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TEILDOKUMENT:


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6. Zusammenfassung und Ausblick:
Offene Informationspolitik und Kooperationsbereitschaft als Voraussetzung für die Verständigung über Sanierungsmaßnahmen


Nach dem abrupten Ende des Uranbergbaus in der ehemaligen DDR sind die von der SDAG Wismut hinterlassenen, Umwelt und Menschen gefährdenden Altlasten möglichst rasch und auf eine langfristig zuverlässige Weise zu sanieren. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg zur Sicherung des sowjetischen Bedarfs an spaltbarem Material aufgebaut, ließ der Uranbergbau die DDR zum drittgrößten Uranlieferanten der Welt werden. Die vom Erzabbau betroffenen Regionen mit einer Gesamtfläche von 1000 bis 1200 Quadratkilometern verteilen sich im Süden der ehemaligen DDR auf einer Fläche von rund 10 000 Quadratkilometern. Dieses Gebiet reicht von Ruhla, im Westen des Thüringer Waldes, über das Ronneburger Erzfeld bei Gera und zahlreiche Orte im Erzgebirge bis an den Rand des Elbsandsteingebirges mit der dortigen Bergbauregion Königstein. Hinzu kommen einzelne, kleinere Flächen in Sachsen-Anhalt

Während in anderen Ländern, die Uranerz abbauen, die Gruben, Schächte, Tagebaue und Aufbereitungsanlagen zumeist in wenig besiedelten Gegenden liegen, fand der Uranbergbau in der DDR in unmittelbarer Nachbarschaft von Städten und Dörfern statt. Ortschaften mußten den Abraumbaggern weichen, manchmal wurden die Schächte direkt neben Wohnhäusern in die Erde getrieben.

Um Rückschlüsse auf den Zweck und den Umfang ihrer Unternehmungen möglichst zu erschweren, bemühte sich die SDAG Wismut um größte Geheimhaltung. Zwar ließ sich bei annähernd 500 000 Beschäftigten, die in über vierzig Jahren bei der Wismut arbeiteten, gegenüber den Menschen in der Region nicht verbergen, daß die Tätigkeit der Wismut Gefahren für Menschen und Umwelt mit sich brachte. Und in der von Natur aus durch die natürliche Radioaktivität des Bodens überdurchschnittlich hoch belasteten Region wußte man wohl auch, daß es dabei um zusätzliche Gefährdungen durch Radioaktivität ging. Doch weil konkrete Informationen fehlten, besorgte Frager beschwichtigt und Kritiker unterdrückt wurden, konnte sich niemand in der betroffenen Bevölkerung ein zuverlässiges Bild über die Gesundheitsrisiken machen.

Am stärksten waren die Bergarbeiter unter Tage, vor allem in den ersten Jahren des Uranbergbaus, als selbst bescheidene Arbeitsschutzmaßnahmen fehlten und die Belastungen der Arbeiter gar nicht oder nur höchst unzulänglich ermittelt wurden. Nach Unterlagen der SDAG Wismut erkrankten über 5200 Bergleute als

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Folge ihrer Tätigkeit im Uranbergbau an Lungenkrebs. Es ist damit zu rechnen, daß Nachprüfungen früherer Anerkennungsverfahren über eintausend weitere Lungenkrebsfälle offenbaren werden, die auf die Arbeit für die Wismut zurückgehen.

Ob und inwieweit auch die Wohnbevölkerung durch den Uranbergbau gesundheitlich geschädigt worden ist, läßt sich heute noch nicht klar beurteilen. Sicher ist allerdings, daß die Folgen des Uranbergbaus die Menschen auf verschiedenen Wegen belastet haben - und noch heute belasten: In der Nähe von Schächten, Halden und Absetzanlagen erhöht sich die Radonkonzentration der Atemluft. Weil Häuser direkt neben Schächten stehen und zum Teil auf Halden oder mit Abraummaterial gebaut wurden, sammelt sich das radioaktive Gas in etlichen Häusern in Konzentrationen weit über den heute für akzeptabel gehaltenen Grenzwert an. Regen wäscht radioaktive Stoffe sowie chemische Gifte aus den Halden in das Grundwasser. Noch bis vor wenigen Jahren drang hochgiftiges Sickerwasser durch die Dämme von Absetzanlagen bis an Wohnhäuser. Und weil die Bergbauarbeiten Wegsamkeiten für Grundwasser in erzführende Schichten geschaffen haben, verteilen Grund- und Oberflächenwasser Uranisotope und andere radioaktive Stoffe weiträumig. Hinzu kommen die Belastungen mit radioaktivem Staub. Früher zogen die mit Erz und Abraum beladenen, nicht abgedeckten Wismut-LKWs Staubfahnen hinter sich her; und noch heute bläst der Wind den Staub von Halden und von trocken liegenden Flächen der Absetzbecken über die Region.

