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Wolfgang Filc:
Monetäre Fundierung einer angebotsorientierten Stabilitätspolitik


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1. Gegenstand und Grundkonzeptionen der Stabilitätspolitik

Die binnenwirtschaftlichen Ziele der Stabilitätspolitik sind eindeutig: gleichmäßiges Wirtschaftswachstum, weitgehende Preisniveaustabilität und hoher Beschäftigungsstand. Unabhängig von theoretischen Grundpositionen unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Konzeptionen sind die realwirtschaftlichen Ziele eines hohen Beschäftigungsstandes und eines angemessenen und stetigen Wirtschaftswachstums dadurch zu erreichen, daß Anreize für steigende Produktion und Investition geboten werden. Freilich sind die jeweiligen Ansatzpunkte unterschiedlich. [Fn.1: Vgl. zu den Konzeptionen diskretionärer und regelgebundener Stabilitätspolitik Cassel, D., Thieme, K.J., Stabilitätspolitik, in: Bender, D. u.a., Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Band 2, 4. Aufl., München 1990, S. 295 ff., Wagner, H., Stabilitätspolitik, München 1989]

Die nachfrageorientierte Konzeption der Stabilisierungspolitik, basierend auf dem traditionellen IS/LM-Keynesianismus, setzt auf eine antizyklisch orientierte Steuerung der Gesamtnachfrage. Voraussetzung einer störungsfreien gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist hiernach die Anpassung der Nachfrage an das Produktionspotential. Im Falle des Nachfragemangels sollten Zinssenkungen herbeigeführt werden, und vor allem sollten zeitlich begrenzte Ausgabeprogramme der öffentlichen Hand, finanziert an Kreditmärkten, die Nachfrageschwäche beheben. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ist Ausdruck dieser Sichtweise. [Fn.2: Vgl. Stern, K., Münch, P., Hansmeyer, K.-H., Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1972,
S. 35 ff.]
Schwergewicht gelegt wird auf eine antizyklische Finanzpolitik, weil der Fiskalpolitik ein großer Einfluß, der Geldpolitik dagegen nur ein geringer Einfluß auf die realwirtschaftliche Entwicklung beigemessen wird. [Fn.3: So Hansen: "Basically there are two approaches to the problem of Aggregate Demand: the MV approach and the I + C approach." Hansen, A.H., A Guide to Keynes, New York, 1953, S. 26; und aus der Sicht des Geldpolitikers:
"... schließlich hatte im Keynesianischen Konzept die Geldpolitik überhaupt keine zentrale Rolle, sondern nur eine Nebenrolle (nämlich "für möglichst billige Finanzierung zu sorgen"). Emminger, 0., Deutsche Geldpolitik im Zeichen des Monetarismus, in: Hampe, P. (Hrsg.), Friedman contra Keynes, München 1984, S. 52; vgl. auch Friedrich, H., Grundkonzeptionen der Stabilisierungspolitik, Opladen 1983, S. 85 ff.; zu einem Überblick vgl. Duwendag, D., Die Kontroverse zwischen Fiskalisten und Monetaristen, in: WISU, 10/72, S. 481 ff.]

Dieser policy-mix prägte insbesondere 1974/75 im Gefolge der ersten Ölpreiskrise die Wirtschaftspolitik in vielen westlichen Industrieländern, wobei der Geldpolitik, geprägt von monetaristischen Überlegungen, die Aufgabe der Preisniveaustabilisierung zugewiesen wurde, der Finanzpolitik die Aufgabe der Überwindung von Wachstumsschwäche und Arbeitslosigkeit durch diverse Konjunkturprogramme. Die

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Arbeitsteilung zwischen Trägern der Makropolitik lautete deshalb: Die Finanzpolitik hat Sorge zu tragen für einen hohen Beschäftigungsstand und ein angemessenes Wirtschaftswachstum, die Geldpolitik für Preisniveaustabilität.

Eine Konzeption der Stabilisierungspolitik auf neoklassischer Grundlage, die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, setzt die Akzente anders. Eine gesamtwirtschaftlich unbefriedigende realwirtschaftliche Entwicklung ist Folge mikroökonomisch fundierter Anreizprobleme. [Fn.4: Vgl. Feldstein, M., The Conceptual Foundations of Supply-Side Economics, in: Föderal Reserve Bank of Atlanta (Hrsg.), Supply-Side Economics in the 1980s, Westport, London 1982, S. 145 ff.; Lucas, R.E., Theorie der Konjunkturzyklen, Regensburg 1989; Flassbeck, H., Was ist Angebotspolitik?, in: Konjunkturpolitik, 28. Jg., Heft 2/3, 1982, S. 75 ff.] So ist eine Wachstumsschwäche Ausdruck dafür, daß nicht genügend Anreize bestehen, um Leistung zu entfalten, zu produzieren und Einkommen zu schaffen, etwa infolge zu hoher Besteuerung, von Marktregulierungen, fehlender anderer Leistungsanreize, so als Folge von Sozialtransfers. Die Folgerung hieraus ist: Deregulierung der Märkte, Fiskal- und Ordnungspolitik mit dem Ziel des Wiederherstellens von Leistungsanreizen und damit die Stärkung des Angebots von Arbeit und Kapital, etwa durch Senkung von Grenzsteuersätzen, Abbau von Transferzahlungen usw. [Fn.5: Vgl. Wendisch, P., Supply-Side Policy: theoretische Grundlagen und prozeß politische Konsistenz, Frankfurt a.M. u.a. 1984; Welfens, P.J.J., Theorie und Praxis angebotspolitischer Stabilitätspolitik, Baden-Baden 1985, S. 226 ff.] Der Geldpolitik kommt hierbei keine Rolle zu. Ein realwirtschaftlicher Einfluß kann von ihr nicht ausgeübt werden, da sie die mikroökonomisch relevanten relativen Preise nicht zu beeinflussen vermag: "the description of all economic activity proceeds in terms of commodities..." [Fn.6: Malinvaud, E., Capital Accumulation and Efficient Allocation of Resources, in: Econometrica, Vol. 21, No. 2, April 1953, S. 233 ff.; vgl. hierzu auch Tobin, J., Money and Finance in the Macroeconomic Process, in: Journal of Money, Credit, and Banking, Vol. 14, No. 2, May 1982, S. 173 ff.] Als Ergänzung einer neoklassisch fundierten angebotsorientierten Wirtschaftspolitik kommt allein eine am Ziel der Preisniveaustabilität orientierte Geldpolitik in Frage. Die Politikempfehlung lautet deshalb: Möglichst weitgehender Rückzug des Staates von den Märkten privater Güter, um Verschmutzungen relativer Preise zu beseitigen, weitestgehende Beschränkung der Wirtschaftspolitik auf das Setzen ordnungspolitischer Rahmenbedingungen, straffe Geldpolitik, die sich an der Expansion der Geldmenge gemäß dem Trendwachstum des Produktionspotentials zu orientieren hat. [Fn.7: Vgl. Barth, J.R., The Reagan Program for Economic Recovery: Economic Rationale, in: Federal Reserve Bank of Atlanta, Economic Review, September 1981, S. 4 ff.; Tuerck, D.O., Rational Expectations and Supply Side Economics: Match or Mismatch, in: Raboy, D.O. (Hrsg.), Essays in Supply-Side Economics, Washington 1982, S. 72 ff.]

