FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 25] 5. Zwischen kurzfristiger Gefahrenabwehr und langfristiger Vorsorge.
Umfang und Rahmenbedingungen der Wismut-Sanierung machen die Beseitigung und sichere Verwahrung der Altlasten des Uranbergbaus in Sachsen und Thüringen zu einem weltweit einmaligen Vorhaben. Zwar verfügen andere Uran erzeugende Länder wie die USA, Kanada und Australien über Erfahrungen mit der Stillegung von Bergwerken, der Sicherung von Halden und Absetzbecken und der Beseitigung von Tagebaurestlöchern. Doch die anderenorts angewandten Konzepte lassen sich nicht ohne weiteres auf die deutschen Verhältnisse übertragen. Im Gegensatz zu den menschenleeren Standorten amerikanischer und australischer Uranbergwerke befinden sich in Ostdeutschland die Aufbereitungsanlagen, Absetzbecken, Halden und Gruben in unmittelbarer Nachbarschaft von Städten und Dörfern. Während in den anderen Ländern lange vor Einstellung des aktiven Bergbaubetriebes an Stillegungs- und Sanierungsplänen gearbeitet werden konnte und Abfahrkonzepte frühzeitig vorlagen, ging man in der SDAG Wismut noch kurz vor der Stillegung von einem noch länger währenden Produktionsbetrieb aus. Zudem hat die mit dem Einigungsvertrag verbundene Änderung der Rechtslage Unklarheiten geschaffen. Verzögerungen beim Aufbau der Verwaltungen und Behörden in den neuen Ländern behindern die Genehmigungsverfahren. Und nicht zuletzt herrscht aufgrund der strikten Geheimhaltung und der Informationszurückhaltung der früheren SDAG Wismut anhaltendes Mißtrauen der Bevölkerung gegenüber allen mit dem Uranerzbergbau verbundenen Maßnahmen. Diese Rahmenbedingungen erschweren die Ausarbeitung breit akzeptierter Sanierungskonzepte, die sowohl den kurzfristigen Abbau unmittelbar drohender Gefahren für Mensch und Umwelt als auch den langfristig zuverlässigen Einschluß der großen Radioaktivitätsmengen auf Halden, in Absetzbecken, Tagebaurestlöchern und im unterirdischen Bergbaugebäude zu garantieren haben. Da einige Radionuklide, wie zum Beispiel Thorium-230, Halbwertzeiten von Zigtausenden von Jahren aufweisen, müssen die Schlämme der Absetzbecken über Jahrzehntausende eingeschlossen bleiben. Vor dem Hintergrund derartiger Zeiträume, die bei der Beurteilung der Stabilität von Dämmen und Abdeckungen sowie bei der Abschätzung der Zuverlässigkeit anderer Sanierungsmaßnahmen zu berücksichtigen sind, können sich kurzfristig als zweckmäßig anzusehende Vorhaben als Fehlplanung erweisen. So mag es zunächst nahe- [Seite der Druckausgabe: 26] liegend sein, die Tagebaurestlöcher mit Haldenmaterial zu verfüllen und anschließend abzudecken, doch ob eine solche Maßnahme auch aus mittel- und langfristiger Perspektive vertretbar erscheint, hängt unter anderem von den Kenntnissen über die Gefährdung des Grundwassers sowie über die möglichen Auswirkungen von Erdbeben ab, die in der Bergbauregion auftreten können. Weil ein Ende August 1991 von der Wismut vorgelegtes Sanierungskonzept nach Auffassung der vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bestellten Gutachter die Umweltauswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen nahezu unbewertet läßt, konnte das Ministerium dem Gesamtkonzept bisher nicht zustimmen. a) Die derzeitigen Sanierungspläne der Wismut Zur Zeit sehen die Planungen der Wismut für das Ronneburger Bergbaugebiet vor, das dort vorhandene Tagebaurestloch Lichtenberg mit kontaminiertem Material der umliegenden Halden zu füllen. Mit dieser Maßnahme ließe sich das Schadstoffpotential konzentrieren, außerdem würden damit die zur Zeit vorhandenen Standsicherheitsprobleme der Tagebauböschungen gelöst. Bereits 1990 hatte die Wismut auf Wunsch der Anwohner damit begonnen, den oberen Teil der Gessenhalde in das Tagebaurestloch zu verfrachten. Um bei dem zu erwartenden Wiederanstieg des Grundwassers eine Durchmischung kontaminierten Wassers mit Grundwasser zu verhindern, ist eine Wasserreinigung eingeplant Als Alternativen zur Verfüllung des Haldenmaterials in das Tagebaurestloch werden zur Zeit unter anderem folgende Möglichkeiten geprüft:
Die Gruben des Untertagebaus sollen nach dem Konzept der Wismut geflutet werden. Als Vorbereitung für die Flutung sind noch im Jahre 1992 rund 1,3 Millionen Kubikmeter Verfüllmaterial nach unter Tage zu bringen und 10 Schächte zu verwahren. Ferner sind wassergefährdende Stoffe aus rund 300 km Grubenbauen zu ent- [Seite der Druckausgabe: 27] sorgen und insgesamt 16 Dämme und Barrieren einzubauen. Mit diesen Maßnahmen sollen die Wanderung von Schadstoffen in den Grundwasserleiter verhindert, die geologisch-tektonische Struktur stabilisiert und die Vermischung unterschiedlicher Wasserqualität sowie der Radonaustritt nach über Tage begrenzt werden. Außerdem geht die Wismut davon aus, daß sich mit diesen Eingriffen Bergschäden als Folge von Tagebrüchen vermeiden lassen. Wie eine rechnergestützte 3-D-Simulation des Flutungsprozesses im Ronneburger Raum ergeben habe, sei der Wiederanstieg des Wassers nach 13 Jahren abgeschlossen. In dieser Zeit sei es weder erforderlich, Schachtwasser abzustoßen noch eine Reinigung von Wasser vorzunehmen. Das danach austretende Wasser werde in der Anfangsphase höhere Konzentrationen an Giftstoffen enthalten, weil es sich mit dem verdrängten hochbelasteten Poreninhaltswasser vermischt haben würde. Daher müßten in einer Wasserreinigungsanlage stündlich bis zu 100 Kubikmeter Wasser aufbereitet werden. Um die verbleibenden Halden und Betriebsflächen umweltverträglich in das Landschaftsbild Ostthüringens einzupassen, laufen seit drei Jahren Feldversuche zur Ermittlung einer optimalen Abdecktechnologie, die den Radonaustritt und die Auswaschung durch Niederschläge gering halten soll. Für die Sanierung und langfristige Verwahrung der Schlammabsetzbecken werden zur Zeit alternative Maßnahmen geprüft: Auffüllung der Becken mit Berge- und Abbruchmaterial, Entwässerung der Schlämme, natürliche Verlandung und Abdeckung oder Erhalt der Wasserlamelle. Als bevorzugte Option gilt der Wismut die Verwahrung der zu entwässernden Schlämme vor Ort. Dazu würde auch gehören, die Wasserlamelle zu beseitigen, den Spülstrand zur Eindämmung von Staubemissionen schrittweise abzudecken und die trockenen Schlämme mit bindigen Erdstoffen von 3 bis 5 Meter Mächtigkeit zu überschütten. Mit diesen Maßnahmen ließen sich nach Ansicht der Wismut der Sickerwasseraustritt unterbinden und die Radonfreisetzung wirksam reduzieren. Außerdem könnten die Dämme der Absetzanlagen landschaftsgestalterisch bearbeitet werden. Während am Standort Crossen Untersuchungen zur Wasserreinigungstechnologie begonnen haben, ist für den Standort Seelingstädt vorgesehen, noch im Verlauf des Jahres 1992 insgesamt drei Millionen Kubikmeter Wasser zu reinigen und in die Vorflut zu leiten. Damit würde der Wasserspiegel in den Becken des ehemaligen Aufbereitungsbetriebes Seelingstädt um 2 m fallen, so daß weitere 60 Hektar [Seite der Druckausgabe: 28] Spülstrand abzudecken wären. Bereits 1991 sind dort 100 Hektar Spülstrand überschüttet worden. Zur Zeit wird der größte Teil der Sickerwässer aus den Absetzbecken gefaßt und in die Schlammteiche zurückgeführt. Um ein für die langfristige Planung zuverlässiges Standortmodell zu erarbeiten, untersuchen Geologen seit 1990 die geologischen, hydrogeologischen und tektonischen Gegebenheiten an der Peripherie der Absetzanlagen. Inzwischen habe sich, so die Auffassung der Wismut, erwiesen, daß die Dammbauwerke seismisch stabil seien. Noch entschieden werden müßte darüber, wie die bei der Stillegung der Betriebsanlagen und Gebäude anfallenden radioaktiv und zum Teil auch chemisch kontaminierten Böden und Schlämme sowie Schrott und Bauschutt zu entsorgen seien. Vorrangiges Ziel des Sanierungskonzepts für das Bergbaugebiet Königstein ist es zu verhindern, daß die in den Porenräumen des Erzkörpers befindliche schwefelsaure Lösung mit ihren Uran- und Sulfatfrachten in den Grundwasserleiter dringt. Nach Stillegung und Flutung der Bergbauanlagen