Das Ziel, die mit den Folgen des Uranbergbaus verbundenen Risiken einzudämmen, stellt die heute für die Sanierung der Altlasten zuständige Wismut GmbH vor eine weltweit einmalige Aufgabe. Mit ihren Sanierungsbetrieben Drosen, Ronneburg, Aue, Königstein und Seelingstädt hat die Wismut I in den nächsten Jahren einen offenen Grubenraum von etwa 1 400 km Auffahrungslänge zu sichern und zu verwahren sowie über Tag eine Gesamtfläche von 3 100 Hektar zu bearbeiten. Unter anderem gehören Absetzbecken mit bis zu 70 m mächtigen Schlämmen aus den Anlagen für die Uranerzaufbereitung zu den Sanierungsobjekten sowie Halden mit mehreren Millionen Kubikmetern Abraum und das gewaltige Restloch des früheren Tagebaus Lichtenberg.

Konzepte für die Sanierung dieser Altlasten müssen sich im Spannungsfeld von kurzfristig gebotener Verbesserung der Umweltqualität und langfristiger Zuverlässigkeit bewähren. Nicht jedes Vorhaben, das rasch eine Umweltentlastung verspricht, erscheint auch unter einer langfristigen Perspektive als annehmbar. Die bereits begonnene Verfüllung von Haldenmaterial in das Tagebaurestloch Lichtenberg

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mußte zum Beispiel vorerst gestoppt werden, weil es noch keine gesicherte Abschätzung über die damit verbundenen Gefährdungen des Grundwassers gibt. Auch andere bisher von der Wismut vorgelegte Sanierungsvorstellungen finden noch nicht die einhellige Unterstützung nationaler und internationaler Experten. Bisher scheint zum Beispiel nicht hinreichend geklärt zu sein, ob die geplante Entwässerung der Absetzbecken mit anschließender Abdeckung des gewaltigen radioaktiven Inventars technisch überhaupt durchführbar ist. Für die Abdeckung von Halden müssen noch die am besten geeigneten Materialien getestet werden. Und vor allem ist zuverlässiger als bisher darzulegen, wie langfristig vermieden werden kann, daß Auswaschungen radioaktiven Materials - sei es oberirdisch aus Halden und Absetzanlagen, sei es unter Tage aus Gruben und Schächten - Grund- und Oberflächenwasser belasten.

Die Vielzahl der Sanierungsaufgaben, die dabei ins Auge gefaßten Zeitperspektiven - die von der unmittelbaren Zukunft bei der Beseitigung akuter Gefahren für Mensch und Umwelt bis zu Zigtausenden von Jahren reichen können - sowie die schwer vorhersehbaren und daher auch nur unzureichend modellierbaren geologischen und hydrogeologischen Entwicklungen in den vom Bergbau betroffenen Regionen machen Auseinandersetzungen über die Sanierungsprojekte der Wismut unvermeidlich. Unterschiedliche Interessen, Risikobewertungen und Kosten-Nutzen-Abwägungen müssen zunächst einmal artikuliert und miteinander verglichen werden, ehe man sich auf ein breit akzeptiertes Sanierungskonzept stützen kann.

Allerdings wurde die Verständigung zwischen der Wismut auf der einen Seite und zahlreichen Bürgern und Kommunen auf der anderen Seite bisher von einem über vierzig Jahre gewachsenen Mißtrauen erschwert. Auch aktuelle Konflikte um Besitzansprüche von Gemeinden und um die Übernahme von Kosten für die Sanierung von Folgelasten, die rechtlich nicht mehr in den Aufgabenbereich der Wismut gehören, belasten das Bild der Wismut in der Öffentlichkeit.

