Anbieter von Dialysesystemen, der eine kostenlose Rücknahmegarantie für seine Produkte gewährt, vor der Situation, daß der Import des Artikels aus dem Ausland zum Preis von 5 bis 6 DM möglich ist, sein Preis einschließlich Rücknahmegarantie aber 8 bis 10 DM beträgt. Besonders für kleine Unternehmen erscheint in einer solchen Konstellation, in der die Kunden die Rücknahme nicht zu honorieren bereit sind, die Abwälzung der Entsorgungskosten auf den Käufer kaum möglich. Wer die Entsorgungskosten mitkalkuliert, hat somit einen Wettbewerbsnachteil. Viele Firmen, die entsprechende Konzepte "in der Schublade" haben, werden diese erst dann umsetzen, wenn diesbezügliche gesetzliche Vorschriften in Kraft sind; vorher werden sie nicht aktiv.

Letztlich wird eine Integration der Entsorgungskosten in den Produktpreis nicht für alle Produkte und Branchen gleichermaßen möglich sein. Vielfach ließen sich allerdings die Rahmenbedingungen allein dadurch verbessern, daß bereits angekün-

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digte und schon fertige Verordnungen endlich umgesetzt würden. Derzeit werden rücknahmebezogene Innovationen aber eher behindert. Beispielsweise wird die Umsetzung von innovativen Konzepten der Hersteller für die Handhabung von Elektronikschrott, die eine Einbeziehung der Entsorgungskosten und der Demontierbarkeit der Produkte in den Preis vorsehen, durch Zulieferer von Komponenten bzw. Händler gebremst. Dadurch werden auch Arbeitsplätze gefährdet, zumal nicht unerhebliche F&E-Mittel in solche Entwicklungen geflossen sind. Planungssicherheit in Bezug auf die Umweltpolitik würde auch die Markteinführung alternativer Antriebe erleichtern. Für die Herstellung und Nutzung von Elektro-, Wasserstoff- und Erdgasfahrzeugen erwarten Industrie bzw. Käufer klare politische Rahmenbedingungen.

Die Realisierung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise erfordert nach den Ergebnissen der Rio-Konferenz neben einer deutlichen Steigerung des Umweltbewußtseins insbesondere erhebliche Verbesserungen bei der Material- bzw. Energieeffizienz. Das Ausmaß der entsprechenden Potentiale ist allerdings derzeit noch unklar. Das Wuppertal-Institut hält in vielen Bereichen mindestens den Steigerungsfaktor 4 für erreichbar (d.h. eine Reduktion des Material- und Energieeinsatzes pro Produkt um 75%) und nennt dafür zahlreiche konkrete Beispiele. So sei das 1,5 Liter-Auto im wesentlichen durch "Leichtbauweise" aufgrund des Einsatzes neuer Materialien realisierbar. Die amerikanische Autoindustrie arbeite bereits in diese Richtung. Für solche Autos bestünden auch Vermarktungschancen z.B. in China, denn dort seien Autos mit 6 Litern Benzinverbrauch nur schwer zu verkaufen. In diesem Zusammenhang ist aber auch zu fragen, warum das Gewichtsproblem beim Auto nicht grundsätzlich von der Industrie in Angriff genommen wird. Die Vorschläge dazu (u.a. von Greenpeace und vom Wuppertal-Institut) liegen auf dem Tisch, die technischen Grundlagen sind vorhanden.

Welche Effizienzsteigerung erzielbar ist, muß in der Praxis allerdings für jedes Produkt und jede Branche gesondert beantwortet werden. In vielen Bereichen erscheint der Faktor 4 derzeit nicht durchsetzbar. Bei Waschmitteln z.B. wurde die Produktmenge pro Waschgang bereits entscheidend reduziert. Deshalb würden dort bei den gegenwärtigen Verfahren mit einem Faktor von "nur" 3 die möglichen Spielräume für Effizienzsteigerungen voll ausgeschöpft. Weitere Einsparungen wären einmal für die Hersteller unter Wirtschaftlichkeitsaspekten problematisch. Sie stellen zum anderen aber auch zu hohe Anforderung an den Verbraucher mit der Folge, daß eher Überdosierungen zu befürchten seien.

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Bei der nachhaltigen Wirtschaftsweise geht es auch darum, den Verbrauch an Gütern und Diensten einzuschränken. Dies setzt jedoch einen gesellschaftlichen Konsens voraus. Diesen herzustellen liegt jedoch nicht in der Kompetenz einzelner Unternehmen, sondern ist eher eine politische Aufgabe.

Eindrucksvolle Einzelbeispiele lassen sich im übrigen nicht auf eine gesamtwirtschaftliche bzw. durchschnittliche Effizienzsteigerung hochrechnen. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß der Ausstoß von Gütern und Dienstleistungen weiter wachsen wird. Hierdurch können die Entlastungseffekte einer erfolgreichen Umweltpolitik mehr als kompensiert werden. Dementsprechend sind auch die bisherigen Erfahrungen mit der Reduktion von Stoffströmen – verglichen mit den Vorgaben des "Faktors 4" – in der Praxis eher ernüchternd. Kurzfristig muß es primär darum gehen, ein weiteres Ausufern der Stoffströme zu verhindern. Bei einer jährlichen Wachstumsrate der Gütermengen um etwa 4% erfordert allein die Konstanthaltung der Stoffströme eine Verringerung des Ressourcenverbrauchs um eben diese 4% p.a. (z.B. durch qualitative Verbesserung von Produkten und Verfahren). Mit diesem für die Unternehmen vergleichsweise realistischen Kurzfristziel einer "relativen" Effizienzsteigerung allein können allerdings die Anforderungen einer nachhaltigen Wirtschaftsweise keineswegs erfüllt werden. Für eine zukunftsfähige expandierende Industriegesellschaft ist deshalb eine sukzessive Verschärfung der Umweltnormen notwendig. Aber auch in Zeiten konjunktureller Abschwächung mit hohen Arbeitslosenzahlen sollten sich die Prioritäten nicht zu Lasten des Umweltschutzes verschieben. Entsprechende Konzepte laufen dem unumkehrbaren Wachstumstrend der ökologischen Anforderungen der Gesellschaft zuwider. Sie stellen allenfalls kurzfristig ökonomische Entlastungen in Aussicht. Langfristig gefährdet die Ausgrenzung ökologischer Ansprüche aber eher die betriebliche Existenz und das gesamte Ökosystem Erde.

Langfristig werden Strategien wichtig, die über die reine Verbesserung der produktbezogenen Stoffströme hinausgehen. Unter dieser Perspektive gewinnt auch die Substituierbarkeit von Produkten durch Dienstleistungen an Bedeutung. Beispielsweise werden Autos im Durchschnitt täglich nur 1 bis 2 Stunden genutzt. Deshalb ist über die Einbeziehung des Autos in Verkehrsdienstleistungen nachzudenken, konkret über Car-Sharing oder Car-Leasing. Konsequenz wären ein Rückgang des inländischen Autobedarfs und erhebliche Beschäftigungseinbrüche. Diese könnten kompensiert werden durch die Erschließung neuer Märkte für Verkehrsmittel des Nah- und Fernverkehrs von Personen und Gütern (z.B. in Indien oder China). Reformbedarf besteht auch bei der Verkehrsorganisation. In unseren Städten sollte die Nutzung des Autos z.B. besser mit den bestehenden Verkehrs-

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alternativen (ÖPNV, Fahrrad, Fußgänger) abgestimmt werden. BMW erarbeitet zur Zeit mit den Städten Dresden und Regensburg entsprechende neue Verkehrskonzepte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

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