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[Seite der Druckausgabe: 12 / Fortsetzung]

3. Innenstadtsanierung am Beispiel der Modellstädte

3.1 Begleitende Forschung

Innerhalb des Sonderprogramms "Modellstädte", in das auf der Grundlage des Gemeinschaftswerkes "Aufschwung Ost" 11 Städte einbezogen sind [Fn.3: Brandenburg, Cottbus, Halberstadt, Naumburg, Meißen, Görlitz, Weimar, Jena, Mühlhausen. Stralsund und Güstrow] , wird seit dem Jahre 1991 das Forschungsprojekt "Revitalisierung historischer Stadtkerne" als Komponente des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (EXWOST) durchgeführt. Diese Begleitforschung, die durch die Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung erfolgt, ist Teil des Forschungsfeldes "Städtebauliche Erneuerung" (vgl. Abb.). Sie beschäftigt sich u.a.

  • mit Fragen der Finanzierung, insbesondere des Einsatzes von Fördermitteln und von Anstoßeffekten für private Investitionen, die durch Finanzierung von Vorhaben der öffentlichen Hand sowie durch Ordnungs- und Baumaßnahmen induziert werden,
  • mit der Anwendung und Wirkung des Einsatzes der Instrumente des Planungs-, Boden- und Baurechtes,
  • mit dem Einsatz vertraglicher Instrumente,
  • mit der Einflußnahme anderer Rechtsbereiche auf das Modellvorhaben,
  • mit der Aufteilung der Modellvorhaben auf verschiedene Maßnahmenträger,
  • mit der Beteiligung der Bürger und Betroffenen,
  • mit dem Ablauf der Modellvorhaben sowie
  • mit der Übertragbarkeit der Modellvorhaben.

Wichtiger Bestandteil des Projektes sind die Durchführung von Arbeitstreffen mit Vertretern der Modellstädte sowie Transferveranstaltungen, auf denen die Erfahrungen aus dem Projekt an Städte vermittelt werden, die gleichfalls mit Aufgaben der Stadterneuerung und - Sanierung befaßt sind. Jährlich findet ein Kongreß "Stadterneuerung" statt, auf dem die Ergebnisse aus dem Modellstadtprogramm einem breiten Fachpublikum vorgestellt werden.

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3.2 Abgrenzung der Sanierungsgebiete

Auffallend, aber den Sanierungsaufgaben angemessen sind die relativ großen Sanierungsgebiete. Diese reichen von 140 ha (Güstrow) bis zu 32 ha (Meißen). Die Gebietsgrößen spiegeln die spezifischen Bedingungen vieler Altstadtgebiete in den neuen Bundesländern. Vergleichbare Standortgrößen sind in den alten Bundesländern kaum bekannt. Schon allein an Hand der Zahl und Größe der Sanierungsstandorte läßt sich die Bedeutung der Stadtsanierung in den neuen Bundesländern abschätzen. Bei einer durchschnittlichen Größe der Sanierungsgebiete von ca. 70 ha und der Gebiete für vorbereitende Untersuchungen von ca. 90 ha ergeben sich Stadterneuerungs- und -entwicklungsaufgaben, deren Realisierung Jahre dauern wird. In die Sanierungsgebiete einbezogen sind in der Regel der gesamte Altstadtbereich und die historischen Vorstädte.

Für die Größe der Sanierungsgebiete sprechen insbesondere zwei Gründe:

  1. der Umfang der auftretenden städtebaulichen Mißstände, die eine Einschränkung der Sanierungsflächen kaum erlauben, sowie

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  1. die Notwendigkeit von Handlungsspielräumen, die ein Ausweichen von mit Restitionsansprüchen belasteten Grundstücken auf nicht belastete Grundstücke erfordern.

In diesen Sanierungsgebieten kann die Neuordnung punktuell, in der Regel in kompletten Straßenzügen oder städtischen Quartieren beginnen und im Parallelverfahren von Planung, Ordnungs-, Sicherungs- und Baumaßnahmen abgewickelt werden. Dabei bedienen sich die Städte und Gemeinden bei der Ausführung der Sanierungs- und Erneuerungsarbeiten Sanierungsträger, die hinreichend über Erfahrungen und know how aus vergleichbaren Projekten der alten Bundesländer mitbringen.

