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TEILDOKUMENT:
Werner Glastetter: [Seite der Druckausgabe: 2] (01) Das Thema bedarf der Ab- bzw. Eingrenzung [Fn.1: Überarbeitete schriftliche Fassung eines Vertrages, der anläßlich der Tagung des "Kocheier Kreises" am l. Juli 1992 in Bonn gehalten wurde. Für die kritische Durchsicht des Manuskripts danke ich meinem Kollegen, Herrn Prof. Dr. Reinhard Neck; für die Erstellung der Schaubilder bin ich meinem Mitarbeiter, Herrn Dipl.-Volkswirt Frank Vollmann, zu Dank verpflichtet.] . Definiert man (vereinfachend) das in Frage stehende Stabilitäts- und Wachstumsgesetz als Handlungsrichtlinie für eine Regierung, im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung einen angemessenen Wachstumsprozeß aufrechtzuerhalten und diesen gleichzeitig zu verstetigen, so ist damit - im Grundsatz - eine gesamtwirtschaftliche Problemstellung umrissen, auf die die nachfolgenden Überlegungen eingegrenzt werden sollen. Aufgrund dieser Eingrenzung müssen vor allem drei Problemkomplexe ausgeklammert bleiben, die zwar ohne Zweifel erhebliche Rückwirkungen auf den Wachstums- und Verstetigungsprozeß haben, aber gleichwohl mit einem gesamtwirtschaftlich orientierten Gesetz nicht steuerbar sind:
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(02) Nach dieser Abgrenzung läßt sich m.E. die hier relevante Problemstellung eher konkretisieren: Angesichts drohender Wachstumsabschwächungen, wieder gestiegener Preise, noch als ungelöst geltender Arbeitsmarktprobleme, keineswegs als geordnet erscheinender Lage der öffentlichen Haushalte und wieder härter gewordener Verteilungskonflikte stellt sich die Frage, ob das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz noch die adäquaten Antworten gibt, ob - konkreter gesagt - es hinreicht, eine einseitig verengte Interpretation des Gesetzes zu vermeiden, oder ob es erforderlich erscheint (unbeschadet einer juristischen Detailausformulierung), die Vorschriften des Gesetzes zu erweitern oder zumindest zu spezifizieren. Eindeutige - gar objektiv zwingende - Antworten dürften kaum gegeben werden können; die kontroversen Positionen sind bekannt. Was somit bleibt, will man sich nicht auf theoretische Modellaussagen oder spekulative Schätzurteile beschränken, ist die empirische Prüfung der tatsächlichen Entwicklung auf die Frage hin, ob daraus bestimmte konzeptionelle Rückschlüsse für die Ausgestaltung einer konjunkturpolitischen Strategie gezogen werden können. Der vorgegebene Rahmen macht es erforderlich, sich auf einige wenige gesamtwirtschaftliche Eckdaten zu beschränken und die Schlußfolgerungen eher thesenartig vorzutragen. Dabei deckt einerseits der Zeitraum 1950/1989 - für sich genommen - ein Stück Wirtschaftsgeschichte der (ehemaligen) Bundesrepublik Deutschland ab. Andererseits liegen zwischenzeitlich für diese Gebietsabgrenzung auch Daten für 1990/1991 vor. Wobei freilich bei dieser Fortschreibung zumindest als offen gelten muß, ob diese Ergebnisse als Ausdruck einer endogenen Eigendynamik der "alten" Bundesrepublik gewertet werden [Seite der Druckausgabe: 4] können, oder ob sie nicht vielmehr als Folge exogener Schocks gesehen werden müssen; der deutsch-deutsche Einigungsprozeß wäre dann interpretierbar als ein Konjunkturprogramm für die "alten" Bundesländer [Fn.2: Die im folgenden vorgestellten Befunde für den Zeitraum 1950/1989 stützen sich einerseits auf die Ergebnisse eines