könnten Grubenwässer in den genutzten Grundwasserleiter des Elbtals abdriften und das dortige Wasser mit Uran, Radium, Sulfat, Eisen und Schwermetallen belasten. Um dieses Risiko zu verringern, ist vorgesehen, die Laugungsblöcke zunächst weiter auszulaugen. Damit ließe sich ein Teil des noch vorhandenen Urans aus dem Erzkörper entfernen. In einer anschließenden Waschphase soll die Lösung dann aus den Poren gespült werden. Um die Reinigung der dabei anfallenden Abwässer zu bewältigen, sind die Kapazitäten der vorhandenen Anlagen für die Wasserreinigung auszubauen. Außerdem seien die bergbaulich geschaffenen Schwachstellen zwischen Grundwasserleitern durch geotechnische Maßnahmen auszubessern. In der Erzbergbauregion des westlichen Erzgebirges Niederschlema/Alberoda bei Aue sollen in den nächsten 8 Jahren rund 40 Millionen Kubikmeter offener Hohlraum geflutet werden. Noch im Laufe des Jahres 1992 erreichen die Flutungswässer in den bis zu 1 800 m tiefen Schächten die 990-m-Sohle. Da das nach Abschluß des Wiederanstiegs austretende Flutungswasser anfangs einen höheren Arsen- und Urangehalt als das zur Zeit gehobene Grubenwasser aufweisen könnte, ist das austretende Wasser möglicherweise zu fassen und zu reinigen. Mittelfristig sei damit zu rechnen, daß die Wasserzusammensetzung des austretenden Wassers der des Haldensickerwassers entspricht, also etwa 0,3 bis 1,2 mg Arsen und 1,4 bis 2,7 mg Uran pro Liter enthält. Geklärt werden müsse noch, ob die obere Sohle der Gruben weiterhin entwässert und bewettert werden sollte, statt sie bis zum [Seite der Druckausgabe: 29] Tagesniveau zu fluten. Mit einer Bewetterung könne man den Radonaustritt aus den Gruben in bewohnte Gebiete möglicherweise effektiver begrenzen als mit einer vollständigen Flutung. Um wirksame Maßnahmen gegen die Kontamination von Luft und Wasser durch die in den Halden befindlichen Schadstoffe ergreifen zu können, finden zur Zeit Untersuchungen zur Ermittlung geeigneter Abdeckungs- und Begrünungstechniken statt. Nach Einschätzung des technischen Geschäftsführers der Wismut GmbH sind in den nächsten Jahren folgende Hauptaufgaben zu lösen:
Die Komplexität der zu ergreifenden Maßnahmen, deren Bewertung sowohl unter langfristigen als auch unter kurzfristigen Gesichtspunkten, die Vielzahl der gegeneinander abzuwägenden Risiken und nicht zuletzt die schwierige, wenn nicht unmögliche Vorausschau auf die Konsequenzen der heutigen Aktivitäten für die Umweltsituation in den nächsten Tausenden von Jahren geben Anlässe für Einwände und Widerstand. [Seite der Druckausgabe: 30] b) Kritik am bisherigen Sanierungskonzept Während die Radonfreisetzung durch die vorgesehenen Abdeckungen von Halden und Absetzanlagen voraussichtlich befriedigend zu verringern ist, bestehen gegenüber anderen bisher geplanten Sanierungsmaßnahmen Einwände nationaler und internationaler Experten. So ist zum Beispiel umstritten, ob die geplante Entwässerung der Absetzbecken überhaupt in vertretbaren Zeiträumen durchführbar ist. Sollte die Entwässerung nicht gelingen, ließen sich die Absetzbecken auch nicht abdecken, denn das Deckmaterial würde im Schlamm versinken. Als Hindernis für die Entwässerung könnte sich nach Auffassung kanadischer Experten die Verteilung der Schlämme in den Absetzbecken erweisen. Bei der Einspülung der Schlämme haben sich die groben Bestandteile eher am Beckenrand abgesetzt, während sich die feineren Teilchen in der Mitte gesammelt haben. Wie internationale Erfahrungen zeigen, ist die Entwässerung dieser Feinstschlämme - falls überhaupt - nur als sehr langwieriger Prozeß durchführbar. Zudem sei die dauerhafte Stabilität der Dämme vor allem auch gegenüber seismischen Einwirkungen nicht zufriedenstellend geklärt. Auch der langfristige Schutz, von Grund- und Oberflächenwasser vor einer Belastung mit Radionukliden und chemisch giftig wirkenden Stoffen sei - nach Einschätzung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - mit den bisher ausgearbeiteten Sanierungsvorschlägen noch nicht