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3.3 Städtebauliche Situation

Erste Ergebnisse aus den Voruntersuchungen zu den Modellprojekten zeichnen ein deutliches Bild von der sozialen und städtebaulichen Problematik innerhalb der Altstadtgebiete: Beispielsweise hat in der Altstadt von Naumburg der Verfall der Substanz - verbunden mit Funktionsverödung und dem Wegzug eines Teils der Bevölkerung - bereits in den 50er Jahren mit der Umwandlung eines Großteils der privaten Handelsgeschäfte in volkseigene oder genossenschaftliche Einrichtungen begonnen. Von den früheren Inhabern, die überwiegend in den Häusern wohnten, in denen sich auch ihre Läden oder Gaststätten befanden, verließen viele die Stadt bzw. die DDR. Aus dieser Entwicklung resultieren heute zusätzlich ungelöste Eigentumsprobleme, wie sie für die Sanierungsgebiete aller Modellstädte typisch sind. Hier liegt auch eine Ursache für den Substanzverfall: Die in die Wohnungen des Altbaubestandes nachziehenden Mieter hatten keinerlei persönliche Bindung zu Haus, Grundstück oder Gewerbeeinrichtung im Erdgeschoß. [Fn.15: Stadtsanierung Naumburg, Bericht Vorbereitende Untersuchung, Städtebaulicher Rahmenplan; Bearbeitung.: Architektenbüro Walter und Parker, Planungsbüro Thüringen der Hessischen Heimstätte, Architektenbüro Knecht - unveröffentlichtes Arbeitsmaterial]

Staatliche Mittel für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen gab es über viele Jahre nur partiell und sporadisch für ausgewählte Gebäude und Straßenzüge. Der Anteil sozial schwacher Bewohner nahm, bei gleichzeitig schrumpfender Gesamteinwohnerzahl in den Altstadtbereichen der Modellstädte, bis in die 90er Jahre ständig zu.

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In der Stralsunder Innenstadt verringerte sich die Einwohnerzahl z.B. zwischen den Jahren 1958 und 1989 von 15.000 auf 6.3001. Ähnliche Tendenzen bestehen auch in anderen Modellstädten, wobei in einigen Fällen auch die Einwohnerzahl der Gesamtstadt z.T. drastisch zurückging. So waren von den 46.000 Einwohnern, die im Jahre 1946 noch in der Stadt Naumburg lebten, im Jahre 1990 nur noch 31.000 Einwohner übrig, und die Stadt Meißen verlor in den letzten 20 Jahren rund 10.000 Einwohner.

Typischer Weise führten in den Modellstädten - aber auch in vielen anderen Städten der neuen Bundesländer - mangelnde Nutzung und unterlassene Instandhaltung zum Verfall. Dieser erstreckt sich über ganze Straßenzüge. Ein besserer Bauzustand der Gebäude findet sich meist nur in den Hauptgeschäftsstraßen; dagegen haben Gebäude mit ausschließlicher Wohnnutzung einen hohen Anteil schlechter Bausubstanz und häufig auch eine mangelhafte sanitärtechnische Ausstattung. Primäre Schadensbereiche sind defekte Dächer und Dachentwässerungsanlagen, morbide Dachkonstruktionen und Deckenbalken; hinzu kommen Schäden durch aufsteigende Feuchtigkeit.



Bauzustand der Wohngebäude (Anteile in %)

Stadt

gut erhalten

geringe Schäden

schwere Schäden

z.Zt. nicht nutzbar

Cottbus

6

57

29

8

Jena

10

30

25

35

Meißen

5

44

29

22

Mühlhausen

29

60

11

11

Naumburg

6

30

47

17

Stralsund

4

17

43

36

Weimar

26

46

22

6

Quelle: Angaben zu den vorbereitenden Untersuchungen der Modellstädte, BfLR,Berlin,1992

Wie unterschiedlich einzelne Stadtquartiere vom Verfall gekennzeichnet sein können, zeigt das Beispiel Jena. Hier sind vier Sanierungsgebiete zu unterscheiden: In der Altstadt, in der die Universität 20% der Flächen nutzt, sind die Schäden an den

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Gebäuden weniger gravierend als in den historischen Vorstädten. Im Bereich der südlichen Vorstadt weisen 50% der Gebäude erhebliche bauliche Schäden auf, bei 38% droht der Verfall. Ähnlich ist die Situation in der westlichen und nördlichen Innenstadt, wo 42% bzw. 46% der Bausubstanz vom Verfall bedroht sind.

