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Claus Noé:
Für eine Renaissance der Makropolitik


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    Die Anmerkungen sind in drei Teile gegliedert: In dem ersten Abschnitt will ich mich damit befassen, ein paar politisch wesentliche, so hoffe ich wenigstens, Aspekte der Transformation wirtschaftstheoretischer Konzepte der Wirtschaftspolitik hervorzuheben; im zweiten Teil möchte ich mich mit novellierungsbedürftigen Elementen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes von 1968 befassen und im dritten Teil ein Verfahren öffentlicher Beteiligung vorschlagen.

  1. Der handelnden Politik ist es gleichgültig, ob man konjunkturelle Phänomene als Überinvestition oder Unterkonsumtion definiert und daraus entsprechende Handlungsableitungen gewinnt. Politik fragt regelmäßig nach cui bono und, wenn sie besonders populistisch ist, nach den kurzfristig möglichen Erfolgen. Oder anders ausgedrückt, sie fragt nach den möglichen Wohltaten, die im jeweiligen wirtschaftspolitischen Konzept verborgen sind, restriktive Instrumente sind weniger beliebt.

    Diese These soll nun an dem klassischen Keynesianismus ebenso wie an der sogenannten Angebotstheorie belegt werden.

    Das Schöne am Keynesianismus für die Politik ist die Möglichkeit, durch Kreditaufnahme zusätzliche öffentliche Investitionen zu verteilen. Man kann Schwimmbäder, Schulen, Kläranlagen oder sonst etwas bauen und damit, wenn man es raffiniert macht, unter dem Motto Realtransfers den Kommunen und der Mehrheit der Bevölkerung Güter zur Verfügung stellen, die sie sonst nicht bekäme. Man kann sagen, daß man mit dieser zusätzlichen öffentlichen Nachfrage Arbeitsplätze sichere und schaffe, man erfreut bestimmte Branchen mit zusätzlichen Aufträgen.

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    Außerdem kann man unter dem Motto konjunktureller Investitionsanreize die Unternehmen erfreuen und in spezifischer Weise die Steuern senken.

    Makroökonomischen Sinn macht das natürlich nur, wenn die keynesianische Situation da ist; ist sie nicht da, macht diese Politik immer noch politischen Sinn. Wer sich an die siebziger Jahre zurückerinnert, wird sich der Erfahrung nicht verschließen können, daß die Politik der damaligen Bundesregierung gelegentlich zu keynesianischen Mitteln der makaroökonomischen Nachfragestabilisierung griff, ohne daß zureichende konjunkturelle Begründungen dafür vorgelegen hätten.

    Der öffentlich nicht so leicht zu vermittelnde Ansatz des Keynesianismus, die Vorschriften des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes, nämlich staatliche Mehreinnahmen infolge von vorherigem deficit-spending stillzulegen, diese keynesianische Botschaft wurde in der Politik gerne überhört, weil mit dieser Art Stillegung das mögliche Verteilen von öffentlichen Gütern eingeschränkt wird.

    Die Erfahrung der siebziger Jahre lehrt auch, daß eine unkonditionierte Vollbeschäftigungsgarantie zu einem Verhalten der Tarifpartner führt, das im Endeffekt die Stabilität bedroht, die öffentlichen Haushalte aufbläht und die Bundesbank auf den Plan ruft. Vielen ist aus den siebziger Jahren noch erinnerlich, wie sich die Tarife im Öffentlichen Dienst entwickelten. Politisch muß man dazu sagen, daß es außerordentlich schwierig ist, bei vollen Kassen unter Streikdrohung, Forderungen von im Öffentlichen Dienst tätigen Gewerkschaften zu begrenzen.

    Soviel nur aus "praxeologischer Sicht" zum keynesianischen Politikmodell. Ich vernachlässige in diesem Kreis dabei alle Schwierigkeiten der Implementierung des Antizyklischen über die öffentlichen Haushalte; ich nenne nur die Stichworte: Welche Indikatoren zeigen die Situation rechtzeitig an, wie groß sind die recognition-lags, wie groß sind die lags beim Vollzug des Anti-

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    zyklischen. Wir wissen aus der damaligen Erfahrung, daß insbesondere aus dem Zusammenhang Konjunkturanalyse und ihren Unsicherheiten, Verzögerung entsprechender Beschlüsse durch die politischen Entscheidungsgremien und Wirkungsverzögerungen bei der administrativen Umsetzung, entscheidende lags entstanden und gelegentlich der öffentliche Nachfrageschub nicht antizyklisch, sondern kumulativ zyklisch war.

    Dies ist aber in diesem Zusammenhang nicht die Hauptsache; Hauptsache ist, Verständnis dafür zu gewinnen, daß sich Politik aus jedem wirtschaftspolitischen Konzept regelmäßig deutlich die Wohltaten heraussucht und die disziplinierenden Elemente unterläßt oder nur unzureichend aktiviert. Hinzu kommt noch die modische allgemeine Vorliebe für weiche Themen und moralisierende Politikbegründung.