Forschungsprojekts, das im Herbst 1991 veröffentlicht wurde: Werner Glastetter, Günter Högemann, Ralf Marquardt, Die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland 1950 - 1989, Campus-Verlag, Frankfurt/Main - New York 1991. Das dort verwendete Ausgangsmaterial basiert auf dem Stand vom Frühjahr 1991. (Zu Quellenangaben und methodischen sowie theoretischen Fragen sei auf diesen Bericht verwiesen.) Andererseits bat das Statistische Bundesamt zwischenzeitlich Revisionen für 1970 bis 1990 (Heinrich Lützel u.a., Revisionen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, in: Wirtschaft und Statistik, Heft 4/ 1991 - Klaus Schüler, Veronika Spies, Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, in: Wirtschaft und Statistik, 10/1991) und Fortschreibungen für 1990 und 1991 (Hartmut Essig, Wolfgang Strohm, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen 1991, in: Wirtschaft und Statistik, 3/1992) vorgelegt. Die Ergebnisse wurden berück sichtigt und - bei Bedarf - so umgerechnet, daß sie mit dem Zeitraum 1950/89 vergleichbar sind.] . Für diese zweite Version spricht zumindest, daß mit dem partiellen Auslaufen dieser Schocks - zumindest was die unmittelbaren Nachfrageimpulse angeht, die von den "neuen" Bundesländern auf die "alten" Bundesländer ausstrahlten - die dominierenden gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge wieder durchwirken, was nicht zuletzt die für das laufende Jahr (1992) erwarteten Abschwächungstendenzen (mit)erklären könnte [Fn.3: Soweit Prognosewerte für das Jahr 1992 erwähnt werden, stützen diese sich auf das Gemeinschaftsgutachten der Forschungsinstitute vom Frühjahr 1992: Die Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Frühjahr 1992, in: Ifo-Wirtschaftskonjunktur, 4/1992.] . (03) Nimmt man die gesamtwirtschaftliche Entwicklung seit der letzten Rezession (1982), in der - cum grano salis - eine vierte Juglarwelle zum Abschluß gekommen war, und vergleicht man die anschließende Entwicklung mit dem zurückliegenden Beobachtungszeitraum, so sind zwei Ausgangstatbestände festzuhalten:
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1950 bis 1982 zugrunde, der - aus unterschiedlichen Stützbereichen gewonnen - einen relativ stabilen linearen Charakter aufweist, so ist festzustellen, daß - anders als in den Aufschwüngen nach 1967 bzw. 1975 - seit 1982 dieser Trend nachhaltig unterschritten blieb. Im Grunde wurde er sogar im Jahre 1991 noch immer nicht voll erreicht; und im laufenden Jahr ist eher wieder ein Zurückbleiben des Wachstumspfades gegenüber dem Trend angelegt (vgl. Schaubild -Nr. 2). - Insgesamt gesehen, ist somit die Wachstumsdynamik seit 1982 als eher "unterdurchschnittlich" einzustufen. [Seite der Druckausgabe: 6]
aus, um das Arbeitsplatzdefizit in hinreichendem Umfang abzubauen. - Die Konsequenz liegt auf der Hand: Gemessen an der Arbeitslosenquote (vgl.
[Seite der Druckausgabe: 7] Schaubild-Nr. 4) ging die vielfach beschworene Wachstumsdynamik über Jahre hinweg faktisch am Arbeitsmarkt vorbei; trotz des Aufschwungs stieg die Arbeitslosenquote drastisch an und verharrte über sechs Jahre Aufschwung hinweg auf relativ hohem Niveau (ca. 8 - 9 vH). Erst seit 1989 erfolgte eine etwas ausgeprägtere Rückbildung der Quote, deren Höhe Anfang der 90er Jahre aber noch deutlich über dem Niveau von Anfang der 80er Jahre blieb; ein neuerlicher Anstieg im laufenden Jahr (auf ca. 6,5 vH) wird erwartet.