Der Hauptgrund für den schlechten Bauzustand der historischen Vorstädte ist in der übermäßigen Belastung dieser Bereiche durch den starken Durchgangsverkehr zu sehen. In allen Modellstädten werden die Funktionstüchtigkeit und Erlebbarkeit der historischen Altstadtbereiche durch die zunehmende Pkw-Dichte und die damit einhergehende Überlastung der Straßen durch fließenden und ruhenden Verkehr stark beeinträchtigt.

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3.4 Erhaltung kulturhistorischer Werte

Trotz der erheblichen baulichen und funktionellen Mängel sind die überkommenen historischen Stadtstrukturen weitgehend erhalten geblieben. Sie stellen einen wichtigen kulturhistorischen Wert dar und repräsentieren einen Teil der Siedlungsgeschichte in Europa. Zu den Modellvorhaben der Stadterneuerung gehören kulturgeschichtlich und städtebaulich bedeutende Denkmale wie die Altstädte von Brandenburg, Meißen, Mühlhausen, Naumburg, Güstrow, Görlitz, Stralsund und Weimar. Sie sind vergleichbar mit einer Reihe anderer, historisch bedeutender Altstadtkerne in den neuen Bundesländern, wie z.B. Quedlinburg, Osterwieck, Wernigerode, Bautzen, Torgau, Freiberg und Wasungen. Beispielsweise ist Brandenburg die älteste Stadt der ehemaligen Mark Brandenburg. Sie war Dreh- und Angelpunkt der deutschen Ostexpansion, bis in das hohe Mittelalter Hauptstadt der Mark und damit auch Mutterstadt Berlins. Noch heute zeugen Reste der Stadtbefestigung mit den Tortürmen, Kirchen- und Klosteranlagen, das Altstädtische Rathaus und der gesamte Stadtgrundriß von dieser Zeit. [Fn.5: Bodenschatz, Harald; Seifert, Carsten: Stadtbaukunst in Brandenburg. Hrsg. GSW-Gesellschaft für Stadterneuerung , 1.Auflage - Transit Berlin 1992]

Ein anderes Beispiel ist die Stadt Meißen, die schon im 10. Jahrhundert neben Hamburg, Magdeburg und Prag zu den bedeutendsten Handelsplätzen an Elbe und Moldau zählte. Noch heute verdeutlichen einzigartige Architekturensembles die Baukunst. So gehört die Albrechtsburg wohl zu den wertvollsten und stolzesten Profanbauten der deutschen Spätgotik. Über ein Drittel der Häuser der Altstadt sind noch Originalbauten aus Barock, Renaissance oder früheren Bauphasen. Fast unverän

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dert erhalten ist der mittelalterliche Stadtgrundriß mit seinen Gassen, Straßen und Plätzen .

Das Programm der Modellvorhaben der Stadterneuerung zielt darauf ab, die sozial verträgliche Sanierung ostdeutscher Innenstädte mit einem Beitrag zur Rettung und Erhaltung dieses wertvollen Kulturerbes zu verbinden und auch für andere Städte in den neuen Bundesländern Lösungswege aufzuzeigen. Genutzte Erfahrungen aus Städten der alten Länder zeigen, daß das Städtebaurecht und die Städtebauförderung eine zielgerichtete Strukturpolitik ermöglichen, die zugleich zur Stärkung der Entwicklungspotentiale der Gemeinden beitragen kann.

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3.5 Modellfall "Brandenburger Altstadt"

Die Modellvorhaben wurden 1990 initiiert. Die Vorgehensweise bei der Erneuerung und Revitalisierung der Innenstadtbereiche der Modellstädten kann an der Brandenburger Altstadt beispielhaft aufgezeigt werden. Das Zentrum der Stadt Brandenburg wird aus den drei historischen Altstadtkernen "Neustadt", "Altstadt" und "Dominsel" gebildet. Alle drei Bereiche weisen erhebliche städtebauliche Mängel auf. Die Abgrenzung der Sanierungsgebiete erfolgte nach einer Grobanalyse zur Bestandssituation und unter Berücksichtigung neu konzipierter städtebaulicher Entwicklungsziele.

