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1. Städtebauliche Erneuerung als komplexes Problemfeld

1.1 Ostdeutsche Innenstädte vor dem Verfall

"Das desolate Erscheinungsbild vieler Städte und Gemeinden in der ehemaligen DDR steht stellvertretend für die Mißwirtschaft einer zentralen Planwirtschaft. Der schlechte bauliche Zustand ist oftmals zugleich ein Ausdruck dafür, daß die Städte und Dörfer ihre Funktion als Standort von Wirtschaft, Wohnen und Leben nicht mehr voll erfüllen. Die städtebauliche Erneuerung ist daher in den neuen Bundesländern eine strukturpolitische Aufgabe von zentraler Bedeutung. In den Städten und Dörfern fließen ökonomische, soziale und kulturelle Impulse zusammen. Hier wird für die Bürger unmittelbar erfahrbar, wie der Aufbau im östlichen Teil der Bundesrepublik voranschreitet. Dabei kann sich städtebauliche Erneuerung nicht auf die Behebung der schweren baulichen Mängel beschränken. Gleichzeitig sind weitergehende Maßnahmen erforderlich, damit die Gemeinden ihre Standortbedingungen soweit verbessern, daß sie wettbewerbsfähig werden." [Fn.1: Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, Drucksache 12/1098: "Raumordnungsbericht 1991", S. 41]

Die als kritisch zu bezeichnende städtebauliche Situation in den neuen Bundesländern war Folge einer einseitigen Orientierung der Bautätigkeit auf die Standorte der Großwohnsiedlungen am Rande der Städte bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Maßnahmen zur Bestandspflege, vor allem in den historisch gewachsenen Innenstädten. Die Wiedervereinigung löste einen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandel aus, der auch Konsequenzen für die Stadtentwicklung und Stadterneuerung hatte. Dabei ist zu beachten, daß Städtebaupolitik in besonderem Maße auch sozialpolitisch wirksam ist: Ein weiterer Verfall von Stadtquartieren und Innenstädten führt zu "sozialer Erosion" bei den Bewohnern, er reduziert das Wirtschafts- und Geschäftsleben, hält Besucher und Nutzer von den betroffenen Stadtquartieren ab und mündet damit letztlich im Niedergang des städtischen Lebens und der städtischen Lebensformen.

Die historischen Stadtkerne sind in diesem Prozeß besonders gefährdet. In den letzten vierzig Jahren war ihre Bausubstanz durch fehlende Instandsetzung und Instandhaltung dem kontinuierlichen Verfall preisgegeben. "Der Ausstattungsstandard der Wohnungen in den Altstadtbereichen liegt oftmals noch weit unter dem ohnehin niedrigen Standard der neuen Bundesländer und ist in der Regel lediglich das hochbauliche Pendant zur Situation im Zustand der stadttechnischen Netze". [Fn.2: Reinhard Malik, "Wirkungen des KfW-Wohnraummodernisierungsprogramms auf die Verbesserung der Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt der neuen Bundesländer", Materialien zur Raumentwicklung der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung Heft 45 1992, S.13] Die Funkti-

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onsvielfalt der Innenstädte als klassischer Standort für Einrichtungen der Kultur, der Politik, der Religion, der Dienstleistungen, des Handels, der Kommunikation und des Wohnens wurde immer mehr eingeschränkt.

Bei den sich gegenwärtig vollziehenden wirtschaftlichen Prozessen beginnen die Innenstädte gegenüber ihrem Umland unter einer zunehmenden Funktionsentleerung zu leiden. Vor allem wird die Position des Einzelhandels in den Innenstädten durch die Konkurrenz der entstehenden Großmärkte am Stadtrand geschwächt. Man schätzt, daß in den neuen Bundesländern gegenwärtig so viele Einkaufszentren des Einzelhandels ausgewiesen sind, daß damit ganz Europa mit Waren versorgt werden könnte.

Während sich der Wohnungsbau in den Städten nur langsam entwickelt und Gewerberaum - zu bezahlbaren Preisen - in den Innenstädten knapp ist, gehen viele Kommunen dazu über, Gewerbegebiete auf dem "flachen Land" auszuweisen. Das Potential für derartige, stadtentwicklungspolitsch fragwürdige Lösungen ist groß, da viele Kommunen der neuen Bundesländer noch in einem Ausmaß über Raum für städtebauliche Erweiterungen verfügen, wie es in den alten Bundesländern kaum noch zu finden ist.