hinreichend garantiert. Die früheren Bergbauarbeiten hätten Wegsamkeiten für das Grundwasser geändert, so daß heute die Gefahr bestehe, daß das Wasser in erzführende Schichten dringt, dort Radionuklide auswäscht und weiträumig verteilt. Auch die Verfüllung des Tagebaurestloches Lichtenberg mit Halden ist mit dem Risiko der weiträumigen Grundwasserkontamination verbunden. Zwar sähe die Wismut-Planung eine Fassung und Reinigung des Grundwassers vor, doch man könne eine Sanierungsmaßnahme noch nicht als befriedigend ansehen, wenn als wichtige Voraussetzung für deren Erfolg eine Wasseraufbereitung über Zeiträume von mehr als 100 Jahren gewährleistet werden müsse. Hinzu komme, daß bei der Wasseraufbereitung riesige Mengen kontaminierten Schlamms anfielen, für deren Entsorgung noch keine Pläne bestünden. Im Hinblick auf die geplante Verfrachtung von Halden in das Tagebaurestloch Lichtenberg melden kanadische Experten zudem Zweifel an, ob der zu erwartende radiologische Nutzen den gewaltigen Aufwand rechtfertige. Außerdem sei ein Teil [Seite der Druckausgabe: 31] des Restloches möglicherweise effzienter zu nutzen, wenn darin die bei anderen Sanierungsarbeiten anfallenden Abfälle deponiert würden. Daher könne über die geplante Verfüllung des Restlochs mit den benachbarten Halden im Grunde erst dann entschieden werden, wenn ein zumindest in groben Zügen ausgearbeitetes und akzeptiertes Gesamtkonzept vorliegt. Schließlich beurteilen die kanadischen Experten auch die Fortsetzung der Laugung in Königstein vorerst skeptisch. Ehe man mit diesen Arbeiten fortfahre, sei die Umweltauswirkung dieser Maßnahme abzuschätzen und mit den möglichen Folgen zu vergleichen, die eine Beendigung der Laugungsvorgänge mit sich bringen würde. Einwände gegen die bisher vorgelegten Sanierungsvorstellungen der Wismut werden auch in Stellungnahmen des Öko-Instituts Darmstadt formuliert. Da man wegen der sehr langen Halbwertzeiten einiger Zerfallsprodukte des Urans nicht davon ausgehen könne, daß sich die radiologische Aktivität in den Absetzbecken in überschaubaren Zeiträumen verringere, müßten die verschiedenen Möglichkeiten zur Sanierung der Absetzbecken gründlich geprüft werden. Nur so ließen sich die langfristig besten Maßnahmen für den andauernden, vollständigen und zuverlässigen Einschluß der Radioisotope ermitteln. Die dauerhafte Rückhaltung des radiologischen Inventars der Absetzbecken von der Umwelt sei vor allem auch deshalb erforderlich, weil einige Radionuklide der Uran-Zerfallsreihe sich besonders schnell mit Wasser und Luft ausbreiten, andere wiederum reichern sich stark in der Nahrungskette und im menschlichen Körper an. Heute dürfe man nicht mehr davon ausgehen, daß niedrigste Strahlendosen unschädlich seien. Auch die Verdünnung radioaktiver Stoffe über große Volumina sei aufgrund der stattfindenden Anreicherungen in Sedimenten und in der Nahrungskette nicht akzeptabel. Daher müsse ein Austritt der Radioisotope aus den Halden, Schlämmen und Gruben wirksam vermieden werden. Schon jetzt sei nach Auffassung eines Mitarbeiters des Darmstädter Öko-Instituts die Situation in den Erzbergbauregionen durch eine breite Verteilung von radioaktiven und chemisch-toxischen Schadstoffen mit einer relativ hohen Schadstoffbelastung der Durchschnittsbevölkerung in vielen Kommunen und mit hohen Risiken für die langfristige Nutzung von Grund- und Oberflächenwässer gekennzeichnet. Viele Verantwortliche hätten allerdings nur ein gering entwickeltes Bewußtsein von diesen Risiken - eine Folge der langjährigen Gewöhnung an den früher üblichen unbekümmerten Umgang mit radioaktivem Material. Hinzu käme, daß die Maßnahmen der Wismut in der Öffentlichkeit nur wenig Akzeptanz fänden. Noch wirke die [Seite der Druckausgabe: 32] Erinnerung an Zeiten nach, in denen Geheimhaltung und Unterdrückung kritischer Fragen die Tätigkeiten der SDAG Wismut begleiteten. Nach einem vom Darmstädter Ökoinstitut vorgenommenen Vergleich soll das radioaktive Inventar der Schlammabsetzanlage