Ein wichtiges Element der sozial verträglichen Innenstadtsanierung war die Einbeziehung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger in die Planung der Maßnahmen, die für die Erreichung des Sanierungszieles erforderlich sind. Schwerpunkte waren hierbei:

  • Schaffung von Wohnraum und Erhaltung einer stabilen Bewohnerstruktur im Sanierungsgebiet durch behutsame Instandsetzung und Modernisierung historischer Gebäude und den Bau neuer Wohnungen
  • Ausbau der Innenstadt zum Zentrum der Stadt und des Umlandes unter Beachtung der vorhandenen Baustruktur durch Bestandserhaltungsmaßnahmen, durch den Neubau und Umbau von Gebäuden für expandierende oder zusätzliche Einzelhandels- und Dienstleistungseinrichtungen sowie durch die Umgestaltung einzelner Straßenräume zu verkehrsberuhigten Zonen
  • Stärkung der Wirtschaft durch die Entwicklung von Standorten für neue Unternehmen und durch die Stabilisierung von nicht störenden Handwerksbetrieben

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  • Versorgung der Innenstadtbewohner mit sozialen und kulturellen Diensten sowie Ausbau der Flächen für Freizeit, Erholung und Unterhaltung
  • Verringerung des Verkehrs in der Innenstadt sowie Verbesserung der technischen Infrastruktur und
  • Erhaltung der drei historischen Altstadtkerne von Brandenburg als 'städtebauliches Denkmal im Landschaftsraum'.

Der sehr schlechte Zustand der Bausubstanz in Brandenburg machte es erforderlich, daß die Sanierung differenziert und unter gleichzeitiger Beachtung mehrerer Gesichtspunkte abgewickelt wird. So mußte während der Bestandserhebungen die Funktionsfähigkeit der Innenstadt aufrecht erhalten werden. Notwendig waren vielfältige Maßnahmen zur Sicherung von Gebäuden und technischer Infrastruktur. Hierfür wurde folgendes dreistufiges Programm entwickelt:

Phase 1: provisorische Sicherung der Bausubstanz im gesamten Sanierungsgebiet durch Abdichten der Dächer, durch ordnungsgemäße Regenwasserableitung, durch Sicherung gegen unbefugten Zutritt bei leerstehenden Gebäuden;

Phase 2: endgültige Instandsetzung der Dächer, Fassaden und - soweit erforderlich -Erneuerung der Ver- und Entsorgung (Wasser, Elektro, Heizung); Instandsetzung öffentlicher Gebäude und baulicher Anlagen;

Phase 3: Modernisierung der Wohnungen und Gewerbeobjekte.

Im März 1990 wurde in Brandenburg mit den Arbeiten zur Stadterneuerung begonnen. Hierzu wurden bisher folgende Fördermittel zentral bereitgestellt:

  • 1990 ca. 25 Mio. M der DDR aus dem Projektfonds
  • 1990/91 über 40 Mio. DM aus dem Sofortprogramm und
  • 1991/92 knapp 11 Mio. DM aus dem Sonderprogramm "Aufschwung Ost"

Neben der Erarbeitung von Konzeptionen und Planungen für die städtebauliche Erneuerung konnten inzwischen erste Maßnahmen abgeschlossen werden. An über 1.000 Gebäuden wurden Sicherungsmaßnahmen durchgeführt. Viele private Sanierungsmaßnahmen wurden begonnen oder sind in Vorbereitung. Informationen über

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das Sanierungsgeschehen erhalten die Brandenburger Bürger durch Ausstellungen und eine Sanierungszeitung; Beteiligungen am Sanierungsprozeß sind erwünscht.

Die Erfahrungen aus dem bisherigen im Prozeß der städtebaulichen Erneuerung in Brandenburg sowie in den übrigen Modellstädten werden den Verantwortlichen für die Stadterneuerung anderer Städte vorgestellt und mit ihnen diskutiert. Damit erhalten die Modellvorhaben den Charakter von Pilotvorhaben und Lernwerkstätten für Städte mit ähnlichen Sanierungsaufgaben.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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