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[Seite der Druckausgabe: 19 / Fortsetzung]

4. Schaffung von Wohnraum durch Eigentumsbildung

4.1 Notwendiges Investitionsvolumen

Die Wohnsituation in den neuen Bundesländern ist durch eine Reihe von quantitativen und qualitativen Defiziten gekennzeichnet. Hierzu zählt einmal die geringere Versorgung der ostdeutschen Bevölkerung mit Wohnfläche (28 m2 gegenüber 35 m2 in den alten Bundesländern). Zum anderen gibt es auch Mängel in der Wohnungsstruktur. So sind lediglich 9 % der Wohnungen gut erhalten und 40 % weisen nur geringe Schäden auf. Dem stehen 11 % unbewohnbare Wohnungen und 40 % Wohnungen mit schwerwiegenden Schäden gegenüber. Dabei sind die Mängel in den letzten Jahren nicht abgebaut worden. Vielmehr zeichnen sich in Teilbereichen weitere Verschlechterungen ab.

Zum Investitionsvolumen, das für die Beseitigung der quantitativen und vor allem qualitativen Defizite bei den Wohnungsbeständen erforderlich ist, wurden Schätzungen mit sehr unterschiedlichen Größenordnungen publiziert. So hält die LBS Ostdeutsche Bausparkasse AG (LBS Ost) 550 Mrd. DM für erforderlich, und das ifo-Institut rechnet mit einem Investitionsbedarf von etwa 1.000 Mrd. DM. Diese Zahlenbeispiele verdeutlichen, daß erhebliche Unsicherheiten bei der Schätzung der notwendigen Investitionen bestehen. Sie machen im Grunde nur deutlich, daß in den kommenden Jahren auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt enorme Aufgaben zu lösen sind.

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4.2 Unterstützung des privaten Wohnungsbaus

Bei der Lösung der Probleme kommt der Bildung von Wohneigentum eine Schlüsselrolle zu. In diesem Bereich befindet sich Deutschland im europäischen Vergleich am Ende der Rangskala. So wohnten 1990 in den neuen Bundesländern nur 22 % der Haushalte in den eigenen vier Wänden; die alten Bundesländer haben mit 39 % den zweitniedrigsten Wert zu verzeichnen. Wesentlich günstiger schneiden u.a. Frankreich (55 %), Großbritannien (60 °/o) und Spanien (85 %) ab. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll sich die geringe Eigentumsquote langfristig auf 50 % erhöhen. Voraussetzung hierfür sind erhebliche finanzielle Leistungen sowohl der öffentlichen Hände als auch privater Investoren.

Die Bausparkassen sind intensiv in den Prozeß der Eigentumsbildung in den östlichen Bundesländern integriert. Hier besteht ein Kontraktvolumen von 60 Mrd. DM, das in den kommenden Jahren für Wohneigentumsmaßnahmen (Bestandsausweitungen und -verbesserungen) bereit steht, und von dem bisher 10 Mrd. DM abgeflossen sind. Im Vergleich mit den oben erwähnten Schätzungen zum Investitionsbedarf macht dieses Bausparvolumen zweierlei deutlich: Einmal kann die wohnungspolitische Aufgabe nicht kurz- oder mittelfristig gelöst werden; vielmehr bleiben weit über die Jahrtausendgrenze hinaus Maßnahmen im Wohnungsbau erforderlich. Zum anderen ist unverkennbar, daß die privaten Mittel allein für die Finanzierung der notwendigen Investitionen nicht ausreichen. Erforderlich ist vielmehr eine ergänzende Förderung der Wohneigentumsbildung durch die öffentliche Hand.

Zahlen aus einer Untersuchung der LBS über die Effektivität der Verwendung der Mittel aus der Wohnungsbauförderung in den westdeutschen Bundesländern verdeutlichen, daß bei den verschiedenen Förderwegen für den durchschnittlich je Wohnung benötigen Förderaufwand (Steuerausfälle und direkte Subventionen bzw. Zinszuschüsse) erhebliche Abweichungen gelten. Hierbei ist nach Auffassung der LBS Ost die weitverbreitete Meinung, die Probleme der Wohnungsversorgung durch einen hochsubventionierten sozialen Wohnungsbau lösen zu müssen, der falsche Ansatz, weil auf diese Weise die private Initiative nicht gestärkt wird. Die folgende Abbildung zeigt vielmehr, daß die finanzielle Unterstützung von Eigentumsmaßnahmen für die öffentliche Hand eine wesentlich günstigere Lösung ist, denn über diese Mittelverwendung kann der Bau einer erheblich größeren Wohnungsanzahl induziert werden (direkte Wirkung). Hinzu kommen die indirekten Effekte, die durch das Freimachen von Wohnraum durch die Wohneigentumserwerber für Nachrücker entstehen: So werden nach den Ermittlungen von GEWOS-IMA 90 in den alten Bundeslän-

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dem durch 100 neue Eigentumsmaßnahmen in der ersten und zweiten Stufe der Umzugskette allein 28 Sozialwohnungen frei. Solche Sickereffekte der privaten Wohnungsvorsorge werden auch im Osten der Bundesrepublik nachziehenden Wohnungssuchenden zugute kommen.