Culmitzsch zunächst zwar um den Faktor 10 geringer sein als die Aktivität der Einlagerungen im geplanten Endlager für schwachaktive Abfälle des Schachts Konrad bei Salzgitter. Doch nach rund 1 000 Jahren würden sich die Aktivitäten beider Schadstoffinventare angleichen, da die kurzlebigen radioaktiven Stoffe im Endlager Konrad dann zum großen Teil zerfallen seien. Blicke man noch weiter in die Zukunft, dann könne man davon ausgehen, daß die Aktivitäten in der Absetzanlage um zwei Größenordnungen über der Aktivität des Endlagers Konrad liegen werden. Daher müßten an die Stabilität der Absetzanlage ähnliche Anforderungen gestellt werden wie an die Sicherheit des Endlagers im Schacht Konrad. Das bedeute unter anderem, daß alle für die zuverlässige Rückhaltung der Schadstoffe nötigen Teilsysteme wie Dämme, Abdeckschichten, Drainageschichten und Bodenabdichtungen langfristig vorhersagbare Eigenschaften aufweisen müssen. Zudem sei der Nachweis zu erbringen, daß diese Teilsysteme gegenüber allen natürlichen Kräften, die an den jeweiligen Standorten mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten werden, stabil sind. Unter anderem habe man in dem Gebiet, in dem die Absetzbecken liegen, mit Erdbeben sowie mit der Einwirkung von Scherkräften weiter entfernt auftretender Beben zu rechnen. An ein Langzeit-Sanierungskonzept seien daher unter anderem folgende Anforderungen zu stellen:
[Seite der Druckausgabe: 33]
Sickerwasserfassung und -behandlung und die Erneuerung der Abdeckung, würde eine nicht annehmbare Schwachstelle in einem zukünftigen Sanierungskonzept darstellen. Grundsätzlich sei bei den notwendigen Sanierungsarbeiten deutlich zu unterscheiden, ob eine zu treffende Maßnahme als vorläufig oder als dauerhaft gelten soll. So könne man bei vorläufigen und reversiblen Maßnahmen auf den Nachweis der Beherrschbarkeit von Langzeitfolgen verzichten. Aber die Umsetzung langfristig wirksamer Maßnahmen sei nur dann zu verantworten, wenn man die damit verbundenen zukünftigen Risiken hinreichend sorgfältig abgeschätzt habe. Diese Risikoanalyse solle auch deutlich machen, über welche Zeiträume Kontrollen durchzuführen seien und eine aktive Reparaturfähigkeit gewährleistet werden müsse. Nicht zuletzt sei zu bedenken, daß sich mit dem raschen gesellschaftlichen Wandel auch die Bedingungen für die Aufrechterhaltung des hochspezialisierten Know-hows änderten, das Jahrzehnte-, wenn nicht jahrhundertelang weitergegeben werden muß. Nach Auffassung des Öko-Instituts ist es dringend erforderlich. Sanierungsziele und technische Standards auszuarbeiten, technische und finanzielle Regelungen für die Sanierung belasteter Böden sowie der Oberflächen- und Grundwässer zu entwickeln, die Belastungen der Bevölkerung zuverlässig zu ermitteln und Spitzenbelastungen rasch zu verringern. Die Sanierungsarbeiten sollten in den weniger belasteten Gebieten beginnen, wo die geringsten Verflechtungen zu anderen Problemlösungen vorliegen und der Planungs- und Prüfungsaufwand nicht so hoch ist. Voraussetzung für die Entwicklung zuverlässiger und in der Bevölkerung akzeptierter Sanierungsmaßnahmen ist allerdings nicht nur ein hoher technischer Standard, sondern auch eine wirksame Beteiligung von Bürgern und Kommunen bei der endgültigen Festlegung von Sanierungszielen und -verfahren. Doch gerade ihre Mitwirkungsmöglichkeiten halten einige Kommunen und Bürger bisher für nicht ausreichend. [Seite der Druckausgabe: 34] c) Die Verfassungsklage gegen rechtliche Rahmenbedingungen der Sanierung Zu den Rechtsgrundlagen für die Sanierungsarbeiten gehören neben dem Wismutgesetz, dem Bundesberggesetz, dem Atomgesetz, der Strahlenschutzverordnung, dem Bundesimmissionsschutzgesetz und dem Umwelthaftungsgesetz auch die laut Einigungsvertrag geltenden einschlägigen Rechtsvorschriften der ehemaligen DDR wie die "Verordnung über die Gewährleistung von Atomsicherheit und Strahlenschutz (VOAS)" vom Oktober 1984 sowie die "Anordnung zur Gewährleistung des Strahlenschutzes bei