    Am Beispiel Angebotspolitik: Was kann einem Politiker Besseres passieren, als ein wirtschaftspolitisches Konzept, das zu dauernden Steuersenkungen aufruft. Er wird leicht vergessen, daß diese Steuersenkungen spezifische ökonomische Wirkungen haben sollen, nämlich eben solche, das Angebot zu verbessern, um - in makroökonomischen Termini - zu einer schnelleren Erneuerung des Kapitalstocks zu gelangen und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Hier wird dann unter dem Motto Steuersenkung unter ökonomischem Vorwand zugegriffen. Einzelne als Wähler besonders beliebte Gruppen werden besonders bedient. Nicht umsonst hat, wie beispielsweise der DGB in einem Papier festgestellt hat, die Angebotspolitik eben dazu geführt, daß die Einkommen der Selbständigen im Durchschnitt der letzten zehn Jahre insgesamt um den Faktor von knapp 4 gewachsen sind, diejenigen der Arbeitnehmer jedoch nur um den Faktor 1,5, real gerechnet. Die Investitionsquote, die doch erhöht werden sollte, sank in den Zeiten der Angebotsorientierung (1980-90) 2 Prozentpunke unter den Durchschnitt der Jahre 1970-1980 ab. Die Umverteilung vom Staat auf Private und von Arbeitnehmerhaushalten auf Unternehmerhaushalte hat zu keiner wachstumsträchtigen Verwendung des Sozialprodukts geführt. Im Gegenteil. Aber der politischen Mehrheit hat sie

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    genützt.

    Die andere Botschaft der Angebotspolitiker und ihrer Vordenker im Wissenschaftsbereich, nämlich zu deregulieren, ist insgesamt ebenso wenig beliebt, wie die Botschaft des Abbaus von Subventionen überall.

    Über den Abbau von Subventionen muß ich hier wohl in diesem Kreis nichts Besonderes sagen, sondern nur auf ein paar Zusammenhänge hinweisen. Je nach Regierungstyp sind eben die Subventionen im Agrarbereich schlimmer als diejenigen im Kohlebereich oder umgekehrt. Steuerliche Subventionen, die beispielsweise große Kapitalsammelstellen wie Versicherungen begünstigen, werden erhöht unter dem Motto private Vorsorge. Jedermann weiß natürlich, daß eine solche Politik im Exzess dazu führt, daß die Ersparnisse der Bevölkerung zunehmend in ein Getto mündelsicherer Anlagen gesperrt werden. Also: Nicht nur Subventionen werden unzureichend abgebaut, sondern es werden, um die Steuerlast zu vermindern, neue aufgebaut, die dem Ziel der Angebotspolitik, die Wachstumskräfte zu stärken, zumindest nicht dienen. Die Steuerpolitik begünstigt dergestalt die risikolose Anlage stärker als die Investition. Die Wirkung bleibt nicht aus: nicht einmal 0,5 Prozent der Ersparnisse wurden 1991 in Aktien angelegt. Subventionen werden allenfalls selektiv und möglichst nicht bei der eigenen Wahlzielgruppe abgebaut.

    Nun zur Deregulierung. Je nach dem, wie die zu erhaltende Mehrheit aussieht, gilt es im wesentlichen in der Gruppe des anderen zu deregulieren. Die amtierende Bundesregierung hat sich über die letzten zehn Jahre insbesondere die Deregulierung auf den Arbeitsmärkten auf die Fahnen geschrieben, Thesen wie: Flexibilisierung, Öffnung der Tarifverträge etc. (Motto: Mehr Markt bei den anderen).

    Die gleiche Regierung hat unbeirrt daran festgehalten, die Agrarmärkte weiter zu regulieren. Weiterhin hat es keinen Bundeswirtschaftsminister zwischen 1980 und 1990 gestört, daß das

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    Bundeswirtschaftsministerium die Handwerksordnungen eigentlich zu deregulieren hätte, folgte sie den Regeln der sonst propagierten Angebotspolitik; es hat keinen Minister gestört, die Architektenhonorare weiter als staatliche Tarife zu verfügen und es hat auch keinen gestört, die Apothekerspanne per Rechtsakt der Regierung in der Zuständigkeit des Wirtschaftsministers festzulegen.

    Will sagen, auch an der Praxis der "Angebotstheorie", wenn es denn eine ist, und ihrer praktischen Anwendung läßt sich abgreifen, daß sich Politik aus den jeweiligen wirtschaftspolitischen Konzepten diejenigen Instrumente herausgreift, die der eigenen Gruppe oder der angestrebten Mehrheit in besonderer Weise das Leben erleichtern. Umgekehrt, daß all die Aktivitäten ausgeblendet werden, die zum Konzept gehören aber die eigene Klientel beschränken und vom Wiederwählen abhalten könnten. Die "Gesundheitsreform" der achtziger Jahre krankte daran von Anfang an. A. Downs läßt grüßen.