Eine sinnvolle Ergänzungsmaßnahme ist in diesem Zusammenhang die Gewährung einer Auszugsprämie an Bauwillige durch die öffentliche Hand, wenn auf diese Weise Wohnungen im subventionierten Bestand freigemacht werden, in die über die Belegungsrechte der Kommunen berechtigte Wohnungssuchende nachziehen können. Dieser Ansatz berücksichtigt, daß den ostdeutschen Bürgern im Durchschnitt zum Bauen das nötige Eigenkapital fehlt. Das bedeutet allerdings nicht, daß durchgehend zu wenig Eigenmittel vorhanden sind, denn die Spareinlagen und Sparbriefe machen in den neuen Bundesländern pro Einwohner etwa DM 4.000 aus. Hieraus ergibt sich pro Haushalt ein Wert, der nach Auffassung der LBS Ost im Prinzip dafür ausreicht, Baumaßnahmen in Angriff zu nehmen.

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Da der Versuch, die dringend erforderlichen quantitativen und qualitativen Verbesserungen der Wohnungssituation allein mit dem Instrument des sozialen Wohnungsbaus erreichen zu wollen, die öffentliche Hand finanziell überfordern würde und - wie oben dargestellt - die Lösung mit der geringsten Effizienz der Wohnungsbauförderung darstellt, empfiehlt die LBS Ost, daß vorrangig Eigentumsmaßnahmen und der freifinanzierte Wohnungsbau unterstützt werden. Entsprechende Privatinitiativen tragen zur Verringerung der Wohnungsprobleme in Ostdeutschland bei. Das vorhandene Nachfragepotential in groß. Allerdings sinkt die Bereitschaft, die Wohnungsversorgung in eigener Initiative zu lösen, dramatisch. So schrumpfte die artikulierte Nachfrage auf dem Immobilienmarkt durch zurückgehende private Investitionsbereitschaft in den nächsten zwei Jahren nach einer Umfrage von GEWOS (IMA '92) von 493.000 auf 384.000 Haushalte. Mitverantwortlich für diesen Trend ist, daß große Teile der Bevölkerung in eine kritische Grundhaltung verfallen sind, weil für sie die hochgestellten Erwartungen aus der Wiedervereinigung nicht in Erfüllung gegangen sind.

Andere Werte zeigt eine Untersuchung von Infratest aus August 1992. Hiernach haben rund 800.000 Haushalte die Absicht, in den nächsten zwei bis drei Jahren in Immobilien zu investieren. Nach derselben Erhebung wollen bei den Besitzern von Bausparverträgen - das sind knapp 22 % der Haushalte - etwa 590.000 Haushalte Wohneigentum erwerben. Hieraus lassen sich zwei Dinge ableiten: Einmal ist das Interesse an Wohneigentumsmaßnahmen nach wie vor groß; "gemittelt" lassen die Analysen in den nächsten zwei bis drei Jahren ein maximales Nachfragepotential von 200.000 Haushalten pro Jahr erwarten. Zum anderen haben die Bausparkassen den Wunsch, Wohneigentum zu bilden, günstig beeinflussen können.

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4.3 Privatisierung von Wohnungsbeständen

Ein anderer Weg der Wohneigentumsbildung ist die Privatisierung von Wohnungsbeständen. Diesem Konzept hat es nach Auffassung der LBS Ost jedoch sehr geschadet, daß es zunächst mit publikumswirksamen Argumenten verbreitet, dann aber unseriös realisiert wurde: In der Startphase waren 28 % der Mieter daran interessiert, ihre Wohnung zu kaufen. Ein Jahr später waren nach IMA '92 nur noch 18 % Mieterhaushalte (ohne Genossenschaftswohnungen) festzustellen, die sich mit dem Erwerb ihrer Mietwohnung befaßten.

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Nach eigenen bzw. geschätzten Angaben der LBS Ost lagen die Abgabepotentiale für Privatisierungen 1991

  • im Genossenschaftsbereich bei 87.000 WE (614 realisiert)
  • im kommunalen Bereich bei 1,5 Mio. WE (etwa 3.000 realisiert) und
  • bei der Treuhandanstalt bei 200.000 WE (etwa 1.000 realisiert).

