FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausgabe: 70 = Leerseite]

[Seite der Druckausgabe: 71]

Jürgen Kromphardt: Zusammenfassung der Diskussion

[Seite der Druckausgabe: 72]

Die Diskussion der drei Referate wurde auf zwei Ebenen geführt: zum einen wurden die Probleme und die dazu vorgelegten Lösungsvorschläge erörtert, zum anderen wurde gefragt, ob und wie diese Überlegungen in ein erneuertes Stabilitäts- und Wachstums-Gesetz eingefügt werden sollten.

l. Zum Problemkomplex Wachstum - Ökologie - Beschäftigung

    In seinem Referat hatte Herr Glastetter herausgearbeitet, daß die 80er Jahre in der westdeutschen Wirtschaft - bis zu dem von der Herstellung der wirtschaftspolitischen Einheit ausgelösten Boom - im längerfristigen Vergleich als eine Phase der Wachstumsschwäche zu kennzeichnen sind, ganz im Gegensatz zu den Versprechungen der Angebotspolitik. Dementsprechend konnte die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigt werden, sondern stieg gegenüber den 70er Jahren beträchtlich an.

    Diese unbefriedigende Entwicklung legt es nahe, das Fehlen einer Wachstumspolitik zu beklagen, mit der die Wachstumsschwäche überwunden worden wäre. Dem wird in der Diskussion entgegengehalten, wirtschaftliches Wachstum sei kein eigenständiges Ziel, sondern nur ein Mittel zur Erreichung anderer Ziele, insbesondere des Ziels hoher Beschäftigung. Es stellte sich daher die Frage, ob man die hohe Beschäftigung nicht besser mit Arbeitsmarktpolitik als mit einer makroökonomisch ausgerichteten Wachstumspolitik bekämpfen solle. Die Antwort auf diese Frage hängt nun wiederum, so ergab die Diskussion, sehr stark von der Art der herrschenden Arbeitslosigkeit ab. Wenn diese überwiegend strukturelle Ursachen hat, dann trägt Arbeitsmarktpolitik, mit der die Diskrepanzen - bei der Qualifikation, der regionalen und beruflichen Struktur usw. - zwischen Angebot und Nachfrage nach Arbeit verringert werden, erheblich zur Beschäftigungssteigerung bei. Anders ist dies jedoch, wenn - wie in den 80er Jahren - eine durch fehlende Güternachfrage hervorgerufene Arbeitslosigkeit dominiert. Diese kann ohne Nachfragesteigerung (und damit ohne Wachstum) schwerlich beseitigt werden, es sei denn, man erreicht mittels Arbeitszeitverkürzung, daß das Arbeitsvolumen auf mehr Personen verteilt wird.

    Bei dieser Entscheidung - Wachstum oder Arbeitszeitverkürzung - muß, so wurde argumentiert, auch der Aspekt der Ökologie berücksichtigt werden: Falls

[Seite der Druckausgabe: 73]

    wirtschaftliches Wachstum und Umweltbelastung und -zerstörung wie bisher Hand in Hand gehen, stellt Arbeitszeitverkürzung den ökologisch besseren Weg dar.

    Dem wurde entgegengehalten, daß der u.a. von der SPD geforderte "Ökologische Umbau der Volkswirtschaft" nur mit Hilfe neuer Technologien möglich sei und deren Einsatz umfangreiche Investitionen erfordere. Aufrechterhaltung des erreichten Lebensstandards und ökologische Erneuerung seien daher nur bei Wachstum kombinierbar. Außerdem habe eine Steigerung des erreichten Lebensstandards für viele eine hohe Priorität, und die Politik der Arbeitszeitverkürzung stoße auf Grenzen und auf die bekannten Widerstände.