    Die von Ökonomen vorgetragene Kritik an der Angebotspolitik nach der Melodie, marktwirtschaftliche Erneuerung sei immer gut, aber dieses Politikkonzept auf der Mikroebene führe zu erheblichen makroökonomischen Verwerfungen, interessiert Politiker relativ wenig, wenn überhaupt. Es interessiert sie erst dann, wenn sie feststellen, daß sie makroökonomisch in die Hände einer Institution geraten, die ihnen durch politische Autonomie mit einem Makro-Instrument namens Geldmenge die Suppe versalzt, beispielsweise die Bundesbank; und - konstitutiv - daß ihre Wiederwahl gefährdet wird. Nichts fördert den Mut zum Handeln mehr als die Angst vor dem Verlust des Mandats - wenn Handeln einziger Ausweg bleibt. Politiker sind keine Spezies sui generis.

    Für alle wirtschaftspolitischen Konzepte gilt, daß die Finanzen des Staates den Politikern unendlich viel näher liegen als die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Weil eben die Finanzen wesentlich die eigentlichen Handlungsmöglichkeiten der Politik bestimmen. Die banalen Zusammenhänge, daß man durch eine falsche

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    Finanzpolitik makroökonomische Wirkungen erzeugen kann, die den finanzwirtschaftlichen Handlungsspielraum verengen statt zu erweitern, werden erst wahrgenommen, wenn sie Krise an makroökonomischen Daten festgemacht werden kann, insbesondere dann, wenn - wie im Sommer 1992 - die Indikatoren so eindeutig Rezession anzeigen, daß noch so blumenreiche Interpretationen aus einem Abschwung keine Übergangsphase mehr machen können; dann plötzlich gerät Makropolitik ins Blickfeld.

    Analysen auf makroökononischer Ebene und mehr noch Prognosen und Projektionen sind bei der handelnden Politik unbeliebt. Einmal, weil sie in der Regel nicht (voll) eintreffen und es für handelnde Politiker - nicht Ökonomen - außerordentlich schwer ist, wenn schon nicht zu begreifen, so doch zu vermitteln, daß mit einer Prognose oder Projektion und der Abweichung davon man sozusagen rechtzeitig den Korrekturbedarf für die Politik entdecken könnte. Politiker wollen nicht unter Druck geraten, ihre Argumentation zu korrigieren. Außerdem ist es im politischen Prozeß leicht, den anderen mit einer (naturgemäß) teilweise falschen Prognose vorzuführen. Zum zweiten müssen die Ökonomen eingestehen, daß ihre prognostischen Fähigkeiten begrenzt sind und sich handelnde Politiker, als sie noch relativ unkritisch an Prognosen glaubten, häufig in die Irre geführt fühlten.

    Das von Erhard sogenannte Teufelswerk der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zeigt zudem eben just die ökonomischen Zusammenhänge zwischen Entstehung, Verwendung und Verteilung des Sozialprodukts, über die man sich im politischen Prozeß gelegentlich gerne täuscht. Insbesondere beispielsweise wenn man dabei auf der Zeitachse beobachten kann, daß die in der Form der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aufgebauten Prognosen oder Projektionen über Wahldaten hinausreichen und der Öffentlichkeit vorführen, was in der nächsten Phase in etwa der Preis für ein bestimmtes Regierungshandeln auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik sein wird. Diese Art von Transparenz ist einerseits Voraussetzung für denkbare ökonomische Konfliktminimierung, andererseits aber macht sie Politik schwieriger, weil sie

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    Konflikte antizipiert. Um das Thema noch ein bißchen anzuspitzen, jede Opposition wird darauf bestehen, daß Regierungen ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik mit ihren Rückwirkungen auf die Größen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung darlegen. Die Opposition, die jeweilige, ist somit eher die Verbündete einer um Aufklärung bemühten Wirtschaftspolitik. Vorsichtiger: Zumindest Regierungsparteien mögen die komplette Kreislaufbetrachtung nicht. Fazit: Wenn es der Politik erschwert werden soll, wirtschaftspolitische Konzepte nur insoweit anzuwenden, als es dem Mehrheitserwerb dient, dann ist es wichtig, Regierungen zu verpflichten, regelmäßig systematisch über die Anwendung des Konzepts und die Ergebnisse öffentlich zu berichten; dabei ist methodisch die Kreislaufbetrachtung, die Makroebene, der Kern der Transparenz. Hier läßt ich am wenigsten schummeln; Maßstab für Wirtschaftspolitik wird Wachstum, Beschäftigung, Stabilität nicht der Beifall einer von der Politik durch Umverteilung gekauften Klientel sein, koste es gesamtwirtschaftlich, was es wolle.

