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V. Anreizinstrumente für einen ökologischen Strukturwandel


Zur Zeit stufen Unternehmen und Wirtschaftsverbände Umweltschutz – insbesondere angesichts einer Vielzahl detaillierter gesetzlicher Regelungen – im wesentlichen als einen Kostenfaktor und Standortnachteil ein. Dementsprechend wird die Debatte über eine umweltorientierte Unternehmensführung nach wie vor eher defensiv und ohne Blick für die ökologischen Erfordernisse geführt. Besonders in mittelständischen Unternehmen werden die wirtschaftlichen Chancen des Umweltschutzes relativ selten erkannt und noch seltener genutzt.

Im Kontrast zu dieser eher kritischen Sicht ökologische Aktivitäten stehen die positiven Erfahrungen, die eine Reihe vor Unternehmen allgemein mit dem vorsorgenden Umweltschutz und speziell mit dem produktionsintegrierten Umweltschutz gemacht haben. Diesen Unternehmen ist es offensichtlich gelungen, Ökonomie und Ökologie im Einklang zu bringen. Grundlage für das erfolgreiche Umweltmanagement ist einmal die Nutzung von neuen Instrumenten der Umweltpolitik – wie Umweltcontrolling, umweltorientierte Unternehmensführung und Öko-Audit. Zum anderen erleichtern aber auch öffentliche und private Fördermittel Investitionen in den Umweltschutz.

Die für ökologische Fragen aufgeschlossenen Unternehmen haben ihre Produktionsprozesse und Produkte in Richtung auf eine Kreislaufwirtschaft verändert. Dabei wurden volkswirtschaftliche Aspekte in die bislang isolierte betriebswirtschaftliche Unternehmenspolitik aufgenommen. An die Stelle von defensiven Umweltschutzaktivitäten, die sich lediglich mit der Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben begnügen, treten zunehmend offensive Strategien, die ökologische Aspekte aktiv in unternehmerische Entscheidungsprozesse einbeziehen. Damit werden zugleich weitere gesetzliche Verschärfungen von Umweltnormen überflüssig, da diese in der betrieblichen Praxis quasi antizipiert wurden.

Fest steht, daß erst vorsorgender Umweltschutz im Sinne einer ökologischen Produkt- und Prozeßgestaltung uns künftig von Kosten für die Reparatur von Umweltschäden entlastet. Bei umweltverträglichen Produkten entfällt die Wiedergutmachung verursachter ökologischer Schäden. Da hier auch keine Kosten für das nachträgliche Wegfiltern von Schadstoffen anfallen, sind solche Produkte auch wettbewerbsfähiger. Herkömmliche rohstoff- und energieaufwendige Massenproduktion rechnet sich dagegen nicht mehr wie früher. Diese Erkenntnis setzt sich bisher aber nur zögerlich in den Unternehmen und innerhalb der Branchen durch. Die Zurückhaltung bei der Umsetzung von Konzepten für die Beseiti-

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gung von Defiziten im Umweltschutz trägt auch dazu bei, daß weite Teile der Bevölkerung der Wirtschaft eine kompetente Bewältigung der Umweltprobleme nicht zutrauen. Hier gilt es, den Pionierunternehmen Mut zu machen, die dem ökologischen Fortschritt nicht skeptisch gegenüberstehen, sondern diesen als Chance für die Sicherung der betrieblichen Existenz als Standort Deutschland erkannt und auch bereits genutzt haben.