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1.2 Schwerpunkte einer Revitalisierung der Städte

Bei der Wiederherstellung der städtischen Vielfalt sind die Aufgaben der Revitalisierung in die generelle städtebauliche Erneuerung einzubinden. Von Vorteil ist dabei, daß trotz der nicht übersehbaren Verfallserscheinungen der Werdegang und Zustand vieler historischer Stadtstrukturen und Einzelbauwerke der Innenstädte noch nachvollziehbar sind. Damit bestehen gute Voraussetzungen, historisches Erbe und Kulturgut wiederherzustellen.

Wichtige Schwerpunkte einer ersten Phase der Stadterneuerung liegen in der vorbereitenden Planung; hierzu gehören:

  • Ausweisung von Sanierungsgebieten und Förderung der Ordnungs- und Baumaßnahmen,
  • Aufstellung von Bebauungsplänen zur Verwirklichung der Sanierungsziele,

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  • Erarbeitung von Fachplanungen im Verkehrsbereich und für die technische Infrastruktur (insbesondere für die Ver- und Entsorgung) sowie für Frei- und Grünflächen,
  • Konzeptionen für die Sozialplanung auf der Grundlage vorbereitender Untersuchungen.

Eine Besonderheit der städtebaulichen Aufgaben in den neuen Bundesländern besteht darin, daß viele Maßnahmen gleichzeitig begonnen werden und parallel ablaufen müssen. Das erfordert einen großen Abstimmungs- und Koordinierungsaufwand.

Zu den Hauptaufgaben der städtebaulichen Erneuerung in den neuen Bundesländern zählt die Notwendigkeit einer flächenhaften Sanierung nahezu aller Stadtquartiere, vornehmlich solcher mit einem hohen Anteil an Altbauten, die vor dem Jahre 1945 errichtet wurden. Die wichtigste Maßnahme stellt hierbei die Erarbeitung "städtischer Gesamtkonzepte" dar, in die die erforderlichen Erneuerungsmaßnahmen einzubeziehen sind. Dabei ist auch zu gewährleisten, daß bei der Wiederherstellung der Multifunktionalität der Innenstädte Ausweichmöglichkeiten in andere Stadtquartiere bestehen, die z.B. einen Umzug von Bewohnern oder von störenden Gewerbebetrieben erlauben.

Städtebau ist eine ganzheitliche Aufgabe. Sie darf sich nicht auf die isolierte Betrachtung des Wohnungsneubaus, der Bestandssanierung oder auf die Entwicklung von Gewerbebetrieben beschränken. Flächen- und Objektsanierung greifen bei der städtebaulichen Erneuerung eng ineinander.

Die Stadt ist eine für ihre Bewohner tagtäglich erlebte Umwelt. Aus dieser Perspektive ist nur schwer verständlich, daß in den zurückliegenden Jahrzehnten der Verfall ganzer Straßenzüge in Altbaugebieten zugunsten des randstädtischen Neubaus in Kauf genommen wurde. Zugleich wird deutlich, daß die Vermeidung von weiteren Substanzverlusten und die Schließung bereits vorhandener Lücken durch Neubau heute zu den dringlichsten Aufgaben der Stadterneuerung in Ostdeutschland gehören.

Entsprechend der Vielfalt der Sanierungsaufgaben sind komplexe Problemlösungen erforderlich. Dabei erschwert die notwendige Parallelität von Planung, Neuordnung, Sicherung und Erneuerung der Bausubstanz den Prozeß der städtebaulichen Erneuerung in den neuen Bundesländern z.T. erheblich. Zur Vereinfachung der zu lösenden Aufgaben trägt auch nicht bei,

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  • daß gleichzeitig das baurechtliche Instrumentarium Westdeutschlands in den neuen Bundesländern erprobt und angewendet werden muß,
  • daß kommunale Verwaltungs- und Organisationsstrukturen neu aufzubauen sind, und
  • daß das Fachpersonal in der planenden und planumsetzenden Verwaltung mit der sachgerechten Handhabung der Instrumente vertraut gemacht werden muß.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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