Halden und industriellen Absetzanlagen und bei der Verwendung darin abgelagerter Materialien" vom November 1980. Nach dem Bergrecht sind für alle Sanierungsarbeiten Sonderbetriebspläne anzufertigen, die dem Bergamt Gera zur Genehmigung vorgelegt werden. Bei der Genehmigung dieser Pläne holt das Bergamt Stellungnahmen der zuständigen kommunalen Institutionen wie des Landratsamts und des Landesverwaltungsamts beziehungsweise der dort angegliederten Fachbehörden für Umweltschutz und Wasserwirtschaft ein. Nach Auffassung mehrerer von den Sanierungsarbeiten betroffener Gemeinden sowie dort ansässiger Bürger beschneidet die derzeitige Rechtslage einige grundgesetzlich verbürgte Rechte. Die Stadt Ronneburg, die Gemeinde Oberrothenbach, die Gemeinde Crossen und einzelne Bürger haben beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe daher Verfassungsbeschwerde eingelegt. Gerügt wird, daß aufgrund des Einigungsvertrages einige Vorschriften der bundesdeutschen Strahlenschutzverordnung für die Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung radioaktiver Bodenschätze auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nicht gelten und der Gesetzgeber keine anderen Regelungen erlassen hat, die dem Grundgesetz entsprechen würden. Diese Untätigkeit des Gesetzgebers habe zur Folge, daß den Antragstellern kein ausreichender Rechtsschutz zur Verfügung stehe, wenn sie sich durch Handlungen der öffentlichen Gewalt in ihren Grundrechten verletzt sähen. Folgt man dem Rechtsvertreter der Antragsteller, dann gewährleistet der derzeitige Rechtszustand nicht die Einhaltung des verfassungsmäßig gesicherten Grundrechts auf Leben und Gesundheit. Dieses Grundrecht verpflichte den Staat dazu, sich schützend vor die Gesundheit der in ihm lebenden Menschen zu stellen. Gerade in Auseinandersetzungen über atomrechtliche Fragen habe das Bundesverfas- [Seite der Druckausgabe: 35] sungsgericht mehrfach entschieden, daß die Schutzpflicht des Staates unter anderem beinhaltet, Bürgern bei der Genehmigung von Anlagen klar definierte Mitwirkungsmöglichkeiten einzuräumen. So hatten im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für das Endlager im Schacht Konrad 250 000 Bürger den Rechtsanspruch, sich detaillierte Einsicht in die Planungsunterlagen zu verschaffen. Während eines voraussichtlich mehrere Wochen dauernden Erörterungstermins werden Rechtsanwälte und Bürgerinitiativen als Vertreter dieser Bürger die Möglichkeit haben, das vorgelegte Konzept für die Einrichtung des Endlagers zu diskutieren und mit ausgearbeiteten Alternativen zu vergleichen. Da die Genehmigung der Sanierungsvorhaben in den Uranbergbauregionen vornehmlich nach dem Bergrecht erfolgt, hätten Gemeinden und Bürger der Uranbergbauregionen keine ähnliche Garantie, ausreichend an den Sanierungsplanungen beteiligt zu werden. So würden sie zum Beispiel nicht darüber informiert, wann beim Bergamt Vorhaben zur Genehmigung eingereicht werden, noch erfahren sie von den rechtlichen Erwägungen des Bergamtes und von den dann getroffenen Entscheidungen. Daher könnten die Antragsteller auch nicht in ausreichendem Maße Rechtsschutz gegen Maßnahmen in Anspruch nehmen, von denen sie eine Gefährdung ihrer Gesundheit befürchten. Und nicht zuletzt hätte es auch an den unzureichenden Verfahrensgrundlagen gelegen, daß das von der Wismut vorgelegte Sanierungskonzept keine klaren Abschätzungen der Auswirkungen von Vorhaben auf Mensch und Umwelt beinhalte und daher zu Recht von Gutachtern kritisiert worden sei. Solange eine breite Beteiligung betroffener Bürger und Gemeinden an der Sanierungsplanung nicht gewährleistet sei, bestehe die Gefahr, daß sich die ausgearbeiteten Maßnahmen zu eng an den Vorstellungen und Interessen der beteiligten Fachleute und Experten orientierten. Als weiterer Beschwerdepunkt bringen die Antragsteller vor, daß die noch geltenden Bestimmungen des Strahlenschutzrechts der DDR den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz der menschlichen Gesundheit nicht