  1. Die Ausführungen von Professor Filc und Professor Glastetter haben zwei gemeinsame Ratschläge enthalten. Der eine Ratschlag ist, daß kein Weg zurückführen sollte zu dem keynesianischen Konzept konjunktureller Feinsteuerung, das dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz zugrundeliegt. Die zweite Botschaft ist wohl gewesen, daß eine Rückbesinnung auf die Makropolitik dringlich geboten sei, jedenfalls, daß Angebotspolitik auf der Mikroebene nicht ausreiche, sondern zu Wohlstandsverlusten führe, wenn der Staat nicht versucht, Wachstum, Stabilität und Beschäftigung insgesamt zu beeinflussen. Ziel dieser Makropolitik muß es wohl sein, eine als optimal erkannte Kombination der Ziele des Stabilitäts- und Wachtstumsgesetzes

    - als da sind stetiges und angemessenes Wachstum, ein dem Produktionspotential angemessener Beschäftigungsstand, eine kompatible Preisniveaustabilität bei außenwirtschaftlichem Gleichgewicht (ist das so wichtig?) - zu erreichen. In diesem Kreis brauchen wir wohl auch nicht darüber zu diskutieren, daß

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    dies im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung zu geschehen hat.

    Von Professor Glastetter habe ich mir gemerkt, daß die makroökonomische Zielkombination, die durch die Bundesregierung unter dem Titel 'Angebotspolitik' erreicht worden ist, hinsichtlich Wachstum, Investition und Beschäftigung deutlich suboptimal war. Von Professor Filc habe ich die Analyse im Kopf, daß restriktive Zinspolitik nicht von expansiver Finanzpolitik und schon gar nicht von der Einkommenspolitik in Richtung gesamtwirtschaftliches Optimum korrigiert werden kann.

    Makroökonomisch definierte Politik, die man auch mit Filc "keynesianische Angebotspolitik" nennen kann, wenn man unbedingt will, baut auf der amüsanten These auf, die Notenbank für Wachstum und Beschäftigung und den Staat sowie die Arbeitsmarktparteien für Stabilität zuständig zu machen. Amüsant, weil die Bundesbank im Notfall autonom nur Herr ihrer Instrumente wirklich ist, wenn über Gewaltaktionen Preisniveaustabilität erzwungen wird. Ein teurer Geldmantel wirkt eigentlich immer in Richtung Nachfragedämpfung. Ein weiter Mantel kann - muß aber nicht - zu mehr Wachstum führen. Ich habe diese Zuspitzung in der Rollenverkehrung zwischen Notenbank, Staat und Arbeitsmarktparteien bei Professor Filc auch nicht als Handlungsanleitung verstanden, sondern sozusagen als pädagogische Übung, mit der den Beteiligten klargemacht werden kann, daß sie sich über eine optimale Zielkombination einigen müssen, wenn es nicht zu gegenläufigen Zins-, Fiskal- und Einkommenspolitiken kommen soll.

    Was lehrt uns das mit Blick auf die schlummernden Paragraphen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes? Dazu ein paar Hypothesen:

    Von der Angebotspolitik sollten wir übernehmen, daß die dauernde Deregulierung und die permanente Überprüfung von Subventionen eine mikroökonomische Voraussetzung dafür ist, makroökonomische Ziele in einer Wettbewerbswirtschaft zu erreichen, nicht mehr,

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    nicht weniger. Das bedeutet, daß es außer Frage steht, den Subventionsbericht des Stabilitätsgesetzes aufrechtzuerhalten und ihn möglicherweise in seinen Vorschriften, die die jeweilige Bundesregierung dazu verpflichten, im zweijährigen Turnus Abbauvorschläge zu machen, zu präzisieren; möglicherweise könnte man die Verpflichtung der Regierung, dem Parlament Vorschläge über den Abbau von Subventionen zu machen, zwingender fassen. Alle zwei (oder vier) Jahre ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Subventionsabbau. Auch ein Deregulierungsbericht entsprechender Art wäre (zusammen mit dem Subventionsbericht) von erheblichem Nutzen. Motto: Taten statt Stimmungsmache.

    Es besteht wohl auch kein Zweifel, daß mittelfristige Finanzplanung und die Abstimmung der Gebietskörperschaften im Finanzplanungsrat Instrumente sind, die nicht nur für keynesianische Situationen, sondern für Makropolitik unverzichtbar sind. Mittelfristige Finanzplanung und Finanzplanungsrat können die Beiträge des Staates insgesamt zu Wachstum, Beschäftigung und Stabilität aufs Jahr und auf vier Jahre geplant halbwegs verbindlich machen.

    Kein Zweifel besteht auch, daß die Bestimmungen des Stabilitätsgesetzes den Jahreswirtschaftsbericht betreffend, insbesondere diejenige, nach der die Bundesregierung eine Jahresprojektion in der Form der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vorzulegen hat, unverzichtbare Voraussetzung sind, für makroökonomisch definierte Wirtschaftspolitik.