II. Zur Entwicklung einer kooperativen Strategie des abgestimmten Einsatzes der Instrumente der Globalsteuerung

    Wenn also die Steigerung der Nachfrage ein wichtiges, wenn auch nicht das einzige Mittel zur Erhöhung der Beschäftigung ist, dann stellt sich die Frage, wie diese zu erreichen ist. Den Ausgangspunkt der Diskussion zu dieser Frage bildet das Referat von W. Filc mit der Aussage, es bestehe ein enger Zusammenhang zwischen dem Index der industriellen Nettoproduktion und dem Zinssatz auf dem Kapitalmarkt, der wiederum eng vom kurzfristigen Zinssatz beeinflußt wird, den vor allem die Bundesbank bestimmt. Es wurde zwar zur Vorsicht gemahnt, aus diesen statistischen Zusammenhängen auf eine Kausalbeziehung zu schließen, aber es wurde auch auf die theoretischen Überlegungen verwiesen, die für Wirkungsbeziehungen, die von der Zinsentwicklung auf die Produktion ausgehen, sprechen. Zumindest bestand Einigkeit, daß die Geldpolitik einen sehr wichtigen Einfluß auf die Entwicklung von Produktion und Beschäftigung hat. Man verwies dabei u.a. auf den Aufsatz von W. Franz "Stabilisierungspolitik am Ende der 80er Jahre. Eine Standortbestimmung aus makrotheoretischer und wirtschaftspolitischer Sicht" (der für den Kocheler Kreis von der Friedrich-Ebert-Stiftung 1989 veröffentlicht wurde), in dem gezeigt wird, daß die These von der "Ineffektivität der Geldpolitik" nicht haltbar ist.

    Daran anschließend konzentrierte sich die Diskussion auf das Problem, wie eine beschäftigungsgerechte (d.h. zumindest nicht beschäftigungsmindernde) Politik der Bundesbank zu erreichen ist. Dabei wurde nicht etwa der Ein-

[Seite der Druckausgabe: 74]

    schränkung der Autonomie der Bundesbank das Wort geredet (obwohl diese in § 12 des Bundesbankgesetzes verpflichtet wird, "die allgemeine Wachstumspolitik des Bundes im Rahmen ihrer Aufgaben zu unterstützen"). Vielmehr ging es darum, der Bundesbank im Rahmen ihrer Autonomie eine stärker beschäftigungsorientierte Politik zu ermöglichen.

    Die aktuelle wirtschaftspolitische Situation ist nämlich durch gegenseitige Blockaden gekennzeichnet. Die Bundesbank verlangt Vorleistungen von der Finanzpolitik (Verringerung der Neuverschuldung) und von der Tarifpolitik (Verzicht auf Lohnausgleich für die erwartete Inflationsrate), ohne selber Vorleistungen anzubieten. Ganz im Gegenteil erhöht sie durch ihre Hochzinspolitik direkt die Zinsausgaben und indirekt die Transferausgaben der öffentlichen Haushalte und erschwert damit den Abbau der Neuverschuldung.

    Einen Ausweg aus dieser Situation bietet nur ein abgestimmtes Verhalten der wirtschaftspolitischen Akteure, also der Bundesregierung, der Bundesbank und der Tarifparteien. Diese Abstimmung sollte dauerhaft sein. Ziel der Abstimmung ist es nicht, die Bundesbank von ihrer Aufgabe zu befreien, für Preisniveaustabilität zu sorgen. Vielmehr erhält sie zusätzliche Möglichkeiten indirekter Einflüsse. Wenn sich die Bundesbank in den Abstimmungsgesprächen bereit erklärt, das investitionshemmende Zinsniveau sofort abzubauen, wenn die Tarifparteien im Gegenzug moderate Lohnsteigerungen zusagen, so wird ihr die Inflationsbekämpfung erleichtert; denn sie ist nicht mehr gezwungen, moderate Lohnabschlüsse, die nur die unvermeidliche, nicht aber die höhere erwartete Inflationsrate berücksichtigen, erst über eine mehrjährige Stabilisierungskrise durchzusetzen. Vielmehr kann sie entsprechende Lohnabschlüsse im Verhandlungsweg direkt und ohne Verzögerung erreichen. Im Gegenzug muß sie - und kann sie - von ihrer jetzigen Strategie abgehen, den "geldpolitischen Hammer" erst dann aus der Hand zu legen, wenn die Inflationsdämpfung bereits eingetreten ist.