Insgesamt handelt es sich also um etwa 1,8 Mio. WE, die rund ein Viertel des gesamten Wohnungsbestandes in den neuen Bundesländern ausmachen. Die Realisierung des angestrebten Verkaufs an die Mieter würde die Eigentumsquote von derzeit 22 % auf 50 % steigen lassen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber, daß sich nicht alle Bestände für eine Privatisierung eignen. Erfahrungen aus den alten Bundesländern zeigen, daß Großwohnanlagen kaum für Eigentumsmaßnahmen in Frage kommen. Anzustreben sind vielmehr kleinere Wohneigentümergemeinschaften.

Auf die Grenzen der Privatisierung hat die LBS Ost frühzeitig hingewiesen. So wird die Absicht, Wohneigentum für Selbstnutzer zu schaffen, u.a. beeinträchtigt durch die Altschulden. Gestaffelt nach Baujahrgängen steigt hier die Belastung pro Wohnung von der ersten Bauperiode (1960/64) mit dem DM 7.000 über etwa DM 17.000 in den 70er Jahren auf DM 48.000 in der letzten Bauperiode (1985/89). Im Durchschnitt sind dabei DM 23.000 bei jeder Privatisierung zu verkraften; bei diesem Wert handelt es sich allerdings nur um eine theoretische Angabe, die die Struktur des zu privatisierenden Wohnungsbestandes gar nicht trifft.

Weitere negative Effekte hängen damit zusammen, daß zwei Mio. objektbezogene Restitutionsansprüche vorliegen. Diese werden nach Einschätzung der LBS Ost auf dem Markt einen Überhang an vermieteten Objekten bringen.

Wichtig ist schließlich auch, daß die Käufer bei der Privatisierung nicht mit den Risiken der Sanierung des Wohneigentums alleingelassen werden. Zur Privatisierung gehört vielmehr ein Sanierungskonzept, das sich nach Auffassung der Konferenzteilnehmer nicht auf das Gemeinschaftseigentum beschränken darf, sondern die Grundsanierung der Mietwohnungen einschließt.

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4.4 Modifizierung der Förderbedingungen

Die Chancen für die Realisierung von Eigentumsmaßnahmen sowohl im Bereich des Neubaus als auch bei der Privatisierung werden durch das Bausparen wesentlich verbessert. Dabei sollten nach Auffassung der LBS Ost die finanziellen Mittel auf den Neubau konzentriert werden. Bei den Sanierungsmaßnahmen, die den Altbaubestand betreffen, plädiert die Bausparkasse für eine Subjektförderung anstelle von Objektförderungen; dementsprechend sind berechtigte Antragsteller z.B. in Abhängigkeit vom verfügbaren Eigenkapital oder der Einkommenssituation gezielt zu unterstützen.

Um die Förderbedingungen zugunsten des Wohnungsbaus besser der Einkommens- und Vermögenssituation in den neuen Bundesländern anzupassen, schlägt die LBS Ost folgende Maßnahmen vor:

  • Umgestaltung der steuerlichen Förderung nach 10 e EStG in Richtung einer progressions- bzw. einkommensunabhängigen Regelung. Auf diese Weise sollen progressionsbedingte Benachteiligungen von Investoren aus den neuen Bundesländern und stärkere Subventionierung der Bezieher von höheren Einkommen verhindert werden. In diesem Zusammenhang wird die Einführung negativer Steuerwirkungen angeregt.
  • Gewährung einer Investitionsprämie für Bauwillige in Höhe von 4 % auf maximal DM 200.000 Bauvolumen für die Dauer von fünf Jahren. Dabei ist politisch zu entscheiden, ob diese Prämie an den Auszug aus einer kommunal gebundenen Wohnung gekoppelt wird.
  • Sachgerechte Verlängerung der "Ostpräferenz" der Bausparförderung. Hierdurch soll der Anreiz aufrecht erhalten bleiben, dem Wohnungsmarkt der neuen Bundesländer auch weiterhin privates Kapital zur Verfügung zu stellen.
  • Hohe Abschreibungen bei privaten Investitionen im Wohnungsbau. Über dieses Instrument kann die Nachfrage von "go-east"- Anlegern, um die sich die steuerkundige Branche intensiv bemüht, regional starke Impulse erhalten.

Insgesamt rechnet die LBS Ost damit, daß sich in Ostdeutschland jetzt schnell ein Wohnungsmarkt bilden wird. Das Wohnungsangebot wird spürbar größer. Noch sind die Preise nicht eingependelt. Die überzogenen, von vielen Phantasien gestützten Erwartungen auf der Verkäuferseite werden zusammenbrechen. Es sind bereits Preisnachlässe festzustellen. Bauträgerangebote werden eine Preiskorrekturfunktion übernehmen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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