    Wir müssen alles tun um zu verhindern, daß es Regierungen durch gut gemeinte Ergänzungen im Jahreswirtschaftsbericht möglich wird, von den eigentlichen Makrogrößen abzulenken und sich aus der Disziplin der Kreislaufbetrachtung herauszustehlen. Unter dem Gesichtspunkt eines stärker qualitativ ausgerichteten Wachstums ist es sicherlich prüfenswert und - wenn es denn systematisch geht - notwendig, den Verbrauch von Boden und Ubiquitäten, der mit bestimmten Wachstumszielen verbunden ist, im Jahreswirtschaftsbericht auszuweisen, die gewollten Restriktionen

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    zu bemessen; deren Rückwirkungen auf die Aggregate quantitativ abzugreifen. Das dient Wirtschaft und Umwelt.

    Des weiteren könnte ich mir denken, daß, so es die Datenlage hergibt, man in dem nächsten Jahrzehnt für die fünf neuen Bundesländer und Berlin, eine eigenständige Prognose und Projektion auf der Makroebene versucht und in den Jahreswirtschaftsbericht integriert. Insbesondere deshalb, um die Wechselwirkungen der Makropolitik zweier immer noch deutlich unterschiedlicher Volkswirtschaften, die nur statistisch zu einer geworden sind, aufzuzeigen und gesamtwirtschaftliche konsistentere Handlungskonzepte zu entwerfen. Angesichts der elementaren Unterschiede bei Kapitalausstattung und Kapitalbildung, bei Beschäftigung und Nachfrage zwischen Ost und West geben gesamtwirtschaftliche Durchschnittsgrößen wenig her. Es ist auch nicht problemadäquat, die Wirtschaft der neuen Länder wie einen regionalen Sonderfall
    - Ruhrgebiet oder Bayerischer Wald - ökonomisch zu betrachten. Eine disziplinierende Darstellung in der Form der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für die Republik insgesamt und ihre beiden Teilwirtschaften könnte auch Auskünfte darüber geben, wie sich der Kapitalstock im Gesamtstaat und in den neuen Bundesländern entwickeln kann und muß, wieviele Erwerbstätige bei erreichbarer Investition, zu welchen Einkommen, in welchen Teilen der Republik mit welchen Transferwirkungen beschäftigt werden können und welche Wanderungen der Produktionsfaktoren ein Optimum ergeben. [Fn.1: Vgl. dazu: Claus Noé, Mark für Markt - Mark für Macht, Die Republik hat sich übernommen Bonn/Berlin 1990 S. 61 ff., S. 124 ff.]

    Ein so ökologisch und vereinigungsbedingt ergänzter Jahreswirtschaftsbericht würde die Handlungsebene für die Makropolitik ordnen und damit erst eröffnen. (Nebenbei gesagt: Natürlich sollten sowohl der Sachverständigenrat als auch die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Institute - die mit Halle sechs sind -

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    ihre Rolle auf der Ebene der Makropolitik weiterspielen wie bisher.)

    Ein altes sozialdemokratisches Hobby sind sogenannte Strukturberichte. Ich erinnere daran, daß zu Beginn der sozialliberalen Koalition zwei dieser Berichte das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben; dann nie mehr. Erstens weil nie klar war, was Strukturen eigentlich sind und welche untersucht werden sollten und zweitens, weil solche Strukturberichte in der Regel dazu führten, daß im wesentlichen Felder entdeckt wurden, auf denen erhebliche Anpassungsprozesse zu vermuten waren und diese Anpassungsprozesse, die absehbar wurden, im politischen Feld sofort die Forderung nach Erhaltungssubventionen beförderten.

    1972 und folgende Jahre hat das Bundeswirtschaftsministerium dann diese Thematik auf die Institute verlagert mit dem Projekt Strukturberichterstattung, das den Versuch machte, die Veränderungen in den Sektoren und in den Regionen so zu fassen, daß deren Rückwirkungen auf die Makroebene erkennbar wurden und umgekehrt, die Wirkungen der Makropolitik auf die definierten Strukturen. Dieses Projekt ist zu Zeiten der Angebotspolitik natürlich nicht in diesem Sinne fortgeführt worden, sondern es ist eher zu einem - auch sinnvollen - Projekt der spezifischen Untersuchung von Deregulierungs- und Subventionsabbaubedarfen geworden. Das ist auch keine schlechte Fragestellung, führt aber nicht dazu, Strukturuntersuchungen zu betreiben, um Veränderungen auf der Mikroebene mit Blick auf die Makroebene zu analysieren und - wenn nötig - zu therapieren.