Die Regeln einer nachhaltigen Wirtschaftsweise erfordern aber auch eine Wende in der Umweltpolitik. Wo bisher nur ein "Kurieren an Symptomen" betrieben wurde, muß künftig eine zukunftsorientierte Umweltpolitik die Entwicklungschancen für nachfolgende Generationen sichern. Es geht nicht mehr darum, Grenzwerte festzusetzen. Stattdessen ist ein ökologischer Strukturwandel in die Wege zu leiten, der sicherstellt, daß auf Umweltdefizite nicht mehr lediglich reagiert, sondern bereits das Entstehen von Umweltbelastungen verhindert wird. Hierzu müssten die z.Zt. noch bestehenden Anreize für Umweltbelastungen beseitigt werden, indem sich umweltschädigendes Verhalten als Kostenfaktor und umweltschonende Aktivitäten als Erlösfaktor niederschlagen. Dementsprechend sollten typische Folgekosten der industriellen Produktion – wie Abfallbeseitigung oder Altlastensanierung – in Zukunft weniger aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden. Vielmehr sind solche Kosten stärker in den individuellen Gewinn- und Verlustrechnungen der Unternehmen zu berücksichtigen . Damit wird vermieden, daß sich mit ökologisch bedenklichen Produktionsmethoden erzielte Gewinne des einzelnen Unternehmens in der volkswirtschaftlichen Gesamtbilanz als Verluste erweisen. Umgekehrt müsste auch gewährleistet werden, daß der Markt für Umweltentlastungen höhere Preise akzeptiert.

Die Reduktion der Energie- und Ressourcenverbräuche erfordert schließlich ein intelligentes Stoffstrommanagement. Dieses ist nicht durch eine direkte (planwirtschaftliche) Steuerung der Wirtschaftsprozesse sicherzustellen. Vielmehr muß die öffentliche Hand verstärkt marktwirtschaftliche Parameter nutzen, indem sie Preissignale für die ökonomische Umsetzung von Umweltbe- und -entlastungen setzt. Mit neuen staatlichen Rahmenbedingungen, die die gesetzlichen Regelungen zur Verbesserung der Umweltqualität nicht ersetzen, sondern ergänzen, ist das Marktgeschehen in andere Bahnen zu lenken. Hierzu sind die traditionellen Instrumente der Wirtschaft- und Finanzpolitik unter Beachtung von Umweltschutzkriterien zu reformieren. Beispielsweise könnte eine engere Verzahnung von Steuerpolitik und Umweltschutz eine Umstrukturierung der Faktorpreisrelationen induzieren. Bisher sind nicht nachwachsende Ressourcen und Energie zu billig, die Vermeidung von Umweltbelastungen und Recycling lohnen sich kaum.

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Dagegen ist der Faktor Arbeit wegen hoher Lohnnebenkosten vergleichsweise teuer. Diese Konstellation führt zwangsläufig zu hoher Arbeitslosigkeit und hohen Umweltbelastungen.

Anders wäre die Situation, wenn durch ein ökologisch orientiertes Steuer- und Abgabesystem andere Rahmenbedingungen für die Erstellung von Gütern und Diensten gesetzt würden. Eine aufkommensneutrale Umsetzung, d.h. Erhebung von umweltrelevanten, rohstoff- und emissionsbezogenen Abgaben bei gleichzeitiger Senkung von Lohnnebenkosten und klassischen Steuern wie Einkommen- und Gewerbesteuer könnte auf der einen Seite stetige Staatseinnahmen, Steuergerechtigkeit und zusätzliche Chancen für die Unternehmen auf den Weltmärkten bewirken. Auf der anderen Seite würde eine entsprechende Steuerreform dazu beitragen, daß künftig mit einem Minimum an Energie und Rohstoffeinsatz Verbesserungen von Produktivität, Qualität und Umweltverträglichkeit erreicht werden. Diese Strategie, bei der die Steuerlast vom Faktor Arbeit auf die Nutzung von Ressourcen und die Umweltschädigung umverteilt wird, wäre somit mit weniger Umweltbelastungen, Wachstumsimpulsen in zukunftsträchtigen Bereichen und einen höheren Arbeitskräftebedarf verknüpft.

Solche Wirkungen treten zwar nicht von heute auf morgen ein. Damit aber mittelfristig die Verteuerung der Umweltnutzung und die Verbilligung der Arbeitskraft zu dem gewünschten Strukturwandel führen, muß jetzt mit der Änderung der Faktorpreise begonnen werden. Dementsprechend ist es nach Auffassung der SPD-Bundestagsfaktion für eine ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft entscheidend, über dauerhafte, umweltschützende Aktivitäten nicht nur zu reden, sondern durch wirksame Anreize jetzt die Voraussetzungen zu schaffen, um

  • ressourcenschonend und abfallarm zu wirtschaften,

  • in der Energieversorgung zu einer Effizienzsteigerung überzuleiten,

  • eine hohe Material- und Stoffproduktivität zu erreichen,

  • die natürlichen Stoffkreisläufe nicht zu überlasten und

  • die Funktionsfähigkeit der Öko-Systeme durch einen verbesserten Ordnungsrahmen zu erhalten.