Nimmt man beide Sachverhalte zusammen, so wird man zu dem Ergebnis kommen müssen, daß der Aufschwung (seit 1982) als eher verhalten einzustufen ist - jedenfalls als nicht hinreichend, um die aktuellen Arbeitsmarktprobleme zu bewältigen. Die Frage drängt sich auf, worauf diese Fehlentwicklungen zurückzuführen sind. Dabei sind m.E. drei Problemkomplexe - konzeptioneller Wandel, einseitige Zielkonfliktlösung, fragwürdige Implikationen - auszumachen. (04) Was - zunächst - den konzeptionellen Wandel angeht, so ist hinlänglich bekannt, daß Anfang der 80er Jahre (nicht nur in der BRD) hinsichtlich der konjunkturpolitischen Strategie die sog. "angebotspolitische Wende" stattgefunden hat. Statt "Nachfragesteuerung" (i.S. von Keynes u.U. mit Hilfe eines "deficit-spen [Seite der Druckausgabe: 8] dings") sollten "Freiräume" für das private Angebot geschaffen werden (De-Regulierung, Re-Privatisierung, Lohnkosten-, Steuer- und Zinsentlastung, Konsolidierung der öffentlichen Haushaltsdefizite über eine entsprechende Ausgabendisziplin). Völlig unplausibel schien diese Wende auf den ersten Blick nicht. Unterstellt man die Gültigkeit des Say'schen Theorems (und damit systemimmanente Gleichgewichtstendenzen) sowie die Existenz eines Schumpeter'schen Unternehmertyps (und damit eine Dynamisierung des Wirtschaftsprozesses), so liegt es nahe, eine Nachfragesteuerung als obsolet, ja eher als kontraproduktiv anzusehen. Und schließlich schienen die Stagflationstendenzen in der 70er Jahren und ein nahezu irreversibel erscheinendes Finanzierungsdefizit bei den öffentlichen Händen auf enge Grenzen der konjunkturpolitischen "Machbarkeit" i.S. einer Feinsteuerung hinzudeuten. Gleichwohl erscheint eine etwas differenziertere Sichtweise angezeigt: Nimmt man den gesamtwirtschaftlichen Auslastungsgrad - konzentriert auf den Unternehmensbereich, ohne Wohnungsvermietung sowie Land- und Forstwirtschaft (vgl. Schaubild-Nr. 5) -, so zeigt sich, daß dieser Auslastungsgrad sich seit 1982 (anders als nach 1967 bzw. nach 1975) nur sehr zögerlich erholte. Im Grunde ist erst 1988/1989 eine spürbar bessere Kapazitätsauslastung zu verzeichnen, die sich dann zunächst fortgesetzt hat, zwischenzeitlich (1992) aber wieder eine Abschwächung (auf ca. 96,5 vH) erfahren dürfte. Beachtet man,
[Seite der Druckausgabe: 9] daß - in deutlicher Analogie hierzu - der Wachstumsprozeß sich zunächst sehr zögerlich entwickelte, Arbeitsplatzdefizite eher zunahmen, und eine ausgeprägtere Wachstums- und Beschäftigungsexpansion erst mit einem nachhaltigeren Anstieg der Kapazitätsauslastung einsetzte, so ist eben nicht auszuschließen, daß der Kapazitätsauslastung, damit der autonomen Nachfrageentwicklung (und mithin dem Keynes'schen Unternehmertyp), doch ein entsprechend größerer Bedeutungswert zugemessen werden muß, dem eine Angebotsorientierung allein von ihrem Selbstverständnis her nicht die hinreichende Beachtung zuweist.
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lung (vgl. Schaubild-Nr. 7) keinesfalls eindeutig. Hinzu kommt noch ein weiteres. Die deutlich abgesunkene Fremdfinanzierungsquote im Unternehmensbereich (vgl. Schaubild-Nr. 8), die noch 1991, trotz eines erkennbaren Anstiegs
[Seite der Druckausgabe: 11] seit 1988, deutlich unter dem Durchschnitt des Zeitraumes 1950/82 lag, signalisiert bereits - für sich genommen - eine niedrige Kapitalmarktabhängigkeit. Damit ist die Existenz von crowding-out-Effekten gewiß noch nicht widerlegt; niedrige Fremdfinanzierungsquoten könnten theoretisch auch Folge niedriger (verdrängter) Investitionen sein. Doch berücksichtigt man überdies den tendenziellen Rückgang der Absorptionsquote des Unternehmensbereichs (vgl. Schaubild-Nr. 9), so ist eine Verdrängung von privaten Investitionen durch öffentliche Defizite nur sehr bedingt unterstellbar. (Wie noch zu zeigen ist, hat sie auch gar nicht stattgefunden.)