    Ich denke, daß man getrennt vom Jahreswirtschaftsbericht die Regierung verpflichten müßte in, sagen wir vier- bis fünfjährigen Abständen, einen Strukturbericht vorzulegen, um wesentliche Veränderungen rechtzeitiger zu erkennen.

    Vor dem Hintergrund dieser Informationen aus Jahreswirtschaftsbericht, Gutachten des Sachverständigenrates und Analysen der Institute einschließlich Gemeinschaftsdiagnose und vor dem Hin

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    tergrund eines solchen Strukturberichts gilt es nun, Institutionen zu finden, um das makroökonomisch Notwendige miteinander abzustimmen.

    Als Funktionsvoraussetzung für solche Abstimmungsgremien will ich nun einfach mal definieren, daß eine Bedingung aus meiner Erfahrung eindeutig vorliegen muß. Bundesbank, Staat (sprich Gebietskörperschaften) und Arbeitsmarktparteien müssen aus vorangegangenem Tun gelernt haben, daß unabgestimmtes Verhalten jedem der Beteiligten mehr Nachteile als Vorteile bringt. Es muß eine drohende manifeste Verletzung der Ziele des Staates mit allen Nachteilen für die Beteiligten erkennbar sein und bei unkoordinierter Vorgehensweise unabwendbar erscheinen.

    Unter solchen Voraussetzungen ist eine wiederbelebte Konzertierte Aktion als Krisenvermeidungsmechanismus (nicht als runder Tisch in allen Konjunkturlagen) durchaus möglich. Eine Konzertierte Aktion wird nicht möglich, wenn sie dazu benutzt wird, die Gewerkschaften vorzuführen [Fn.2: vgl. Claus Noé, Lieber ein Runder Tisch als eine Rezession, DIE ZEIT, 21. Januar 1992, S. 24] , also etwa in einem Umfeld, in dem die jeweilige Lohnhöhe zum Kern allen Übels erklärt wird und die Fiskalpolitik sich auch noch dazu versteht. Umverteilungspolitik zugunsten bestimmter Gruppen - losgelöst von seriöser wirtschaftspolitischer Begründung - zu betreiben.

    Was die Zusammensetzung einer solchen Krisenvermeidungsinstitution unter der Führung des Bundeswirtschaftsministers angeht (auch der Finanz- und der Arbeitsminister sollten daran teilnehmen) , muß der Zirkel exklusiv bleiben. Es kann nicht zu verbindlichen Vereinbarungen kommen, es muß ein Tisch kollektiver Vernunft sein. Keiner darf den Anschein erwecken, er könne die anderen zwingen oder er sei gezwungen worden. Aus dem Beginn der Konzertierten Aktion, in einer relativ kleinen aber manifesten konjunkturellen Krise, kann man berichten, daß mehrere Treffen in diesem Sinne einer Einigung auf gemeinsam anzustrebende Makroentwicklungen erfolgreich waren. Richtig ist auch, daß, kaum

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    war die Krise verschwunden, die Konzertierte Aktion eigentlich zu nichts Rechtem mehr führte. Daher wirkt Konzertierte Aktion nicht als Dauerinstrument, sondern als temporäres Krisenvermeidungs- oder Krisenbewältigungsinstrument. Sie sollte nur - muß aber auch - so praktiziert werden, wie sie in Gesetz vorgesehen ist, als Abstimmungsmöglichkeit bei elementarer Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zwischen Bundesregierung, Arbeitsmarktparteien und Notenbank.

    Ich halte persönlich nicht viel davon, Länder und Gemeinden in die Konzertierte Aktion miteinzubringen. Erstens deshalb, weil ich denke, daß Länder und Gemeinden kaum Aktionen unternehmen oder unterlassen können, die von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung sind. Das einzige, was sie tun können, um die Makropolitik zu stören, ist, ihr Haushaltsgebaren anders einzurichten als makroökonomisch von Nöten. Hierzu aber gibt es den Abstimmungszirkel des Finanzplanungsrates.

    Mit Ländern und Kommunen könnte freilich auch der Konjunkturrat belebt werden, wenn denn der jeweilige Bundeswirtschaftsminister es für nötig hielte, ähnlich wie die Finanzminister eine breitere Basis für seine Politik zu haben. Dann aber muß dem Konjunkturrat die Möglichkeit gegeben werden, zum Jahreswirtschaftsbericht zur Analyse, zur Jahresprojektion und zur dargelegten Politik Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme muß als Teil des Jahreswirtschaftsberichts mit veröffentlicht werden.

    Man muß einen Unterschied deutlich sehen, der seit dem Entwurf und seit dem Inkraftsetzen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes 1968 eingetreten ist. Es gibt kein System von Bretton Woods mehr. Die Regierungen bestimmten seinerzeit bei festen Wechselkursen über den Außenkurs ihrer Währung. Statt dessen gibt es generell die Anpassung der Wechselkurse über die Märkte, die die Notenbanken massiv beeinflussen können, und, was die Europäische Gemeinschaft angeht, eben das EWS mit den Bandbreiten. Und es gibt eine Außenwirtschaftspolitik, die weitgehend in Brüssel

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    formuliert wird. An der Schraube, die inneren Marktkräfte durch Liberalisierung der Außenwirtschaft zu beeinflussen, dreht Brüssel; Bonn hat diese Möglichkeit autonom nicht mehr.