gerecht würden. Zwar gäbe es unter Wissenschaftlern einen noch offenen Streit darüber, um wieviel höher die den Menschen in den neuen Ländern zugemutete Strahlendosis gegenüber den zulässigen Belastungen nach der Strahlenschutzverordnung sei. Aber nach Auffassung des Rechtsvertreters könne man sich an Berechnungen des Öko-Instituts Darmstadt orientieren, denen zufolge die Bürger in den Uranbergbauregionen etwa dem 10fachen an radioaktiven Belastungen ausgesetzt sein könnten, wenn man die Grenzwerte der VOAS statt die der Strahlenschutzverordnung anwendet. [Seite der Druckausgabe: 36] Angesichts der geltenden Grenzwerte aus der VOAS sowie der Verfahren, mit denen die Einhaltung der Grenzwerte sicherzustellen, Meßwerte zu ermitteln und Belastungsdosen zu berechnen seien, müsse man davon ausgehen, daß jemand, der mit den radioaktiven Bergbau- oder Bergbaufolgestoffen über Luft, Wasser, Boden oder Nahrung in Berührung komme, einem statistisch signifikant höheren Risiko, an Krebs zu erkranken, ausgesetzt sei als die Durchschnittsbevölkerung. Zwar würde ein Minimierungsgebot gelten, wonach auch die Belastungen unterhalb der festgelegten Grenzwerte möglichst gering gehalten werden sollen, doch dieses Gebot sei nach ständiger Rechtsprechung von den Bürgern nicht einklagbar. Als weiteren Mangel rügen die Beschwerdeführer, daß die bei den Sanierungsvorhaben beantragten Einleitungen von Abwässern in die Vorflut nach derzeitig geltender Rechtslage von den Wasserbehörden beschieden werden. Diese seien nicht in der Lage, zuverlässig zu beurteilen, ob die von ihnen für akzeptabel gehaltenen Grenzwerte für Einleitungen über Jahrhunderte hinweg einzuhalten sind. Um eine solche Prüfung gewährleisten zu können, müßten alle Sanierungsmaßnahmen in einem Gesamtkonzept vorliegen und in einem geordneten Gesamtverfahren von dafür zuständigen Behörden unter Wahrung der gesetzlichen Schutzpflichten beurteilt werden. Der Gesetzgeber habe daher für ein Verfahren zu sorgen, daß die Öffentlichkeit ausreichend beteilige und in seinem Ablauf justiziabel sei. Es dürfe nicht im Ermessen mehr oder weniger gutwilliger Wismut- und Behördenmitarbeiter und ihrer Vorgesetzten liegen, welche Einsichtnahmen und Erörterungsmöglichkeiten die betroffenen Bürger hätten. Die Schaffung eines Verfahrens, das den Bürgern Transparenz von Planungen und Mitwirkungsmöglichkeiten im Genehmigungsprozeß rechtlich zusichert, würde auch zum Abbau des Mißtrauens beitragen, auf das die Wismut heute noch bei Bürgern und Kommunen stößt. Genährt wird dieses Mißtrauen allerdings auch von Auseinandersetzungen, die einige Gemeinden über Sanierungskosten und Besitzansprüche führen. [Seite der Druckausgabe: 37] d) Weitere Streitpunkte: Kosten der Altlastensanierung und Besitzansprüche Die Kosten für die Sanierung der heute noch zur Wismut gehörenden Flächen, Gruben, Becken und Anlagen trägt die Gesellschafterin der Wismut-GmbH, das heißt, der Bund. Allein für die nächsten 10 bis 15 Jahre ist mit Aufwendungen von rund 13 Milliarden DM zu rechnen - orientiert am heutigen Kostenniveau. Die Mittel sind in Form einer Verpflichtungsermächtigung für die kommenden Jahre im Haushalt abgesichert und vom Bundestag genehmigt. Während die Sanierung der noch zur Wismut gehörenden Altlasten aus heutiger Sicht finanziell geregelt scheint, gibt die Beseitigung anderer Folgen des Uranbergbaus Anlaß zum Streit. So verursachen die Sicherung von Halden, die heute nicht mehr auf Wismut-Gelände liegen, die Neugestaltung radioaktiv belasteter Straßen und Plätze und die Sanierung gefährdeter Trinkwassernetze Kosten, die weder von den betroffenen Gemeinden noch von den zuständigen Landkreisen getragen werden können. Obwohl rechtlich die Wismut-GmbH für die Beseitigung dieser Altlasten nicht mehr zuständig ist, erwarten Kommunal- und Regionalpolitiker Unterstützung bei der Lösung von Problemen, die die früheren Wismut-Aktivitäten verursacht haben. Um ein Beispiel zu nennen: Nach Auskunft der Bürgermeisterin der Gemeinde