Derartige Überlegungen für eine ökologische Steuerreform hat die SPD als erste Partei entwickelt. Bereits Ende der 80er Jahre wurde im Berliner Grundsatzprogramm und im Programm "Fortschritt '90" ein Konzept vorgelegt, das die

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Umweltpolitik mit anderen Politikbereichen – insbesondere der Finanzwirtschafts- und Sozialpolitik – verzahnen will. Ziele sind einerseits Entlastungen bei Steuern und Abgaben, andererseits Belastungen von umweltschädlichen Verhaltensweisen. Dementsprechend führen vorsorgender Umweltschutz und auf eine Kreislaufwirtschaft ausgerichtete Produkte und Produktionsverfahren zu Kostenentlastungen in Unternehmen, während für Umweltbelastungen und verschwenderischen Umgang mit Rohstoffen und Energie vom Verursacher (progressive) Umwelt- und Schadstoffabgaben zu tragen sind.

Auch in Zeiten konjunktureller Abschwächung darf der Prozess des ökologischen Strukturwandels nicht ausgesetzt werden. Auch hier sollten (kurzfristige) wirtschaftliche Interessen keinen Vorrang vor (langfristigen) Umweltinteressen haben. Das Versagen der Wirtschaftspolitik in der Arbeitsmarktfrage zeigt, daß mit den alten Rezepten und Abstrichen beim Umweltschutz das Problem der Massenarbeitslosigkeit offensichtlich nicht gelöst werden kann. Deshalb sollten jetzt durch eine ökologische Finanzreform die Weichen in Richtung auf ein zukunftsfähiges Deutschland gestellt werden. Nur wenn heute die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden, können morgen die Chancen, die der Umweltschutz für den Standort Deutschland in Aussicht stellt, auch genutzt werden. Ein solches Umschwenken auf eine umweltorientierte Politik wäre im übrigen auch kein nationaler Alleingang, sondern – wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen feststellt – allenfalls der Versuch, den Anschluß an die Vorreiterstaaten in Europa zu halten.

Eine ökologische Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Umweltdefizite, aber auch erfolgreiche Umweltschutzmaßnahmen marktwirtschaftlich erfaßbar und kalkulierbar macht, wäre insbesondere auch für kleine und mittlere Unternehmen hilfreich. Diese Unternehmen verfügen i.d.R. nicht über die persönlichen und finanziellen Ressourcen, die für eine adäquate Bewältigung von Umweltproblemen benötigt werden. Durch die marktwirtschaftliche Transformation von Umweltbelastungen in Preisfaktoren für den Ressourcenverbrauch schlägt sich das Engagement eines Unternehmens im Umweltschutz direkt und automatisch in der betrieblichen Kosten- und Erlösrechnung nieder.

Ökonomische und ökologische Potentiale können aber auch durch die ausführlich in Kapitel II beschriebenen betrieblichen Eigeninitiativen im Umweltschutz erschlossen werden. Für derartige Aktivitäten haben öffentliche Anreizsysteme auslösende, beschleunigte und verstärkende Wirkung. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise Initiativen der europäischen Umweltpolitik zu nennen – wie die Zertifizierung erfolgreicher ökologischer Unternehmensstrategien im Rahmen der

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EG-Öko-Audit-Verordnung. Diese begünstigen die Einführung von Umweltmanagementsystemen und die Realisierung von Investitionen in den Umweltschutz, die nicht nur zu Kostenentlastungen führen, sondern auch vom Markt honoriert werden. Darüber hinaus verbessern sie die Information des Bürgers und seine Wahlmöglichkeiten zugunsten umweltfreundlicher Produkte. Entsprechende betriebliche Aktivitäten sollte die öffentliche Hand verstärkt unterstützen, indem sie Orientierungshilfen und Leitlinien für eine ökologische Umorientierung der Unternehmenspolitik vorgibt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

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