    Ohne eine außenwirtschaftliche Absicherung aber ist eine Makropolitik der Bundesrepublik autonom schwerer möglich als 1966 und in den folgenden Jahren. Damit will ich nicht sagen, daß sie seinerzeit autonom möglich war. Freilich gab es seinerzeit im Gegensatz zu heute die von Schiller praktizierte Möglichkeit, den Wechselkurs gegenüber dem Rest der Welt zu verändern, um Stabilität zu importieren und den Wettbewerb im Inland zu verschärfen. Der § 4 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes lautet wie folgt:

    "Bei außenwirtschaftlichen Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, deren Abwehr durch binnenwirtschaftliche Maßnahmen nicht oder nur unter Beeinträchtigung der in § 1 genannten Ziele möglich ist, hat die Bundesregierung alle Möglichkeiten der internationalen Koordination zu nutzen. Soweit dies nicht ausreicht, setzt sie die ihr zur Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zur Verfügung stehenden wirtschaftspolitischen Mittel ein."

    Ein typischer Fall von Selbstverständlichkeit ohne Rechtswirkung, als Beispiel zitiert für eine Reihe von Bestimmungen in diesem Gesetz. Der Einsatz "wirtschaftspolitischer Mittel" jedoch stellte sich als frühe Ankündigung der späteren Aufwertung der D-Mark im Gesetz dar, ohne daß es dafür dieses Gesetzes bedurft hätte; in gleicher Weise sind die damaligen nationalen wirtschaftspolitischen Möglichkeiten der Liberalisierung der Außenwirtschaft zu beurteilen.

    Inzwischen sind für solche Abstimmungen Institutionen der Europäischen Gemeinschaft, die G 7-Gruppe, Weltwährungsfonds und Weltbank sowie die gelegentlich zum Medienspektakel verkommenden Weltwirtschaftsgipfel, die gute alte OECD und das GATT vorhanden.

    Bei diesen Institutionen bietet sich denn nunmehr für die Politik an, die eigenen Makroziele mit denen der Partner, soweit es

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    geht, abzustimmen. Für diesen Prozeß gilt das gleiche wie für die Konzertierte Aktion. Das kann nur bei befürchteter manifester Krise gelingen; aber dann muß es auch versucht werden, wenn die in Arbeitsteilung untereinander eng verbundenen Volkswirtschaften nicht weltweit in Schieflage geraten sollen. Gegenwärtig (Sommer 92) muß es um koordinierte Zinsabrüstung, GATT-Liberalisierung und Konsolidierung gehen. Hier ist anzufügen, daß sich der weniger möglichen autonomen nationalen Wirtschaftspolitik natürlich auch neue Chance der Durchsetzung dergestalt eröffnen, internationale Vereinbarungen zu initiieren, um sie dann konzertiert im Inland umzusetzen. Motto: Wir müssen weltwirtschaftliche Verpflichtungen erfüllen, sonst drohen Sanktionen auf internationalem Feld.

    Insgesamt laufen meine Überlegungen auf zwei Elemente hinaus:

    1. Das makroökonomische Informationssystem zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung und politischen Handelns zu machen und

    2. die Institutionen zu benennen, die zur Abstimmung der Makropolitik als Krisenmechanismus belebt werden müssen.

    Diejenigen, die das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz genau kennen, werden nunmehr fragen, ob die vielen Bestimmungen über die einzusetzenden Instrumente und die dort vorgesehenen verkürzten Verfahren einer beabsichtigten konjunkturellen Feinsteuerung noch einen Wert haben. Ich denke, daß die Erfahrungen mit diesen Bestimmungen gezeigt haben, daß sie praktisch nicht, jedenfalls nicht fristgerecht anwendbar sind. Ob man sie im Gesetz stehen läßt oder streicht ist auf den ersten Blick nicht von hoher Bedeutung im hier betrachteten Zusammenhang.

  1. Und nun, weil dies ja auch von mir erwartet wird, will ich mich noch etwas aufs politische Glatteis begeben: Man wird nicht ändern können und auch nicht ändern wollen, daß die Haushaltswirtschaften von Bund und Ländern getrennt sind. Es wäre

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    verheerend für den Förderalismus, wenn der Bundesfinanzminister, gleich welcher Couleur, den Ländern die Haushalte genehmigen sollte. Eine andere Frage freilich ist es - wenn ein Land sich permanent im Übermaß verschuldet, was, wie jedermann nach dem letzten Verfassungsgerichtsurteil weiß, dann dazu führt, daß der Rest der Nation für dieses Tun aufkommen muß - ob hier nicht im Vorfeld eine stärkere verfassungsrechtlich abgesichterte Eingriffskompetenz des Bundes und der Ländergemeinschaft, also eine Eingriffskompetenz, die nur mit Zustimmung des Bundesrates durchgeführt werden kann, angezeigt wäre, um der Makropolitik hinsichtlich der Fiskalpolitik von einzelnen Gebietskörperschaften einen Knüppel in die Hand zu geben.