Eine antizyklisch orientierte, mithin diskretionäre, Globalsteuerung der Gesamtnach

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frage als Konzeption der Stabilitätspolitik hat weitgehend ausgedient. Einige Gründe hierfür seien allein stichwortartig erwähnt: [Fn.8: Vgl. hierzu die Beiträge in: Kömer, H., Uhlig, 0. (Hrsg.), Die Zukunft der Globalsteuerung, Karl Schiller zum 75. Geburtstag gewidmet, Bern und Stuttgart 1986; Krupp, H.-J., Bisherige Ergebnisse alternativer geld- und finanzpolitischer Strategieansätze in der Bundesrepublik Deutschland, in: Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Entwicklung, Festschrift für Walter Hesselbach zum 70. Geburtstag, Bonn 1985, S. 93 ff.; Phelps, E.S., Cracks on the Demand Side: A Year of Crisis in Theoretical Macroeconomics, in: The American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 72, 1982, S. 378 ff.; Kromphardt, J., Die Zukunft der Globalsteuerung, in: Wirtschaftsdienst, H. 6/1986, S. 366 ff.; Andel, N., Finanzwissenschaft, Saarbrücken 1983, S. 448 f.]

  • Insbesondere im Gefolge der beiden Ölpreiskrisen im ersten Drittel und gegen Ende der siebziger Jahre mit den nachfolgenden scharfen Konjunktureinbrüchen in allen Industrieländern mißriet in vielen Ländern die antizyklische Fiskalpolitik zunehmend zu einer dauerhaften Ausweitung struktureller Defizite öffentlicher Haushalte.

  • Verstärkt wurde das Nebeneinander konjunktureller und struktureller Arbeitslosigkeit erkannt.

  • Insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland wurde gelernt, daß sich eine expansiv orientierte Fiskalpolitik dauerhaft nicht gegen eine restriktive Geldpolitik durchsetzen kann. [Fn.9: Vgl. Flassbeck, H., Vesper, D., Konjunkturzyklus, Beschäftigung und Inflation - Bemerkungen zu alternativen wirtschaftspolitischen Strategien, in: Krupp, H.-J., Rohwer, B., Rothschild, K.W. (Hrsg.), Wege zur Vollbeschäftigung, Rombach 1986, S. 124 -146]

Die angebotsorientierte Konzeption der Stabilitätspolitik auf der Grundtage der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie hatte dort, wo sie in Ansätzen exerziert wurde - in den USA und in Großbritannien - ein ökonomisches Desaster zur Folge. [Fn.10: Vgl. für die USA Peterson, P.G., The Morning After, in: The Atlantic Monthly, October 1987, S. 43 ff.] Eine Lehre hieraus ist es, daß die strikte Trennung zwischen güterwirtschaftlichem und monetärem Bereich angesichts der Erfahrungen mit einer monetären Desinflationspolitik in der ersten Hälfte der achtziger Jahre nicht mehr zu halten ist.

Aus alledem folgt als Alternative: Verzicht auf Stabilitätspolitik oder die Suche nach einer anderen Konzeption. Der erste Weg ergibt sich als Konsequenz aus der Theorie des real business cycle. [Fn.11: Vgl. King, R.G., Plosser, 0.1., Rebelo, S., Production, Growth and Business Cycles l. The Basic Neoclassical Model, in: Journal of Monetary Economics, Vol. 21, 1988, S. 195 ff.; Plosser, O.I., Understanding Real Business Cycles, in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 3, No. 3, 1989, S. 51 ff.; Kromphardt, J., Konjunkturtheorie heute: Ein Überblick, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 109. Jg., H. 2, 1989,
S. 173 ff.]
Danach vollzieht sich ökonomische Aktivität als

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Abfolge von Zufallsvariablen ohne erkennbare Regelmäßigkeiten. Schocks kommen und gehen, überlagern sich, wechseln die Wellenlänge, all das in einer nicht berechenbaren Weise. Eine gestaltende Makropolitik mit dem Ziel der Antizyklik oder der Verstetigung des Wachstumsprozesses kann deshalb allein zufällig gesamtwirtschaftliche Zielverfehlungen abzubauen helfen. Weil prozyklische Wirkungen einer auf Verstetigung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abzielenden Makropolitik ebenso wahrscheinlich sind wie die Dämpfung von Zyklen, sollte auf Konjunkturpolitik verzichtet werden.

Eine andere Konzeption der Stabilitätspolitik könnte an empirischen Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre anknüpfen, die zeigen, daß die gegenüber der Fiskalpolitik als vergleichsweise gering erachtete Stabilisierungseffizienz der Geldpolitik im Rahmen einer keynesianischen Konzeption nicht länger zu rechtfertigen ist, erst recht aber nicht das Ausklammern des monetären Bereichs, wie dies in der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie als Basis einer neoklassisch inspirierten angebotsorientierten Strategie geschieht. Diese andere Konzeption bezieht sich auf die monetäre Analyse, die J.M. Keynes in seinem "Treatise on Money" dargelegt hat [Fn.12: Keynes, J.M., A Treatise on Money, Vol. 1 - The Pure Theory of Money, wiederabgedruckt im Rahmen der Collective Writings, Vol. V, London 1971 ] und die unter dem Einfluß des IS/LM-Keynesianismus weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Der Ansatz ist schlicht: Wie in der nachfrageorientierten keynesianischen Konzeption sollen die Investitionskräfte als Motor des Wachstums durch Steuerung der Relation zwischen Zins und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gestärkt werden, nun aber nicht durch Einflußnahme vor allem auf die Ertragsaussichten von Sachkapital, sondern durch Steuerung des Zinses. Eine Ausweitung des Angebots und somit des Produktionspotentials als Grundlage eines hohen Beschäftigungsstandes verlangt deshalb eine Politik des niedrigen Zinses. Dieses mit den Zielen der Stabilitätspolitik verträgliche Zinsniveau ist von der Geldpolitik anzustreben und - unter bestimmten Bedingungen - auch zu erreichen.

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2. Zinsniveau und Zinsstruktur im Mittelpunkt einer monetären Stabilisierungspolitik



2.1 Kapitalmarktzins, Produktionsniveau und Beschäftigung

Rüdiger Pohl hat die negativen Wirkungen eines hohen Realzinses am Kapitalmarkt für eine langfristig angestrebte Wachstumsstrategie, für Beschäftigung, Handlungsspielraum öffentlicher Haushalte und Einkommensentwicklung in der Bundesrepublik anhand von Jahresdaten für 1973 bis 1988 aufgezeigt. [Fn.13: Vgl. Pohl, R., Den Zins ins Visier: Ein monetärer Beitrag für die Wachstumspolitik, in: WSI-Mitteilungen, 10/1988, S. 572 ff.] Diese Beziehungen bestätigen sich, wenn Monatswerte des nominalen Kapitalmarktzinses (Umlaufsrendite aller festverzinslichen Wertpapiere) und der Nettoproduktion für das Verarbeitende Gewerbe für den Zeitraum von 1961 bis 1989 verglichen werden (vgl. Abb. 1). [Fn.14: Zur Zinsbestimmung am Kapitalmarkt sowie Zinswirkungen vgl. Filc, W., Theorie und Empirie des Kapitalmarktzinses, Stuttgart 1992]



Die Gegenläufigkeit der Zinsentwicklung am Kapitalmarkt mit Veränderungen der Nettoproduktion ist unverkennbar. Zudem gehen Zinssteigerungen einem Rückgang der Produktionstätigkeit im Durchschnitt um neun Monate voraus; das entspricht

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empirischen Ergebnissen über Wirkungsverzögerungen geldpolitischer Maßnahmen - vorausgesetzt, die Geldpolitik übt einen dominierenden Einfluß auf die Zinsentwicklung am Kapitalmarkt aus.