[Seite der Druckausgabe: 12] Denn drittens ist nicht auszuschließen, daß kurzfristige Konjunkturprogramme eher Preis- oder Mitnahmeeffekte denn reale Expansions- und Beschäftigungseffekte aufweisen. Die Gegenüberstellung dieser Überlegungen - das offensichtlich eigenständige Gewicht der Kapazitätsauslastung und somit der Nachfrageentwicklung, die Fragwürdigkeit, crowding-out-Effekte einfach als gegeben zu nehmen, und dennoch die berechtigten Bedenken gegenüber (zu) positiven Erwartungen an eine globale antizyklische Feinsteuerung - lassen zunächst einmal einen Schluß zu: Auch wenn Bedenken gegenüber einer globalen antizyklischen Feinsteuerung gerechtfertigt sind, erweist sich ein grundsätzlicher und somit konzeptioneller Verzicht auf eine "Nachfrageorientierung" in einer konjunkturpolitischen Gesamtstrategie als mindestens genau so verhängnisvoll. Die Ergebnisse der Jahre 1988/89 (als die Bundesregierung mit ihrem Steuerentlastungsprogramm diesem Gesichtspunkt wenigstens in Ansätzen Rechnung trug) und die Ergebnisse der Jahre 1990/91 (als der deutsche Einigungsprozeß letztendlich wie ein umfassendes Nachfrageprogramm wirkte) scheinen dies zu bestätigen. Und genau an diesem Punkt dürfte sich ein erstes Defizit im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz abzeichnen: Mit seinen "Kann"-Vorschriften (z.B. § 6,2 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz) hat es allenfalls einen "Ermächtigungs-" aber keinen "Verpflichtungscharakter", einer Nachfrageorientierung hinreichend Rechnung zu tragen. Insoweit kann die "angebotsorientierte Wende" m.E. (formal) nicht als Verstoß gegen das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz interpretiert werden. Da sie aber zumindest in ihrer Einseitigkeit (materiell) problematisch ist, bliebe zu prüfen, ob der Staat nicht angehalten werden könnte, bei der inhaltlichen Ausgestaltung einer konjunkturpolitischen Strategie das Nachfrageelement unmittelbar und direkt zu beachten (statt spekulativ auf eine Schumpeter'sche Investitions- und Beschäftigungsnachfrage zu setzen). (05) Was - sodann - die Frage der einseitigen Konfliktlösung angeht, so wurzelt die hier angesiedelte Problematik letztlich darin, daß das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz die "gleichzeitige" Erfüllung der Wachstums- und Verstetigungsziele anmahnt (§ l Stabilitäts- und Wachstumsgesetz). Diese Gleichzeitigkeit ist indessen unterschiedlich interpretierbar. Denkbar ist, daß Kompatibilitätsannahmen zugrunde gelegt werden, wonach die Förderung eines Zieles auch den Zielerreichungsgrad eines anderen Zieles positiv beeinflußt. Denkbar ist, daß aber auch Neutralitätsannahmen zugrunde gelegt werden müssen, wonach die Förderung eines Zieles den Zielerreichungsgrad eines anderen Zieles zwar nicht negativ, aber [Seite der Druckausgabe: 13] auch nicht positiv beeinflußt, was bedeutet, daß das zweite Ziel esondert verfolgt werden muß. Noch schwieriger wird die Situation, wenn Konfliktannahmen begründbar sind, die dann das Problem der Güterabwägung aufwerfen. Die Fragestellung erfordert eine etwas differenzierte Prüfung. Klammern wir einmal das Ziel "außenwirtschaftliches Gleichgewicht" aus, weil dieses Ziel auch exogenen Einflüssen - konjunkturbedingte Nachfrage des Auslandes - unterliegt, die nur in engen Grenzen steuerbar sind, so werden drei Zielbeziehungen - Wachstum/Beschäftigung, Wachstum/Preisstabilität, Preisstabilität/Beschäftigung - relevant, die im folgenden kurz zu prüfen sind:
[Seite der Druckausgabe: 14] wird; seit Anfang der 70er Jahre hat sich die "Produktions-Produktivitäts-Schere" geöffnet, die zwischenzeitlich auch nicht mehr geschlossen werden konnte. Dies ist zwar durchaus plausibel erklärbar (Rationalisierungsprozesse); aber dann ist die Kompatibilitätsannahme nicht mehr einfach unterstellbar. - So ist nicht überraschend, daß schon seit der zweiten Hälfte der 50er Jahre der Entwicklungspfad des Arbeitsvolumens sich vom Wachstumspfad abkoppelte (vgl. Schaubild-Nr. 11 - in Verbindung mit Schaubild-Nr. 10). Gewiß sind in diesem Zusammenhang einer rein saldenmäßigen Betrachtung - ohne Arbeitszeitverkürzung wäre die Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen der Entwicklung
des Arbeitsvolumens gefolgt - erhebliche Bedenken entgegenzubringen: Ohne Arbeitszeitverkürzung wäre die Produktivitätssteigerung vielleicht geringer, mit forcierter Arbeitszeitverkürzung vermutlich höher ausgefallen; ob eine gezielte Arbeitszeitverkürzung mehr Arbeitsplätze schafft oder allenfalls einem Arbeitsplatzabbau entgegenwirkt, mag insoweit offenbleiben. Erkennbar ist aber in jedem Fall, daß eine einfache Kompatibilitätsannahme eben nicht als gegeben unterstellbar ist. Daraus folgt, daß neben dem Wachstum das Beschäfti- [Seite der Druckausgabe: 15]
gungsziel als eine eigenständige Zielkategorie behandelt werden muß, wenn die Erwartung, mehr Wachstum führe automatisch zu mehr Beschäftigung, in Zweifel zu ziehen ist.
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nicht verhindern konnte. Und darüber hinaus ist zu konstatieren, daß die seitherige Hinnähme zunehmender Preissteigerungsraten einherging mit einer realen Wachstumsbeschleunigung. Damit soll keiner Inkompatibilitätshypothese das Wort geredet werden. Gleichwohl gilt es festzustellen, daß offenbar auch Wachstum und Preisstabilität eigenständige Zielkategorien darstellen, die nicht in eine beliebige Kompatibilitätshypothese gezwungen werden können. Preisstabilität ist nicht per se der Garant für mehr Wachstum; vielmehr ist nicht auszuschließen, daß ein überzogenes Stabilitätsbewußtsein das Wachstum auch behindern kann. [Seite der Druckausgabe: 17] ist die Tatsache, daß eine Konfliktsituation nicht einfach auszuschließen ist. Und dann ist die Rückgewinnung von mehr Preisstabilität eben nicht ohne Konsequenzen für eine (negative) Arbeitsmarktentwicklung; auch unter dieser Perspektive müßten Preisstabilität und Beschäftigung einen eigenständigen Zielcharakter erhalten. Zieht man ein Fazit aus den drei skizzierten Zielbeziehungen, so dürfte erkennbar geworden sein, daß das vom Gesetzgeber angemahnte Kriterium der "Gleichzeitigkeit" nicht dadurch ausgeschöpft wird, daß man auf Kompatibilitäts- bzw. Neutralitätsbeziehungen setzt. Nur dann wäre es, wie geschehen, gerechtfertigt, das Ziel der "Preisstabilität" einseitig in den Vordergrund zu rücken. Damit soll weder die Bedeutung dieses Zieles (im Grundsatz) in Frage gestellt werden noch die (konkrete) Notwendigkeit bestritten werden, seit Mitte der 70er Jahre - mit dem plausiblen Ansinnen, eine drohende Inflationsmentalität zu brechen - Druck auf Preissteigerungserwartungen auszuüben. Was indessen ständig kritisch geprüft werden muß, ist die Frage, ob in jedem Falle Kompatibilität bzw. (zumindest) Neutralität unterstellbar ist. Ist dieses zu bezweifeln, mag es gute Gründe dafür geben, dem Ziel der Preisstabilität gleichwohl ein hohes Gewicht