Wolfersdorf sei dort in den fünfziger Jahren geplant gewesen, die Trinkwasserversorgung der Gemeinde über eine Fernwasserleitung sicherzustellen. Das Grundwasser der Region, so hätte man damals argumentiert, sei als Trinkwasser nicht geeignet. Doch nachdem bei Bergbauarbeiten in einem Schacht eine Wasserführung angebohrt wurde, schloß man Ende der fünfziger Jahre das Trinkwassernetz der Gemeinde an diese Quelle, statt an die Fernwasserleitung an. Bis heute bezieht die Gemeinde ihr Wasser aus der damals erschlossenen Quelle, obwohl neuere, vom Bundesamt für Strahlenschutz vorgenommene Analysen unter anderem Radon, Polonium und Blei im Trinkwasser nachgewiesen haben. Der beantragte Bau einer Aufbereitungsanlage für Trinkwasser wurde 1991 abgelehnt, weil es für die Entsorgung der dabei anfallenden Filter mit radioaktiven Rückständen keine Genehmigung gab. Eine Umstellung der Versorgung auf Fernwasser ist allerdings noch nicht möglich: Wie Rohrschnitte aus den Leitungen des Trinkwassersystems zeigen, weisen die Leitungen starke Inkrustationen auf, die Träger von Radionukliden sind. Würde man die alten Leitungen an das Fernwassernetz anschließen, bestünde die Gefahr, daß sich unter dem hohen Druck des Wasser die Ablagerungen in den Rohrleitungen lösen und zu [Seite der Druckausgabe: 38] weiteren Belastungen des Trinkwassers führen. Vor Umstellung auf Fernwasserversorgung müßten daher sämtliche Wasserleitungen ausgetauscht werden, ein Vorhaben, das den finanziellen Rahmen der Gemeinde bei weitem sprengt. Nach einer derzeit vorliegenden Schätzung würden die Kosten für die Sanierung des Trinkwasser- und Abwassernetzes knapp 16 Millionen DM betragen. Da auch das Land Thüringen diese Mittel für die Gemeinde nicht aufbringen kann, hat sich die Gemeinde - bisher noch erfolglos - beim Bund um eine Kostenübernahme bemüht. Doch die Gemeinden streiten mit der Wismut beziehungsweise mit ihrer Gesellschafterin, dem Bund, nicht nur um die Kostenträgerschaft bei der Sanierung von Altlasten, auch Besitzansprüche geben Anlaß zu Auseinandersetzungen. Zusammen mit dem im Dezember 1991 in Kraft getretenen Wismut-Gesetz hatte der Bundestag eine Entschließung verabschiedet, nach der die Wismut jene Grundstücke und Gebäude, die früher im kommunalen Eigentum waren, wieder an die Kommunen zurückgeben muß - sofern diese Anlagen und Flächen nicht kontaminiert und nicht betriebsnotwendig sind. Früher waren die Gemeinden gezwungen, bis zu 50 Prozent ihrer Gemarkungsflächen weit unter Wert an die Wismut abzutreten. Heutige Versuche von Gemeinden, die von ihnen beanspruchten Flächen und Gebäude wieder zurückzuerhalten, würden - so die Erfahrungen des Vorsitzenden der Querschnittsgruppe Einheit Deutschlands der SPD-Bundestagsfraktion - die Kommunalpolitker in die Rolle von Bittstellern zwingen. So vertritt zum Beispiel die Bundesregierung den Standpunkt, die Kommunen hätten bei der Beantragung der Rückübertragung darzulegen, daß das betreffende Grundstück weder für die Wismut I noch für die Wismut II betriebsnotwendig ist. Nach Ansicht von Kritikern dieser Auffassung verfügen die Kommunen gar nicht über ausreichende Informationen, um nachzuweisen, daß das von ihnen beanspruchte Grundstück für die Wismut nicht betriebsnotwendig ist. Daher müsse die Beweispflicht umgekehrt werden, so daß die Wismut im Streitfall die Betriebsnotwendigkeit nachzuweisen habe. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium wird dagegen zu bedenken gegeben, daß die Rückgabepraxis nicht zu einer unterschiedlichen Begünstigung von Gemeinden führen dürfe. So zögen Kommunen, die zum Beispiel Grundstücke mit Verladeeinrichtungen und Anlagen übertragen bekämen, erheblich größere Vorteile daraus als Gemeinden, die relativ wertlose, für Industrie und Gewerbe nicht nutzbare Flächen zurückbekommen. Zudem sei mit dem Verkauf von Grundstücken, Anlagen und Gebäuden ein Teil der vom Bund aufzubringenden Sanierungskosten zu decken. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000 |