Die Verständigung über ein für tragfähig gehaltenes Sanierungskonzept ist jedoch dringend geboten - nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Solange nicht geklärt ist, in welchem Umfang die vorhandenen Altlasten des Uranbergbaus Mensch und Umwelt gefährden und wie die Risiken in annehmbarer Zeit auf ein breit akzeptiertes Niveau zu senken sind, werden sich kaum Investoren bereit finden, die verkehrsstrategisch günstig gelegenen Regionen mit ihrem Potential an hochqualifizierten Arbeitskräften beim wirtschaftlichen Um- und Aufbau zu unterstützen. Auch wenn nach Einschätzung einer Sprecherin der Arbeitsgruppe Wismut der SPD-Bundestagsfraktion noch drei bis fünf Jahre nötig sein werden, ehe

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weitere Forschungsarbeiten eine ausreichende wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung und Bewertung von Sanierungskonzepten geschaffen haben, müssen sich alle Beteiligten bereits heute um einen sachlichen Dialog bemühen. Voraussetzung dafür ist unter anderem, die von der neuen Wismut verprochene offene Informationspolitik offensiv umzusetzen und Bürger und Gemeinden in den Planungsprozeß einzubinden. Auch die Unterstützung von Kommunen und Kreisen bei der Bewältigung von Folgelasten des Uranbergbaus, die nicht mehr unter die formale Zuständigkeit der Wismut fallen, könnte zum Aufbau eines konstruktiven Diskussionsklimas beitragen.

Die sich abzeichnende Bereitschaft der Wismut, die Sanierung des Beckens Trünzig A des Aufbereitungsbetriebes Seelingstädt zu übernehmen, ist daher ein Schritt in die richtige Richtung. Die Radonbelastung aus diesem seit 1979 nicht mehr zur Wismut gehörenden Becken soll 5- bis 10mal höher sein als aus den Becken Culmitzsch A und B. Zudem gefährdet die im Becken Trünzig A angelegte Sondermülldeponie die Umgebung.

Doch auch die Kritiker der Wismut könnten dazu beitragen, die Auseinandersetzungen um Sanierungskonzepte zu versachlichen. Kühne und gelegentlich reißerisch aufgemachte Spekulationen über die Gefährdungen der Bevölkerung durch die Folgen des Bergbaubetriebes dienen ebensowenig einer nüchternen Risikoabschätzung wie die Behauptung, die laut Einigungsvertrag fortgeltenden Regelungen aus dem ehemaligen Strahlenschutzrecht der DDR würden die Bewohner der Bergbauregionen zu "Bürgern zweiter Klasse" machen. Sicherlich müssen die in den alten und neuen Ländern geltenden Höchstwerte für radioaktive Belastungen und vor allem die damit verbundenen Risikopotentiale analysiert, miteinander verglichen und bewertet werden. Aber so wenig dabei Schönrechnerei akzeptabel wäre, so wenig dient es einer sachlichen Verständigung, wenn man Gefährdungsvergleiche auf die Basis hochartifizieller Überlegungen stellt. So mag man zwar mit der Berechnung von Aktivitätsinventaren des Endlagers für schwachaktive Abfälle im Schacht Konrad bei Salzgitter und der Schlämme in den Absetzbecken ehemaliger Aufbereitungsanlagen für Zeiträume von Millionen, ja von Milliarden Jahren Kenntnisse in Kernphysik unter Beweis stellen. Doch wer aus solchen Vergleichen Kriterien herleitet, um Maßnahmen für die Sanierung der Absetzbecken zu bewerten, der unterliegt dem Mißverständnis, derartige Berechnungen könnten etwas zur Lösung schwieriger sozialer Verständigungsprobleme beitragen. Die von der Einrichtung eines Endlagers für schwachaktive Abfälle im Schacht Konrad betroffenen Bürger müssen eine Verschlechterung ihrer bisherigen Lebensumstände in Kauf nehmen, und sei es auch

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nur durch die geringe Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, gesundheitliche Schäden davonzutragen. Doch die Maßnahmen zur Sanierung der Wismut-Hinterlassenschaft dienen dem Gegenteil. In den Bergbauregionen Thüringens und Sachsens geht es nicht darum, Risiken zu begrenzen, die durch die Planung und Errichtung von Atomanlagen entstehen, sondern darum, Risiken, die bereits vorhanden sind und die aus vergangenen Eingriffen sowie aus den natürlichen Gegebenheiten "vor Ort" resultieren, zu verringern. Es würde zu den Grundsätzen der vielzitierten "praktischen Vernunft" gehören, diese Zielsetzung bei der Bewertung von Sanierungsmaßnahmen nicht aus den Augen zu verlieren.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000

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