Hohe Produktionstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe sowie kräftiges Wirtschaftswachstum sind verbunden mit einem hohen Beschäftigungsstand. Zinspolitische Maßnahmen, gemessen an der Höhe des Diskontsatzes, wirken sich auf Produktion, Wirtschaftswachstum und schließlich auch Beschäftigung aus. Eine restriktive Zinspolitik der Deutschen Bundesbank geht einher mit einer hochschnellenden Arbeitslosenzahl. Abbildung 2 zeigt die Folgen einer von der Bundesbank durchgesetzten Zinssteigerung für die Zentralbankgeldversorgung über den Rediskontkredit für den Arbeitsmarkt.



In allen drei Inflationszyklen seit 1965 ist zeitverzögert mit von der Bundesbank ausgehender zinspolitischer Restriktion die Zahl der Arbeitslosen sprunghaft gestiegen. Seit Mitte der siebziger Jahre kommt hinzu, daß ein Anstieg der Arbeitslosenzahlen als Folge einer über den Zins ablaufenden Desinflationspolitik auch bei konjunktureller Erholung nur sehr schwer wieder rückgängig gemacht werden kann. Verschlechtern sich die Investitionsbedingungen, weil die Ertragsaussichten des Sachkapitals durch Dämpfung der Gesamtnachfrage und steigende Finanzierungskosten in die Zange genommen werden, so verschlechtert sich die Situation am Ar-

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beitsmarkt nachhaltig: Bisher rentable Arbeitsplätze werden unrentabel, und ein schwächeres Wachstum des Produktionspotentials verhindert die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Abbildung 2 zeigt ferner, daß die Bundesbank ihre Zinspolitik nahezu ausschließlich an der Preissteigerungsrate für die Lebenshaltung orientiert. [Fn.15: Vgl. Basler, H.-P., Wirtschaftspolitische Zielpräferenzen und theoretische Orientierung in der Geldpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1979] Die von der Bundesbank gerade noch tolerierte Grenze des Preisauftriebs wird bei einem Wert von 3 % überschritten. Die Folgen: zinspolitische Restriktion, Dämpfung des Wirtschaftswachstums und zunehmende Arbeitslosigkeit. Wenn also ein weitgehend inflationsfreies Umfeld Voraussetzung dafür ist, daß die Bundesbank ein Zinsniveau steuert, das mit dem Ziel der Stärkung der Angebotsbedingungen durch Investition, Kapitalakkumulation und mit hoher Beschäftigung verträglich ist, so muß vermieden werden, daß die Geldpolitik mit dem Zinshammer gegen Inflationsprozesse vorgeht, die ihren Ausgangspunkt in einem nicht stabilitätsorientierten Verhalten der anderen Träger der Makropolitik haben, also der Tarifvertragsparteien und der Finanzpolitik.

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2.2 Geldpolitik und Kapitalmarktzins: Wirkungszusammenhänge in der Bundesrepublik Deutschtand

Wird die Zinsentwicklung, so am Rentenmarkt, von geldpolitischen Maßnahmen dominiert? Die neoklassische Zinstheorie erklärt die Zinsentwicklung allein aus der Interaktion zwischen Investition und Ersparnis des privaten und des öffentlichen Sektors. [Fn.16: Vgl. Filc, W., Theorie und Empirie des Kapitalmarktzinses, a.a.O., S. 25 ff.] Von der Zentralbank gestaltete monetäre Größen - Geldangebot oder Zinssätze für die Zentralbankgeldversorgung - erscheinen nicht unter den Determinanten des neoklassischen Gleichgewichtszinses. Gezeigt wird, daß der Gleichgewichtszinssatz der Ertragsrate aus Sachkapital entspricht. Folglich dürfte in einer wachsenden Volkswirtschaft der Realzinssatz - berechnet als Differenz zwischen Nominalzins und erwarteter Preissteigerungsrate - keine negativen Werte annehmen, weil das reale Wirtschaftswachstum als Näherungswert für die nicht unmittelbar bestimmbare reale Ertragsrate des Produktionspotentials interpretiert werden kann.

Der reale Kapitalmarktzins in der Bundesrepublik Deutschland, ermittelt als Abstand zwischen nominalem Zinssatz und Preissteigerungsrate für die Lebenshaltung an

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Stelle nicht beobachtbarer Preissteigerungserwartungen, lag stets im positiven Bereich (vgl. Abb. 3). Dieses Ergebnis entspricht also auch einer neoklassischen Deutung gemäß der Fisher-Gleichung. [Fn. 17: Vgl. ebenda, S. 78 ff. ] Aber der straffe Gleichlauf von Kapitalmarktzins und Preissteigerungsrate wird nicht vor allem dadurch hergestellt, daß sich die Kapitalmarktakteure bei Inflationierung auf einen höheren Kapitalmarktzins einigen, sondern in allererster Linie durch den Einsatz zinspolitischer Instrumente der Bundesbank, die schließlich auch den Kapitalmarktzins erreichen.



Auch abseits der ausschließlich güterwirtschaftlich argumentierenden neoklassischen Zinstheorie ist es nicht von vornherein einsichtig, daß geldpolitische Maßnahmen Kapitalmarktrenditen dominierend beeinflussen. Die Bundesbank bestimmt die Zinssätze am Geldmarkt. Hier wird Zentralbankgeld gehandelt. Am Kapitalmarkt sowie an allen anderen monetären Märkten wird Bankengeld gehandelt. Warum also sollten Veränderungen der Zinssätze für die Bereitstellung von Zentralbankgeld Auswirkungen auf die Zinssätze für Bankengeld haben?

Der Zusammenhang zwischen geldpolitischen Maßnahmen der Bundesbank und der Zinsentwicklung am Kapitalmarkt kann auf zwei Wegen hergestellt werden. Erstens können entsprechende Effekte durch Steuerung monetärer Aggregate erzielt werden, etwa der Geldmenge in irgendeiner Abgrenzung oder der Zentralbankgeld-

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versorgung. Abbildung 4 zeigt, daß ein interpretierbarer Zusammenhang zwischen Zentralbankgeldversorgung - also jener Liquiditätsgröße, die von der Bundesbank noch am ehesten zu steuern ist - und Kapitalmarktzins nicht besteht. Das Ergebnis



ändert sich nicht, wenn anstelle der Zentralbankgeldversorgung andere monetäre Bestandsgrößen herangezogen werden. [Fn.18: Vgl. Filc, W., Theorie und Empirie des Kapitalmarktzinses, a.a.O., S. 68 ff.]