    Mit einem derartigen abgestimmten Verhalten wird auch die heutige dysfunktionale 1:1-Zuordnung von Zielen und Instrumenten überwunden, derzufolge die Geldpolitik nur für die Preisstabilität, die Lohnpolitik nur für die Beschäftigung und die Finanzpolitik nur für das Wachstum zuständig ist. Diese Zuordnung ist notwendigerweise dysfunktional, weil alle Instrumente auf alle Ziele einwirken.

[Seite der Druckausgabe: 75]

III. Ist ein neues Stabilitätsgesetz sinnvoll?

    Nach dieser Erörterung der Probleme und Lösungsvorschläge wurde unter Bezugnahme auf das Referat von Claus No6 darüber diskutiert, ob die vorgeschlagenen Änderungen der Wirtschaftspolitik über eine Neufassung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes angestrebt werden sollten oder nicht. Dabei wurde hervorgehoben, daß dieses Gesetz andere Schwerpunkte hat und vor allem auf die kurzfristige, antizyklische Steuerung des Wachstumsprozesses ausgerichtet ist. Demgegenüber seien heute drei andere Aspekte wichtig:

  1. Die ökologische Ausrichtung des Wachstumsprozesses
  2. Die mittelfristige Ausrichtung der Globalsteuerung
  3. Das abgestimmte Vorgehen der Akteure der Wachstumspolitik

    Zu dem dritten Punkt ist zwar im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz in § 3 die "Konzertierte Aktion" vorgesehen. Bei den Teilnehmern fehlt jedoch die Bundesbank, und die Formulierung: "Die Bundesregierung (stellt) Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten (konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmer-Verbände zur Verfügung" gibt der Bundesregierung einen unangemessenen Vorrang und paßt nicht zu der Aufgabe, eine abgestimmte, kooperative Strategie in gemeinsamen Beratungen zu entwickeln und zu vereinbaren.

    Problematisch am Stabilitäts- und Wachstumsgesetz sei außerdem, daß internationale Aspekte ebenso vernachlässigt werden wie das Problem einer angemessenen Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern. Die genannten Punkte ließen es vielen Diskussionsteilnehmern als unzweckmäßig erscheinen, eine Neufassung dieses Gesetzes anzustreben: denn eine Diskussion über einen entsprechenden Vorschlag würde auch zu einer Auseinandersetzung über Regelungen des bestehenden Gesetzes führen, die eine kurzfristige antizyklische Steuerung erleichtern sollen. Diese Regelungen, von denen einige in den frühen 70er Jahren eingesetzt wurden, mögen in Ausnahmesituationen vielleicht einmal hilfreich sein. Die heute wichtigen Probleme liegen aber, wie in den vorangehenden Abschnitten ausgeführt, woanders. (Der von der SPD-Fraktion des Bundestages am 25.6.1992 vorgelegte Entwurf eines neuen Stabilitätsgesetzes trägt genau diesem Sachverhalt nicht Rechnung.)

[Seite der Druckausgabe: 76]

Nach Meinung vieler lassen sich außerdem kooperatives Verhalten und mittelfristige Orientierung nicht durch Gesetzesvorschriften erzwingen, zumal sie sich nicht in justiziabler Präzision formulieren lassen.

[ungezählte Seite]

Die Autoren

Professor Dr. Wolfgang Filc
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Trier

Professor Dr. Werner Glastetter
ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bielefeld

Professor Dr. Jürgen Kromphardt
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin

Dr. Claus Noé
ist Staatsrat bei der Wirtschaftsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

Previous Page TOC