    Ich selber wäre dafür, so etwas zu tun, aber dies ist eben nicht nur eine wirtschafts- und finanzpolitische, sondern eine verfassungspolitische Frage.

    Ich frage mich gelegentlich, ob der Autonomiezuwachs der Bundesbank, der dadurch gegeben ist (übrigens ohne eigenes Zutun in der Sache), daß das System von Bretton Woods nicht mehr existiert, nämlich nicht nur die Geldpolitik im Inland, sondern auch den Wechselkurs bestimmen zu können, den zuvor die Regierungen bestimmten, nicht gelegentlich des Guten ein bißchen zu viel ist. Im Regelfall ist das in Ordnung. Nur, es können auch Situationen eintreten, in denen sich eine Notenbank in einem Ausmaß von der gesetzlichen Verpflichtung, die Regierungspolitik im Rahmen der Autonomie zu unterstützen, so weit entfernt, daß jeweilige Geldpolitik beispielsweise die Maßstäbe für Politik schlechterdings zu setzen versucht. Für einen solchen Fall wäre es bedenkenswert, der Bundesregierung unter strengen Kautelen ein Mitspracherecht über die zu verfolgende Wechselkurspolitik einzuräumen. Schließlich hat sie erhebliche Kompetenzen über die Wechselkurse im EWS mit zu entscheiden, ohne daß die EG zu der befürchteten Inflationsgemeinschaft verkommen wäre.

    Man muß allerdings wissen, wenn man dieses Thema anfaßt, daß man

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    um eine Debatte einer Einhegung der Tarifautonomie durch gesetzlich normierte Eingriffsmöglichkeiten der Verfassungsorgane kaum herumkommen wird - auch wenn einzuräumen ist, daß sich auf diesem Feld der Autonomie zwei einander korrigierende Arbeitsmarktparteien gegenüberstehen. Freilich hat dieses Modell der Gegenkräfte am Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern nicht gewirkt. Die Lohnstückkosten liegen dort doppelt so hoch wie in Westdeutschland.

    Die letzten drei Einwägungen, die ich hier angestellt habe, habe ich der Vollständigkeit halber genannt, wenn es nicht gelingen sollte, bei einer drohenden manifesten gesamtwirtschaftlichen Krise durch Überredung, Überzeugung und Druck sowie durch eigenes Handeln die autonomen Institutionen ins Boot kollektiver Vernunft zu holen. Sozusagen ein Stock hinter der Tür gegen offenkundigen Mißbrauch von Autonomien. Natürlich weiß ich auch, daß dieses eine Frage des Maßes ist. Viele werden sagen, wehret den Anfängen, weil wir nicht wissen, wo es endet. Auch richtig.

    Eine letzte Anregung, was die zeitlichen Vorstellungen und die Verfahrensvorstellungen angeht: Ich fände es gut, wenn der Kocheler Kreis sich im Lichte der heutigen Debatte zu einer eigenständigen Anstrengung auf dem Feld einer Renaissance der Makropolitik verstehen könnte, indem er außerhalb politischer Parteien Vorschläge entwickelt. Ich denke an so etwas wie die Eckwerte eines Entwurfes zu einem novellierten Stabilitäts- und Wachstumsgesetz. Durch das Erzeugen angemessener öffentlicher Aufmerksamkeit für unsere Überlegungen wäre es durchaus denkbar, den Sachverständigenrat und auch die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute zur Beteiligung an dieser Debatte aufzurufen. Man kann das auch so organisieren, daß man nach einiger Zeit eine Anhörung derer, die sich vorher öffentlich geäußert haben, beispielsweise durch den Wirtschafts- und Finanzausschuß des Deutschen Bundestages, organisiert; eben um die Überlegungen, so sie denn was taugen, in den politischen Prozeß einzubringen. Die Politik unter Innovationsdruck zu setzen ist gewiß nötig. In einem Jahr, von heute aus gerechnet, könnte diese De

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    batte dann mit konkreten Gesetzesinitiativen die politischen Institutionen befassen.

    Wirtschaftspolitisch in engerem Sinne wäre dieses ein Konzept oder jedenfalls ein Rahmen dafür, wie die geteilte deutsche Volkswirtschaft, aus der sich abzeichnenden manifesten Wachstums- und Beschäftigungskrise durch abgestimmte Politik herauszuführen wäre.


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