einzuräumen. Nicht zu rechtfertigen ist die Erwartung, damit automatisch (gewissermaßen im Selbstlauf) hinreichende Wachstums- und uno actu hinreichende Beschäftigungseffekte zu erreichen. Wenn indessen Kompatibilität nicht einfach unterstellt werden kann, so bedarf der Begriff "gleichzeitig" (in § 1 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz) zumindest dahingehend einer Präzisierung, als der Staat gehalten wäre, den skizzierten Zielen in jedem Falle eine selbständige Eigenwertigkeit zuzuweisen - was dann nicht bedeutete, sich auf Kompatibilitätsannahmen zurückzuziehen, sondern die Ziele, für sich genommen, anzustreben. (06) Was - schließlich - das Problem fragwürdiger Implikationen angeht, so ist damit im Kern nichts anderes gemeint, als daß eine angebotsorientierte Wende notwendigerweise und insoweit auch durchaus folgerichtige Implikationen enthält. Wenn man einmal die ordnungspolitisch-administrativen Implikationen (De-Regulierung, Re-Privatisierung) ausklammert, weil sie ohne die Vorgabe subjektiver gesellschaftspolitischer Werturteile gar nicht diskutierbar sind, so erscheinen derartige Implikationen (ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben) auf drei Ebenen bemerkenswert: Einmal folgt aus dem angebotsorientierten Konzept die Forderung, daß "Freiräume" durch Lohnkostenentlastung geschaffen werden müßten; ob man hier schlicht den Anstieg der Kapitalrentabilität im Auge hat oder (vermeint- [Seite der Druckausgabe: 18] lich "objektiver") einen höheren Beschäftigungsstand und eine Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, sei offen gelassen; zum zweiten folgt aus dem Konzept die Forderung, daß die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auf der Ausgabenseite erfolgen müsse (eine Einnahmesteigerung müßte an sich der Logik des Konzepts entgegenstehen); zum dritten folgt daraus, daß der marktwirtschaftliche Anpassungsmechanismus letztlich optimal den Strukturwandel bewältigte.
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abzeichnet. Die Tatsache, daß die Verteilungskonflikte härter geworden sind, sollte zumindest nicht überraschen. Doch auch ohne gesellschaftspolitische Wertung zeigt sich die Problematik aus "rein" ökonomischen Überlegungen. Lohnzurückhaltung impliziert Kaufkraft- und damit Nachfrageausfall. Das angebotsorientierte Modell kommt damit zwar "theoretisch" zu Rande: Der Kaufkraftausfall werde durch Mehrbeschäftigung kompensiert, und der Realkasseneffekt komme flankierend hinzu. Diese theoretischen Überlegungen brauchen hier nicht diskutiert zu werden. Doch soviel ist sicher: Wenn diese Modellprämissen nicht erfüllt sind, scheitert das Konzept; die erste Implikation erweist sich dann auch unter ökonomischen Kriterien als fragwürdig. Mit diesen Feststellungen soll nicht - im Umkehrschluß - der (expansiv angelegten) Kaufkrafttheorie des Lohnes das Wort geredet werden; hiergegen wären mit guten Gründen (Vorpreschen des Kosteneffektes) Bedenken anzumelden. Nicht zuletzt könnte - bei gegebener Phillipskonstellation - eine aktive Beschäftigungspolitik desavouiert werden. Aber gerade dann zeichnet sich die dringende Notwendigkeit ab, das Verteilungsproblem (über eine substantielle Reaktivierung der konzertierten Aktion gemäß § 3 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz), gerade [Seite der Druckausgabe: 20]
unter gleichzeitiger Beachtung von Kosten- und Nachfrageeffekten, in eine konjunkturpolitische Strategie einzubinden.