Zweitens können von der Notenbank durch Fixierung des Zinses für Tagesgeld Zinsimpulse auf den Kapitalmarkt ausgehen, seit Mitte 1985 in erster Linie durch das Festlegen von Zinssätzen für Wertpapierpensionsgeschäfte. Abbildung 5 zeigt, daß seit Inkraftsetzen des EWS im Frühjahr 1979 die Bundesbank meist einen überaus prägenden Einfluß auf Zinssätze am kurzen Ende des Rentenmarktes ausübt. Dieser Zusammenhang ist deshalb besonders straff, weil aus der Sicht von Geschäftsbanken öffentliche Anleihen mit kurzer Restlaufzeit Beinaheliquidität darstellen.

Der Einfluß der am Geldmarkt ansetzenden Zinspolitik der Deutschen Bundesbank auf Zinssätze am Kapitalmarkt wird auf zwei Wegen hergestellt: Beeinflussung der Kosten der Refinanzierung der Geschäftsbanken und Signalwirkungen von Ände

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rungen von Leitzinssätzen, die eine meist parallele Entwicklung der Zinssätze an allen monetären Märkten zur Folge haben.



Gewiß vollzieht sich die Übertragung von Zinsimpulsen, die von Änderungen der Kosten der Zentralbankgeldversorgung ausgehen, auf das gesamte Spektrum von Kapitalmarkttiteln bis hin zu langen Laufzeiten, nicht mechanisch. Immer wieder hat es Phasen gegeben, in denen internationale Einflüsse auf die Zinsbildung am deutschen Anleihemarkt dominierend waren - so 1983/84 (vgl. Abb. 5) -, und die Zeitdauer des Durchwirkens zinspolitischer Maßnahmen auf das gesamte Spektrum monetärer Märkte wechselt. Als Verhaltensmuster geldpolitischer Reaktion der Bundesbank auf einen in ihrer Interpretation zu hohen Preisauftrieb läßt sich aber feststellen: Ein Restriktionskurs wird darin ausgedrückt, daß die Bundesbank die Geldmarktsätze anhebt, die Zinsstrukturkurve am Rentenmarkt am kurzen Ende nach oben drückt und somit die üblicherweise von links nach rechts steigende Renditestrukturkurve am Rentenmarkt in eine flache oder gar inverse Position dreht, so daß Renditen von Anleihen mit längerer Restlaufzeit geringer sind als jene von Kurzläufern.

Zinserhöhungen am kurzen Ende des Rentenmarktes werden meist in Renditen von Anleihen auch mit langer Restlaufzeit übertragen. Bestimmen von der Bundesbank gestaltete Geldmarktsätze Renditen am kurzen Ende des Kapitalmarktes und gehen

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diese Änderung der Blickrichtung gibt es mehrere Gründe.

Der Zusammenbruch früher stabiler makroökonomischer Beziehungen - so zwischen Einkommen, Kreditvolumen und Geldmenge sowie zwischen monetären Aggregaten und der allgemeinen Preisentwicklung - verstärkt die Suche nach neuen Verknüpfungen zwischen dem monetären und dem güterwirtschaftlichen Bereich. [Fn.19: Vgl. Friedman, B.M., Lessons on Monetary Policy from the 1980s, in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 2, No. 3, 1988, S. 51 ff.] Zudem haben empirische Untersuchungen unter Verwendung von Daten der USA gezeigt (vgl. die Hinweise in Fußnote 20), daß Zinssätze und die Laufzeitstruktur der Renditen am Anleihemarkt in zurückliegenden Jahren eine gute Indikatorqualität aufwiesen, um die künftige gesamtwirtschaftliche Entwicklung einzuschätzen. Attraktiv ist der feste empirische Zusammenhang zwischen Laufzeitstruktur der Zinssätze am Kapitalmarkt und dem Wirtschaftswachstum auch deshalb, weil hiermit reale Größen verknüpft werden, wird davon ausgegangen, daß die in Zinssätzen enthaltenen Preissteigerungserwartungen in Einjahres- und Zehnjahresrenditen am Rentenmarkt in ungefähr gleichem Ausmaß zu Buche schlagen. Besteht zudem zwischen Renditen aus Sachkapital und von Finanzaktiva eine enge Substitutionsbeziehung, so kann eine inverse Laufzeitstruktur der Zinssätze am Rentenmarkt Ausdruck der Erwartung sein, daß eine künftige Abschwächung des Wirtschaftswachstums bevorsteht. Ein statistisch gesicherter Zusammenhang zwischen Laufzeitstruktur der Zinssätze und künftigem Wirtschaftswachstum ist also durchaus mit neoklassischen Vorstellungen hinsichtlich der optimalen intertemporalen Allokation vereinbar.

Für die Bundesrepublik Deutschland zeigt sich, daß der Spread am Kapitalmarkt, ermittelt als Differenz zwischen Umlaufsrenditen von Bundesanleihen mit Restlaufzeiten von zehn Jahren und einem Jahr mit einem Vorlauf von vier Quartalen Trendwenden des Wirtschaftswachstums sowie Wachstumsraten des Realeinkommens gut ankündigt (vgl. Abb. 6). [Fn.20: Zu ähnlichen Ergebnissen empirischer Untersuchungen für die Bundesrepublik Deutschland vergleiche Harvey, C.R., Interest Rate Forecasts of German Economic Growth, in: Wettwirtschaftliches Archiv, Bd. 127, 1991, S. 718 ff.; Jaeger, A., Zinssätze als vorauseilende Indikatoren der Konjunkturentwicklung, in: WIFO, Monatsberichte 5/92, S. 286 ff.]

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diese als Erklärungsargument für Kapitalmarktrenditen längerer Laufzeiten ein, so kann das Zinsniveau am Rentenmarkt als Folge der so bestimmten Zinsstruktur aus der Vorwärtssubstitution von Geldmarktsätzen über Renditen von Rentenwerten mit allen Laufzeiten ermittelt werden. So werden das durchschnittliche Zinsniveau am Kapitalmarkt und langfristige Kapitalmarktsätze als Folge eines längerfristigen Anpassungsprozesses als Reaktion auf Veränderungen der Zinssätze für die Zentralbankgeldversorgung interpretierbar. [Fn.21: Vgl. Filc, W., Theorie und Empirie des Kapitalmarktzinses, a.a.O., S. 128 ff.] Die Bundesbank übt auf diese Weise einen meist prägenden Einfluß auf Zinsstruktur und Zinsniveau am Kapitalmarkt aus.

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2.3 Zinsniveau, Zinsstruktur und gesamtwirtschaftliche Aktivität

Die Zinsabhängigkeit der konjunkturellen Entwicklung ist seit Jahrzehnten Gegenstand der Diskussion. Sie beinhaltet die Kontroverse zwischen Real- und Nominalzinsabhängigkeit, den Transmissionsprozeß und hierbei die Frage der Zinsreagibilität der Investitionen als jene Komponente der volkswirtschaftlichen Nachfrage, die noch am ehesten als zinsbestimmt erachtet wird, sowie die Auswahl eines geeigneten Zinssatzes. Ganz überwiegend war bis unlängst herrschende Meinung, daß der reale Zinssatz für langfristige Titel am Kapitalmarkt in das Zentrum der Überlegungen gestellt werden sollte, weil die Substitutionsbeziehung mit der Investitionsgüternachfrage als Triebkraft der konjunkturellen Entwicklung am deutlichsten und - vor allem - allein begründbar sei. Denn unabhängig von unterschiedlichen Bestimmungsgründen der Zinsentwicklung - monetäre Dominanz oder ausschließlich güterwirtschaftliche Fundierung - stimmen keynesianische und neoklassische Sicht darin überein, daß langfristige Schuldtitel des Kapitalmarktes in einer perfekten Substitutionsbeziehung zum Halten von Sachkapital stehen. Unterschiedliche spezifische Risiken langfristig verbriefter Forderungen und von Sachkapital können - so Tobin - diese Austauschbarkeit lockern, aber kaum aushebeln. Einigkeit besteht auch darin, in irgendeiner geeigneten Weise um erwartete Preissteigerungen bereinigte langfristige Zinssätze mit der erwarteten Sachkapitalrendite zu vergleichen.

In jüngster Zeit wird aber weniger auf das Zinsniveau geachtet, um die Wirkungsrichtung der Geldpolitik und ihre möglichen konjunkturellen Effekte einzuschätzen, sondern vielmehr auf die Laufzeitstruktur der Zinssätze am Anleihemarkt. [Fn.22: Vgl. Stock, J., Watson, M., New Indexes of Coincident and Leading Economic Indicators, in: Blanchard, O.J., Fischer, S. (Hrsg.), NBER Macroeconomics Annual 1989, S. 351 ff.; Bernanke, B.S., On the Predictive Power of Interest Rates and Interest Rate Spreads, in: New England Economic Review, Nov./Dec. 1990, S. 51 ff.; Friedman, B.M., Kuttner, K.N., Money, Income, Prices and Interest Rates, in: The American Economic Review, Vol. 82, No. 3, 1992, S. 472 ff.;
Hesse, H., Roth, G., Die Zinsstruktur als Indikator der Geldpolitik?, in: Kredit und Kapital, 25. Jg., Heft1, 1992,8. 1 ff.]
Für

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Seit 1989 besteht dieser gleichgerichtete Zusammenhang jedoch nicht mehr, zunächst zurückzuführen auf den deutschen Exportboom im Zusammenhang mit der Vorbereitung von Unternehmen im EG-Raum auf den einheitlichen europäischen Binnenmarkt, ab 1990 auf den Wachstumsschub in Westdeutschland als Folge der deutschen Einheit. Ohne diese Sondereinflüsse hätte der 1989 weltweit einsetzende und in der deutschen Zinspolitik angelegte Konjunkturabschwung auch die Bundesrepublik Deutschland früher als erst 1992 erfaßt.

Eine Begründung der guten Prognoseleistung der Zinsstruktur am Kapitalmarkt für die künftige realwirtschaftliche Entwicklung stellt auf erwartungsbedingte Veränderungen von Anlegerpräferenzen ab. Ist es Ziel von Anlegern, ein von konjunkturellen Schwankungen unabhängiges Einkommen zu erzielen, so werden sie bei der Erwartung einer künftigen Konjunkturabschwächung kurzfristige Kapitalmarkttitel abstoßen und in längerfristige Anlageformen umschichten. Die Folge: Kursdruck auf Kurzläufer und Kurssteigerungen am langen Ende des Kapitalmarktes, mithin eine flache oder inverse Laufzeitstruktur der Zinssätze am Rentenmarkt. [Fn.23: Vgl. Harvey, C.R., Interest Rate Forecasts of German Economic Growth, a.a.O.]

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Diese Argumentation vernachlässigt zinspolitische Maßnahmen der Zentralbank. Es mag sein, daß Anlegerpräferenzen Einfluß auf Renditestrukturen am Kapitalmarkt haben, aber sie sind hierfür nicht dominierend. Es gibt in Deutschland keine Änderungen von Renditestrukturen am Rentenmarkt, die nicht von zinspolitischen Maßnahmen der Bundesbank ausgelöst werden, mithin von Änderungen des Tagesgeldsatzes als zentrale Instrumentenvariable der Bundesbank. [Fn.24: Vgl. Filc, W., Theorie und Empirie des Kapitalmarktzinses, a.a.O., S. 118 ff.] Das wird darin erkennbar, daß der Zusammenhang zwischen Zinsstruktur und Wirtschaftswachstum praktisch gleich ist, wenn der Zinsabstand nicht zwischen Zehnjahres- und Einjahresrendite am Kapitalmarkt gemessen wird, sondern zwischen Zehnjahresrendite und Tagesgeldsatz. Immerhin gelingt es mit diesem schlichten Ansatz für den Zeitraum seit Inkraftsetzen des EWS bis Ende 1991 rund 41 vH der Varianz des realen Wirtschaftswachstums zu erfassen. Werden die Jahre 1990 und 1991 wegen der genannten Sondereinflüsse ausgeschlossen, so steigt die Erklärungskraft von um vier Quartale vorlaufenden Differenzen zwischen Zehnjahresrendite und Tagesgeldsatz für das Wirtschaftswachstum auf 82 vH (vgl. Abb. 7).



Sind zinspolitische Schritte der Bundesbank, die auf den Tagesgeldsatz wirken, dominierend für die Zinsstruktur am Rentenmarkt, so liegt es nahe, Tagesgeldsätze unmittelbar mit Wachstumsraten des Sozialprodukts zu verknüpfen. Das Ergebnis

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unterscheidet sich kaum von Resultaten zuvor genannter Ansätze. Für den 1989 endenden Zeitraum können damit rd. 81 vH von Veränderungen der Wachstumsraten des realen Bruttosozialprodukts erfaßt werden
(vgl. Abb. 8).



Diese Zusammenhänge weisen auf erhebliche konjunkturelle Impulse hin, die von zinspolitischen Schritten der Deutschen Bundesbank ausgehen. Der gegenwärtig diskutierte Zusammenhang zwischen Laufzeitstruktur der Zinssätze am Anleihemarkt und dem Wirtschaftswachstum ist dann ein nicht erforderlicher Umweg. Nicht die Zinsstruktur, sondern das Zinsniveau - und hierbei die von der Bundesbank fixierten Zinssätze für die Zentralbankgeldversorgung - sollten deshalb im Mittelpunkt der Beachtung stehen, um die künftige gesamtwirtschaftliche Entwicklung abzuschätzen.

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2.4 Über das Auffinden und Lösen von Rätseln

Wird der Informationsgehalt von Zinsstrukturen und verschiedener Zinssätze für das künftige Wirtschaftswachstum verglichen, so zeigt sich zum einen die klare Überlegenheit des Spread zwischen Geldmarkt und Rentenmarkt gegenüber dem Zinsabstand zwischen Kurz- und Langläufern am Rentenmarkt, zum anderen, daß der Tagesgeldsatz alle anderen Zinssätze, so Kapitalmarktrenditen, als Informa

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tionsträger hinsichtlich des künftigen Wirtschaftswachstums schlägt (vgl. folgende Tabelle).