[Seite der Druckausgabe: 21] onstätigkeit, sondern offenbar (und die Lohnquotenentwicklung bestätigt dies auch) in einer drastischen Gewinnbegünstigung in Verbindung mit dem entsprechenden Zufluß von Eigenmitteln; damit wird die Annahme von crowding-out-Effekten zusätzlich fragwürdig. Freilich sind Defizite bei den Wohnbauten und - v.a. - bei den öffentlichen Investitionen festzumachen; im letzten Fall haben auch die Jahre 1990/1991 keine nennenswerte Korrektur des hier angelegten Trends gebracht (vgl. Schaubild-Nr. 16). Auch hier führt somit ein angebotsorientiertes Konzept - ungeachtet seiner gesellschaftspolitischen Implikationen (Wohnraum- und Infrastrukturdefizite) - gesamtwirtschaftlich gesehen zu problematischen Nachfragedefiziten. Daran gemessen, wäre zu prüfen, ob die reichlich formalistische Behandlung öffentlicher Investitionen (§ 10 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz) dahingehend präzisiert werden sollte, daß ein Konsolidierungsprogramm nicht auf Kosten der öffentlichen Investitionen gehen dürfe, sondern daß hier in jedem Falle eine Verstetigung erreicht werden müsse. Darüber hinaus müßte die Einnahmeseite (über Ergänzungs-, Arbeitsmarkt- oder Solidaritätsabgaben) eben doch stärker in die Konsolidierungsaufgabe einbezogen werden, was - mit Blick auf die (relativ) geringere Konsumneigung bei (relativ) höheren Einkommen - auch nicht in diesem Umfang nachfrageschädlich wäre.
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[Seite der Druckausgabe: 23] Schaubild-Nr. 18) ebenfalls einem sinkenden Trend folgen (auch ohne so ausgeprägte Konjunkturreagibilität wie im Sekundärsektor); nicht auszuschließen ist, daß die Nutzung von Rationalisierungspotentialen auch im Tertiärsektor (etwa: Handel, Banken, Verkehr, Versicherungen) dessen arbeitsmarktpolitische Absorptionsfähigkeit vermindert. Die Aussage, den Strukturwandel dem Marktprozeß anzuvertrauen, bliebe davon unberührt (die mögliche Gefahr wäre die Erhaltung ineffizienter Strukturen); die Vermutung, daß der Staat gleichwohl dann dem Beschäftigungsziel erst recht verpflichtet bliebe, hätte in der tatsächlichen Strukturentwicklung eine unmittelbare zusätzliche Stütze.
Zieht man Konsequenzen aus den drei skizzierten Aspekten, so dürfte erkennbar geworden sein, daß eine konjunkturpolitische Strategie sich nicht nur verstärkt mit Zielkonflikten auseinandersetzen muß, sondern auch mit Problemen, die sich aus Verteilungskonflikt, öffentlicher Investitionszurückhaltung und Strukturwandel ergeben. [Seite der Druckausgabe: 24] (07) Es wurde kein umfassendes und konsistentes Alternativkonzept vorgestellt. Dies war auch nicht die Absicht. Es sollte auf Defizite (konzeptioneller Wandel - einseitige Zielkonfliktlösungen - fragwürdige Konzeptimplikationen) hingewiesen werden, die sich nun aber ein einem umfassenden Sinne präzisieren lassen:
Ob nun grundsätzlich und in welchen Grenzen den skizzierten Defiziten in der Weise Rechnung getragen werden kann, daß sie in einer juristischen Fassung ihren Niederschlag finden und die Vermeidung solcher Defizite dann operational wird, muß hier offen blieben. Die Frage selbst, nämlich, ob das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz reaktiviert werden sollte, würde ich bejahen - indessen mit Blick auf Akzentuierung, Präzisierung und Ergänzung. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999 |