SCHÄTZERGEBNISSE FÜR WACHSTUMSRATEN DES
REALEN BSP (QUARTALSWERTE; 1/79 - 4/89)

Erklärungsgröße

Vorlauf in Quartalen

Bestimmtheitsmaß

Spread am Rentenmarkt



(10 Jahre -1 Jahr)

4

0,64




Spread zwischen Geldmarkt und



Rentenmarkt (10-Jahresrendite -



Tagesgeldsatz)

4

0,82




Tagesgeldsatz

4

0,81




Dreimonats-Geldmarktsatz

4

0,77




1 - Jahresrendite

5

0,73




10-Jahresrendite

5

0,56

Dieses Ergebnis ist überraschend. Wie ist es zu erklären, daß Geldmarktsätze, zumal für Tagesgeld, eine bessere Indikatoreigenschaft für das künftige reale Wirtschaftswachstum aufweisen als Zinsstrukturen am Kapitalmarkt oder Kapitalmarktrenditen? Mit Ansätzen, die das reale Wirtschaftswachstum allein von realwirtschaftlichen Determinanten bestimmt und Zinsimpulse hauptsächlich über die Zinsabhängigkeit von Investitionen ablaufen sehen, deshalb vor allem auf reale Renditen langfristiger Finanztitel als Alternative zu einer Sachinvestition achten, muß dieses Ergebnis kollidieren.

Klarer: Das Ergebnis widerspricht gängigen ökonomischen Erklärungen. Kein Zins ist weiter entfernt vom realen Geschehen an den Gütermärkten als der nominale Tagesgeldsatz am Markt für Zentralbankgeld. Wenn überhaupt, so wird der Zinsentwicklung von Tagesgeld ein höchst indirekter Einfluß auf güterwirtschaftliche Entscheidungen zugebilligt, und das am Ende einer langen und brüchigen Kette von Substitutionsprozessen: "Economic theory suggests that monetary policy may have a direct effect on short-term interest rates, but little, if any, direct effect on long-term

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rates. It also suggests that long-term rates play a critical rote in a number of economic decisions, such as firms' decisions about Investment, and households' decisions about purchases of homes and other durable goods." [Fn.25: Russell, S., Understanding the Term Structure of Interest Rates: The Expectations Theory, in: The Federal Reserve Bank of St. Louis, Review, Vol. 74, No. 4, July/August 1992, S. 37] Ein direkt ablaufender Wirkungszusammenhang von Variationen des nominalen Tagesgeldsatzes zu künftigem Wirtschaftswachstum, vergleichbar mit dem real balance-Effekt der neoklassischen Geldtheorie, ist auf der Grundlage verfügbarer Paradigmen nicht zu konstruieren.

Das führt zu zwei möglichen und konträren Schlußfolgerungen. Erstens kann es sein, daß der straffe Zusammenhang zwischen vorlaufenden Tagesgeldsätzen und dem Wirtschaftswachstum zufällig ist, ohne ökonomisch interpretierbaren Gehalt. Denn weil es hierfür keine wohl ausgebauten Erklärungen auf der Grundlage theoretischer Lehrsätze gibt, kann nicht sein, was ist. Diese Konsequenz entspricht durchaus der vorherrschenden Vorgehensweise: "In keiner Weise ist es das Ziel der normalen Wissenschaft, neue Phänomene zu finden; und tatsächlich werden die nicht in die Schublade hineinpassenden oft überhaupt nicht gesehen.... Normalwissenschaftliche Forschung ist vielmehr auf die Verdeutlichung der vom Paradigma bereits vertretenen Phänomene und Theorien ausgerichtet." [Fn.26: Kuhn, T.S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 10. Aufl., Frankfurt a.M. 1989, S. 38] Wird das Lösen von "Rätseln" von der "Art der annehmbaren Lösungen" [Fn.27: ebenda, S. 52] beschränkt, angeboten von allgemein akzeptierten Erklärungssätzen, so sind empirische Zusammenhänge nicht weiter zu beachten, wenn sie mit diesen Paradigmen kollidieren und es nicht gelingt, hiervon abweichende Interaktionen konsistent zu begründen.

Zweitens ist es aber auch möglich, daß empirisch festgestellte Regularitäten, nicht vereinbar mit gegebenen theoretischen Denkmustern, kein Trugbild darstellen, sondern ausdrücken, daß vorherrschende Erklärungsansätze unzureichend sind. Werden an Finanzmärkten die Annahmen symmetrischer Informationsverteilung und kostenloser Informationsgewinnung sowie vollständiger Kenntnis oder zumindest rationaler Erwartung über relevante Sachverhalte ersetzt von unvollständiger Information und ihrer asymmetrischen Verteilung, einwertige Erwartungen von heterogenen und unsicheren Einschätzungen der Zukunft [Fn.28: Vgl. Schmidt, R.H., Informationsökonomie und Preisentwicklung an Finanzmärkten: Abschied von neoklassischen Optimierungsvorstellungen?, in: Filc, W., Köhler, C. (Hrsg.), Kooperation, Autonomie und Devisenmarkt, Berlin 1990, S. 13 ff.], so ist es möglich, daß von der

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Zentralbank ausgehende und am Geldmarkt ansetzende Zinsimpulse nicht erst über Substitutionsketten güterwirtschaftlich wirksam werden, sondern durch ihren Signaleffekt Erwartungen der Akteure prägen, die schrittweise in entsprechende wirtschaftliche Aktivitäten übersetzt werden. In diesem Fall ist der Informationsaspekt von Zinssignalen, in Deutschland maßgeblich von Zinssätzen für Wertpapierpensionsgeschäfte ausgehend und den Tagesgeldsatz fixierend, für die künftige gesamtwirtschaftliche Entwicklung höher zu gewichten als Wirkungen zinspolitischer Maßnahmen auf langfristige Zinssätze am Kapitalmarkt und dadurch ausgelöste güterwirtschaftliche Effekte. Freilich ist dies eine weitgehend freihändige Interpretation empirischer Zusammenhänge zwischen Zinssätzen für Tagesgeld und dem künftigen Wirtschaftswachstum. Dennoch könnte es fruchtbar sein, diesen Weg weiter zu verfolgen, um das Zusammenspiel des monetären und des güterwirtschaftlichen Bereichs besser erfassen zu können.

Diese empirischen Ergebnisse, auch wenn die Wirkungszusammenhänge im einzelnen offenbleiben müssen, belegen, daß eine Hochzinspolitik, genauer: hohe und steigende Zinssätze für Tagesgeld, fixiert von der Deutschen Bundesbank, im Regelfall spätere Wachstumsverluste und steigende Arbeitslosigkeit zur Folge haben. Für die Stabilitätspolitik ergibt sich daraus: Ein angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum sowie ein hoher Beschäftigungsstand verlangen ein hiermit verträgliches und weitgehend von der Deutschen Bundesbank zu gestaltendes Zinsniveau.

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2.5 Grundzüge einer angebotsorientierten monetären Stabilitätspolitik

Wie kann erreicht werden, daß die Bundesbank diesem Ziel Rechnung trägt? Die Geldpolitik in Deutschland ist an der Stabilisierung des Preisniveaus orientiert, selbst dann, wenn es zu Lasten von Wachstum und Beschäftigung geht. Ob diese Fixierung auf ein Ziel, auch angesichts der hervorgehobenen Funktion der Bundesbank als Leitwährungszentralbank im EWS, in jedem Falle angemessen ist, mag dahingestellt bleiben. Gefragt werden soll dagegen, unter welchen Voraussetzungen eine mit dem Ziel der Kräftigung der Wachstumskräfte, der Investition und damit der Angebotsseite der Einkommensentstehung verträgliche Zinspolitik der Bundesbank zu gestalten ist. [Fn.29: Vgl. Winkler, A., Geld, Zins und keynesianische Angebotspolitik, Duncker & Humblot (Veröffentlichung in Vorbereitung)]

Der Preisauftrieb für die Lebenshaltung, von dem die Bundesbank den Einsatz ihres

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zinspolitischen Instrumentariums abhängig macht, wird - auch aus der Sicht der Deutschen Bundesbank - wesentlich aus der Interaktion zwischen Gütermarkt und Geldmarkt bestimmt (vgl. folgende Übersicht), mit der Folge, daß die Bundesbank immer wieder ein aus ihrer Sicht stabilitätswidriges Verhalten öffentlicher Haushalte und von Tarifvertragsparteien abzumahnen sucht. Darüber hinaus werden andere, für die allgemeine Preisentwicklung relevante Größen beachtet, etwa die Rohstoffpreise und der Außenwert der D-Mark.

Spätestens dann, wenn die Preissteigerungsrate für die Lebenshaltung einen Wert von 3 % erreicht, setzt die Bundesbank die Geldmarktsätze herauf, und sie nimmt damit Einfluß auf Struktur und Niveau der Zinssätze am Kapitalmarkt. Mit Zeitverzögerung wirkt das dämpfend auf die wirtschaftliche Aktivität. Erst nachdem ein deutlicher Rückgang der Inflationsrate zu verzeichnen ist, lockert die Bundesbank die Zinsschraube wieder.

Die Bundesbank verkündet Geldmengenziele, und sie kommentiert Zusammenhänge zwischen monetärer Expansion und sich daraus ergebende Gefährdungen der Preisstabilität. Dennoch ist die Entwicklung der Geldmenge für die Bundesbank allein zusätzliche Kontrollgröße ihrer Politik. Sie nimmt Einfluß auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung mit dem Ziel der Preisniveaustabilisierung durch zinspolitische Schritte, die darauf abzielen, im Falle eines als übermäßig bewerteten Preisauftriebs die gesamtwirtschaftliche Aktivität zu dämpfen und damit die Inflationsrate zurückzuführen. Geldpolitik, zumal der Deutschen Bundesbank, ist Zinspolitik, nicht Geldmengenpolitik. [Fn.30: Vgl. Köhler, C., Probleme der Zentralbankgeldmengensteuerung, in: Ehrlicher, W., Oberhauser, A. (Hrsg.), Probleme der Geldmengensteuerung, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 99, Berlin 1978, S. 24 ff.] So versteht sich die Bundesbank als Sanktionsinstanz bei aus ihrer Sicht stabilitätswidrigem Verhalten anderer Träger der Makropolitik, also der Finanzpolitik und der Tarifvertragsparteien. [Fn.31: Vgl. Hesse, H., Roth, G., Geldpolitische Effizienz und tarifpolitisches Verhalten, in: Graf von der Schulenburg, J.-M., Sinn, H.-W. (Hrsg.), Theorie der Wirtschaftspolitik, Festschrift zum fünfundsiebzigsten Geburtstag von Hans Moeller, Tübingen 1990, insb. S. 52] 1 Finanzpolitik und Lohnpolitik geraten immer dann in Konflikt mit der Geldpolitik, wenn die im Zuge eines Wirtschaftsaufschwungs vollzogene Änderung der Verteilung zugunsten von Unternehmen durch Nominallohnerhöhungen korrigiert werden soll. Die Folge sind Zinssteigerungen, die den Aufschwung abbrechen, den Gestaltungsspielraum der Finanzpolitik beschneiden und Lohnzurückhaltung erzwingen. [2 Fn.32: Vgl. Tendenzen der Wirtschaftsentwicklung 1992/93, in: DIW-Wochenbericht 26-27/92, 25.6.1992, S. 334 ff.]

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Voraussetzung einer Geldpolitik, die das Zinsniveau so steuert, daß ein angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum bei hoher Beschäftigung erreicht werden kann, ist deshalb eine an der Entwicklung des Produktionspotentials orientierte Finanz- und Lohnpolitik, während die Zinspolitik, inflationsfreies Umfeld vorausgesetzt, Akzente setzen sollte, um günstige Angebotsbedingungen mit dem Ziel der Ausweitung des Produktionspotentials zu sichern.

Die Voraussetzung einer derart angebotsseitig orientierten monetären Stabilitätspolitik, basierend auf maßgeblich von der Zentralbank bestimmten Zinssätzen, die dazu beitragen, Angebotskräfte zu stärken, ist deshalb eine Finanz- und Einkommenspolitik, die das Ziel der Preisstabilität hoch gewichtet. Ein mit hoher Beschäftigung verträgliches niedriges Zinsniveau (in der Terminologie des "Treatise on Money": neutraler Zinssatz) ist nur bei weitgehender Preisniveaustabilität zu erreichen. Weil eine Zentralbank einer steigenden Inflationierung allein mit ihrer Zinspolitik begegnen kann (natürlicher Zins: Zinsniveau bei Preisniveaustabilität), deshalb Zinssätze emportreibt und damit die Gesamtnachfrage sowie das Wachstum des Potentials abwürgt, wird mit steigendem Preisauftrieb der Keim für künftige Arbeitslosigkeit gelegt, weil das zu zinspolitischer Restriktion Anlaß gibt. [Fn.33: Vgl. ebenda, S. 334 ff.]

In der nachfrageorientierten und antizyklischen Konzeption der Stabilitätspolitik, orientiert am IS/LM-Keynesianismus, werden Auswirkungen konjunkturpolitischer Maßnahmen auf die allgemeine Preisentwicklung weitgehend vernachlässigt, deutlich werdend in der vermeintlichen Wahlmöglichkeit der Konjunkturpolitik zwischen Arbeitslosenquote und Preisauftrieb der ursprünglichen Phillips-Kurve. [Fn.34: Vgl. Rees, A., The Phillips Curve as a Menü for Policy Choice, in: Economica, May 1970, S. 227 ff.]
In der neoklassisch inspirierten Konzeption der angebotsorientierten Stabilisierungspolitik ist die Aufgabenteilung zwischen Trägern der Makropolitik insoweit eindeutig, als die Zentralbank allein dafür Sorge zu tragen hat, durch Steuerung der Geldmenge Preisstabilität zu sichern. In einer angebotsorientierten monetären Stabilisierungspolitik keynesianischer Ausrichtung wird eine andere Aufgabenteilung vorgenommen. Weil Geldpolitik nur Zinspolitik sein kann, nicht dagegen Geldmengenpolitik, muß ein niedriges Zinsniveau erreicht werden, um das Ziel eines befriedigenden Wirtschaftswachstums bei hoher Beschäftigung zu verwirklichen. Voraussetzung dafür, daß die Geldpolitik dieses niedrige Zinsniveau anstrebt, ist es aber, daß weitgehende Preisniveaustabilität vorliegt. Es ist auch Aufgabe der Finanzpolitik und der Einkommenspolitik diese Voraussetzung einer wachstumsfördernden Zinspolitik zu errei

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chen. [Fn.35: Das entspricht weitgehend der von Claus Köhler entwickelten potentialorientierten Verstetigungsstrategie. Vgl. Köhler, C., Geldwirtschaft, Dritter Band, Wirtschaftspolitische Ziele und wirtschaftspolitische Strategie, Berlin 1983, insbesondere S. 203 ff.. Auf die aktuelle Situation in Deutschland bezogen: Flassbeck, H„ Verfehlte Geldpolitik, in: DIW-Wochenbericht, 31-32/92, Vol. 59, 30.7.1992, insb. S. 389] Weicher formuliert: Die Geldpolitik ist so weit wie möglich von der Aufgabe der Inflationsbekämpfung zu entbinden. Je stärker sie hierin von der Finanzpolitik und der Einkommenspolitik entlastet wird, desto besser sind die Voraussetzungen für eine angebotsorientierte Zinspolitik.

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3. Schlußfolgerungen

Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft ist Ausdruck der im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens allgemein akzeptierten antizyklischen Orientierung der Stabilitätspolitik mit eindeutigem instrumentellen Schwergewicht bei der Fiskalpolitik. Die teilweise deprimierenden Erfahrungen mit einer einseitig nachfrageorientierten Stabilitätspolitik, auf die eingangs hingewiesen wurde, lassen es als wenig ratsam erscheinen, den Weg zurück zu beschreiten und einen Instrumentenkasten zu reaktivieren, dessen Anwendung bereits unter weitaus günstigeren Bedingungen, als seit dem Vollzug der deutschen Einheit gegeben, zu zumindest zwiespältigen Ergebnissen geführt hatte.

Zuerst kommt es darauf an, die Angebotsseite der Einkommensentstehung zu kräftigen, marktmäßige Anreize für verstärkte Investitionen in Sachkapital und damit zur Ausweitung des Produktionspotentials gerade in den neuen Ländern zu bieten. Eine antizyklisch orientierte Steuerung der Gesamtnachfrage vor allem durch Ausgabeprogramme der öffentlichen Hand wird dieses Ziel nicht erreichen können. Eine auf Verstetigung abzielende und potentialorientierte finanzpolitische Konzeption, die ein stetiges Anwachsen struktureller Defizite öffentlicher Haushalte vermeidet, ist hierfür ebenso geboten wie eine potentialorientierte Einkommenspolitik - nicht nur der Lohnpolitik, sondern auch der Preispolitik der Unternehmen. Allein unter dieser Voraussetzung einer inflationsvermeidenden Finanz- und Einkommenspolitik ist es unter den in der Bundesrepublik Deutschland gegebenen institutionellen Bedingungen erreichbar, daß die Deutsche Bundesbank eine Politik des niedrigen Zinses als Vorbedingung kräftiger Investition in Sachkapital, der Ausweitung des Produktionspotentials und hoher Beschäftigung verfolgt.

Erfahrungen belegen: Immer dann, wenn die Bundesbank mit zinspolitischer Restriktion gegen - tatsächliche oder von ihr interpretierte potentielle - Gefährdungen der

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Geldwertstabilität vorgeht, geht das zu Lasten des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung. Folglich sollte in einer angebotsorientierten, monetär fundierten - und deshalb keynesianischen - Konzeption der Stabilitätspolitik die Geldpolitik von ihrer Aufgabe der Stabilisierung des Geldwerts weitgehend von den anderen Trägern der Makropolitik entlastet werden. Solange dies nicht geschieht, kann es für die Bundesbank, gesetzlich der Geldwertstabilität verpflichtet, keine Kompromisse geben: Im Zweifel hat sie sich für Preisstabilität zu entscheiden, auch wenn das Beschäftigung kostet - und die Bundesbank befolgt diesen Weg auch kompromißlos. Muß die Zentralbank nicht als Sanktionsinstanz auf stabilitätswidriges Verhalten anderer Gruppen oder Institutionen reagieren, verfolgt sie deshalb eine Politik des niedrigen Zinses, so werden die Wachstumskräfte angeregt, und die Beschäftigung steigt.

Die Autonomie der Bundesbank bei geldpolitischen Beschlüssen ist ein hoch zu schätzendes öffentliches Gut. Aber jeder private Akteur, erst recht jede öffentliche Institution, ist gut beraten, vor wichtigen und zukunftsweisenden Entscheidungen möglichst alle Informationen zu sichten, auszuwerten und hieraus Schlüsse zu ziehen. Die institutionellen Voraussetzungen geldpolitischer Beschlüsse in der Bundesrepublik Deutschland stellen dies jedoch nicht sicher. Geldpolitik kann in Deutschland von den Leitungsgremien der Bundesbank gleichsam monarchisch exekutiert werden. Weder gibt es einen Erklärungs-, noch einen Begründungszwang für Maßnahmen der Geldpolitik. Dies birgt die Gefahr, daß, weil Menschen irren können, wichtige Argumente, die außerhalb der Bundesbank gegen einen anstehenden wichtigen geldpolitischen Beschluß artikuliert werden, deshalb keine Beachtung finden können, weil sie im Zentralbankrat ungehört bleiben. So war die zinspolitische Reaktion der Bundesbank vom Februar 1981 auf die Passivierung der Leistungsbilanz ebenso umstritten, wie gegenwärtig die Interpretation der geldpolitischen Implikationen der deutschen Einheit als bloße Ausweitung des Geltungsbereichs der D-Mark unter Annahme der Konstanz aller übrigen, zuvor für die Bundesrepublik geltenden Bedingungen, zumindest diskussionswürdig ist. Rechtfertigt ein Preisauftrieb von gegenwärtig knapp über drei Prozent im Gefolge des einmaligen Experiments der schlagartigen Integration einer Zentralverwaltungswirtschaft in ein marktwirtschaftliches System einen geldpolitischen Bremskurs, der bereits an den Rand einer Stabilisierungskrise geführt hat?

Deshalb erscheint eine Umorientierung der Stabilitätspolitik geboten. Finanzpolitik, Einkommenspolitik und Geldpolitik sollten gemeinsam den Zielen eines angemessenen Wirtschaftswachstums und eines hohen Beschäftigungsstandes bei Preisniveaustabilität verantwortlich sein. Das verlangt von der Finanzpolitik und von der Einkommenspolitik eine größere Verantwortlichkeit für die Geldwertstabilität, von der

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Geldpolitik die stärkere Beachtung der realwirtschaftlichen Ziele der Stabilisierungspolitik. Gemeinsame Orientierung an allen Zielen der Stabilitätspolitik darf nicht zu einer Verwischung von wirtschaftspolitischen Kompetenzen führen, aber sie soll einseitigen und wenig aufeinander abgestimmten Konzeptionen der Finanzpolitik, der Einkommenspolitik und der Geldpolitik Vorschub leisten. Eine zwischen den Trägern der Makropolitik stärker koordinierte Gesamtkonzeption der Stabilisierungspolitik könnte dazu beitragen, Konflikte zwischen Einkommens- und Finanzpolitik auf der einen Seite und Geldpolitik auf der anderen zu vermeiden. Als institutionalisierte Plattform einer derartigen Abstimmung kommt die Wiederbelebung der konzertierten Aktion, allerdings in neuer Form, in Frage. Eine Neuauflage der konzertierten Aktion wäre wenig geeignet, würde sie erneut vor allem als Instrument zur Disziplinierung der Tariflohnpolitik gesehen. Ferner ist es im Sinne der hier vorgestellten Konzeption einer monetär fundierten Stabilitätspolitik unverzichtbar, daß die Deutsche Bundesbank hieran teilnimmt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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